Montag, Januar 28, 2019

Potpourri aus minderen Jänner-Erlebnissen

13.1.
Am Stadtrand von Innsbruck hat sich jemand viel Mühe bei der konsumkritischen Kommentierung von Plakatwänden gemacht; auf einer Werbung für ein Schigebiet steht groß, zweifarbig, mit Buntstift "SPORT IST NICHT ALLES!", und "DU KANNST DIR ZEIT NICHT KAUFEN" auf der Swatch-Wand. 

15.1.
Installationskunst in Mösern: 



Wir können die grotesken taxidermischen Landschaften (Alligator im Blumenbett) irgendwie gar nicht richtig perzipieren, weil das Dröhnen der Schlagermusik alle anderen Empfindungen dämpft. „Der singt, als wär' jemand hinter ihm her“, sagt die Frau neben mir. Schön aber die ganz aus dem Inneren herausstrahlende Jovialität der Wirten. Er stellt auch den kleinen Braunen so hin, als sei es die ortsübliche Portionsgigantomanie, und er schlägt dabei auch mir auf die Schulter, als stünde mir eine Herausforderung bevor: „Auf geht’s!“

17. 1.
Auf der Bühne würde ich diesen Witz nie bringen – aber die beiden jungen, dunkelhaarigen Männer am Innsbrucker Bahnhof sprechen so kehlig miteinander, dass ich ganz ehrlich lange für die linguistische Einordnung „IBK“ oder „Marokko“ brauche. Ganz sicher bin ich mir bis zum Schluss nicht.

19. 1.
Eine mir nicht näher bekannte Facebook-Freundin überrascht ihre Community mit der Mitteilung, sie wolle in diesem Jahr das Töten lernen. Im Kommentarteil sammelt sich das Erstaunen, erst am Ende die Aufklärung über das überlesene L. Wobei das „Tölten“ auch ein ausgeflippter Wunsch ist, imho.

20. 1.
Als Literaturwissenschaftlerin verbitte ich es mir streng, Michel Houellebecqs zunehmend selbstmitleidige Alte-Weiße-Herren-Prosa darauf zu reduzieren, dass er halt wirklich ein schiacher Haberer ist, aber echt.

21. 1.
Latenz: Man baut Chatbots extra eine kleine Verzögerung bei der Antwortgeschwindigkeit ein, damit sie ihre menschlichen „Partner“ nicht zu verstören. Das sag' ich dem nächsten, der mich stresst.



23. 1.
Miriam Hie erzählt dem fassungslosen "Experiment Literatur"-Publikum davon, wie sie 2004 von "News" zur zweiterotischsten Frau Österreichs erklärt wurde. Platz 1 ging an Mausi Lugner. Alle stöhnen vor Pein synchron auf wie ein Mensch. Stefan Kutzenberger sekundiert mit einem kabarettistischen Scheiterbericht, dass trotz medienfreundlicher Umbenennung seines Duos in "Juhann und Jod" zB in Vöcklabruck gar niemand gekommen sei. Ein Abend mit menschlicher Größe.


24. 1.
Beim anfangs ironischen Einüben von "Fang' das Licht" plötzlich vor Rührung ganz klein aufschluchzen, ganz ohne PMS.



25. 1.
Keine Rückläufe nach der Tombola des Grauens, die guten Menschen von Linz haben den ganzen Scheiß klaglos nach Hause getragen.


26. 1.
Jemand bestellt bei einem Besäufnis im Black Horse "a Stamperl Soda", für zwischendurch

Sonntag, Januar 27, 2019

Robin Kreuzpointner

Von Daniela Doofie

In einer sturmumtosten Nacht – Robin hat im Gramastettner Pub „Nordlicht“ zu viel Sturm getrunken – will der junge Narr noch mit dem Auto zum Granitfestival in Neufelden fahren. Obendrein mit dem Brathuhnanhänger seines Vaters. Udaungs göht er in der Reib' ab, stürzt in die hochwasserführende Rodl und wird fortgespült, während das gebratene Federvieh den Weg in die Volksfestbäuche verfehlt.

Der Vater hatte Robin noch mit eindringlichen und liebevollen Worten beschworen, sich nicht in Abenteuer und Elend zu stürzen. „Waust wida bsoffn foast, hau i da's Kreiz o!“ Schon ein Jahr zuvor war der törichte Sohn durch sein ungestümes Fortdrängen zum Urfahraner Jahrmarkt in Sklaverei geraten; nur durch das Glück der Wirtschaftskrise entließ man ihn von der Hochofenfron in der Voest.

