Samstag, Dezember 31, 2022

Gendertrouble, Putin-Fatwas und Dog-Splaining

Phantomereignisse im Dezember 2022


1.12.

Polizeiwachstube Thalheim bei Wels. Der sehr junge Exekutivbeamte findet meinen Führerschein nicht im System. „Einen Herrn Dominik Meindl hätte ich.“ Leider bin das ich, denn die BH Linz-Land hält mich seit 1996 hartnäckig für einen Mann. „Des tat i ausbessern lossn, Frau Meindl!“ Er ist offensichtlich Jahrgang 1997 und hat keine Ahnung, wie das damals gewesen ist in der Nachkriegszeit, wo eine Frau noch nichts zu sagen hatte, auch nicht über ihr wahres Geschlecht. 

***

Stiferhaus. Neben der von mir stark gemochten Regina Pintar schaut Fini aus wie ein verliebter Kampfhund. Es ist natürlich extrem schmeichelhaft, dass sie mich über mein eigenes Kunstwollen befragt, aber meine Neurose lässt mich dabei immer ein schlechtes Gewissen empfinden, dass ich die ganze Zeit rede. Andererseits ist das halt die Person, die ich bin (auf Englisch klingt das weniger deppert: That's the person I am) und auf die Schnelle finde ich mir jetzt auch keine andere Seele mehr. 

Bei der Suppe frage ich Regina, ob sie in ihrer Pension einmal über die dummen Allüren ihrer tausenden Gäste auspacken werde. Nein, sagt sie, die hätten sich alle zusammengerissen, „nur der Glavinic hat sich bei mir aufgeführt wie bei allen anderen.“

2.12.

Neun Stunden ohne Pause durchpennt. Der Hund sagt auch nichts, das faule Stück. Die Sonne ist in den vergangenen Tagen zur fernen Erinnerung geworden. Auch die Mitwelt postet die sozialen Medien mit dem Wunsch nach Antritt des Winterschlafs voll.

Dann aber leichte Arbeitsmanie. Ich muss Außerliterarisches als neues Vermeidungsziel der Prokrastination nutzen – heute hat sich das Nicht-Saugen des sehr dreckigen Autos extrem positiv auf den Büro-Output ausgewirkt.

Linda – Kletterhalle – Bier – Sushi – Couch – heute-show – Couch-Schlaf. #purebliss

 

3.12.

Wieder neun Stunden im Koma. Was ist das für ein fauler Hund?

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Auf den karierten, grauen Filz-Schlapfen, die ich in Buttingers Haushalt vorgefunden und beschlagnahmt habe, steht in schroffem Kontrast zu Ästhetik und Zweck der schiachen Teile „Sprint“ gestickt. Das erheitert mich jeden Tag, denn selig sind die Armen im Geiste.


4.12.

Den sehr lieben vereinigten Linken von Linz gepredigt, dass auch behinderte Menschen ins Puff gehen dürfen (sofern es sich um organisierte SexarbeiterInnen handelt). Den beiden Vorsitzenden der österreichisch-kubanischen Freundschaftsgesellschaft meine Meinung zur Lage aufgedrängt („Ein Land voller SexarbeiterInnen, wegen der linksromantischen Fortsetzung westlicher Kolonialisierung“, sinngemäß, es tut mir später sehr leid, auch wenn's ein wenig wahr ist). Hoffentlich waren keine Putinversteher da. Wäre ich mutig, würde ich hoffen, dass Putinversteher da waren. Jedenfalls habe ich erneut zum Mord am fossilen Faschisten aufgerufen. Wann folgt endlich jemand meiner Russen-Fatwa?! Habe ich denn gar kein demagogisches Potenzial?


7.12.

NT spricht über ihm bekannte Alphamänner und schenkt mir den hervorragenden Begriff „Halbgiganten“. Das sind also Männer, die es nur schwer aushalten, fußkrank zu sein, weil man dann das Klackern ihrer genagelten Maßschuhe am Gang nicht hört.

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Kann ich den Hund bei mir mitversichern lassen? Sie ist ja als primäre Analphabetin nicht geschäftsfähig. Die Tierärztin empfiehlt mir angesichts der Rechnung, die sie mir gerade ausgestellt hat, für Fini einen Instagram-Kanal einzurichten und den zu bewirtschaften.

8.12.

Finis Sexunfall im November hat sich überall herumgesprochen, wir sind das Gespött der Wilheringer Freilaufzone! Es gibt keine Diskretion im Tierreich.

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Schl8hof. Ich bedanke mich bei Greti für Speis und Abwasch. „Ach was, das geht mir so leicht von der Hand wie Hühnerficken!“ Drei Minuten später zitiert Hasi Max Goldt, über weite Strecken und fehlerfrei. Diese guten Menschen von Wels!


9.12.

Der Hund ist heute von sieben Menschen insgesamt 13 Stunden ohne größere Unterbrechung gestreichelt worden, zu vieren durfte sie auf die Couch, aber erst gegen Mitternacht entkommt ihr ein Gesichtsausdruck, der sich als zufrieden deuten ließe:

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Völliges Scheitern am Keks (= Keksbacken; wegen Alkoholisierung). Wir sind auf die Barmherzigkeit der älteren Frauen angewiesen.


10.12.

In der Metro um recht viel Geld für Weihnachten zu preppen fühlt sich sehr erwachsen an. Wir kaufen so viel Klopapier, dass der Nachbar später Angst kriegen wird, dass der nächste Lockdown ansteht.

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Die Godn übermittelt uns sieben Kilo Keks in sieben Sorten. Immerhin da kann ich noch Kind sein. 


11.12.

Über die Höll auf das Schwarzeck. Hasi erkennt im weißen Nichts vier Stieglitze und einen Fichtenkreuzschnabel. Wolfram: „Und wie heißt das Wintergoldhühnchen im Sommer?“ Zwei besonders wertvolle Mitglieder der heute endlich aktivierten Runde der Hausfrauen und Mütter auf Bergfahrt.

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Buch-Stierl-Charity bei Fasthubers. Die positiv getestete Edith winkt vom Balkon wie eine nepalesische Kindergöttin. K.K. gibt zur allgemeinen Entlastung zu, dass der Stapel der Vorjahresbücher unangetastet bei ihr zuhause liege. Das Schreiben, das Kaufen und das Lesen von Büchern sind drei voneinander völlig getrennte Welten, Universen für sich.

 

12.12.

Sonne. Irre. 

13.12.

