Phantomereignisse
im Dezember 2022
1.12.
Polizeiwachstube
Thalheim bei Wels. Der sehr junge Exekutivbeamte findet meinen
Führerschein nicht im System. „Einen Herrn Dominik Meindl hätte
ich.“ Leider bin das ich, denn die BH Linz-Land hält mich seit
1996 hartnäckig für einen Mann. „Des tat i ausbessern lossn, Frau Meindl!“
Er ist offensichtlich Jahrgang 1997 und hat keine Ahnung, wie das
damals gewesen ist in der Nachkriegszeit, wo eine Frau noch nichts zu sagen hatte, auch nicht über ihr wahres Geschlecht.
***
Stiferhaus.
Neben der von mir stark gemochten Regina Pintar schaut Fini aus wie
ein verliebter Kampfhund. Es ist natürlich extrem schmeichelhaft,
dass sie mich über mein eigenes Kunstwollen befragt, aber meine
Neurose lässt mich dabei immer ein schlechtes Gewissen empfinden,
dass ich die ganze Zeit rede. Andererseits ist das halt die Person,
die ich bin (auf Englisch klingt das weniger deppert: That's the
person I am) und auf die Schnelle finde ich mir jetzt auch keine
andere Seele mehr.
Bei
der Suppe frage ich Regina, ob sie in ihrer Pension einmal über die dummen
Allüren ihrer tausenden Gäste auspacken werde. Nein, sagt sie, die
hätten sich alle zusammengerissen, „nur der Glavinic hat sich bei
mir aufgeführt wie bei allen anderen.“
2.12.
Neun
Stunden ohne Pause durchpennt. Der Hund sagt auch nichts, das faule
Stück. Die Sonne ist in den vergangenen Tagen zur fernen Erinnerung
geworden. Auch die Mitwelt postet die sozialen Medien mit dem Wunsch
nach Antritt des Winterschlafs voll.
Dann
aber leichte Arbeitsmanie. Ich muss Außerliterarisches als neues
Vermeidungsziel der Prokrastination nutzen – heute hat sich das
Nicht-Saugen des sehr dreckigen Autos extrem positiv auf den Büro-Output ausgewirkt.
Linda
– Kletterhalle – Bier – Sushi – Couch – heute-show –
Couch-Schlaf. #purebliss
3.12.
Wieder
neun Stunden im Koma. Was ist das für ein fauler Hund?
***
Auf
den karierten, grauen Filz-Schlapfen, die ich in Buttingers Haushalt
vorgefunden und beschlagnahmt habe, steht in erheiterndem Kontrast zu
Ästhetik und Zweck der schiachen Teile „Sprint“ gestickt. Das
erheitert mich jeden Tag, denn selig sind die Armen im Geiste.
4.12.
Den
sehr lieben vereinigten Linken von Linz gepredigt, dass auch
behinderte Menschen ins Puff gehen dürfen (sofern es sich um
organisierte SexarbeiterInnen handelt). Den beiden Vorsitzenden der
österreichisch-kubanischen Freundschaftsgesellschaft meine Meinung
zur Lage aufgedrängt („Ein Land voller SexarbeiterInnen, wegen der
linksromantischen Fortsetzung westlicher Kolonialisierung“,
sinngemäß, es tut mir später sehr leid, auch wenn's ein wenig wahr ist). Hoffentlich waren keine Putinversteher da. Wäre ich
mutig, würde ich hoffen, dass Putinversteher da waren. Jedenfalls
habe ich erneut zum Mord am fossilen Faschisten aufgerufen. Wann
folgt endlich jemand meiner Russen-Fatwa?! Habe ich denn gar kein
demagogisches Potenzial?
7.12.
NT spricht über ihm bekannte Alphamänner und
schenkt mir den hervorragenden Begriff „Halbgiganten“.
Das sind also Männer, es nur schwer aushalten, fußkrank zu sein,
weil man dann das Klackern ihrer genagelten Maßschuhe am Gang nicht
hört.
***
Kann
ich den Hund bei mir mitversichern lassen? Sie ist ja als primäre
Analphabetin nicht geschäftsfähig. Die Tierärztin empfiehlt mir angesichts der Rechnung, die sie mir gerade ausgestellt hat,
für Fini einen Instagram-Kanal einzurichten und den zu bewirtschaften.
