Mittwoch, Juli 15, 2020

Liebe im Beinhaus. Ein Leuchtturmprojekt mit Schattenseiten

 Den Beginn seiner Sommerferien hat sich der LH anders vorgestellt. Just in dem Moment, als er das Sunkist-Packerl, die Mannerschnitten und das Vogerlbestimmbuch im Rucksack verstaut, ereilt ihn der Anruf seines Büroleiters. Der Vogelpark Schmiding wird warten müssen, das Land braucht ihn.

Der Alt-LH hebt erst beim dritten Anruf ab, da ist der Nachfolger schon fast wieder in Linz. Pühringer ist grantig, vor ihm dampfen die Schöttbullar, ihm gegenüber die Gattin, die sich schon so auf den gemeinsamen Ikea-Ausflug gefreut hat. „Wos is, Thomas, a neicha Cluster, bei mia in Ansfön?“ „Na, Sepp. Wos hosd du do in Schönering augstöht!?!?!?!“ Pühringer erblasst, sagt „I kum eina“, schiebt sich vier Fleischbommel in den Mund und küsst die Gattin, die später wütend und zfleiß den Einkaufswagen mit Teelichtern, Servietten und Deko-Objekten füllen wird.

Im LH Büro auf der Promenade. „Die Nachrichten werden uns dögeln!“, jammert der LH, der Altspatz sieht fassungslos auf die Fotos, die ihm Rechnungshofpräsident Gsengteis über den Tisch schiebt und fragt „Herr Alt-LH, wie konnten sie denn so einen Schmarrn fördern?!“ Pühringer stampft wütend auf: „Eine Förderung in dieser Größenordnung mache ich doch nicht ohne Zustimmung der anderen Parteien. Für wie blöd hält man mich?“ Stelzer flüstert, „Josef, 1,8 Millionen für...“, Pühringer unterbricht ihn polternd, „der Sozi-Bürgermeister von Wilhering wollt's haben! Und das kommt vom Balkan herein!“ Der Nachfolger birgt seinen Kopf in den Händen und weint ein bisschen, „ausgerechnet über das Kulturbudget, wenn das aufkommt, kann ich wieder nicht kürzen, weil sie sich alle solidarisieren! Und ich muss es wieder ausbaden!“ „Es is halt Digitalisierung und Leuchtturmprojekt im Förderantrag gstanden“, mault Pühringer. Gsengteis schaut in seine Unterlagen. „Ok, stimmt, und do steht Standortentwicklung durch Regionalmanagment aa nu, glei neben Impulse für Tourismus.“ Stelzer zeigt auf eine Passage: „Arbeitsplätze und Glasfaserausbau hat sie auch noch reingeschrieben. Das ist so gemein! Die weiß genau, dass wir bei den Zauberworten hilflos sind wie die Katzerl im Minzrausch!“ Pühringer schaut trotzig auf die Promenade hinaus. Er ist in die Falle getappt wie ein Labrador zum Fressnapf.

Dort unten verlässt soeben ein junger Praktikant das Redaktionsgebäude, heute ist Leander Katzenschlägers dritter Tag im Linz-Land-Ressort – und er muss jetzt raus, zu den Leuten. Schwer hängen die Kameras um seinen blassen Hals, er muss gleich alle Kanäle bedienen, so crossmedial geht’s heute zu bei die Medien. Knapp erreicht er den Wiliabus, knapp bekommt er noch einen Platz. Unterwegs versucht er, den Touristen O-Ton über ihre Beweggründe abzuzapfen, damit die Geschichte menschlich wird, aber keiner spricht eine brauchbare Sprache. Inmitten des Besucherstromes wird er an sein Ziel getrieben: Hallstatt. Das hat sich Leander immer anders vorgestellt, größer und erhabener. Dieses hier sieht aus wie ein Speckgürtel-Einfamilienhaus aus den späten 70ern. Die Asiaten besteigen nun frohlockend die Feuerwehrzille, die in einem billigen Schwimmbecken treibt. Katzenschläger hat kein Reisebudget, er wählt die billige Variante und geht zu Fuß direkt auf den „Ortseingang“ zu, vorbei an einem Dixie-Klo, vor dem sich eine lange Schlange geduldig wartender Hongkonger äh... schlängelt. Der geborene Österreicher hat Berge und einen tiefgrünen See in Erinnerung, aber das hier sieht eher aus wie eine Garage mit Alpen-Fototapete, ein wenig so wie die Klos im Railjet, riecht hier auch so, nur ist alles voller Souvenirshops. Katzenschläger sichtet das Sortiment. Leih-Dirndl, aus Papier ausgeschnitten, die man auf aus der Hüfte geschossene Polaroids von einem selbst kleben kann, für zehn Euro. Daneben ein Regal voller Joghurtbecher. In einem Anfall von Investigationsjournalismus lüpft Katzenschläger einen Vorhang, dahinter ertappt er Kinder, die Salz aus Straßenmeisterei-Großgebinden in schlecht ausgewaschene PET-Behältnisse füllen und billig kopierte Sisi-Bilder draufpicken. Als er ein Beweis-Foto schießen will, spürt er eine stählerne Faust in seinem Jungmännergenicklein. „Wos is, Puppi!“ dröhnt eine Stimme, und langsam dreht er sich um. Da steht eine seltsame Frau in zu enger Lederhose vor ihm, mit unentschiedener Haarfarbe und entschlossenem Business-Blick, sie sieht mongolisch aus, aber er möchte nicht rassistisch sein. „Bist du vo da Zeitung?“ sagt die Mongoloide, er nickt schüchtern und sie schlägt ihm auf die zarte Schulter. „I hob nix zum vabergn, kum mit, i bin de Bürgermeisterin von Hallstatt™!“