Reflexionen, ausgelöst durch das Phänomen „Chihuahua“. Hätten sich Menschen bei der Zuchtwahl der eigenen Spezies so ungehemmt austoben dürfen, würde es jetzt sehr viel mehr Menschen mit 90 oder 260 Zentimetern geben, just 4 fun. The Rock scheint so ein Ergebnis von Selektion über mehrere Generationen zu sein, z.B.

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Hauptberuf Fiktion: sich täglich in die eigene Tasche zu lügen.

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Besuch von der guten Frau, deren Verkupplung ich den Hund verdanke. Sie bringt mir ein Packerl Keks und Fini zehn. Ich versuche, mir meinen Futterneid nicht anmerken zu lassen. Fini ist angesichts der Überschenkung auch ganz fertig. 

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Der Gatte der Tierärztin sagt, weil ich ihm blöderweise erzähle, einer seiner Kumpel sei mein „Nachbarbub“ gewesen: „Ah, dann habe ich Ihre Töchter damals öfter gesehen!“ Natürlich hat meine Mutter damals in den 1980ern jünger ausgesehen als ich jetzt, aber der Tierarztensgatte sieht nicht wesentlich jünger aus als ich. Er zeigt keinen Anflug von Scham. Dann fällt mein Blick auch noch auf den superteuren Audi, dem er soeben entstiegen ist, und ich frage mich, ob ich bei der nächsten Hundeohrenentzündung nicht einmal zum Kollegen nach Alkoven schauen sollte.


14.12.

Ein Vogel fliegt so langsam den brachliegenden Hügel hinauf, dass es wundert, wie er sich in der Luft halten kann. Wir sind alle müde in diesen Tagen.

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Noch nie in meinem speisezugewandten Leben habe ich jemanden so schnell und effizient essen sehen wie Raphi Edelbauer. Sie kann alles doppelt so schnell und gut wie wir normal sauce Menschen! Nur so bringt sie so viel weiter in ihrem Leben.

Als ich später flapsig vor dem jungen Hof-Team behaupte, Fini spräche in Erregungszuständen „Hass-Indonesisch“, werde ich als sehr un-woke gescholten.

Wir schlagen meinen Negativ-Publikums-Rekord vom November, obwohl das kaum möglich schien. Raphi möge an diesen Abend denken, wenn sie die Halluzination überkommt, sie sei durch ihren ganzen Erfolg total abgehoben.


15.12.

Seit ich ein bisschen geerbt habe, traue ich mich gar nichts mehr zu sagen, wenn es um Privilegien und soziale Missstände geht; ich habe mich darauf verlegt, die dummen Streiche der geerbten Klasse auszuplaudern, bis ich wieder in die mir anstehende Schicht zurückverarmt bin (evtl. darüber dann ein Buch schreiben, wie Marlene Engelhorn für Arme). Die Energiepreise beschleunigen diese Entwicklung. Oft sage ich jetzt „Leider heize ich mit einer Wärmepumpe“, da ächzen alle vor Mitleid auf. 

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Es ist so schwarz da draußen, dass man um 16:39 in St. Valentin aussteigen möchte, um gleich wieder zurück und heim ins Bett zu fahren. Außerdem stinkt es – obwohl ich zum ersten Mal in meinem Leben für eine einfache Wien-Fahrt einen Sitzplatz reserviert habe. Wie kann das sein? Was sind das für schludrige Pseudo-Privilegien?! Der Mann, der ohnehin neben meinem reservierten Platz sitzt, fragt mich schüchtern, ob er eh sitzen bleiben dürfe, und ich erkläre ihm ganz generös seine Rechte, obwohl er nicht gut riecht. Bei Amstetten stelle ich fest, dass er aber nicht die Hauptquelle des Ruchs ist, sondern ein Typ weiter vorn, der fortwährend vor sich hinsingt und rhythmisch von ganz unten heraufrotzt. Die Luft reichert sich immer stärker mit Stink und Singen an, hoffentlich kommt jetzt niemand und stellt mir die Sonntagsfrage, ich bin nahe daran, FPÖ zu wählen, wo ist die, wenn man sie einmal braucht. In St. Pölten springt der Mann auf, er schreit „ah! St. Pölt! Halleluhja!“ und kämpft sich zum Ausgang. Jetzt sehen alle, dass der arme Mensch nicht zurechnungsfähig ist (St. Pölten, alles klar? Haha!).

Sehr viel zu viele Menschen in Wien, aber an einem Adventsabend zum Stephansplatz zu fahren, da fordert man es auch heraus. 

Markus Köhle kündigt meinen Beitrag in memoriam Adelheid Dahimènes so an: „Wäre Dominika Meindl eine Torte, sie wäre eine Donauwellenschlögenerschlinge mit Schlagobers.“ Dabei bin ich eine Linzer Torte! (Altes Rezept und im Sommer trocken wie Karst.) Es ist ein sehr schöner Abend mit seelisch schönen Menschen (dieses Quartal ist mein Ilse-Kilic-Festspiel!). Es sind Angehörige Adelheids gekommen, die während unserer Ausführungen ganz inwendig geworden sind und nachher auch mit uns trinken gehen. Ein freundlicher Wiener aus dem Publikum lädt mich ein, beherzt über die Heimat zu schimpfen (ich glaube, ich war noch zu nett zu Wels).

Nadja Bucher! Wir schimpfen über das Patriarchat. Sie ärgert sich, dass die Diktatorenbrut immer gar so langlebig ist, und ich, dass die nie ein Burn-Out bekommen. „Na weil sie alles deppert aus sich herausbrüllen dürfen!“ Ihre Oma habe zu derlei nicht Totzukriegendem gesagt: „Den mog ned amoi da Teifö!“

Köhle tadelt mich wegen meines Biersnobisms: „Die Marke ist doch wurscht, Hauptsache groß!“ Er hat natürlich recht, aber erst ab der Mindestgüteklasse „Zipfer“.

Unabsichtlich trinke ich ein bisschen binge, aus Hamsterei, weil ich noch zum Zug muss. Später stehe ich, meine Alkoholisierung mühsam verbergend, am Hauptbahnhof, als gemessenen Schritts Franz Adrian Wenzl an mir vorüberschreitet. Mit dieser Körpergröße kann sich ein Prominenter Im Grunde nicht verstecken. Aber alle tun so, als säße da nicht der Mann hinter dem Austrofred und äße einen späten Burger, auch ich nicht, weil ich eben meine Alkoholisierung für mich behalten möchte und weil ich ihm keine Panik machen will, dass er jetzt bis München mit mir small talken muss. Für meine Dezenz erhoffe ich mir später einen sanften Eintritt ins Himmelreich.

