Dienstag, Oktober 30, 2018

Geld und Kult: spirituelles Blockchaining

Mir träumte von einem Betriebsausflug der Original Linzer Worte. Da man uns die Förderung erhöht hatte, gingen sich drei Flugtickets nach Havanna aus. Dort gibt es Neuigkeiten für uns: Das dysfunktionale CUC-Peso-Doppelwährungssystem ist endlich abgeschafft. Aber zugunsten des Bitcoins! Um die Sache vollends bescheuert zu machen, bekommt die Bevölkerung ihr Geld nicht mittels der mir in diesem Leben nicht mehr zu erklärenden Blockchain-Technik. Stattdessen muss jeder Staatsbürger morgendliche Kulturhandlungen am revolutionären Hausschrein vollziehen, dann kommt das Gehalt. Weil auch wir Geld brauchen, kniet René Monet vor einem Altar, darauf Blumen und Bildnisse von Guevara und Castro. Er entfacht Räucherstäbchen und spricht ein Gebet in Fanatasie-Spanisch. 


Und trotzdem lasse ich mir auch im Wachzustand von niemandem sagen, dass ich das Wesen des Finanzkapitalismus missverstanden hätte. It's funny 'cause it's true!

Montag, Oktober 08, 2018

Neue Verbote 1

Das ist mein Verbote-Vorbote. Wir wollen doch alle, dass die Welt besser wird. Und weil die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt sind, geht das nur über den Seim, den wir den ganzen Tag von uns geben. Sprache schafft Gewalt - konkret Gewaltfantasien tief im Inneren meines Körpers. Darum darf Folgendes nicht mehr geschrieben und gesprochen werden, bei gedanklich ausgeführter Todesstrafe (wir müssen hier sehr streng und bestimmt sein). 
[Diese Reihe wird unregelmäßig fortgesetzt.]

lecker
ab und an
einmal mehr
nicht wirklich
am Ende des Tages
Maßnahmenpaket
auf Augenhöhe
auf den Weg bringen
was in der Pipeline haben
Powerfrau
Familienvater
Schnäppchen
tropisches Flair
irgendwas der Extraklasse
kleiner Mann ganz groß
Stubentiger
Blechlawine
Säckelwart
Ortskaiser
irgendwer steht seinen Mann
zu Gemüte führen
Domizil
tief in irgendwessen Inneren
zum Bleistift
Leisereiter
ich bin einer/eine, der/die...

Samstag, Oktober 06, 2018

Der Jahrmarkt der Religionen

 

Ein Vorschlag zur Güte

Am Urfahraner Jahrmarktgelände findet jeweils im Mai und im Oktober eine bunte Leistungsschau der sieben beliebtesten etablierten Religionen statt, samt ihrer tollsten Innovationen. Schon klar, dass Katholizismus und Hinduismus die größten Attraktionen bieten, hier glaubt das Auge mit.

Die Moslems haben die Rolle als Gruselanbieter akzeptiert und sind nun Marktführer bei Geisterbahnen. Die Leute kommen heraus und lachen vor Angstlust. „Hast den Ayatollah gesehen? Der hat voll echt ausgeschaut!“ „Ja, arg, wie auf einmal diese Disconebelexplosion war, huch!“

Im großen Zelt der Juden finden die Eröffnung und die Ansprachen statt, passt ja, wegen der Anbetung des Wortes.

Die Buddhisten verkaufen den Tineff aus China, Burma und Vietnam: Käsehobel, Hornhauthobel, falsche Kragenzobel; Lebkuchenherzen mit chinesischen Schriftzeichen, die „Zicke“, „Mein Süßer“ oder „Lauser“ bedeuten.

Die Katholiken veranstalten Misswahlen (Frauen und Kinder instrumentalisieren geht gut, gleich bei den Toilettanlagen stehen auch sieben Beichtstühle von Dixie), sowie Schaukämpfe (ein Mix aus Kreuzzügen und Wrestling: da kämpft zB das Team Bernhard von Clairvaux gegen die Sarazenen, ich übernehme gerne die Moderation, ich leg's irgendwie zwischen Peter Alexander und Hansjoachim Kulenkampff an).

