Lebenskrimskrams
im Jänner 2023
1.1.
Ob
sich mir 2023, während meines 45. Erdumlaufs um die Sonne, noch
versteckte Talente entbergen? Hoffentlich nicht peinliche Begabungen
wie Paintball, Laubbläserverkauf oder Monstertruckfahren.
***
Es
gibt ein kunstgeschichtliches Topos namens „Josefszweifel“, also
der grübelnde Blick des Nährvaters, wie das mit Marias
Schwangerschaft zugegangen sein mag.
***
„Wednesday“
ist eh lieb, und wir haben Zeit zum Nepflixen (ich nenne das jetzt
so), aber ich hege leichte Josefszweifel, wie ich zu den Belangen
amerikanischer Teenies komme (die interessieren sich ja auch nicht
dafür, wie es Mittvierzigerinnen in Mitteleuropa geht), dazu kommt
eine sich verstärkende Schmollmundallergie.
2.1.
Bei
der heutigen Wanderungen versuche ich, meine liebe Begleiterin zu
einem etwas schlechterem Menschen zu machen, zu ihren eigenen
Gunsten. Wir jausnen frischgemachten Erdäpfelkäse und
selbstgebackenen Schkokuchen (die liebe Begleiterin) sowie Wurstsalat und
eine angebissene Marzipansau (ich). Ich sollte ihr nicht alle ihre
Selbstverpflichtungsneurosen ausreden, sie teilt großzügig mit mir.
Neujahrsvorsatz:
Das Patriarchat zu Fall zu bringen, indem ich Frauen in meiner
Umgebung das schlechte Gewissen ausrede, wenn sie der undankbaren
Verwandtschaft keinen Kuchen, oder wenn sie ihre Kinder, um die sie
sich den ganzen Tag gekümmert haben, mit „Geh damit zum Papa“
anschnauzen.
***
Die
zerböllerte Landschaft rund um menschliche Ansiedelungen erzählt
davon, dass in der Bevölkerung noch sehr viel Unvernunft und Geld
herrschen.
3.1.
Zu
Weihnachten mindestens drei Sorten Seife geschenkt bekommen.
Nachdenklich geworden.
***
Der
Künstler, der mich 2023 am maßgeblichsten beeinflussen wird, ist El
Hotzo.
***
Noch
bevor der Körper den ersten Schritt tanzt, schreit der Geist „Um
Himmels willen, was hast du vor?!“
***
C.
besitzt eine Balsamico-Crème mit Glitzer(!), die keinen Deut zum
Nährwert beiträgt. Sie sagt, sie sei ein Opfer der gemeinen
Einfälle der Nahrungsmittelindustrie, aber glücklich dabei.
4.1.
Eigentlich
wollte ich am Vormittag ins Büro, bin ich aber ins Bügelzimmer, um
Knöpfe anzunähen und Wollsocken zu stopfen. Der Geist folgt der
Mutter auf ihren Pfaden. Es ist falsch, fühlt sich aber so viel
besser an als SVA-Rechnungen zu zahlen und Newsletter zu schreiben.
Diese Zufriedenheit, die aus der Pflege von Dingen erwächst.
***
Die
japanische Regierung will Frauen mit der „Verfügbarkeit geeigneter
Männer“ aus den verstopften Ballungszentren ins Hinterland locken.
Dazu gibt’s eine Million Yen für jedes Kind.
5.1.
Meine
rechte Schläfe ist deutlich weißer als die linke. Man wird im Alter
immer asymmetrischer.
***
Ein
Selfie wieder gelöscht, weil ich darauf ausgesehen habe wie eine
blasse Kopie meines Vaters.
***
Der
schmale Gefühlsgrat zwischen „Wow, ein bisschen Wohlstand!“ und
„Hilfe, ich bin Ende des Jahres obdachlos“. Wer hat, der hat auch
Verlustangst. Grüße gehen raus an Janis Joplin.
6.1.
Auf
Ö1 wird über Ella Fitzgerald gesprochen, die offenbar die
Hauptvertreterin aller Ambivertierten war: 51 Wochen im Jahr
unterwegs und trotzdem einsam. Ich für meinen Teil bin verhinderte
Person öffentlichen Interesses und verhinderte Eigenbrötlerin.