Dann Panik in Amstetten, ich habe ja gar kein Ticket gekauft! Zum Glück fällt mir der Trick ein, dass ich es schnell online nachkaufe, sobald der Schaffner kommt (ab Amstetten, Geld gespart!). Nach vielen bangen Kilometern, schon fast bei St. Valentin, schaue ich doch noch einmal ins Geldtascherl und sehe, dass ich sehr wohl vor 1,5 Stunden ein Ticket erworben habe. Notiz: Drei Bier sind in die Haut hinein genug, wenn man danach nicht gleich ins Bett kommt. Zuhause, tief in der Nacht, wendet sich auch der Hund schnell von meiner Fahne ab.


16.12. Im Milieu

Der viele Smalltalk im Hundebesitzmilieu trägt bestimmt zur Stabilisierung meines psychischen Wohlbefindens bei, ich muss mich aber unbedingt weiter an die Regel halten, bloß nie zu politisieren, sonst hat man Impf- und Klimaleugnungen am Hals. Hörbeispiel 1 von heute: „Untam Gletscha ham's Baam gfundn, her ma auf!“ Bsp. 2, gestern: „Ich krieg einmal einen Schlaganfall, aber keinen Krebs, dafür bin ich zu aggressiv. Was bist du vom Sternzeichen?“ (Jungfrau, also wird’s Krebs, weil ich es nur zur passiven Aggression bringe).

Vorgriff zum 24.12.: Der Besitzer eines extrem aufgeregten Jagdhundes, dem er ein schweres Funkhalsband umgehängt hat, er selbst trägt eine Funkstation vor der Brust, die er als "sündteuer" bezeichnet. Auf den ersten dreihundert Metern findet er fünf verschiedene Gründe, warum der Hund heute nicht folgt: Der Vater war zu liberal am Vortag. Die Mutter hat dem Hund das Bandi zu weit gemacht. Es ist Weihnachten, da sind die Kinder aufgeregt (ok, der war von mir) usw. Der Hund folgt wirklich nicht, nur Fini kommt ein jedes Mal, wenn er „Hier!“ schreit. „Darf sie Lunge kriegen?“ Dann erklärt er mir, weil sie nicht ganz stramm sitzt, wie ich ihr die Gutzi am besten gebe (mir pflückt sie sie ja sanft aus den Fingern, aber ich sage nichts, ist ja auch nicht lecker Lunge).

Als ich mich an der Weggabelung verabschiede (ich habe Sehnsucht nach ein paar schnellen Schritten und ein paar Minuten ohne Mansplaining vor der Bescherung), fragt er mich, ob sie eine „Sperre“ habe, denn wenn schon, dann müsse man beim verbissenen Hund „durch de Aung ins Hirn, sunst losst a ned los!“ Dann winkt er zum Abschied und geht das Friedenslicht holen. 

***

Bei Gelegenheit schärfer nachdenken über die linguistischen Fehlverständnisse der Sprachreaktionäre, die zwar glauben, dass Sprache und Realität nur leicht vernestelt sind („Frauen sind ja mitgemeint!“), die aber andererseits einen 180er-Blutdruck kriegen, wenn man eine winzige Pause für alle Gender macht. Vielleicht sind sie die reinen, hermetischen Experimentallyriker, wo alles nur schönes Raunen der selbstreferenziellen Sprache ist? Das hielte ich schon für anfechtbar. Andererseits ist es gerade für mich als Literatin rührend, wie sehr sie sich für mein Arbeitsmaterial einsetzen, wie sie so beherzt ihren Kampf gegen die Sprachverhunzung als Akt der Poesie anlegen.

Kurz: Die Pause ruiniert eine ganze Sprache, aber man kann durch Verschweigen jemanden ansprechen. Crazy! Für mich sind halt die vielen Männer in der deutschen Sprache eine Verhunzung, aber ich hatte ja eine schöne Kindheit, deswegen habe ich meine Gefühle gut im Griff.

Nachtrag aus der Zukunft: Der liebe Trawöger erzählt mir von einem 90-Jährigen Ur-Grünen aus dem Welser Kulturmilieu, der ihn gefragt habe, ob ihn das Gendern auch so aufrege. Davon verdiene keine einzige Frau einen einzigen Cent mehr! Er sei sogar einem Club beigetreten. An dieser Stelle hätte ich den alten Mitbürger lieb gefragt, ob das ein Club sei, der sich für die gerechte Bezahlung von Frauen einsetze.

I., ehemals alleinerziehende Mutter von sechs Söhnen, wird mich auch später fragen, ob ich leicht auch eine von diesen Genderern sei. Ich ahne die Sinnlosigkeit meiner noch nicht ganz ausgearbeiteten sprachphilosophischen Gegenargumente und sage einfach: „Ich bin fürs Matriarchat, also nur weibliche Formen.“ Sie: „Das ist ja um nichts besser!“ „Wieso? Jetzt probieren wir's einmal 4000 Jahre so und dann machen wir einen Vergleich.“

17.12.

Gang durch das Winterwonderland Wels. Buttinger („Der Malermeister Winter ist Aquarellist!“) hat sich kleine graue Ohrenschützer gekauft, die er mit etwas Mühe links und rechts auf den Bestimmungsort pfriemelt. Leider ist er ästhetisch vom Neuerwerb überzeugt und fragt mich nach meiner Meinung. Auf meinen ausweichenden Hinweis, dass man um den Preis von 19 € eine Haube hätte bekommen, die das ganze Haupt wärmt, sagt er: „Ja, in Geschäften, wo du und die ganzen anderen Armutsgefährdeten einkaufen!“


18.12.

Endlich ist die WM mit ihren anstrengenden moralischen Anfechtungen vorbei (ich habe beim Boykott immer wieder versagt), Messi trägt zur Feier ein „Negligé“ (Prohaska), das in Echt „Bischt“ heißt. Zur Strafe merke ich mir von diesem Ereignis nur dieses Detail.


20.12.

Die Pünktlichkeitsneurotiker Kurt und Walter haben einander auch diesmal beim Zufrühdasein übertroffen. (Bei Gelegenheit darüber nachdenken, warum meine Angst vor dem Zufrühkommen wirkmächtiger ist als die vor der Verspätung, es ist objektiv nicht zu verstehen). Rudi entwickelt unabsichtlich Starallüren und betritt das Strandgut erst 25 Minuten vor Veranstaltungsbeginn, da liegen seine ganzen Instrumente noch im Bus, für den er noch keinen Parkplatz hat.

