Montag, März 23, 2020
Das Decamerone von Schönering. Romanbausätze für die Quarantäne
Dienstag, März 10, 2020
Smoothies from Hell
Es haben sich ja zuletzt sehr viele Themen zusätzlich zu dem unseren aufgedrängt. Welchem Mitteilungsdrang gibt man nach?
Diesem Corona-Meme, das grad im Internet viral geht? Ich bin leider so gestrickt, dass ich mich so schnell langweile, nach dem achten Hamsterwitz (wo krieg ich welche her, was sind die besten Rezepte) schläft mir der Schädel ein. Im Mittelalter wäre ich wahrscheinlich an der Pest gestorben, weil ich die Verlautbarungen des Innenministeriums nicht in der Mediathek nachgeschaut hätte. Dieser Nehammer geht mir außerdem so auf den Senkel, wie er so dasteht wie ein Heiligenstädter-Billig-Chuck-Norris und den besorgten Bürgern sagt, er werde „mit voller Härte gegen das Virus vorgehen“, und zwar so, dass er nötigenfalls die Viren, die vom Ausland hereinkommen, zwischen seinen breiten Kiefern zermalmen würde. Ist der deppert oder sind wir es? Ehrliche Frage!
Oder, wie schaut's mit der Gleichstellung der Geschlechter aus? Da haben wir noch einiges zu tun, am Vorabend des Frauentages! Zum Beispiel wird viel zu wenig Rosa verwendet, um auf die Bedürfnisse der Frau hinzuweisen. Viel zu wenig! Immer noch ist alles blau in diesem Patriarchat! Der Himmel, das Meer, unfair! Meine dringende Bitte an alle Chefredakteure und Medienmacher und an die Frauen selbst: Frauentehmen immer in ROSA!!!!! Sonst kennt man sich nicht aus.
Oder soll ich was darüber schreiben, dass an der Südostgrenze der EU grade Menschenrechte mit Soldatenstiefeln und den genagelten Glanzlackschuhen der scheiß Populisten getreten werden? Das wär' halt ein bissi was Ernsteres, da müsste ich schreiben, dass wir ALLE extrem von der Globalisierung des Kapitalismus profitiert haben, und hier dulde ich keine Relativierung, kein „ja, aber wir sind ja so tüchtig, und die unten so faul“, hier kann ich nur die bedingungslose Kapitulation unter das Faktum „Wir sind reich, weil sie arm sind“ akzeptieren, und dazu die logisch daraus folgende Tatsache, dass der Kapitalismus keine Waren in Bewegung setzen kann, ohne auch Menschen in Bewegung zu setzen. Dem noch nicht genug, herrschen halt immer noch Krieg oder die Taliban, und diese Ausländer sind so komisch drauf, dass sie sich nicht gern totschießen lassen oder in erbärmlichen Zeltlagern im Dreck verhungern (IN der EU!!) wollen, obwohl sie noch nie was in unser Sozialsystem eingezahlt haben, na hallo, geht’s noch.
Dieses Kurzsche Balkanroutenschließungsphrasengedresche, die Weigerung, wenigstens ein paar Frauen und Kinder aus dem Dreck zu holen, dieses rechtspopulistische Kleingeldschlagen auf Kosten der Menschenrechte – wehe irgendjemand von Ihnen geht mir mit einer anderen Meinung heute nach Hause – daraus folgt, dass es eine gewaltige Schande für Österreich, die UNO, die USA, die EU, die arsch Türkei und das gschissene Russland ist, was sich drei Flugstunden von hier abspielt. Wir sollten über unseren Wertekollaps in Panik verfallen! I want you to panic!
Was, Damen und Herren, kann denn nun eine menschlich wertvolle, zeitgemäß-humanitäre Reaktion auf das Elend in der Welt sein? Na? Was ist die Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit?
Richtig, gesunde Ernährung. Gesundheit ist so wichtig. Und es ist so wichtig besonders für uns Frauen, die wir ja schnell einmal zu blad sind. Damit sollte man sich in Zeiten wie diesen beschäftigen, denn um andere zu lieben, muss man zuerst auf sich selbst schauen.
Und weil ich IMMER eine Businessidee im Talon habe, präsentiere ich Ihnen hiermit mein Konzept des regionalen Smoothies! Smoothie, dieser groteske Kompromiss zwischen Speis und Trank, dieser Brei für Hipster und Biedermeier. Wenn man die Zutaten nicht in vollem Umfang im Haus hat, kann man ja in die Apotheke gehen und sich die Ingredienzien in homöopathischen Dosen kaufen, nur bitte Obacht, dann entfalten sie sehr starke Nebenwirkungen. Alles in die sauteure, extra zu kaufende Smoothiemaschine von Thermomix (345345€), einschalten, zermanschen, „genießen“. Spart viel Zeit!