7.1.
Beim
Meindl-Meeting nähen wir ein Plauderpatchwork aus sehr, sehr Ernstem
(Tod der Eltern), Ernstem (wir wollen alle nicht mehr arbeiten, nur
noch fleißig sein) und höchst Profanem (wann kommt die
Gleitsichtbrille?). Dann kommt ein Gameboy daher, Coala und ich
kippen total rein. Ein Symbolbild der Generation X entsteht: sich die
Brille ins Haar schieben müssen, damit man die Tetris-Steine
dersieht.
***
Derweil
der Enkel (6) in Wels: „Ich kann so lange spazieren, wie ich will!“
8.1.
Endlich
wieder unbekannte Steige im Sengsengebirge begangen, dabei wieder
neue entdeckt. Es liegt praktisch kein Schnee, die Gämsen hocken
verwirrt in den aperen Latschen, Schneerosen und Erika blühen im
Irrglauben, es sei Ende März.
***
Viel
billige Hollywood-Suspension wird daraus gewonnen, dass Frauen nicht
laufen können, ohne dass der Held sie an der Hand hinter sich
herzieht. Auch mit dem Lenken von Fluchtfahrzeugen kann man sie nicht
behelligen.
9.1.
Barbara
Ungepflegt widerspricht ihrem Künstlerinnennamen in Person vehement.
Mir ist noch keine besser duftende Gästin in den Kepler Salon
geladen worden. Während meiner Einleitung beginnt sie, sich mit
einer Nagelschere die Karos aus dem Pullover zu schneiden. Seit ich
weiß, dass man mit der schriftlich und wissenschaftlich begleiteten
Liebesanbahnung mit Richard Lugner eine Dissertation vorlegen kann,
fühle ich mich für die Akademik neu entflammt. Im „Kompendium der
Lücken“ hat Ungepflegt die Annullierung ihrer Ehe mit dem
schönsten Straßenbahnfahrer Wiens dokumentiert. Die Übung gelang,
seither ist sie aber mit einem katholischen Eheverbot belegt und
trägt einen sehr schönen, selbst gestalteten „Eheverbot“-Ehering.
Lugner
esse übrigens am liebsten Austern mit Ketchup, was ich nicht glaube
und doch für nicht ausgeschlossen halte. Ungepflegt geht davon aus,
dass er nur noch am Leben ist, weil Kameras ihn im inneren Gefüge
zusammenhalten. Er lebt in einer von ihm geplanten und gebauten
Villa, die eigentlich der Bonze Wlaschek in Auftrag gegeben hatte,
die ihm dann aber zu schiach war.
„Löcher
sind das Fett in der Wurst.“ (Gut, dass ich notiert habe, dass der
Satz von mir ist, ich hätte ihn jetzt, vier Monate später, in
meiner Ego-Schwäche Barbara Ungepflegt zugesprochen).
Nach
der Veranstaltung schenkt mir Barbara I. die Schilderung einer
Irish-Wolfshound-Stampede hin zu einer Katze, die dann von zwölf
Riesenhunden umzingelt und zärtlich eingespeichelt wurde.
10.1.
Ein
Tag voll manischer Admin-Scheiße bei gleichzeitiger Grundmüdigkeit.
***
Die
Mäuse haben 17 Kilo Nüsse aus dem Holzschuppen gefladert, ich
übertreibe nicht.
11.10.