8.12.
Finis
Sexunfall im November hat sich überall herumgesprochen, wir sind das Gespött
der Wilheringer Freilaufzone! Es gibt keine Diskretion im Tierreich.
***
Schl8hof. Ich
bedanke mich bei Greti für Speis und Abwasch. „Ach was, das geht
mir so leicht von der Hand wie Hühnerficken!“ Drei Minuten später
zitiert Hasi Max Goldt, über weite Strecken und fehlerfrei. Diese
guten Menschen von Wels!
9.12.
Der
Hund ist heute von sieben Menschen insgesamt 13 Stunden ohne größere
Unterbrechung gestreichelt worden, zu vieren durfte sie auf die
Couch, aber erst gegen Mitternacht entkommt ihr ein Gesichtsausdruck,
der sich als zufrieden deuten ließe.
***
Völliges
Scheitern am Keks (wegen Alkoholisierung). Wir sind auf die
Barmherzigkeit der älteren Frauen angewiesen.
10.12.
In
der Metro um recht viel Geld für Weihnachten zu preppen fühlt sich
sehr erwachsen an. Wir kaufen so viel Klopapier, dass der Nachbar
später Angst kriegen wird, dass der nächste Lockdown ansteht.
***
Die
Godn übermittelt uns sieben Kilo Keks in sieben Sorten. Immerhin da
kann ich noch Kind sein.
11.12.
Über
die Höll auf das Schwarzeck. Hasi erkennt im weißen Nichts vier
Stieglitze und einen Fichtenkreuzschnabel. Wolfram: „Und wie heißt
das Wintergoldhühnchen im Sommer?“ Zwei besonders wertvolle
Mitglieder der heute endlich aktivierten Runde der Hausfrauen und
Mütter auf Bergfahrt.
***
Buch-Stierl-Charity
bei Fasthubers. Die positiv getestete Edith winkt vom Balkon wie eine
nepalesische Kindergöttin. K.K. gibt zur allgemeinen Entlastung zu, dass der Stapel
der Vorjahresbücher unangetastet bei ihr zuhause liege. Das
Schreiben, das Kaufen und das Lesen von Büchern sind drei
voneinander völlig getrennte Welten, Universen für sich.
12.12.
Sonne.
Irre.
13.12.
Reflexionen,
ausgelöst durch das Phänomen „Chihuahua“. Hätten sich Menschen
bei der Zuchtwahl der eigenen Spezies so ungehemmt austoben dürfen, würde es jetzt sehr
viel mehr Menschen mit 90 oder 260 Zentimetern geben, just 4 fun. The
Rock scheint so ein Ergebnis von Selektion über mehrere Generationen
zu sein, z.B.
***
Hauptberuf
Fiktion: sich täglich in die eigene Tasche zu lügen.
***
Besuch
von der guten Frau, deren Verkupplung ich den Hund verdanke. Sie
bringt mir ein Packerl Keks und Fini zehn. Ich versuche, mir meinen
Futterneid nicht anmerken zu lassen. Fini ist angesichts der Überschenkung auch
ganz fertig.
***
Der
Gatte der Tierärztin sagt, weil ich ihm blöderweise erzähle, einer
seiner Kumpel sei mein „Nachbarbub“ gewesen: „Ah, dann habe ich Ihre Töchter damals öfter gesehen!“ Natürlich hat meine Mutter
damals in den 1980ern jünger ausgesehen als ich jetzt, aber der
Tierarztensgatte sieht nicht wesentlich jünger aus als ich. Er zeigt
keinen Anflug von Scham. Dann fällt mein Blick auch noch auf den
superteuren Audi, dem er soeben entstiegen ist, und ich frage mich,
ob ich bei der nächsten Hundeohrenentzündung nicht einmal zum
Kollegen nach Alkoven schauen sollte.
14.12.
Ein
Vogel fliegt so langsam den brachliegenden Hügel hinauf, dass es
wundert, wie er sich in der Luft halten kann. Wir sind alle müde in
diesen Tagen.
***
Noch
nie in meinem speisezugewandten Leben habe ich jemanden so schnell
und effizient essen sehen wie Raphi Edelbauer. Sie kann alles doppelt
so schnell und gut wie wir normal
sauce
Menschen! Nur so bringt sie so viel weiter in ihrem Leben.