Nun aber schwemmt es ihn durch die finstere Nacht wie eine Häusltschick, bei Ottensheim in die Donau hinein, in rasendem Sog durch Linz, Wien, Bratislava – und, als er schon fast meint, sein junges, dummes Leben aushauchen zu müssen, aufs offene Meer hinaus. Stundenlang treibt er dahin, Szenen fundamentaler Verlassenheit bieten sich dem inneren Auge.

Doch schließlich: Zerfetzt und zerrissen, getauft wie eine Maus schleppt sich Robin an den Strand. Als er sich umsieht, bemerkt er, dass er auf einer Insel gelandet ist, mit nichts als drei angeschnäuzten Taschentüchern, einer Packung Extasy, sieben Marlboro und den Hühnerleichen im Anhänger.

Den zieht er mit der Kraft der Verzweiflung und der Pillen an Land. Weil er schon so im Hackeln ist, baut er sich ein schönes Einfamilienhaus drumherum, typisch Mühlviertler halt; mit Infrarotkabine und Carport. Da sitzt er und ritzt jeden Tag einen Strich an die Küchenwand. Es sind viele, leider vertut er sich immer wieder beim Umrechnen der Striche in Zeit, deswegen helfe ich, die auktoriale Erzählerin: Schon sieben Jahre sitzt er auf der Insel fest. Aber nicht untätig. Mit großem Geschick baut er den Hühnergrill in ein Landgasthaus mit Hergottswinkel und Kegelbahn um. Und weil Routine alles ist, umgibt er den Dschungel, seinen Rohstofflieferanten, mit einem Lagerhaus, in dem er wochentags von 9 bis 18 Uhr einkaufen kann.

Freilich baut er auch ein Steinmarterl an seiner Landungsstelle, dort, wo er den endgültigen Tod seiner Hühnchen festgestellt hat. Mit der Zeit baut er aus dem Marterl eine Kapelle, dann eine Kirche, schließlich schnitzt er eine Kopie des Kefermarkter Flügelaltars hinein.

Und doch ist Robin traurig und einsam. Trotz großer Mühen mit der Brauerei kriegt er kein gutes Freistädter Ratsherrenbier hin. Das schlägt ihm aufs Gemüt. Inzwischen summieren sich seine Striche in der Küche schon auf 23 Jahre. „Wa i do nua dahoam, do kinnt' i in Pfrühpension geh!“, weint er innerlich. Da! Ein Laut vom Strand, der so klingt wie Robins Seele klagen würde, wäre sie nicht in so einem knorrigen Leib drin.

Robin eilt hin, dort liegt, von der Gischt angespült, ein Wilder; Robin schüttelt und spricht ihn sachte an: „Hötaus! Wo hodsn di heagschwoabt?“ Als der wilde Rumänenbub endlich die Sprache wiederfindet (er kann relativ gut Deutsch, das können dort unten alle, weil sie ja nur darauf warten, das Werkl im Westen zu übernehmen), da erzählt Montag, so nennt ihn Robin, dass er vor seinem bösen Volk flieht, das wolle ihn zwingen, Mitglied einer Ostblockbande zu werden.

Robin nimmt Montag unter seine Fittiche, das ist die Ablenkung, auf die er so gewartet hat. Er lehrt ihn das Kegelscheiben, das Bratl mit Kruste, das Tarockieren und das Brennen des Sauhäuternen. Montag wiederum bekehrt den Ungläubigen Robin zum Atheismus. Und dann kam auch noch die Liebe dazu, es war sehr schön für die beiden; wer hätte das gedacht, dass der Robin vom anderen Ufer ist.

Und so waren sie lange fröhlich, bis es ihnen zuviel wurde und sie nach Gramastetten heimkehrten. Dort wurden sie zwar wegen der Homosexualität gehänselt, sie trösteten sich aber mit Gramastettner Krapferl, Schlägl Kristall und den Annehmlichkeiten des Sozialstaates, dank dessen sie zuerst eine neue, sauteure Keramikhüfte bekamen und schließlich friedlich im Bezirksaltersheim entschlafen durften.