Meet
N' Greet des „Freunde des Schl8hofs“-Faschingsprinzenpaares Hader
und Meindl. Ich habe mir den Frack schon zuhause angezogen und
begrüße den leger gekleideten Herrn Kabarett-Star mit „He, hat
der das Memo wegen der Panier nicht bekommen?“

Die
Ablichtung ist sehr schnell erledigt, der Hund stiehlt uns beiden die
Show. „Man soll Hunde ja nur streicheln, wenn sie es wollen“, sagt der Hader und
schaut fragend auf Fini, die sich fast schon winselnd an seine
Waden schmiegt. Endlich beugt er sich zu ihr herab, „ok, die Hunde,
die mich beißen, sind noch kleiner.“ Er erzählt von Otto Lechners
Pinscher, der das Gegenteil eines Blindenhundes sei, weil er als
Landpomeranze in der Stadt Panik bekomme und seinen Herrn in alle
Richtungen zerre. Außerdem könne er nicht allein bleiben, also
durfte er mit auf die Bühne. Zufrieden legte er seinen Kopf auf
Lechners Fuß, es störte ihn nicht, dass der beim Akkordeonspielen
laufend den Takt klopfte, der Hundekopf hob und senkte sich
rhythmisch mit. So einen Hund wie die Fini nähme er, sagt Hader, und
zum Glück bittet er mich nicht tatsächlich darum, weil es unhöflich
wäre, seinem Idol einen Wunsch abzuschlagen.
Dann sage ich aus
einer Laune heraus, dass man grad in meiner peer
group
jedes Gespräch mit dem Thema „Gleitsichtbrille“ kapern kann,
woraufhin wir eine halbe Stunde lang über Kurz-, Weit- und
Schassichtigkeit sprechen.
12.1.
Ich
bin die soccer
mum
meiner selbst.
***
Auf
einer geerbten CD finde ich ein bizarres Duett von Pavarotti und
Sinatra – ein so kitschiges „My Way“ hat die Welt noch nicht
gehört, und die Welt hat schon 325349594856 kitschige „My Ways“
gehört. „Nessun dorma“ besitze ich übrigens in siebenerlei
Ausführung.
***
In
der Kletterhalle drei Nerds in Funktionsleiberl, zwei davon mit
hochgewachsenen, sehr weichen Leibern und langgewachsenem, sehr
weichem Haar, es wird nicht ganz klar, ob sie ein Paar sind. Alle
drei bewegen sich in burschenhafter Abruptheit. Sie sind sehr lieb
und feuern einander wertschätzend an: „Jetzt hosd di ned gaunz
committed!“
Sie reden in so viel Jungeleuteenglisch miteinander, dass ich zuerst
glaube, der Kurzhaarige sei ein Mechatronik-Student aus dem Ausland.
Das Auftreten des Trios möchte ich mit „Linzer It-Queerness“
labeln.
***
Arno
Geiger hat ein autobiographisches Buch über sein früheres
Altpapierstierln geschrieben. Er habe damit aufgehört, weil die
Leute nichts Gescheites mehr wegschmeißen, weder Bücher noch Briefe
(was hätte ich ihm alles aus diesem Haus schenken können!), sondern
nur noch Weinkartons und Verpackungen. Er sagt, die Leute müssen
jetzt dauernd besoffen sein und Elektrogeräte bestellen.
13.1.
Sehr arge Spenden für die Tombola des Grauens, die extreme Gefühle bei Vertreterinnen der Generation X auslösen werden
Mit
der magic
superpower
einer unmittelbaren Deadline auf den letzten Drücker „Herrenlose
Fliegen“, „Die Verwandlung (eines armen Käfers in einen Menschen
namens Ferdinand Wegscheider)“ und ein ORF-Biene-Maja-Dramolett
hingefetzt. René Monets Mash-Up von „Biene Maja“ und „Baby
Blue“ aus der Sicht einer burnoutgefährdeten Drohne – eine
unwahrscheinliche Begegnung von Karel Gott, Wolfgang Ambros und Bob
Dylan – wird mich noch Jahrhunderte begeistern. Bei Buttingers
Sektenlied „Sympathie für den Teufel“ reißen ihm die Saiten der
Reihe nach, sodass er es heldenhaft a capella zu Ende brachte. Peter
Waldeck ist sehr lieb, ein sympathischer Humor-Nerd. Und der
Dichter der Salzgurke, das kann ihm niemand mehr streitig machen.
Zur Lesebühnen-Nachlese gangert es hier, wenn ihr denn gar nicht genug von kriegen könnt: Borkenkäfer im Windwurf unserer Seelen.
13.1.