Als
ich später flapsig vor dem jungen Hof-Team behaupte, Fini spräche
in Erregungszuständen „Hass-Indonesisch“, werde ich als sehr
un-woke gescholten.
Wir
schlagen meinen Negativ-Publikums-Rekord vom November, obwohl das kaum möglich
schien. Raphi möge an diesen Abend denken, wenn sie die
Halluzination überkommt, sie sei durch ihren ganzen Erfolg total
abgehoben.
15.12.
Seit
ich ein bisschen geerbt habe, traue ich mich gar nichts mehr zu sagen,
wenn es um Privilegien und soziale Missstände geht; ich habe mich
darauf verlegt, die dummen Streiche der geerbten Klasse
auszuplaudern, bis ich wieder in die mir anstehende Schicht
zurückverarmt bin (evtl. darüber dann ein Buch schreiben, wie
Marlene Engelhorn für Arme). Die Energiepreise beschleunigen diese
Entwicklung. Oft sage ich jetzt „Leider heize ich mit einer
Wärmepumpe“, da ächzen alle vor Mitleid auf.
***
Es
ist so schwarz da draußen, dass man um 16:39 in St. Valentin
aussteigen möchte, um gleich wieder zurück und heim ins Bett zu
fahren. Außerdem stinkt es – obwohl ich zum ersten Mal in meinem
Leben für eine einfache Wien-Fahrt einen Sitzplatz reserviert habe.
Wie kann das sein? Was sind das für schludrige Pseudo-Privilegien?!
Der Mann, der ohnehin neben meinem reservierten Platz sitzt, fragt
mich schüchtern, ob er eh sitzen bleiben dürfe, und ich erkläre
ihm ganz generös seine Rechte, obwohl er nicht gut riecht. Bei
Amstetten stelle ich fest, dass er aber nicht die Hauptquelle des
Ruchs ist, sondern ein Typ weiter vorn, der fortwährend vor sich hinsingt und rhythmisch von ganz unten heraufrotzt. Die Luft reichert sich immer stärker mit Stink und Singen an,
hoffentlich kommt jetzt niemand und stellt mir die Sonntagsfrage, ich
bin nahe daran, FPÖ zu wählen, wo ist die, wenn man sie einmal
braucht. In
St. Pölten springt der Mann auf, er schreit „ah! St. Pölt!
Halleluhja!“ und kämpft sich zum Ausgang. Jetzt sehen alle, dass der arme Mensch nicht zurechnungsfähig ist (St. Pölten,
alles klar? Haha!).
Sehr
viel zu viele Menschen in Wien, aber an einem Adventsabend zum
Stephansplatz zu fahren, da fordert man es auch heraus.
Markus
Köhle kündigt meinen Beitrag in memoriam Adelheid Dahimènes so an:
„Wäre Dominika Meindl eine Torte, sie wäre eine
Donauwellenschlögenerschlinge mit Schlagobers.“ Dabei bin ich eine
Linzer Torte! (Altes Rezept und im Sommer trocken wie Karst.) Es ist ein sehr schöner
Abend mit seelisch schönen Menschen (dieses Quartal ist mein
Ilse-Kilic-Festspiel!). Es sind Angehörige Adelheids gekommen, die
während unserer Ausführungen ganz inwendig geworden sind und
nachher auch mit uns trinken gehen. Ein freundlicher Wiener aus dem
Publikum lädt mich ein, beherzt über die Heimat zu schimpfen (ich
glaube, ich war noch zu nett zu Wels).
Nadja
Bucher! Wir schimpfen über das Patriarchat. Sie ärgert sich, dass
die Diktatorenbrut immer gar so langlebig ist, und ich, dass die nie
ein Burn-Out bekommen. „Na weil sie alles deppert aus sich
herausbrüllen dürfen!“ Ihre Oma habe zu derlei nicht
Totzukriegendem gesagt: „Den mog ned amoi da Teifö!“
Köhle
tadelt mich wegen meines Biersnobisms: „Die Marke ist doch wurscht,
Hauptsache groß!“ Er hat natürlich recht, aber erst ab der
Mindestgüteklasse „Zipfer“.