Die Allüren wären aber auch bewusst gerechtfertigt, denn er spielt uns wieder an die Wand (wie wir es uns alljährlich wünschen). „Rudi, kannst du gach Last Christmas spielen?“ „Selbstverständlich.“ „Lass dich bitte von meinem Gesang nicht stören.“ Er zaubert die Musik mit einer Leichtigkeit um mein jämmerliches Wham-Kannibalen-Gestammel, wie ein Delphin den Körper eines Ertrinkenden stützt und ihn sicher zum Strand (=Ende des Liedes) bringt. Man muss fast aufpassen, durch Triggerworte keine ganzen Lieder bei ihm auszulösen, aber andererseits – was wäre der Schaden gewesen?

Ich hab jedenfalls mit ChatGPT3 das Hirtenspiel aufgeführt („Wer klopfet an?“ „Ich bin ein Text-basierter Assistenzdienst und kann keine Klopfgeräusche erzeugen“), die freie Adventmarktwirtschaft propagiert (im Sinne von Freiheit von den Märkten) und und eine Wunschliste verlesen (dass Putin von einem Nissan Micra Mouse auf dem Roten Platz unabsichtlich über den Haufen gefahren wird).

Nach der Show, mit der wir alle viel Freude hatten, spricht mich ein älterer Herr an, er freue sich so, mich nach so langer Zeit wieder zu sehen, ob ich mich nicht erinnern könne, „domois vor 38 Joah im Vanilli!“ Auch er zeigt nicht viel Reue, nachdem ich ihm vorrechne, dass ich 1984 noch nicht einmal eingeschult war. Vielleicht brauch ich ja wirklich Urlaub.


21.12.

Der Hund ist außer sich vor Freude, als sie mich auf den Tourenski losfahren sieht, sie stürmt mir nach und springt mir an den Hintern. Begeistert beißt sie in meine Ski und Linsis Snowboard, sie ist auch durch milde Stockhiebe und wilde Schreie nicht von mir abzuhalten, sodass die uns Entgegenkommenden auf der Wurzeralm glauben, ich werde von einem Mini-Raubtier angefallen. Sie rennt im Sprint vom Gammeringsattel bis zur Talstation. Dort wummert zwar Gabalier aus den Boxen, der Barmann stellt dem keuchenden Raubtier aber eine Wasserschüssel hin, noch bevor ich aus meiner Bindung gestiegen bin.

***

Dr. Fasthubers Plan, die Präauer und den Ostermayer einfach sich selbst auf der Bühne zu überlassen, geht aufs Schönste auf. Der liebe alte weiße Mann singt die alleranrührendsten Hymnen, Präauer outet Phil Collins als sympathische Bewegungsblinse und schimpft damenhaft über Sebis Rezensionsstehsatz, sie sei der ungebetene Gast auf der Literaturparty. „Ich bin auf vielen Parties gern gesehen!“ Dann tadelt sie die Onanie-Fixierung Ostermayers. Schließlich liest sie einen dermaßen liebevollen Text auf Après Ski, dass ich mich ernsthaft frage, ob ich ein Snob bin, da mir das Gabalier-Gewummer ein Fegefeuer ist.

Im Black Horse hat Roman zufällig! gerade ein Fass Black Bock Bier aufgemacht, und als Erfrischung für den Heimweg lobt er meine Wahl eines Guiness, „eh nur ein Seiterl!“


22.12.

Wegen des erfrischenden Seiterls konnte ich heute Vormittag nicht am Leben teilnehmen. Rührend: Fini blieb aus hündischer Solidarität auch bis Mittag liegen. 

Ich beschließe, dass eh alle genug Zeugs in ihren Wohnungen haben und bei der Jagd nach Geschenken aufzugeben. Immerhin ist Krise, und mit Bargeld hat die Jugend eh die meiste Freude (die Erwachsenen dürfen es nur nicht zugeben).

Ähnlich wie bei der unendlich kurzen Phase zwischen Schreibversuch und Preisjury habe ich die paar Minuten zwischen „als Kind Geld kriegen“ und „Kindern Geld geben“ total verpasst.


23.12.

Spätestens nach dem ersten Schluck Weihnachtszauberbier wissen Coala und ich, dass wir an diesem mit Pflichten vollgeräumten Abend fix nichts mehr weiterbringen außer mehr Bier. Zum Glück kommt K., mit der wir bis 1 in der Früh die Welt ausrichten.

Coala erzählt von ihren neuen Kollegen. Einer von ihnen sagt von sich aus, dass er verfressen sei, er habe sogar einmal in die Kopfpolster-Hotelseife gebissen, weil er sich gedacht habe, „hö, de Napserl gibt’s auch in Weiß“.


24.12.

So viele Leute! Nicht, dass dagegen etwas zu sagen wäre, aber es ist doch ein rechter Wirbel.

Die für zu wenig gehaltenen Geschenke reichen aus, nur Sabine verfällt in die übliche Habenswut. Am besten werden der „original“ Heller-Rahmen (in samsing 800.000 € wert) und das Stanley-Messer samt Scheide angenommen (das man aber nur mit sich selbst aus der Verpackung kriegen kann, ein pfiffiges tool-Paradoxon). 

Der Körper verleibt sich zwei große Steaks ein, als wär's Luft oder Leitungswasser.

Im Lauf des Abends verliert Buttinger immer mehr seine Stimme, sodass er am Ende wie ein beschickerter HP Doskozil klingt.

In der Stunde, in der die Tiere zu sprechen beginnen (und die Männer aufhören), beschwert sich Fini darüber, dass sie zu wenig gestreichelt wird.


25.12.

Zwei Käsetoast zum Abendessen, die der Körper sich einverleibt, als wären es die berühmten zwei letzten Minzblättchen.


26.12.

Ich bewahre die Nerven und sauge NICHT, bevor die Mischpoche kommt, „um meine Ländereien zu bewundern“, wie Buttinger sagen würde, kriegte er noch einen Ton heraus. Er steht stumm in der Küche und serviciert seine Schwestern, Schwager, Eltern, Kinder, Nichten, Neffen, Großneffen. Der Schwiegervater lockt Fini auf die Couch, und als sie auf seinen Schoß springt, schaut die Schwiegermutter herüber wie ein eifersüchtiges Einzelkind.

Es ist schön, Gäste zu haben, aber doch ein rechter Wirbel!

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Sich über das fade Feiertags-Fernseh-Programm zu beschweren ist ein Eingeständnis, dass man alt ist und kein Leben hat, aber auch wahr!