Beim
Hundsäußerln eine hauptberufliche Hypnotiseurin getroffen und
gleich ihrem Charme erlegen.
***
Subjektives
Zeitparadoxon im Restaurant „Singapur“, meinem Happy Place. Wir
wollten nur gschwind was essen, da ist es schon zwei Stunden später.
16.1.
Was
bisher geschah: Mein sehr alter Führerschein wurde gestohlen, in der
Polizeiwachstube kommt auf, dass mich die Bezirkshauptmannschaft seit
1996 für einen Herrn hält. Teil des Schadens ist auch, dass ich den skurrilen Lappen nun nicht mehr zur Volksbelustigung herzeigen kann.

Heute also Geschlechtsumwandlung auf der
BH Linz-Land. Kurz vor den Wechseljahren werde ich nun auch für die
Behörden zur Frau. Wahrscheinlich reduziert mir gerade irgendwo ein
Beamter die Pension, just because. „Ist Ihnen am Führerschein
nicht aufgefallen, dass sie da ein Mann sind?“ Ich erkläre der
etwas jüngeren Frau am Schalter, wie das damals war mit den
Schreibmaschinen und den nachträglichen Korrekturen, zuerst
ironisch, dann merke ich, dass sie wirklich keine Ahnung von den
altertümlichen Amtsverrichtungen in meiner Jugend hat. „Eija“,
unterbricht sie mich mit Blick in den Computer, „jetzt habe ich sie
gefunden. Sie sind wirklich ein Herr Dominik.“ Das Schmerzvollste
an der Umgenderung ist, dass mein Passbild aus dem Jahr 2017 zu alt
ist; zwar sehe ich darauf scheiße aus, bin aber noch sehr
braunhaarig. Auf dem neuen, das ich per Schnellschuss im
Kellerautomaten machen muss, sehe ich etwas weniger scheiße, aber
ganz grau aus. Aus Vernunft verzichte ich auf das Upgrade auf den
A-Schein für alle Klassen, weil ich ohne Panik gar kein
motorisiertes Fahrzeug mehr besteigen kann. Ich verschweige meine
Laseraugen, weil es umständlich ist, die angeborene Schasäugigkeit
offiziell loszuwerden.
***
Zum
Mittagessen etwas, das nicht mehr ganz einwandfrei riecht, aber der
Hunger ist groß und es geht alles gut. Das darf nie jemand über
mich erfahren.
***
Jetzt
bin ich ein Mensch geworden, der sein Auto an einem Nachmittag in der
Stadt an drei verschiedenen Stellen parkt. Das darf nie jemand über
mich erfahren. Mit L. zwei Stunden Schimpfe auf die allgemeinen und
individuellen Verhältnisse. Ich muss aber massiv übertreiben, um
etwas beitragen zu können.
***
Ein
Yorkshire-Terrier schreit Fini an wie eine der goats
that sound like humans.
***
Extrem
wachsende Unverträglichkeit gegenüber Tierleid und Männergewalt in der
Kunst (im Allgemeinen ohnehin). Vergangenes Wochenende hätte ich die
immer wieder laut streitenden Nachbarn im Welser Obergeschoss beinah
vermöbelt, um Frieden zu schaffen. Das ist doch auch keine Lösung!
***
„Die
Inkommensurablen“ knarrt vor lauter Recherchewissen wie die Wanten eines
überladenen Frachters. Ich fresse es trotzdem mit Vergnügen.
17.1.
Weihnachtsdeko
abgenommen und nach Jorge-Luis-Borges-Kriterien sortiert: Äpfel,
Rochen, Alkoholbehang, Froschkönige und Tiere, die zu den drei
Heiligen Königen gehören.
***
Ö1-Radiokolleg
über „Endlinge“ und den fehlgeleiteten Schutz „charismatischer
Mega-Fauna“ (Tiger etc.)
18.1.
Fiston
erzählt von seinen ersten Jahren in Österreich, als er gemäß dem
Glauben der Luba an großer Todesfurcht litt – also zu sterben,
ohne zuhause beerdigt werden zu können. Mittlerweile hat ihn seine
Zweitheimat entspannt. „Ich habe keine Angst mehr, in Graz begraben
zu werden.“
19.1.