Unabsichtlich
trinke ich ein bisschen binge, aus Hamsterei, weil ich noch zum Zug
muss. Später stehe ich, meine Alkoholisierung mühsam verbergend, am Hauptbahnhof, als gemessenen Schritts Franz Adrian
Wenzl an mir vorüberschreitet. Mit dieser Körpergröße kann sich
ein Prominenter Im Grunde nicht verstecken. Aber alle tun so, als
säße da nicht der Mann hinter dem Austrofred und äße einen späten Burger, auch
ich nicht, weil ich eben meine Alkoholisierung für mich behalten möchte
und weil ich ihm keine Panik machen will, dass er jetzt bis München
mit mir small talken muss. Für meine Dezenz erhoffe ich mir später einen
sanften Eintritt ins Himmelreich.
Dann
Panik in Amstetten, ich habe ja gar kein Ticket gekauft! Zum Glück
fällt mir der Trick ein, dass ich es schnell online nachkaufe,
sobald der Schaffner kommt (ab Amstetten, Geld gespart!). Nach vielen
bangen Kilometern, schon fast bei St. Valentin, schaue ich doch noch
einmal ins Geldtascherl und sehe, dass ich sehr wohl vor 1,5 Stunden
ein Ticket erworben habe. Notiz: Drei Bier sind in die Haut hinein
genug, wenn man danach nicht gleich ins Bett kommt. Zuhause, tief in der Nacht, wendet
sich auch der Hund schnell von meiner Fahne ab.
16.12.
Im Milieu
Der
viele Smalltalk im Hundebesitzmilieu trägt bestimmt zur
Stabilisierung meines psychischen Wohlbefindens bei, ich muss mich
aber unbedingt weiter an die Regel halten, bloß nie zu politisieren,
sonst hat man Impf- und Klimaleugnungen am Hals. Hörbeispiel 1 von
heute: „Untam Gletscha ham's Baam gfundn, her ma auf!“ Bsp. 2,
gestern: „Ich krieg einmal einen Schlaganfall, aber keinen Krebs,
dafür bin ich zu aggressiv. Was bist du vom Sternzeichen?“
(Jungfrau, also wird’s Krebs, weil ich es nur zur passiven
Aggression bringe).
Vorgriff
zum 24.12.: Der Besitzer eines extrem aufgeregten
Jagdhundes, dem er ein schweres Funkhalsband umgehängt hat, er selbst
trägt eine Funkstation vor der Brust, die er als "sündteuer" bezeichnet. Auf den ersten
dreihundert Metern findet er fünf verschiedene Gründe, warum der Hund heute
nicht folgt: Der Vater war zu liberal am Vortag. Die Mutter hat dem
Hund das Bandi zu weit gemacht. Es ist Weihnachten, da sind die
Kinder aufgeregt (ok, der war von mir) usw. Der Hund folgt wirklich
nicht, nur Fini kommt ein jedes Mal, wenn er „Hier!“
schreit. „Darf sie Lunge kriegen?“ Dann erklärt er mir, weil sie
nicht ganz stramm sitzt, wie ich ihr die Gutzi am besten gebe (mir
pflückt sie sie ja sanft aus den Fingern, aber ich sage nichts, ist
ja auch nicht lecker Lunge).
Als
ich mich an der Weggabelung verabschiede (ich habe Sehnsucht nach ein
paar schnellen Schritten und ein paar Minuten ohne Mansplaining vor
der Bescherung), fragt er mich, ob sie eine „Sperre“ habe, denn
wenn schon, dann müsse man beim verbissenen Hund „durch de Aung
ins Hirn, sunst losst a ned los!“ Dann winkt er zum Abschied und
geht das Friedenslicht holen.
***
Bei
Gelegenheit schärfer nachdenken über die linguistischen
Fehlverständnisse der Sprachreaktionäre, die zwar glauben, dass
Sprache und Realität nur leicht vernestelt sind („Frauen sind ja
mitgemeint!“), die aber andererseits einen 180er-Blutdruck kriegen,
wenn man eine winzige Pause für alle Gender macht. Vielleicht sind
sie die reinen, hermetischen Experimentallyriker, wo alles nur
schönes Raunen der selbstreferenziellen Sprache ist? Das hielte ich
schon für anfechtbar. Andererseits ist es gerade für mich als
Literatin rührend, wie sehr sie sich für mein Arbeitsmaterial
einsetzen, wie sie so beherzt ihren Kampf gegen die Sprachverhunzung
als Akt der Poesie anlegen.