Daneben eine Innovationsschau der spirituellen Start-Ups: Zb. ein Apple-Store, in dem Nerds vor einer großen Papp-Figur von Steve Jobs niederknien. Die Gläubigen übernachten vor dem iPhone-Stand. Auf großen Bühnen zeigen Youtuberinnen, wie man junge Mädchen durch mehrstündige tägliche Schminkregimes von der Revolution fernhält. Dazu überall Super-Food-Stände, sie verkaufen vegane Schaumrollen und Langos aus Chia-Samen mit fair getradetem Knoblauch aus Kolumbien.


Man kauft sich was oder nicht, schaut sich den bunten Trubel an und vergisst für einen Moment den aufgeklärten Alltag in Mitteleuropa.


Dann ist aber wieder ein halbes Jahr Ruh' mit dem Trallala!

Freitag, Oktober 05, 2018

Das Inferno von Urfahr

So spät noch Walken zu gehen war keine gute Idee gewesen, die Finsternis kam über mich wie ein Ausschlag. Wo war bloß mein Auto! Weil ich mich so maßlos über das teure Extra „Carfinder“ ärgerte, das uns der Mercedeshändler aufgeschwatzt hatte – es funktioniert halt nicht, wenn der iPhone-Akku leer ist! – bemerkte ich erst spät, dass es immerzu bergab ging, wie in einen gewaltigen Trichter, so hoch ist doch der Pöstlingberg gar nicht! Da steht vor mir plötzlich, geisterhaft illuminiert, ein Mann. Und er spricht mich an! „Grüß Gott, gnä' Frau, ich bin der Dichter Musil, und sie sind vom guten Weg abgekommen, ich muss Sie jetzt in das Inferno begleiten!“ Musil, wer? Hä? Inferno! Er nimmt mich an der Hand, ich lasse es geschehen, vielleicht findet der Verrückte ja meinen SUV. „Schauen Sie!“, sagt er nach einigen Minuten stillen Schreitens. Vor uns ein Torbogen, bunt und billig gemalt: „Lasst, die ihr hier eintretet, alle Hoffnung fahren!“ Ein scheußlicher Duft nach Schwefel, Langos und Lulu weht mich an. „Herr Musil, wie ist mir! Was mache ich an diesem gräuslich Ort?!“ Er sieht mich ernst an. „Du bist vom rechten Weg abgekommen.“ „Mah!“, sag' ich, „ich spend' für die Tiere und bei den Soroptimistinnen tun wir ganz viel Charity...“ Musil bedeutet mir zu schweigen. Er geht mir voran durch das Tor, meine Füße folgen ihm von allein.