Attnang-Puchheim,
Burschen im Zug: „Schau her, i zag da, wiasd deine Monter
weiblicher mochn kaunst.“
***
Der
Vorteil von Schlupflidern ist, dass man nicht mehr so viel
Lidschatten braucht.
***
Mein
Künstlername, wäre ich italienische Schlagersängerin: Domenica
Aperto
***
Innsbruck.
Am Ende der Salurner Straße ragt die Nordkette so absurd jäh in den
Himmel, dass man im Dämmer das Licht der Bergstation für einen
großen Stern hält.
***
So
schnell stellt sich ein Urlaubsgefühl ein, danke Pandemie! Wenn man
am Nachmittag im grauen Öd-Wels einsteigt, ist man beim Umsteigen in
Salzburg und in Innsbruck ganz geflasht vom Trubel der touristisch
verwertbaren Städte.
***
Der
junge Mann an der Bar, einer der 32345 bouldernden und snowboardenden
Nummerus-Clausus-Flüchtlinge aus Franken, erklärt mir, dass das
Logo auf dem Montagu-Sticker einer berühmten Hip-Hop-Crew
nachempfunden sei, und rührt auch keine Miene, als ich
zurück-splaine, dass ich den Wu Tang Clan sehr viel gehorcht habe
damals in den 1990ern, als es noch kein Bouldern und Granola gegeben
hat.
***
Sehr
viel Schönes trägt sich zu an diesem Lesebühnenabend mit den Frau
Hermanns 5000 Katerstrophen, ich bin sehr verliebt in alle
Beteiligten. Zum Beispiel in Katrons anrührende Kunstreihe „Tote
Tannen – grüne Wiesen im Sonnenschein“, zu der sie sich von
ChatGPT den Vernissagen-Schas-Text hat schreiben lassen. Eine
Textsorte, die man wirklich getrost und vollständig der AI
überlassen kann („Die toten Tannen als Symbol für den Tod“).
Beim
Heimgehen beschließen wir, unseren schwarzen Landesregierungen
umfangreiche Fördermittel für den weltersten „Kongress für
Performanzliteratur“ aus den feisten, neoliberalen Hüften zu
leiern. Wir sind ein wenig betrunken.
20.1.
Ein
entgleister, führungsloser, brennender Güterzug lädt zum Schimpf
über die Deutsche Bahn, was zum Wortwitz „bahnal“ lädt. Auf
Schleichwegen zockelt der ICE durch das alte Österreich voller
Klausen, Klammen und Skigebieten. Zunehmende Dehydrierung, weil ich
zu faul und geizig bin, um das Zug-Rest zu suchen. Es hat endlich
geschneit, immerhin wird landschaftlich viel geboten.
Nach
einer logistischen Orgie fahre ich mit dem Buttinger weiter ins
Gesäuse. Dort erzählt G., dass sie jetzt, in ihrem 53. Lebensjahr
erkannt habe, dass sie genug von Fortbildungen habe, sie wolle jetzt
auch einmal Urlaub machen und faul sein! Ich murmle in ehrlicher
Betroffenheit, dass ich seit Jahrzehnten auf den Drang warte, nicht
immer nur Urlaub machen und auch einmal an mir selbst arbeiten zu
wollen.
21.1.
Hüfthoher
Pulverschnee ohne Grundlage, die Tour eine reine Fleißaufgabe, um
dem scheiß Körper zu zeigen, wer der Herr ist.
***
R.s
Zirbengeist schmeckt fast so erschütternd wie meine eigene Kreation
(eine Geisterbahnfahrt in den Gaumen), leider fragt er auch noch, ob
er mir eh geschmeckt hat, und er war so schlecht, dass ich daran
scheitere, zu schwindeln.
Es wird mich nicht stören, wenn mir die Germanistik der Zukunft eine homoerotische Beziehung mit dieser Frau andichtet.
23.1.
Die
Störung der Totenruhe umfasst in Deutschland das Delikt, an einem
Grab „beschimpflichen Unfzug zu verüben“.
24.1.