Kurz:
Die Pause ruiniert eine ganze Sprache, aber man kann durch
Verschweigen jemanden ansprechen. Crazy! Für mich sind halt die
vielen Männer in der deutschen Sprache eine Verhunzung, aber ich
hatte ja eine schöne Kindheit, deswegen habe ich meine Gefühle gut
im Griff.
Nachtrag
aus der Zukunft: Der liebe Trawöger erzählt mir von einem 90-Jährigen
Ur-Grünen aus dem Welser Kulturmilieu, der ihn gefragt habe, ob ihn
das Gendern auch so aufrege. Davon verdiene keine einzige Frau einen
einzigen Cent mehr! Er sei sogar einem Club beigetreten. An dieser
Stelle hätte ich den alten Mitbürger lieb gefragt, ob das ein Club
sei, der sich für die gerechte Bezahlung von Frauen einsetze.
I., ehemals alleinerziehende Mutter von sechs Söhnen,
wird mich auch später fragen, ob ich leicht auch eine von diesen
Genderern sei. Ich ahne die Sinnlosigkeit meiner noch nicht ganz
ausgearbeiteten sprachphilosophischen Gegenargumente und sage
einfach: „Ich bin fürs Matriarchat, also nur weibliche Formen.“
Sie: „Das ist ja um nichts besser!“ „Wieso? Jetzt probieren
wir's einmal 4000 Jahre so und dann machen wir einen Vergleich.“
17.12.
Gang
durch das Winterwonderland Wels. Buttinger („Der Malermeister
Winter ist Aquarellist!“) hat sich kleine graue Ohrenschützer
gekauft, die er mit etwas Mühe links und rechts auf den
Bestimmungsort pfriemelt. Leider ist er ästhetisch vom Neuerwerb
überzeugt und fragt mich nach meiner Meinung. Auf meinen
ausweichenden Hinweis, dass man um den Preis von 19 € eine Haube
hätte bekommen, die das ganze Haupt wärmt, sagt er: „Ja, in
Geschäften, wo du und die ganzen anderen Armutsgefährdeten
einkaufen!“
18.12.
Endlich
ist die WM mit ihren anstrengenden moralischen Anfechtungen vorbei
(ich habe beim Boykott immer wieder versagt), Messi trägt zur Feier
ein „Negligé“ (Prohaska), das in Echt „Bischt“ heißt. Zur
Strafe merke ich mir von diesem Ereignis nur dieses Detail.
20.12.
Die
Pünktlichkeitsneurotiker Kurt und Walter haben einander auch diesmal
beim Zufrühdasein übertroffen. (Bei Gelegenheit darüber
nachdenken, warum meine Angst vor dem Zufrühkommen wirkmächtiger
ist als die vor der Verspätung, es ist objektiv nicht zu verstehen).
Rudi entwickelt unabsichtlich Starallüren und betritt das Strandgut erst
25 Minuten vor Veranstaltungsbeginn, da liegen seine ganzen
Instrumente noch im Bus, für den er noch keinen Parkplatz hat.
Die
Allüren wären aber auch bewusst gerechtfertigt, denn er spielt uns
wieder an die Wand (wie wir es uns alljährlich wünschen). „Rudi,
kannst du gach Last Christmas spielen?“ „Selbstverständlich.“
„Lass dich bitte von meinem Gesang nicht stören.“ Er zaubert die
Musik mit einer Leichtigkeit um mein jämmerliches
Wham-Kannibalen-Gestammel, wie ein Delphin den Körper eines
Ertrinkenden stützt und ihn sicher zum Strand (=Ende des Liedes)
bringt. Man muss fast aufpassen, durch Triggerworte keine ganzen
Lieder bei ihm auszulösen, aber andererseits – was wäre der
Schaden gewesen?
Ich
hab jedenfalls mit ChatGPT3 das Hirtenspiel aufgeführt („Wer
klopfet an?“ „Ich
bin ein Text-basierter Assistenzdienst und kann keine Klopfgeräusche
erzeugen“), die freie Adventmarktwirtschaft propagiert (im Sinne
von Freiheit von den Märkten) und und eine Wunschliste verlesen
(dass Putin von einem Nissan Micra Mouse auf dem Roten Platz
unabsichtlich über den Haufen gefahren wird).
