Sonntag, April 18, 2021

Verwandle deine Frühjahrsmüdigkeit in negative Energie!

Rede beim Solidaritätscamp für geflüchtete Menschen, Alter Schlachthof Wels

Symboldbild "Allgemeine Müdigkeit"

Ihr guten Menschen, ich bin ein bisschen müde. Pardon, dass ich über mich rede, (ich bin ich kein türkiser Kanzler, dem das nicht peinlich wäre). Die Frage, warum es euch interessieren soll, warum ich müde bin, plagt mich deswegen.

Ich bin müde, zum einen, weil ich heute bald aufgestanden bin, um pünktlich bei euch zu sein. Vorher habe ich mich um mein Privatleben gekümmert, was einem angesichts des Anlasses unserer Kundgebung auch nicht froh macht. Die Zelte, die hier stehen, dienen doch eigentlich der Freizeitgestaltung, und doch haben sie ihre Unschuld verloren. Ihr werdet heute Nacht darin frieren, in den griechischen Elendslagern frieren die Menschen schon den ganzen Winter. Ihr wisst das, darum seid ihr da. Ob wir im kommenden Sommer ganz unbelastet in der Natur zelten können? Ziemlich sicher nicht. Und es ist unendlich ärgerlich, dass das so ist. Wir sollten uns aber dagegen wehren, uns ein schlechtes Gewissen machen zu lassen, diese Zeiten haben auch die meisten KatholikInnen schon hinter sich. Lasst uns doch kurz versuchen, unsere negative Energie dort hinzubündeln, wo sie die Richtigen trifft! Gerne dürft ihr euch jetzt auf eine Fantasiereise begeben und euch vorstellen, wie ein Strahl negativer Energie aus eurem dritten Auge herausgleißt und 200 Kilometer entfernt dem Kanzler ein Loch in die Arschbacke brennt. Es ist ja nur eine Fantasie!

Ich bin also müde. Zu meiner eigenen Unzufriedenheiten liegt eine Zeit hinter mir, in der ich mich mehrerer – für mich im Übrigen extrem schmeichelhaften – Anfragen, etwas zu den Mahnwachen beizutragen, entzogen habe. Mir kam es selbst wie unsolidarische Faulheit vor, es wunderte mich. Denn ich glühe an sich in meiner Ablehnung dieser schmerzbefreiten, scheißpopulistischen Haltung unserer Regierung beziehungsweise der rechtsextremkonservativen Mehrheit in unserem so heimatfixierten Österreich. Warum wollte ich nicht sprechen? Bin ich mir etwa unter der Hand selbst rechts geworden?!

Ich war einfach müde. Ihr kennt das Bild vom Pfarrer, der zum Chor predigt, anstatt die wahren Sünder zu züchtigen. Hätte sich ein Kanzler, ein Innenminister, ein Landeshauptmann, sein Vize, ein Bürgermeister angekündigt, heute hier dabei zu sein, ich hätte mich energisch in Pose, in den Frack geworfen, damit die auch einmal etwas Anständiges zu hören bekommen.

Ich war also einfach müde. Dann dachte ich nach. Wollen nicht auch die schmerzbefreiten, scheißpopulistischen Kinderabschieber und Balkanroutenschließer und Dünne-Deckerl-nach-Moria-Schicker einmal müde werden? Woher kommt die Energie dieser Grenzendichter und Asylrechtsverschärfer? Warum werden wir Gedichtdichter und AsylrechtsverschärfungskritikerInnen und Schriftstellerinnen so müde? Und das im depperten Kulturlockdown, wo wir doch eigentlich eh Zeit zum Brotbacken und Ausschlafen hätten? Es muss doch Kraft kosten, so offenkundig schlecht gegen Mitmenschen zu sein!

Eine besonders ermüdende, schmerzhafte Frage: Warum werden die Menschen, unsere Brüder und Schwestern, nicht müde, eine solche Politik zu wählen!? Man kann ja SUVs an sich laufend anprangern, aber die scheiß Teile werden halt gekauft wie warme Semmeln, das ist das Problem. Ich würde das so wahnsinnig gern verstehen, warum alle so überzeugt gegen ihre eigenen Interessen wählen. Was ist der Lustgewinn, wenn tatsächlich hart arbeitende Menschen ein korruptes Gschwerl wählen? Warum wählen die Arbeiter die FPÖ, und bitte, warum wählen Menschen mit Migrationshintergrund die Ausländervolksbegehrer? Warum wählen verwöhnte Ärztekinder mit steuerfrei geerbtem Einfamilienhaus eigentlich links und nicht türkis? Ok, das ist – zumindest aus meiner Sicht – das geringste Problem.

Ich bin einfach müde, aber das soll keine Ausrede sein. Folgender Vorschlag! 1. Matriarchat. 2. Konkrete, gemäßigte Diktatur, meinetwegen als Kunstprojekt: Der Bundeskanzler setzt sich in mein Büro, dort kriegt er nichts bezahlt, darf dafür aber wegen des Kulturlockdowns den ganzen Tag lesen und schreiben und Kaffee trinken und den Spatzen beim Streiten zuschauen, am Nachmittag kann er mir den Kompost auf die Beete schaufeln, das gehört schon längst gemacht, und er soll mir Notizen für die nächste Kundgebung schreiben. Ich übernehme einen Tag lang seine Geschäfte und schau mir an, woher diese Energie kommt, mit der er uns mit Message Control und Grenzfetischismus und Mindestsicherungskürzen so brutal auf die Nerven geht.

Ich will das verstehen!

Das ist natürlich alles müde Satire. Was ich euch ernsthaft sagen will: Danke, dass ihr nicht müde werdet! Danke an euch guten Menschen, allen voran dem zivilgesellschaftlichen Kollektiv ZiGe! Wir haben Platz!

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