Es kommt uns eine Horde sehr junger Menschen entgegen, die Burschen in engen Hosen und mit dem Gang verkürzter Achillessehnen, die Mädchen in schiachen 90er-Jahre-Jeans, stark geschminkt. Sie grölen alle „Bella Ciao!“ in der DJ-Ötzi-Version und schwenken Corona-Flaschen. „Herr Musil“, sage ich, „das sind doch noch Teenies!“ „Ja“, antwortet er, „aber jung genug, um den Hofer gewählt zu haben!“ Ich will mich über diese illiberale Sichtweise echauffieren, aber fährt fort. „Die sind nur die lauen Seelen, sie haben es nicht besser gewusst, weil sie außer Kiffen und Gamen nichts im Schädel haben.“ Ich stimme ihm innerlich zu, wir waren alßer Junge noch aktiver, ich war ja sogar Schulsprecherin bei der AHS, und beim Jus-Studium... Musil reißt mich aus den Erinnerungen, er zieht mich tiefer in das bunte, beängstigende Geschehen. Da höre ich die spitzen Schreie der Gemarterten! Wie wellen, Iiiiiiii! und Aaaaiiiiiiiiii! „Herr Musil, hier werden Andersdenkende gepeinigt!“ Er schüttelt, den Kopf. „Das sind die herzensträgen Männer, die das Frauenvolksbegehren nicht unterschrieben haben, weil ihnen ein, zwei Punkte nicht so taugen und weil...“ Aber ich hab's auch nicht unterschrieben, fällt mir in Panik ein, weil eine tüchtige Frau setzt sich auch ohne sowas durch, oder sie kann ja auch daheim bleiben... Der Musil scheint meine Gedanken gelesen zu haben, denn er schiebt mich in ein Bierzelt hinein. Igitt! Sowas ist echt eine Zumutung für uns bildungsnahe Schichten! Auf der Bühne steht – Jörg Haider! Er versucht, die Massen zu begeistern, aber sie schauen nur auf das Autodromauto, das über seinem Haupte schwebt. Und KRAWWUMMS! fällt es auf ihn drauf, ich erkenne jetzt, dass es ein kleiner VW Phaeton ist, der ihn zermerschert. „Das passiert den Heuchlern und Lügnern im vierten Kreis der Hölle täglich“, erklärt der Dichter. Er hält mir einen Bierkrug hin und gibt erst Ruhe, als ich ihn unter Protest ausgetrunken habe, dabei trinke ich lieber Prosecco. Dann zieht er mich weiter, in das nächste Bierzelt, dort wird gesungen, ohweh! „Das ist Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle?“ „HölleHölleHölle!!!“ schreit die Masse. „Grundgütiger, Musil, was haben diese Menschen verbrochen?“ „Das sind die elitären Bildungsbürger, die 14 Semester Philosophie geschenkt bekommen haben und beim Ö1-Hören die Ö3-Proleten verachten!“ Mir setzte das Herz aus. Der Wolfgang-Petry-Hit verklingt, fängt aber gleich wieder von vorne an. Zwischen den gegen ihren Willen grölenden Theaterabonnenten huschen Sünder mit Wischmopps herum, die allerlei Organisches wegputzen müssen. „Internettrolle“, sagt Musil streng. Mir rinnen die Tränen aus den Augen, erleichtert atme ich auf, als wir weiterziehen. Wir halten vor dem Autodrom. Hier werden heulende, hinkende Männer übers Parkett gejagt, von Frauen in Micra Mouses und Ford Mondeos, sie blenden die Scheinwerfer auf, beschleunigen und zerschmettern den Gejagten Fersen und Knie. „Das ist der siebte Kreis der Hölle, hier büßen die Audifahrer. Schau nun, der vorletzte Kreis der Hölle!“ sagt er und zeigt mir das Ponykarrussel. Darin ist nur ein einziges, kleines Pferd, es keucht, dicke Kinder stehen Schlange und greinen, weil sie auch endlich darauf reiten wollen. Aber nein, das ist kein Pferd, das ist ein kleiner, grauer Mensch, der unter Marie-Chiaras 67 Kilos barmt, das ist – Herbert Kickl! „Eine Hetzjagd“, wispere ich. Musil wiegt sein Haupt. „Siehe nun den neunten, den innersten Kreis der Hölle!“ Die Folterapparatur erinnert mich an die Petersburger Schlittenfahrt. Die Passagiere sitzen noch ruhig da, aber sie müssen Unmengen an Zuckerwatte und Schaumrollen in sich hineinstopfen, manche sind schon grün im Antlitz. Es sind fast nur Männer, alle tragen enge Anzüge, das Haar glatt zurückgegelt. Einer brüllt verzweifelt „Den Urfahraner Jahrmarkt wollte ich so gern wegrationalisieren, gehen eh nur die Migranten hin!“, wie auf ein Kommando geht das Fahrgeschäft los. Musil mahnt: „Sieh gut zu, was mit den Neoliberalen passiert!“ Da klaffen die Kulissen auseinander, es tun sich die drei schrecklichen Mäuler Luzifers auf, der erste der smarten jungen Herren wird hineingeschleudert, seine großen Ohren können nichts bremsen. Ein Effizienzsteigerer nach dem anderen wird zermalmt. Ein schreckliches Heulen und Zähneknirschen!


Wir stehen voreinander, ich bin ins Mark hinein erschüttert. „Und welche Pein ist für mich ausersehen? Ich weiß, ich habe gesündigt.“ Musil sieht mich ernst an. „Für dich steht nun das Fegefeuer bereit. Du kannst das Heil erwirken, aber du musst aufrichtige Umkehr leisten.“ „Ich will ein besserer Mensch werden!“, weine ich. „Nun denn, so trage fürderhin einen neuen Namen, der die Zugehörigkeit zum Herrn bezeichnet: Dominika! Und du musst auch wieder arbeiten gehen, und zwar im Schweiße deines Angesichts!“ Dann verschwand er, ich fand mich auf dem Parkplatz wieder. Mein herrlicher Mercedes hatte sich in einen andersfarben Ford Mondeo Kombi verwandelt.


Damen und Herren, Sie sind in diesem Augenblick Zeugen meiner Läuterung.