Nach
der Show, mit der wir alle viel Freude hatten, spricht mich ein
älterer Herr an, er freue sich so, mich nach so langer Zeit wieder
zu sehen, ob ich mich nicht erinnern könne, „domois vor 38 Joah im
Vanilli!“ Auch er zeigt nicht viel Reue, nachdem ich ihm vorrechne,
dass ich 1984 noch nicht einmal eingeschult war. Vielleicht brauch
ich ja wirklich Urlaub.
21.12.
Der
Hund ist außer sich vor Freude, als sie mich auf den Tourenski
losfahren sieht, sie stürmt mir nach und springt mir an den Hintern.
Begeistert beißt sie in meine Ski und Linsis Snowboard, sie ist auch
durch milde Stockhiebe und wilde Schreie nicht von mir abzuhalten,
sodass die uns Entgegenkommenden auf der Wurzeralm glauben, ich werde
von einem Mini-Raubtier angefallen. Sie rennt im Sprint vom
Gammeringsattel bis zur Talstation. Dort wummert zwar Gabalier aus
den Boxen, der Barmann stellt dem keuchenden Raubtier aber eine
Wasserschüssel hin, noch bevor ich aus meiner Bindung gestiegen bin.
***
Dr.
Fasthubers Plan, die Präauer und den Ostermayer einfach sich selbst
auf der Bühne zu überlassen, geht aufs Schönste auf. Der liebe
alte weiße Mann singt die alleranrührendsten Hymnen, Präauer outet
Phil Collins als sympathische Bewegungsblinse und schimpft damenhaft
über Sebis Rezensionsstehsatz, sie sei der ungebetene Gast auf der
Literaturparty. „Ich bin auf vielen Parties gern gesehen!“ Dann
tadelt sie die Onanie-Fixierung Ostermayers. Schließlich liest sie
einen dermaßen liebevollen Text auf Après Ski, dass ich mich
ernsthaft frage, ob ich ein Snob bin, da mir das Gabalier-Gewummer
ein Fegefeuer ist.
Im
Black Horse hat Roman zufällig! gerade ein Fass Black Bock Bier
aufgemacht, und als Erfrischung für den Heimweg lobt er meine Wahl
eines Guiness, „eh nur ein Seiterl!“
22.12.
Wegen
des erfrischenden Seiterls konnte ich heute Vormittag nicht am Leben
teilnehmen. Rührend: Fini blieb aus hündischer Solidarität
auch bis Mittag liegen.
Ich
beschließe, dass eh alle genug Zeugs in ihren Wohnungen haben und
bei der Jagd nach Geschenken aufzugeben. Immerhin ist Krise, und mit
Bargeld hat die Jugend eh die meiste Freude (die Erwachsenen dürfen
es nur nicht zugeben).
Ähnlich
wie bei der unendlich kurzen Phase zwischen Schreibversuch und
Preisjury habe ich die paar Minuten zwischen „als Kind Geld
kriegen“ und „Kindern Geld geben“ total verpasst.
23.12.
Spätestens
nach dem ersten Schluck Weihnachtszauberbier wissen Coala und ich,
dass wir an diesem mit Pflichten vollgeräumten Abend fix nichts mehr
weiterbringen außer mehr Bier. Zum Glück kommt K., mit der
wir bis 1 in der Früh die Welt ausrichten.
Coala
erzählt von ihren neuen Kollegen. Einer von ihnen sagt von sich aus,
dass er verfressen sei, er habe sogar einmal in die
Kopfpolster-Hotelseife gebissen, weil er sich gedacht habe, „hö,
de Napserl gibt’s auch in Weiß“.
24.12.
So
viele Leute! Nicht, dass dagegen etwas zu sagen wäre, aber es ist
doch ein rechter Wirbel.
Die
für zu wenig gehaltenen Geschenke reichen aus, nur Sabine verfällt
in die übliche Habenswut. Am besten werden der „original“
Heller-Rahmen (in samsing 800.000 € wert) und das Stanley-Messer
samt Scheide angenommen (das man aber nur mit sich selbst aus der
Verpackung kriegen kann, ein pfiffiges tool-Paradoxon).