„Wenn
man mehr als einen Termin am Tag hat, stirbt man.“ El Hotzo
***
Man
darf jetzt Grillen essen (Hauptsache, sie verbieten das Grillen
nicht, das ist der programmierte Bürgerkrieg).
25.1.
Ereignisarme
Tage, reich an befriedigend sinnlosen Ordnungstätigkeiten zwecks
Kontrast zur sehr unangenehmen Weltlage da draußen. Also Haydn-CDs
durchhören + Verpartnerungsgratulationskarten einkleben, um keiner
Apokalypsenpanik anheim zu fallen.
Der sehr lustige Tagebucheintrag, den René unserer Vermählung zu Ehren verfasst hat. Lieblingswitz ist der mit den Liptauern, weil ich echt kein Humorsnob bin.
***
Ein
mir recht gut bekannter Mann ist mit Frack, Gehstock, Zylinder und
Birkenstockschlapfen auf einen Maskenball gegangen, die
dazugehörende, mir noch besser bekannte Gattin erzählt, er sei ihr
durch die Outfit-End-Abnahme geschlüpft, weil die Sehschlitze ihrer
Paillettenmaske zu schmal gewesen seien. Auch derlei lenkt mich vom
Weltuntergang sehr schön ab, bitte erzählt mir alle mehr solche Sachen!
27.1.
Bei
Gelegenheit „Null Island“ aufsuchen – ein Ort, den es nur dank
der Ganglien der Menschheit gibt. Es ist der Schnittpunkt von Äquator
und Nullmeridian im Golf von Guinea. Aus irgendwelchen Nerd-Gründen
landen dort alle „virtuellen“ Ortsangaben, man kann auch Joggingrunden
hinschummeln und derlei Unfug.
***
Aus
leichter Nachlässigkeit müssen wir den Hund zur
Auschwitz-Befreiungsgedenkveranstaltung in den Minoriten mitnehmen,
die im Übrigen so schön ist, dass ich wirklich nervös werde, ob sich
das Tier ganz unauffällig und angemessen beträgt. Das wilde Spiel
ihrer Ohren verrät, dass sie bei zeitgenössischen Kompositionen in
innere Panik gerät. An ihrer statt entgleist nach der Darbietung der der Buttinger ein
wenig, als er den jungen Sängerinnen einzureden versucht, dass
Wagner und Bruckner Nazis gewesen seien. Sie lächeln höflich, einer
sagt, er habe gar nicht mitbekommen, dass ein Hund zugegen gewesen
sei. „Zwoamoi hot's a weng quietscht“, sagt der Buttinger, der
junge Mann beginnt sich höflich zu rechtfertigen, bis der Irrtum
aufkommt - „der Hund hat gequietscht, nicht ihr!“ Der liebe
Stefan Petermann ist extra aus Weimar angereist, weil sein Text „Töne
aus Stein“ vertont worden ist, aber wir unterhalten uns darüber,
dass ich gar nicht so viel zum Skitourengehen komme heuer etc. Es ist
ein wärmender Gedanke, dass Klügere in der Ferne Anteil an meinem
Dasein nehmen.
***
A.
hat den Fuß ihres Sohnes wegen beiderseitiger Unaufmerksamkeit
mit dem Hinterreifen überrollt und ist in innerer Panik (ganz ohne zeitgenössische
Musik) auch noch darauf stehen geblieben. Das ist nur lustig, weil
der Ausgang ein glimpflicher war. Off topic: Wir sollten den „Glimpf“
in den zeitgenössischen Sprachgebrauch übernehmen, als „Glimpf
und Schande“ oder „verglimpfen“ (hieße das „jemanden
schönreden“?)
28.1.
Sehr
schöne Stunden im Black Horse, wie immer. Der liebe R. feiert seinen
70er und baut meine Familien-Gratulation gleich in seine Ansprache
ein: „Dominika hod grod gsogt, 70! So oid wiad ned amoi a Sau!“
L. berichtet später von ihrem Versuch, als Vorsitzende einer
Kinderbetreuungsorganisation in Kontakt mit dem jungen Volk da
draußen zu treten. Nach wenigen Minuten wird sie von einem
8-Jährigen von der Hüpfburg herab dermaßen derbe beschimpft, dass
sie mit sich ringt, ihm keine zu reißen. Der ganze Tisch spricht ihr
Respekt für ihre Disziplin aus, ich hätte dem jungen Prinzi fix was
mitgegeben fürs spätere Leben, also innere Panik vor älteren
Frauen.