Die komische Frau zieht den Praktikanten ins Innere des Hauses, das ganz und gar vor Gästen wimmelt, es ist eng wie in einer Pfingstfreikirche. „Jo, vü san's scho, owa weng da Kurtaxe samma jetzt koa Obgangsgemeinde mehr!“, sagt sie, während sie sich durch die Menge drängt. „Am Omd san's eh olle wieda weg und wir Menschen im Salzkammergut haben die herrliche Natur wieder für uns!“ Katzenschläger schaut aus einem der schlechtgeputzten Fenster hinaus auf Erdhollerwolken und Efeumetastasen. „Endlich Oarbeitsplätze in der Region!“ sagt sie, und zeigt zur Küche, in der Frauen in ärmellosen Kleiderschürzen Faschiertes und Toastbrot in Mixer stopfen, eine gießt Ansatzkorn darüber. „Des is a Schmankerl aus der Region, der Hallstatt-Smoothie! Mogst wos? Oda a vegane Bowl, gaunz gsund?“ Die Bürgermeisterin zeigt auf die Gierschplantage hinaus, „brock ma da gaunz frisch!“ Der Jungjournalist verneint, er darf sich nicht anfüttern lassen, das haben ihm die Altspatzen in der Redaktion noch eingeschärft. Er nimmt seinen Mut zusammen. „Ah, Frau...“ „Meindl!“ sagt die Komische. „Frau Meindl, das … ah … ist doch nicht das echte Hallstatt“,

Junger Mann! Die Rede von Realität, Eigentlichkeit und Authentizität ist ein phallozentristischer cisheteronormativer Essenzialismus, der angesichts der komplexen Stabilisierungen postmoderner Identitätskonstruktionen...“ Ein Wimmern. „Sonst noch Fragen?“ Nein, dem Katzenschläger rinnen schon die Tränen über die kaum beflaumten Backen. „Gut, dann zeige ich dir jetzt unsere unique selling proposition, Welterbe! Das BEINHAUS!!!“ Willenlos lässt sich der junge Mann durch die Massen des Overtourism ziehen, hinab, hinab, hinab, eine Stiege nach der anderen, vorbei an leeren Bierkisten, verstaubten Fitnessgeräten, billigen Pressspankindermöbeln. Vor einem Bunker bleiben sie stehen, der Wächter nickt der Bürgermeisterin zu und tut den beiden auf. Im modrigen Dämmer und im Funzelschein einer fettigen Lavalampe kann Katzenschläger zuerst nichts ausmachen außer einem scheißlichen Geruch, und erst als sich seine nun tränenlosen Augen an das bisschen Licht gewöhnt haben, sieht er die vielen, vielen Hundekauknochen, die sich neben Ribiselmarmeladegläsern (Jahrgang 2001, Katzenschlägers Geburtsdatum) auf den Kellerregalen türmen.

Das Beinhaus. Angesichts der Endlichkeit menschlicher Existenz überkommt hier sogar einen Tatmenschen wie mich der Vanitasgedanke“, sagt Meindl, dann schnalzt sie mit der Zunge. „Wos is jetzt mid uns zwaa?“, Katzenschläger löst die Kameras von seinem Hals, lässt sie fallen, er legt seine schlanken Finger in die ausgestreckte schwielige Rechte der Bürgermeisterin. Seiner Bürgermeisterin.