28.12. Im Sengsen: Hagler

 

Das Herumstrolchen auf unbekannten Steigen ist ganz offenbar das, was mir zum Seelenheil gefehlt hat. Zwei neue Wege gegangen, sieben neue entdeckt. Der Klimawandel ist ein Hund, aber ohne Schnee weiß ich mir auch was anzufangen. 


30.12.

Mitteilung von Anna: Der Bub sei vor lauter Aufregung über die Begegnung mit einem Katzenhund(?) zu spät eingeschlafen, deswegen verzögere sich die Ankunft der Familie vorrausichtlich um 20 bis 30 Minuten.

Wieder ist Mutter W. die lustigste von uns allen. Sie erzählt, dass ihre Schwester gerade ihren Bankberater geheiratet hat; sie ist dessen vierte Gattin. Er hat ihr Schneeschuhe zu Weihnachten geschenkt, jetzt fürchtet sie, dass er sie bei einer Wanderung in eine Schlucht stößt.

Chrisi bringt einen Geschenkkorb voller Fundsachen aus der Bushalle. Was die übergeschnappten Stars eben auf den hospitality rider schreiben lassen und dann eh nicht trinken, etwa die 0,3 l Dose „Spring High Water“ aus den schottischen Bergen, das einfach Leitungswasser ist. Ich muss an Mariah Careys Veuve Cliquot denken, den wir dann auf dem Hallstätter See gesoffen haben (Chrisi: „I waaß ned, a Cola schmeckt trotzdem bessa“). Nächstes Jahr bringt er dann eingedoste Giraffentränen mit.

Jedenfalls ein schöner Tag, ein hervorragender Abschluss des Gästereigens. Ich hätte in einem fort mitschreiben können, aber die Oktober-Metapher mit dem Silberbesteck, das man auf dem Tisch lässt, passt auch heute.


31.12. Silvester in Wels

H. beschreibt die Ortstreue seiner Großmutter. Nach einer Firmung habe die Familie einmal hinaus in die Fernreith zum Eisessen fahren wollen, zum Unmut der Oma: „Was wollt ihr denn dort? Da gibt es ja auch nur Himmel und Erde.“

Es herrscht eitel Kurzweil. Meine russischen Eier, die mir mit der Leichtigkeit gelungen sind wie Kaiserin Sissi das Ungarische zugeflogen sind, und auf die ich in Braille-Schrift „Tod Putin!“ gelegt habe, werden als einzige Speise restlos aufgegessen – das ist für die Person, die ich bin, wirklich etwas fürs Memoirenbuch. 

Das war ein pfenniggutes Jahr, man soll sich keine besseren wünschen (und tut's in allzumenschlicher Hoffart doch). 


Donnerstag, Dezember 08, 2022

Tipps und Schnipps für Katzenfreunde. Obacht: Cat Content = Verblödungsversuch

Fun Facts!

Die gemeine Hauskatze ist ursprünglich eine unabsichtliche Erfindung der NASA, die so wie Teflon in der Wirtschaft größeren Einsatz gefunden hat. Sie wird heute überwiegend zu Überwachungszwecken von großen Tech-Konzerne in Privathaushalten verwendet.

Die Cats-Verfilmung war wegen des uncanny valley extrem unbeliebt. Die Produzenten haben die Akzeptanzlücke bezüglich künstlicher Figuren missachtet. Die dürfen nicht zu menschenähnlich sein. Tiefpunkt: Zombie. Sehr beliebt: Stofftiere und Pornostars.

Eine der bizarrsten Erfindungen war die Katzenorgel: Ein Instrument, das so wirkt, als habe es sich René Monet für einen seiner Texte ausgedacht, dabei war es Athanasius Kircher 1765. In ein Gerät gespannten Katzen sollten in einer bestimmten Tonhöhe jaulen, sobald ein an den Tasten des Klaviers angebrachter Nagel sie in den Schwanz steche. Monty Python's Sketch „Musical Mice“ ist eine direkte Referenz. „Der Zweck des Instruments war die Behandlung von Patienten, denen es schwerfällt, sich zu konzentrieren. Man glaubte, dass die Aufmerksamkeit eines Patienten, der dazu gezwungen wird, das Katzenklavier zu sehen und zu hören, zwangsläufig auf das Instrument gerichtet wird und er somit geheilt ist.“ A!D!H!S!

Die besten Tipps für Katzenfreund*innen!

1. Nie gegen den Strich streicheln

2. Die Katze muss angesichts der Komplexität des 21. Jahrhunderts und all der Krisen reformiert werden. Es braucht eine beschleunigte Zuchtwahl weg vom Singvogelverzehr hin zur Nacktschneckenernährung.

3. Immer frisches Wasser bereitstellen, auch wenn sie aus dem Klo säuft.

4. Katzen in Klimaproteste einbinden, um die Sympathien der Bevölkerung wiederzuerlangen. Aber nicht die Katze selbst auf die Straße kleben, sondern nur den Katzenkorb. Beim Klimagipfel in Ägypten wurde übrigens die Gelegenheit verpasst, die Sphinx mit Hummus zu bewerfen.

5. Raubvögel wiederansiedeln, um mehr Fairness im Survival of the Fittest zu erlangen, zB. Harpyien aus Südamerika.

6. Regelmäßig entwurmen

7. Einen Tiger aus artungerechter Haltung freikaufen und so dressieren, dass er in Sibirien ausgewildert wird, wo er Vladimir Putin beim Fischen anfällt und aus dem Bestand der Menschheit letal vergrämt.

8. Friedensverhandlungen im ORF Studio, im Bühnenbild von „Wer will mich?“ ein Ein Edith-Klinger-Look-and-Talkalike führt harsch die Gespräche zwischen Selenski (der bitte nicht wieder im T-Shirt auftrickst, wo sind wir denn?) und Putins Nachfolger. Es sind zutrauliche Katzerl am Set, um alle zu beruhigen, wenn's heiß wird (z.B. Krim).

9. Katzen bitte nicht vegan ernähren, sonst sterben sie, lieber gar keine ins Haus tun.

10. Die Lösung für Schrödingers Problem: Schaut's in die depperte Schachtel, das Tier ist mittlerweile fix tot!

11. Nicht mit Katzen auf Bums-Profil-Fotos posieren, Statistiken weisen eine deutliche Attraktivitätsminderung nach. Lieber einen echten Tiger. Business-Tipp: von der Landwirtschaftskammer und der EU eine Tiger-Farm subventionieren lassen, zB im Gewerbegebiet Traun.