Samstag, Januar 26, 2019

Gundulas Reisen

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Die Reise zu den Zwergen

Mein Vater besaß ein Landgut nahe der jakutischen Grenze, und ich war unter seinen vierzehn Töchtern die vierte. Als ich 16 war, schickte er mich in die Hauptstadt in ein Reisebüro. Ich will dem lieben Vater keine Widerworte in sein kühles Grab nachschicken, aber wie blöd war das denn in Zeiten des Internets, da hätte er mich gleich in der Videothek arbeiten oder Philosophie studieren lassen. Da ich aber die Welt, die ich vergeblich zu verkaufen suchte, mit eigenen Augen sehen wollte, machte ich mich auf in den Westen und heuerte auf der MS Bulguri an, als Kinderkreuzfahrtsanimateurin auf dem Schwarzen Meer. Ich will ich nicht unsere Dramen aufzählen, von Lactoseintoleranz bis Hochbegabung, sondern nur berichten, dass sich am 26. Jänner 2032, just in dem Moment, als wir vom Donaudelta in Richtung Goldküste ablegen wollten, eine gewaltige Naturkatastrophe zutrug: Das Magnetfeld der Erde drehte sich, Nord- und Südpol tauschten Platz, in logischer Folge wechselten auch alle Flüsse ihre Richtung.

[WHAT! Buttinger, das ist MEINE Geschichte! Fuck Naturwissenschaft!]

Obwohl die Heizer unseren Maschinen alles abverlangten, konnten wir es nicht verhindern, die Donau hinabgesaugt zu werden. Hinein in das dunkle Herz Europas! Niemand war mehr dort gewesen, seit die Balkanroute von innen geschlossen ward. Das Schiff versank in Panik. Am Donauknie zerschellte es, bis Bratislava konnte ich mich an der Hüpfburg festhalten, dann schwanden mir die Sinne.

Im Morgengrauen erwachte ich. Grundgütiger!, erschrak ich, die Havarie hat mir das Rückgrat zerschmettert!, da ich meine Extremitäten nicht zu bewegen vermochte. Es dauerte, bis ich erkannte, dass man versucht hatte, Arme und Beine mit filigranen Kabelbindern zu knebeln. Ich hörte ein verworrenes Getöse um mich, und als ich die lächerlichen Bande gesprengt und mir den Sand aus den Augen gerieben hatte, erkannte ich eine Horde kleiner, aufgebrachter Männer rund um mich toben. Bald verstand ich auch, was sie in Chören schrien: „Pro Border! Abschieben! Abschieben!“

Es war so erschreckend wie amüsant, ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Da trat einer an mich heran, ein ganz besonders zarter, grauer Mann. Sieh an, dachte ich, im Inneren dieser Wilden muss es eine verborgene Zartheit geben, machen sie doch den geringsten unter ihnen zum Anführer. Der richtete das Wort an mich. „Ich bin der Meinung, dass sich das Fremdenrecht dem Volkswillen beugen muss!“ Da wurde ein Glockenton hörbar, der Liliputaner führte seine Hand ans Ohr. „Ok, Kanzler, dann halt nicht so scharf, mir ist's wurscht“. Dann wandte der Zwerg sich wieder zu mir: „Wir prüfen deinen Fall! Bis dahin wirst du konzentriert angehalten. Fang' bloß keine Lehre an in der Zwischenzeit!“ Das Heer der winzigen Uniformierten fiel wieder in seine dumpfen Gesänge.

Es wurde Mittag, endlich labte man mich mit einem würzigen Brei, den man in Kanonen zubereitete. Meinen Durst löschte ich mit dem brackigen Donauwasser. Als ich meinen Kopf hob, stand ein etwas größerer Winzling vor mir, der – meine Annahme einer besonderen Rücksichtnahme Versehrter gegenüber bestärkend – sich auf einen Stock stützte. „Na da schau her, Besuch!“ sagte er, in weitaus milderem Ton. „Ich hab Besuch so gern!“ „Nicht so lieb sein,“ kläffte der kleinere Kleine, aber der Größere plauderte munter mit mir weiter, erzählte mir allerhand über die Sitten des Landes, dass man etwa jahrelang Raketen in die Luft geschossen habe, da die garstigen Nachbarn mittels Flugzeugen versucht hätten, das Volk der Kurzen mit Autismus und Unfruchtbarkeit zu infizieren. Dass man in der Isolation sehr glücklich sei, keine Fremden könnten ihre Messer mehr in die Leiber der Frauen stechen, freilich sei das kurze Volk nun mit dem einen Nachteil geschlagen, dass die Körpergröße der Neugeborenen zuletzt rapide abgenommen habe. Der redselige Stockträger berichtete mir auch vom Brauch, die Toten in der Erde zu vergraben, damit sie daraus wieder hervorwachsen könnte, sobald der große Zauberer das Zeichen für das Ende gibt, die Umkehr der Flussrichtung sei ein sicheres Zeichen dafür. Das alles faszinierte mich, und doch war mir nicht behaglich.