Der
Körper verleibt sich zwei große Steaks ein, als wär's Luft oder
Leitungswasser.
Im
Lauf des Abends verliert Buttinger immer mehr seine Stimme, sodass er
am Ende wie ein beschickerter HP Doskozil klingt.
In
der Stunde, in der die Tiere zu sprechen beginnen (und die Männer
aufhören), beschwert sich Fini darüber, dass sie zu wenig
gestreichelt wird.
25.12.
Zwei
Käsetoast zum Abendessen, die der Körper sich einverleibt, als
wären es die berühmten zwei letzten Minzblättchen.
26.12.
Ich
bewahre die Nerven und sauge NICHT, bevor die Mischpoche kommt, „um
meine Ländereien zu bewundern“, wie Buttinger sagen würde,
kriegte er noch einen Ton heraus. Er steht stumm in der Küche und
serviciert seine Schwestern, Schwager, Eltern, Kinder, Nichten,
Neffen, Großneffen. Der Schwiegervater lockt Fini auf die Couch, und
als sie auf seinen Schoß springt, schaut die Schwiegermutter herüber
wie ein eifersüchtiges Einzelkind.
Es
ist schön, Gäste zu haben, aber doch ein rechter Wirbel!
***
Sich
über das fade Feiertags-Fernseh-Programm zu beschweren ist ein
Eingeständnis, dass man alt ist und kein Leben hat, aber auch wahr!
28.12.
Im Sengsen: Hagler
Das
Herumstrolchen auf unbekannten Steigen ist ganz offenbar das, was mir
zum Seelenheil gefehlt hat. Zwei neue Wege gegangen, sieben neue
entdeckt. Der Klimawandel ist ein Hund, aber ohne Schnee weiß ich mir auch was anzufangen.
30.12.
Mitteilung
von Anna: Der Bub sei vor lauter Aufregung über die
Begegnung mit einem Katzenhund(?) zu spät eingeschlafen, deswegen
verzögere sich die Ankunft der Familie vorrausichtlich um 20 bis 30
Minuten.
Wieder
ist Mutter W. die lustigste von uns allen. Sie erzählt, dass ihre
Schwester gerade ihren Bankberater geheiratet hat; sie ist dessen
vierte Gattin. Er hat ihr Schneeschuhe zu Weihnachten geschenkt,
jetzt fürchtet sie, dass er sie bei einer Wanderung in eine
Schlucht stößt.
Chrisi
bringt einen Geschenkkorb voller Fundsachen aus der Bushalle. Was die
übergeschnappten Stars eben auf den hospitality rider
schreiben lassen und dann eh nicht trinken, etwa die 0,3 l Dose
„Spring High Water“ aus den schottischen Bergen, das einfach
Leitungswasser ist. Ich muss an Mariah Careys Veuve Cliquot denken,
den wir dann auf dem Hallstätter See gesoffen haben (Chrisi: „I
waaß ned, a Cola schmeckt trotzdem bessa“). Nächstes Jahr bringt
er dann eingedoste Giraffentränen mit.
Jedenfalls
ein schöner Tag, ein hervorragender Abschluss des Gästereigens. Ich
hätte in einem fort mitschreiben können, aber die Oktober-Metapher
mit dem Silberbesteck, das man auf dem Tisch lässt, passt auch
heute.
31.12.
Silvester in Wels
H.
beschreibt die Ortstreue seiner Großmutter. Nach einer Firmung habe
die Familie einmal hinaus in die Fernreith zum Eisessen fahren
wollen, zum Unmut der Oma: „Was wollt ihr denn dort? Da gibt es ja
auch nur Himmel und Erde.“
Es
herrscht eitel Kurzweil. Meine russischen Eier, die mir mit der
Leichtigkeit gelungen sind wie Kaiserin Sissi das Ungarische
zugeflogen sind, und auf die ich in Braille-Schrift „Tod Putin!“
gelegt habe, werden als einzige Speise restlos aufgegessen – das
ist für die Person, die ich bin, wirklich etwas fürs Memoirenbuch.
Das war ein pfenniggutes Jahr, man soll sich keine besseren wünschen (und tut's in allzumenschlicher Hoffart doch).