12. Apropos Business: die Cat-Customizing-Werkstatt, in der man seine Haustiere tieferlegen, stretchen oder neu lackieren kann. „Evolution fast forward“.

13. Mit Liebe und Geduld könnt ihr auch störrische Stubentiger zu schmusigen Samtpfoten machen!

Donnerstag, Dezember 01, 2022

Mit was für Leuten teile ich mir diesen Planeten?! Man sieht im Leben einem Narren gleich.

Phantomereignisse im November 2022

1.11.

Einer älteren Respektsperson wegen sitzen Coala nach langer Zeit wieder in einem Gottesdienst. Wellnessmäßig keinerlei Verbesserung, aber der Pfarrer schaut bei der Kommunion freundlich zu uns herüber. Weil wir fürchten, dass die Hostie in Brand geraten und der Messwein zu kochen beginnen könnte, wenn wir Apostatinnen uns nähern, bleiben wir auf der entsetzlich unergonomischen Bank sitzen. Warum muss das so unbequem sein? Kreuzweh, um den Leidensweg Christi nachzuempfinden? Aber ich schwöre trotzdem, dass ich in der Stunde wieder einzutreten, in der weißer Rauch für die erste Frau Papst (Mamst) aufsteigt.

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Im Black Horse riecht es so streng nach Klo- und Mottenkugeln, dass man sich fast das Rauchen zurückwünscht. Trotzdem will ich gerade nirgendwo anders sein, und das heißt sehr, sehr viel.

2.11.

Oajeh, Leistungsfixierung. Das kriegst du ganz schwer wieder weg.“ (Needless to say ist das nicht meine Diagnose.)

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Businessidee Screaming Plattform: Hier kann man per gig economy jemanden damit beauftragen, einen anderen anzuschreien, wenn man selbst aggressionsbehindert ist. Oder für special interest im S/M-Bereich.

3.11.

Robert Stachel schlägt vor, die WM zu boykottieren und stattdessen miteinander alte Folgen von „Dallas“ anzuschauen, da ginge es ja auch nur um Blut und Öl. Heißen würde das Public Ewing. Das ist sehr, sehr gut.

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Walter S. hat einen älteren Halbbruder namens Walter, weil sein Vater vom ersten Sohn nicht so überzeugt war und deswegen mit einer neuen Frau einen neuen Walter in die Welt setzte.


4.11.

Ich arbeite meine To-Do-List ab wie ein Minion und schreib emsig eine neue, die noch länger ist als die alte. Man sieht im Leben einem Narren gleich.

5.11.

Beim Zähneputzen ist mir etwas Relevantes eingefallen, aber offenbar reicht meine Aufmerksamkeitsspanne nicht mehr länger als 31 Zähne lang.

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„Ach, alles, was ich mache, sollte schon gewesen sein!“ Bericht über die Klage eines tschechischen Kollegen.

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Der Hund schaut erst mit Maulkorb furchterregend aus.


6.11.

„Dachte, Bud Spencer wäre dein Signal-Avatar, dabei ist es Mediocrates“, Walter S.

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Der Brudi fragt mich, ob bei meinen sauteuren Carbon-Faltstöcken der Satellitenempfang deaktivierbar ist, wie lang der Akku hält und ob sie sich auch fürs Wasserskifahren eignet, weil dann kauft er seiner Gattin welche, die fast so gut sind (nicht besser, um sie nicht unter Druck zu setzen beim Wandern).

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Erich Klein schreibt in der Annonce für die „Facetten“ in der OÖN-Beilage, ich hätte „längst den Titel einer amtlichen Stadtschreiberin des Weltalls in Linz verdient“, und zitiert ausgerechnet die rechtlich bedenkliche Passage, in der ich die unbewusst ermordeten Leichen meiner Feinde im Keller finde.


7.11.

Eine Spazierbekannte sagt, dass alle hier in Wilhering so nett seien (so wie sie selbst), nur die verrückte Windhundfrau rage heraus. Als sie einmal der Erntehelfer ansichtig wurde, sei sie quer übers Feld, um ihnen Krautköpfe abzuschwatzen. Die gutmütigen Leute ließen ihr mehr, als sie tragen konnte, also forderte sie die Spazierbekannte auf, doch welche in ihren Kinderwagen zu tun.

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Walter S. erzählt von einem Lokal, das sich per Leuchtreklame als „Zweitbeste Pizzeria von Wien“ pries, und das er gerade deswegen so lange gern aufgesucht habe, bis es die Lebensmittelbehörde schloss.

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Eine stadtbekannte Frau fragt beim hochkomplexen Nikrang-Abend im Kepler-Salon (es geht um KI als Komponistin), ob es einen Unterschied zwischen „elektronischer Musik und solchen Sachen gebe“. Da vermisst man fast schon die Galaxy-Chefredakteurin Leibetseder, die sich auf das stumme Aufsaugen des Büffets beschränkt hat und nur den Mund aufgemacht hat, wenn es leer war. Sie lebt angeblich immer noch, aber vielleicht hat sie jetzt endlich die Speise gefunden, die sie sättigt, und vielleicht ist das Haus jetzt vollständig angefüllt. Während ich über das Hineinkippen in den Messie-anismus nachdenke, wird mir bewusst, dass ich schon alleine deswegen den Hund nicht schwängern lassen sollte, weil ich sonst schnell zur Hunde-Hoarderin würde.

Buttinger meint, ein paar homöopathische Partikel der Chuzpe dieser Damen (Krauthäupl, E-Musik und Büffet) solle ich mir zur Förderung meiner Karriere doch aneignen. I would prefer not to.

8.11.

Wieder eine wertvolle verlassene Alm für meine Sammlung entdeckt. Und wieder mehr Wege gesehen als von der Wunschliste gestrichen. Notiz für den Frühsommer: Am Fuß des Schnabelkars stünde ein fescher Wildererstock. 

Auf dem Gipfel des Kleinen Priel machen die beiden Männer, die ich überholt habe (ich schreib das einfach wertfrei so her) eine Team-Besprechung über die Bewerbungsgespräche.

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Gute Rede Vertlibs bei der Kundgebung, ich hätte nur die jungen KlimaaktivistInnen nicht in einem Atemzug mit den Impfgegnern und dem anderen Gesocks genannt bzw. nicht eingedenk der November-Pogrome.

 

9.11.

Linz-Förderstipendiums-Verleihungs-Gala. Ich bin im Pullover massiv underdressed, alle haben zumindest ein Sakko an. Aber bald schauen sie mich neidig an, weil wegen des oasch Putins der Saal recht lau beheizt ist.