Zwecks
Kontrast erzählt I. vom Urlaub ins drollige Cornwall, wo die
Menschen ALLES mit „lovely“ labeln, was die Reisenden zunehmend
amüsierte. Höhepunkt dann am Pissoir, als ein einheimischer
Ludelkollege „lovely!“ seufzte. I. hat nachzufragen vergessen, ob
der damit die Urinerlösung oder sein Organ meinte. Ich entlaste die
Runde mit der Schilderung, wie mich der Tierärztinnengatte für
meine Mutter gehalten hatte, und I. sagt, dass ihn beim Begräbnis
einer Tante sehr viele Steyerlinge für den eigenen Vater gehalten
haben.
29.1.
Ab
jetzt einfach keine jähen Bewegungen mehr. Bei den Dreharbeiten für
ein zivilgesellschaftliches Video bin ich unter dem nachvollziehbaren
Gelächter der Kinder vom eigenen Thron gestürzt.
Als
ich ein Foto ins Facebook stelle, auf dem ich in wiederhergestellter
Machtentfaltung auf dem Thron sitze, kommentiert drei
Hundertstelsekunden später ein älterer weißer Mann darunter, dass
„man“ an meiner Sitzhaltung noch arbeiten könne. Auch hier musste ich an mich halten, um nicht handanlegende Panikeinflößung anzudrohen.
30.1.
Ich
bin nur deswegen selbständig, weil ich extrem leistungsbereit bin
und nicht arbeiten kann, wenn mir jemand während des Schreibens
erzählt, was er am Wochenende alles gemacht hat, und wenn ich in
Meetings muss, in denen es um das Generieren von Learnings geht, und
man danach 14 Minuten berät, wo man Mittagessen geht.
Andererseits
fehlt mir der Drang zum Oeuvre, ich will es JETZT schön haben im
Leben, danach ist es mir wurscht, was die Leute von mir halten oder
lesen.
***
Hoffentlich
kann ich das Alter noch weit hinauszögern, in dem ich Jüngeren
automatisch und ausführlich erzähle, was ich früher nicht Supernes
gemacht habe, bevor es alle anderen dann auch gemacht haben, und wie
schwer das alles war, das kann man sich heute gar nimmer vorstellen!
Lieber zahnlos, schasäugig und faltig wie ein Shar-Pei als diese
Kunstveteranenmonologe. „So was Schönes wie Nirvana wird ja
heutzutage nicht mehr gemacht!“
***
„Wenco
– alles aus einer Hand!“ Man muss nicht viel Englisch können, um
darüber zumindest kindlich zu lächeln.
31.1.
Warum
hat ausgerechnet der Jänner 31 Tage?!
***
Die
sehr liebe Frau an der Spar-Kasse gibt mir 25 Prozent auf den
Champagner, weil ich 23 Sekunden geduldig gewartet habe, bis sie die
Flasche im Depot gefunden hat. Sie hat es mir bestimmt angesehen,
dass ich über meine Verhältnisse einkaufe. Das darf der Buttinger
nicht lesen, ihm gegenüber habe ich geprahlt, dass mir für seinen
Geburtstag nichts zu teuer sei.
***
DallE
ist ein pfiffiger Zeitvertreib. Wenn man Anstößiges wie „Nazi“
oder „Putin“ abgebildet wünscht, erscheinen Kätzchen und
Corgis, die bedauernd auf die politeness policy hinweisen. Bei
der Anfrage „A happy and proud Romy Schneider as empress Sisi
builds a carport in a beautiful landscape like Hallstatt in the style
of the 1950ies“ spuckt die KI eine Dirndlfrau mit dem von sinnloser
Fröhlichkeit entstellten Antlitz Thomas Brezinas aus.