Plötzlich stand ein Männlein vor mir, in ein ganz enges Wams geschlagen, das Haar von zwei Ohren gebändigt, und es erhob eine unschöne Stimme. „Es kann nicht sein, dass hier in Wien die Fremden den ganzen Tag am Strand liegen, während wir unsere Leistung erbringen...“ „Geh waaßt wos, geh scheißn“, sagte ich, erhob mich und machte mich zurück auf meinen langen Weg in die Zivilisation.

Freitag, Januar 25, 2019

HEROIN FÜR ALLE!

Zum aufgeklärten Neo-Absolutismus

Die Bundespräsidentin empfängt im Smaragdsaal der Gugl. Wo vor ihrer Ära Nazirocker die Massen verführten, finden heute jeden Sonntag die Offenbarungsdienste der Sonnenkönigin statt, die in alle Welt ausgestrahlt werden. Meindl, gesundheitsbewusst wie immer, lässt sich einen Becher Schlägl Kristall reichen, bevor sie sich dem Interview anlässlich ihres 90. Geburtstags stellt.

Spatzenpost: Frau Präsidentin, überrascht es Sie, längstdienende Despotin der Weltgeschichte zu sein?

Nein, denn meine gemäßigte Diktatur ist getragen vom Willen des Volkes und Gottes Gnaden. Da tritt man nicht gleich wieder ab, weil die Work-Life-Balance nicht stimmt.

Ihre Amtsübernahme ist Schulstoff, aber was sind Ihre persönlichen Erinnerungen an den Herbst 2018?

Nie werde ich den Anruf Matteo Salvinis vergessen, in dem er mir den Krieg canceln wollte. Er sagte, sein Berufsheer sei nicht feldtauglich, weil alle entweder auf Sabbatical oder im Burnout seien. Die ganze Frecce tricolore habe Bandscheibenvorfall. Du Stronzo, schreie ich, wie stellst du dir das vor, ich will einen Meereszugang! Dabei war ich selbst froh, mein eigenes Heer war auch in einem verheerenden Zustand: Ständig die Anrufe der Mütter, ob der Gefreite Finn Leander eh glutenfreien Zwieback im Tornister habe. Ob Yannick-Homers starke Ragweed-Allergie beim Feldzug berücksichtigt werde. Furchtbar.

Wie ist Ihnen dann der erste von vielen erfolgreichen Feldzügen gelungen?

Pass' auf, sage ich zum depperten Italiener, wir sind beide Oberhäupter unserer Streitkräfte, also ziehen wir auch selbst in den Krieg! So kam es zum Kampf am Brenner. Der Faschist war ja auf dem rechten Auge blind, weswegen ihn meine linke Grade getroffen hat wie ein Eisenbahnunglück. So ist das dann dahingegangen, Staat für Staat. Ich war damals wirklich ziemlich fit. Drum müsst ihr Jungen jetzt in Geographie keine Länder mehr lernen.

Ihre erste Amtshandlung war aber nicht beliebt.

Stimmt, weder die Prügelstrafe für das Aussprechen von „im Endeffekt“ oder „lecker“, noch die Sprengung sämtlicher BMW X6. Weiß heute keiner mehr, wie die schiachen Trümmer aussahen. Mich haben die schon vom Draufschauen aggro gemacht! Als ich dem Volk nur 30 Minuten Handyzeit pro Tag erlaubte, dachte ich, ui, jetzt werden sie mir rebellisch! Dann die Erlösung: Grundeinkommen für alle, Existenzmaximum für die Gstopften.

Was eine Kapitalflucht zur Folge hatte.

Ja, aber nur kurz. Ich bin dem Geld mit der eigenen Faust nachgelaufen. Die USA hab' ich mir absichtlich bis zum Schluss aufgehoben. Weil mir hat der Hansi Orsolics, bei dem ich das Boxen gelernt habe, gesagt: Pass' auf, der Trump nimmt in der zweiten Runde die Deckung runter. Wie dann das ganze Beutegeld sich in die USA geflüchtet hat wie Flöhe auf die Schnauze eines badenden Hundes...

Ein liebes Bild, Frau Präsidentin!

Goi? Kaum ist der Gong verhallt, senkt der Ami-Dickbär seine Fäuste und hat – zack! – meinen Jab im Guck. Wie er aufwacht, hat er reklamiert, das ist unfair! Es hat noch gar nicht gegolten! Aber der Ban-Ki-Moon, der Referee, sagt: Doch, das gilt, ich bin World-Champion. So war das.

Wieso haben Sie dann ausgerechnet Linz als Regierungssitz ausgesucht? Das war doch 2019 ein verträumtes Fischerdorf!