"Bauer": Je 300g Schweinsbraten, Kraut, Knödel, Obstler
"Jaga": 2 Rehherzen und 10dl Enzian, dazu ein Ei, damit das Fell glänzt
"Prälat": zwei Kardinalschnitten, eine Handvoll Oblaten und ein halber Liter Messwein
"Ursche", inspired by Heidi Klum: eine halbe Flasche Prosecco, fünf Ritalin, eine halbe Packung Reiswaffeln und 200 g Diätgouda
„Stelzhamer“: 300g Antisemitismus, ein halber Liter Motorradschmieröl, 30 Seiten Landesverfassungsbericht über „Linksextremismus“
Gutes Gelingen!
Nein, so ein Scheiß. NOT IN MY NAME! NOT IN MY NAME!!!!!
Freitag, März 06, 2020
Ein Fresskünstler
In den letzten Jahren ist das Interesse an Fresskünstlern stark zurückgegangen. Während es sich früher gut lohnte, eigene Programmschienen für Esswettbewerbe einzurichten, ist dies heute völlig unmöglich. Es ist noch nicht lang her, da beschäftigte ein Fressgenie die ganze Stadt: das schärfste Curry, der gewaltigste Schweinsbraten, der längste Apfelstrudel. Steaks, so dick, dass es eigens gezüchteter Kühe bedurfte, eine hätte nicht gereicht für den riesigen Lappen Fleisch, den der Esskünstler vor den staunenden Massen zu verschlingen gedachte. An den Wänden der Restaurants prangte sein Kopf an der Wall of Fame, „Ein ganzes Pferd an einem Abend!“, Kinder drängten sich vor der Bühne, auf der er – innert einer Woche und bewacht von streng asketischen Veganern – einen ganzen Elefanten aß. Man wollte es gar nicht glauben, wieviel der Esskünstler vertilgen konnte, man fasste ihm ungläubig an den geblähten Bauch und wich glücklich erschrocken zurück, wenn er furzend sein Verdauungswunder zum Beweis brachte. Aus all den überzähligen, zur Zucht ungeeigneten oder im Alter falb gewordenen Tieren des Stadtzoos ließ er sich sein überwältigendes Wunschmahl zusammensetzen.
Ein Höhepunkt war der Verzehr eines ganzen lebenden Panthers, den in der Manege erst zu schlachten die besondere Herausforderung darstellte. Wie er die Großkatze mit bloßen Händen niederrang, mit den Zähnen im Genick totbiss, stundenlang fachgerecht zerlegte und innerhalb dreier Tage mit Haut und Haar aufaß, das muss als der letzte große Höhepunkt für den Esskünstler gelten.
Der Umschwung kam ganz plötzlich; im Fernsehen wurde das große Fressen höchstens noch als Pausenfüller in Privatsendern gezeigt, wie etwa der Verzehr der weltlängsten Bratwurst zwischen „Jung und verdorben“ und „Reife Frauen besorgen's dir ganz in deiner Nähe“.
Der Esskünstler mochte noch so viel essen, die Quoten nahmen ab. Er nahm seine wachsende Irrelevanz gleichmütig zur Kenntnis, trotz schwindender Zuseherzahlen aß er weiter, so viel wie nie zuvor in seinem Leben. Den ganzen Butterberg der EU, verendete Eisbären, falsch gekrümmte Gurken, Darmkeimsprossen, 33% des britischen Rinderbestandes, bulgarische Zugpferde. Er arbeitete ehrlich, aber die ganze Welt betrog ihn um seinen Lohn.
Eines Tages fiel einem Produktionsmanager von RTL2 der Esskünstler auf, der konturlos am Boden der Senderkantine lag und Fipronil-Legebatterieeier aß, eines nach dem anderen, dabei aber immer langsamer werdend. „Du isst noch immer?“ „Verzeiht mir alle“, hauchte der Esskünstler, „Gewiss“, log der Produzent, der seinen Zustand erkannte. „Immerfort wollte ich, dass ihr mein Fressen bewundert,“ sagte der Esskünstler, „ihr sollt es aber nicht.“ „Warum denn nicht“, fragte der Mann vom Privatsender, kaum vom Handy aufsehend. Der Hungerkünstler hob mit einer letzten Anstrengung den Kopf und kämpfte gegen das den Mund zuwuchern wollende Fett. „Weil ich essen muss, ich kann nicht anders. Weil ich nicht die Speise finden konnte, die mir nicht schmeckt. Hätte ich sie gefunden, glaub' mir, ich hätte mich daran schlank gefastet.“ Das waren die letzten Worte, die Bauchdecke des Esskünstler gab nach, mürbe geworden unter dem Druck der Jahre. Aber noch in seinen gebrochenen Augen war die feste Überzeugung, dass er weiteresse.
„Frau Dragica, nun machen Sie aber Ordnung!“ rief der Produktionsmanager, und man übergab den Esskünstler der Tierkörperverwertung. Es war eine Erholung, an seinem früheren Sendeplatz die Diätköche zu sehen, die Reiswaffeln mit fettarmem Gouda belegten und veganen Sandkuchen mit Stevia buken. Für die Zuseher war es nicht leicht, der Askese zu genügen, aber sie umdrängten den Fernseher und wollten sich nicht fortrühren.