Diese attraktive Phase der Preiswürdigkeit zwischen „erste Schreibanfänge“ und „langjähriges Wirken in diversen Juries“ habe ich fast völlig verpasst. Jetzt kann ich nur noch auf Lifetime-Achievement und Landeskulturmedaille in Bronze warten. Hoffentlich kriegen Betriebsnudeln wie ich mit 70 zumindest ein „Finisher“-Leiberl.

10.11.

Die Immobilienkrise bindet Coala wieder ans Elternhaus, sie richtet sich schon gedanklich im barrierefreien Keller ein. Dann werden wir gemeinsam füllig, weil wir immer kochen und dahinsaufen.

11.11.

Mit fast allem fertig geworden! Arbeitsamkeit statt Fasching, so ist es der Satirikerinnen Brauch.

12.11.

Ein 75er im Gasthof Schachinger. Ortsnamen-Recherche beim Warten auf das Klo: Mösl bei Ampflwang, Fritzging, Mettmach und Imolkam. Coala schreibt „Hr. Haslgrübler“ auf meine Speisekarte.

Auf den Festen gibt es jetzt mehr Hunde als Kinder. Fini führt sich wegen ihrer Läufigkeit auf wie ein notzüchtiger Teenager.

13.11.

Ein blinder Mann nimmt Fini wahr, ich lasse sie zu ihm auf die Bank hüpfen, wo er sie innig auf den Kopf küsst. Es ist ein sehr tief verankertes Symbiose-Programm in uns eingeschrieben.

14.11.

Im November verwandelt sich alles über 1200 Höhenmeter in Norwegen. Eine schattseitige, leicht doofe Tourenwahl zum Weißhorn hinauf. Aber der Wildensee in der Sonne adelt jede Entscheidung.

15.11.

Eine Nebelsuppe, als hätte es gestern nie gegeben.

Alain Barbero fotografiert mich im Schl8hof. Mein Französisch ist verschollen und auch nach vierstündigem Versuch nicht mehr auffindbar, ich weiß nur noch, wie es klingen sollte, aber ich kann nicht einmal mehr mitteilen, dass ich vor 20 Jahren zumindest ein kleines Stück Derrida lesen konnte. Heute brennt nur das Kiefergelenk vor Anstrengung, es ist keinen Deut leichter als Querflöte spielen.


16.11.

Das Land OÖ scheint erleichtert, dass wir Teile des Stelzhamer-Gedenkens übernehmen, der endlich wegen seines Antisemitismus in Verschiss geraten ist (man hat bestimmt Ludwig Lahers Schelte in den OÖN gefürchet). Aus Angst vor einem Shitstorm hat man das DH5 beauftragt, irgendwas zum Thema „Hymne“ zu machen. Ich glaube, man nennt das „Coolwashing“, und ich bin gern dabei, weil ich wirklich einmal eine Bronzelandesverdienstnadel bekommen möchte. 

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Danach das Alltime-Low für Ulrike Haidacher und mich: nur Burkhart ist da, den ich ab heute besonders in mein Herz schließe, denn seinetwegen zahlt es sich aus, dass wir uns bemühen. Obwohl er zuerst anbietet, dass wir alle einfach heimgehen könnten. Aber Karina schlägt vor, einen Beitrag für Radio FRO zu machen und so zu tun, als nähmen wir einfach eine Studio-Session auf. Wenigstens warm und gratis gegessen.

17.11.

Was für eine Kompensation dafür beim Human vs. Machine Slam in Wels! Im MKH in ein Mikro sprechen ist fast so wie zuhause auf der Couch liegen oder eine Buttinger-Halbe im Black Horse trinken. Es sind mindestens 60 Menschen im Publikum, darunter unbekannte, junge, leicht entflammbare. 

Ein Mann, der nach Dialekt und Aussehen Wurzeln in Südostasien hat, fragt Sevi vor Beginn, ob er beim nächsten Slam mitmachen könne. Auf dessen Ja will er wissen, wo er welche Texte zur Prüfung vorlegen solle. „Nix, komm' einfach!“ Aber die könnten ja auch ganz schlecht sein! „Wurscht!“ „Das ist das Tolle an Europa!“, sagt er, und ich: „Ja, hier darf man auch einmal scheiße sein.“

Bei der Moderation stelle ich mich selbst als „Demolition Man“ vor (aufgetaute Unkorrektheit) und den armen Sevi bei seinem offiziell letzten Slam als meine „liebe, geile Sandra Bullock“. Er schaut mich dabei gütig an, denn er ist ein guter Mensch, der schon viel erlebt hat.

Den Schas für uns Menschen gewinnt uns schon wieder Fabsi Navarro. Die Maschinen sind uns aber dichter auf den Fersen als zuletzt im Solaris.

Bei der Aftershow-“Party“ schlage ich vor, als neuen Brauch nach den Slams Brillen zu tauschen wie Fußballer ihre Trikots. Dann sprechen wir lange über Gleitsichtbrillen. Während der lieben Gespräche linse ich auf den Handy-Marschbefehl für die angekündigte Foto-Session mit Josef Hader, der im Stadtheater aufgetreten ist. Es kommt aber keine Nachricht, bis wir milde besoffen auseinanderdackeln, Mieze und Markus Richtung Black Horse, in das ich ursprünglich gerne gegangen wäre, aber nicht bin, weil ich ja auf das Hader-SMS gewartet habe, der die ganze Zeit im Black Horse gesessen ist und Bier getrunken hat.

18.11.

Der Hahn und seine Hühner, die sich an die Garagentür drängen, weil es es regnet. Vielleicht schön, vielleicht nur PMS.

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Für das Sichten alter Fotoalben soll man seelisch gut aufgestellt sein. Die Eltern anzusehen, wie sie deutlich jünger als man selbst und zugleich tot sind, da muss man stabil bleiben.

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„Und sonst so?“ frage ich die Besitzerin des 11-jährigen Hundes, der gerade arschlings an Fini dranhängt. Ein Potenzwunder hat sich ereignet, aber es regnet und dämmert. Der schnell konsultiere Tierarzt sagt, das könne jetzt eine halbe Stunde dauern. Derweil schreibt Birgit, weil ich unser Telefonat unterbrechen musste, in die Dolomitendamen-Whatsapp-Gruppe „Minki hat gerade einen Sexunfall!“ Aber niemand fragt nach.

19.11.