Gute Frage. Mir war Berlin zu hip, Paris zu gspritzt, Wien zu gebacken, Kuala Lumpur zu schwül. Linz war aber wirklich fad, so um 2020. Die Bevölkerung ist mit Lederhosen oder um den Hals geschlungenen Pastellpullis herumgelaufen. Unvorstellbar! Keine Geisteswissenschaftliche Uni, kein Boxstadion, nicht einmal eine Quantenschleuder. Aber ich habe die Herausforderung erkannt!

Nächste Woche werden Sie 90, freuen Sie sich schon?

Ohja. Endlich in den Genuss meiner liebsten Reform zu kommen – Fairtrade-Heroin für alle, die es bis zum 90er schaffen – das war mir wirklich Anreiz zur Langlebigkeit!

Wir danken für das Gespräch!

 

Samstag, Januar 19, 2019

Kanäle für die Pein. Quick Wins im neoliberalen Bullshit Bingo

Der Roman, an dem ich "schreibe", hat in meinem Leben meistens nur den Sinn, die Arbeit an allem anderen zu ermöglichen. Manchmal kann ich damit aber selbsterlebte Pein verarbeiten. Im Vorjahr etwa durfte ich einem famosen Kollegen eine Laudatio halten, allerdings erst nach Erleiden eines Motivations-Vortrages von einem "Keynote Speaker". Vergangene Woche musste der Motivator von seiner Funktion zurücktreten, weil er mit einer Zeile aus einem SS-Lied im Werbeheft zum Burschenbund auffällig worden war. 

So geht nun also die entsprechende Passage aus dem Roman:

"Routiniert bedient der Redner die PowerPoint-Präsentation. Sie zeigt ihn selbst beim Triathlon, er spricht über Motivation und Schmerz. Das nächste Bild zeigt eine Bergschlucht mit weichgezeichnetem Fluss. Als „Werte erzeugen Emotionalität“ eingeblendet wird, erkennt Johanna, dass der Alumnimann beim Versprechen, er werde sich kurz halten, denn es hätten bestimmt schon alle Appetit, einen zynischen Scherz gemacht hat. „Markenkern ist essenziel“ steht nun über einer modernen Powerpoint-Wohnlandschaft aus Sichtbeton. Immer größer wird Johannas Sorge, dass ihre innerliche Pein sichtbar werde und hat Angst, die Kontrolle über ihren Körper zu verlieren, sie stellt sich vor, dass er gleich von selbst aufsteht, den Tisch umwirft, den NLP-Jünger dermaßen anbrüllt, dass er sich eine Tröpfeninfektion holen könnte, und sich draußen beim Büffet mit beiden Händen Bratenschnitten ins Maul schiebt. Johanna würde gern ein wenig weinen, nur ganz still. „Die Jugend ist auf der Sinnsuche: Traditionen ist wieder cool“ blendet der Redner ein, er berichtet von der „schönen Entwicklung“, dass jetzt wieder alle Maturanten Tracht trügen. Am Gipfelpunkt des Auseinanderklaffens von Innen- und Außenleben fällt Johanna erst auf, dass ihr Nachbar dieselben mühsam unterdrückten Symptome der Empörung zeigt. Er wechselt die Sitzposition, als brenne die Haut auf seinem Hintern. Er atmet unregelmäßig. Beim Stichwort „Ich komme zur Zusammenfassung: Was sind die Quick Wins?“ neigt Johanna leicht den Kopf in seine Richtung. Er kommt ihr entgegen, hebt die Handflächen nach oben. Er flüstert ihr ins Ohr. „Haben Sie auch Angst, im Sterbebett an Momente wie diesen zu denken?“ Johannas Körper lacht grunzend, und weil ihr ohnehin schon alles peinlich ist, dreht sie sich zum und fragt den Hintermann flüstern, ob er mit ihr durchbrennen wolle, „spätere Heirat nicht ausgeschlossen.“ „Ich bin zu aufgewühlt für große Entscheidungen“, flüstert er, „aber brennen wir einmal bis zur Saftbar miteinander durch.“

Donnerstag, Januar 10, 2019

Bronchialhumor

Wenn ich das Ohr an die Brust des Menschen lege, den ich besonders gut kenne, klingt es beim Einatmen wie faule Frauen beim Geschlechtsverkehr, beim Ausatmen wie wimmernde Seelen im Fegefeuer. 
Ich denke, das ist eine gute Mitteilung, um ins neue Mitteilungsjahr zu starten. 
Gruß, Meindl