Ein sehr schöner Hymnen-Abend im DH5! Aus einer Laune nehme ich Coala nach ihrer sehr lustigen Psychologie-Performanz (das Luder ist lustiger als ich, aber das werde ich öffentlich nie zugeben!) die gefakte Lesebrille ab, um während Austrofreds instruktiven Video-Ausführungen über das Wesen einer Hymne auszusehen wie eine regionale Sigourney Weaver, muss aber später auf den Fotos feststellen, dass ich eher wie ein pummeliger Friedrich Merz mit Haar aussah (dank Mascherl auch wie Karl Lauterbach). 

Walter S. bemerkt erst nach der Show, dass er durchgehend mit offenem Hosenstall moderiert hat, und niemandem ist es aufgefallen. Gemeinsam mit meinem hinuntergeschmissenen Bier sind das die beiden einzigen Tiefpunkte eines erhebenden und erheiternden Ereignisses.

Ein lange nicht gesehener Bekannter erzählt eine sehr lustige, sehr traurige Pflege-Anekdote: Seine Mutter sei im Garten gestürzt, und weil sein Vater sie alleine nicht derheben konnte, startete er den alten Steyr-Traktor, um sie mit der Schaufel anzuheben – mit Erfolg. 

Es sind sehr viele junge Leute hier im DH5, lauter KunststudentInnen, die aber in der irritierenden 90er-Optik auf den ersten Blick gar nicht so jung aussehen. Wenn das so weitergeht, fühlt es sich für uns von der Generation X bald so an wie eine schreckliche Zeitreise, wo man auf einer Party aufschlägt, auf der nur man selbst um 30 Jahre gealtert ist, durch Physik oder einen bösen Fluch. Man würde es aber dann am besten so machen, wie wir es auch heute gehalten haben: tapfer Ratsherrenbiere trinken.

20.11.

Jörg Piringer erwähnt in seiner „günstigen intelligenz“ ein Katzenklavier, und zu meinem Entsetzen ergoogle ich, dass er das nicht erfunden hat.

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Keine Klangschalentherapie kann den Erholungswert von Möbelumstellen erreichen.

22.11.

„Corpus Christi ist die fetteste Stadt der USA.“ arte-Doku über Zucker

24.11.

„Faszination“ Musical. Zuerst hatte ich die Idee, „Cats“ für die Lesebühne umzuschreiben und gehofft, mir den Schas dafür nicht anschauen zu müssen (die VHS habe ich schon zur Tombola gegeben). Beim Googeln stelle ich fest, dass es nicht einen Hauch von Handlung gibt, die ich parodieren könnte. Ich übertreibe nicht! Mit welchen Menschen teile ich diesen Planeten!?

Eine Stunde später ist die neue Version heruntergeklopft, wozu sich anstrengen, wenn man mit so einem Schmarrn auch Milliarden verdienen kann. Der Lloyd-Webber muss unser Vorbild sein! Länger hätte ich eh nicht brauchen dürfen, weil gleich Lesebühne ist.

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Literally unmittelbar nach meinem ersten ungepropten „from the moment I could talk I was ordered to listen“ erklärt mir der Tontechniker von ganz hinten, wie ich hätte singen sollen, „sorry, aber so gehört's“. Er trägt übrigens einen massiven Comb-over. Aber wer revanchiert sich nicht so pampig? Ich, die Mutter all der wahnsinnigen Kinder auf diesem Planeten. 

Der Nachbericht zur Lesebühne ist hier nachzulesen, es war dann zum Ausgleich für die leichte Unbill extrem schön.

Nach der Show stelle ich Fabian Navarro die zwei Damen vor, die ich vor Jahren nach einer Lesebühne trauen durfte; ich sage, "sie ist Anthropologin und sie ist Archäologin", er sagt anerkennend „Oh, ihr deckt das ganze Leben ab!“ „Naja, ich interessiere mich erst für dich, wenn du tot bist“, sagt die Archäologin.

26.11.

Ich habe heute den ersten Glühmost getrunken und bitte die höheren Mächte recht innig darum, dass das für diese Saison reicht.

27.11.

Die guten Nachbarkinder, die ich von Wels aus gebeten habe, auf das Haus zu achten, weil uns hier soeben die Haustürschlüssel gestohlen worden sind, kommen auch gleich bei unserer Ankunft wachsam herbeigelaufen. Aber das eine hat sich einen Sack Popcorn mitgenommen, das andere trägt als Waffe einen Fidget-Spinner bei sich, dafür keine Socken.

28.11.

Ein Tag mit seelischem Kater, weil die Diebe mein Grundvertrauen in die Menschheit verletzt haben. Mit welchen Leuten lebe ich hier in dieser Erden-WG!!??? Den Zahnarzt ermuntere ich aber, mich nicht aus falschem Trost zu schonen, woraufhin er mir ein Backenröntgen macht.

Langsame Besserung im Tagesverlauf.

Eine letzte Gartenmanie. Der Garten ist ausgeräumt. Ich werde eine Woche brauchen, um das zu fassen. Chili-Ernte im November – ist das der Klimawandel oder nur meine Faulheit? Und ist der Klimawandel auch an der Verstaubung des Hauses schuld?


29.11.

Einer meiner Schneidezähne bleibt in der Knirschschiene stecken, als ich sie mir am Morgen vom Kiefer lüpfe. Ausgerechnet vor dem GAV-OÖ-Ausflug in die USA! Ich versuche, mir den peinlichen Schaden in einem riesigen Zahnambulatorium beheben zu lassen, in dem es aussieht wie in einer Bahnhofshalle aus den 1970ern. Man sagt mir, dass es 1903 $ kostet, ich aber keine Chance hätte, in den nächsten Tagen dranzukommen. Kurt Mitterndorfer verspottet mich vor den Kollegen für meine Naivität, der Strizzi. Da beginnen alle anderen Zähne auch zu wackeln.

30.11.

Barbi Marković dekoriert den Tisch vor ihrer Grusellesung mit Okra-Schoten. Dann legt DJ Dr. Fasthuber ein Klangstück von Fritz Ostermayer auf, das nur aus hypnotischen Minimal-Klavierschlager-Schluss-Kadenzen besteht. 

Barbis Horrorgeschichten sind überhaupt nicht lustig. Wir lachen die ganze Zeit. Schon nach unserem zweiten Treffen werde ich zu so einem glühenden Marković-Fan, dass ich nach der Lesung ihre Suppe auslöffle.

Sie erzählt, dass unsere großen Star-Kollegen (konkret Paul Grossmann) eine neue Grille pflegen, indem sie auf die Uhr sehen und ihre Lesungen mitten im Satz abbrechen, sobald die vereinbarte und honorierte Zeit vorbei ist.