Lebenskrimskrams
im Mai 2024
1.5.
MAUER
Der
Maibaum steht schon, als wir leicht verkatert zum Kirtag
trudeln. Er ist sehr klein, man würde ihn bei einem
Besteigungsversuch knicken, man könnte ihn alleine stehlen und in
einem Kombi heimbringen. Aber hier in Wiens Bio-Speckgürtel wird man
von so derben Bräuchen ohnehin Abstand nehmen. „Von denen sind
drei im nächsten Jahr nicht mehr dabei“, sagt G. angesichts
der hochbetagten Bandltanzpaare. Ein Megaphon kracht. „Achtung,
eine wichtige Durchsage! Die Hüpfburg darf ab 12:30 Uhr auch von
Erwachsenen benützt werden!“ Sie hat vier Zwiebeltürme, sie sieht
aus wie eine kleine, lila Alhambra, eigentlich eine sehr lustige
Verdrehung der in diesen breiten stark memorierten
Türkenbelagerungen.
Später
jausnen wir die Festreste auf und unterhalten uns über den
Apex-Killer von Freundschaften: Knausrigkeit. Nichts degradiert
jemanden schneller vom Freund zum Bekannten. Alle haben wir Anekdoten
zu bieten, die
abmontierten Stromschalter und die auf das Cent verrechnete Obst, das erhöhte Kilometergeld wegen schnellen Fahrens im
deutschen Premiumprodukt, vorgetäuschte südamerikanische
Leberleiden der Mama, von den Alimenten abgezogene Geschenke... Der
Mensch ist schiach, wenn er sich nicht bemüht.
Heimfahrt
in Birgits sterbendem Auto. „Bitte nicht auf den Fensterheber
drücken, sonst geht die Scheibe nie wieder rauf! Auch die
Klimaanlage ist kaputt!“
***
Im
Traum begleiten Coala und ich Mama auf einen Ausflug nach Sachsen.
Sie will Fürstenschätze sehen, aber leider vertrödle ich unendlich
viel Zeit, weil ich eine Kletterkarte o.Ä. kaufen will.
2.5.
Die
Zahl der Chill-Plätze rund ums Haus steigt, und damit auch die
Arbeit daran (heute: Schlafzimmerbalkon).
***
Am
Strand treffen wir einen Terrier namens Gwendoline, die auf der
Saualpe nicht mehr sie selbst war, weil ein Wolf vorbeigeschnürt
sein muss. „Der Terrier ist nicht stur. Er sagt: Wenn du mir gibst,
was ich will, kriegst du, was du willst!“
***
Ein
Tag recht glücklichen Werkens, ohne schlechtes Gewissen wegen des
Büroschwänzens, weil es morgen eh schiach wie der Zins wird. Wieder
ein Gefecht gegen die Entropie geschlagen, im Keller, am Balkon, im
Wohnzimmer, am Dachboden. Emsiges Verteilen von Materie, von außen
betrachtet sinnloses Treiben.
3.5.
Ereignisloses
Tippen im Büro, wie nebenbei erledigt sich auch noch die
Einkommenssteuer, es ist eine komplexe Regulationsmaschine der
Prokrastination, die mich irgendwie durchbringt durch meine chores.
Nächstes Jahr bin ich dann endgültig bereit, Steuern zu zahlen.
Im
Wasserwald. Eine zuvor bewegt wirkende Dame bleibt bei jedem Satz
stehen, und sie hat sehr viel zu sagen, über Photovoltaik und
Wärmepumpen, ist denn nirgends Asyl vor diesen Themen zu finden?! Es
regnet, sie spricht. Ihr Mann und ich drehen uns ungeduldig zu ihr
um, wenn er schön gewesen wäre, hätte ich ihn mit nach Hause
genommen. Rätselhaftes Individualbrauchtum.
4.5.
Ein
sehr schönes Porträt erscheint in der Presse, auf dem ausgewählten
Bild monstert Fini einen Hundepassanten an (ich erinnere mich, es war
ein auffallend hässlicher Hund), auf dem Foto sieht man, wie ich
mich geniere für meinen Flegel. Die einzige Korrektur, sage ich zu
Buttinger, beträfe den Satz „lange Zeit war sie
Lokaljournalistin.“ „Wieso, zwei Jahre sind eh lang genug.“
True!
5.5.
Auf
dem Jägersteig hinauf zum Seespitz, ich habe mich von Warnschild der
Gemeinde ein wenig in Sorge jagen lassen („Auch erfahrene
Bergsteiger mussten hier schon mit dem Hubschrauber gerettet
werden!“). Irgendwo in der Hälfte kommt mir eine etwa 70-jährige,
eh ganz fitte Frau entgegen, sie ist etwas verärgert, weil der Weg
gar so schlecht angelegt sei, vor ein paar Minuten habe sie umdrehen
müssen, weil kein Steig mehr zu sehen gewesen sei und sie nicht wild
durch die Schrofen stapfen wollte. Ich versuche, mir nicht anmerken
zu lassen, dass sie Crocs an den Füßen hat, da sagt sie selbst, sie
habe sogar die Schuhe ausziehen müssen, dreimal sei sie beim Abstieg
ausgerutscht! Ich sage, ich würd's mir vorsichtig anschauen und dann
natürlich ihrem Beispiel folgen, wenn es zu ausgesetzt ist. Ich
verabschiede mich und steige zum Gipfel, ohne recht gecheckt zu
haben, welche Stelle sie so aus dem Konzept gebracht hat, aber ich
trage ja auch feig gute Wanderschuhe.
Oben
auf der Dümlerhütte sagt die wirklich sehr freundliche Kellnerin,
es mache ihr nichts aus, dass ich nur so peinlich wenig Trinkgeld
geben könne, „ich mach's ja gern!“ Kurz überlege ich, ob sie
mich verarscht (verdient!), aber sie lächelt.
6.5.
Der
JASMIN BLÜHT!!!! Wahrscheinlich ist er erstmals in seiner
phylogenetischen Entwicklung so bald im Jahr dran.
***
Unfreiwillige
Feuerwehr
***
Man
kann eigentlich nicht schlecht gelaunt von der Fähre kommen.
Ottensheim gewinnt natürlich jeden Wettbewerb gegen Wilhering, nur
unsere Ufer sind besser.
Gramastetten.
Zwei Stunden lang der große Himmel über Lichtenhag.
Später,
bei der Lesung, frage ich ins Publikum, mit wem ich hier aller
verwandt sei, es melden sich erstaunlich wenige. Im Glückskeks, das
man mir sinnigerweise zur Deko auf den Tisch gelegt hat, steht noch
sinniger „Verliere dich nicht in Selbstzweifeln. Du machst deine
Sache gut.“ Wir sind alle gerührt. Und man kann eigentlich nicht
schlecht gelaunt aus einer Bücherei gehen.
7.5.
Stichwort
„Geusenname“: So wie beim N-Wort dürfen sich künftig nur noch
Leute über die woke cancel
culture
oder die Generation Schneeflocke lustig machen, die verbrieft nicht
deppert bzw. antifeministische Privilegienhorter sind.
Sprachpolizisten, Leitkulturgeier, bürgerliche Feuilletonisten
dürfen explizit nicht.
***
Kurz,
nachdem der Leckorter wieder gegangen ist (übrigens ergebnislos),
lese ich in der ZEIT von der Arbeit eines Penetrationstechnikers (er
bricht auf Wunsch in der Firmen ein).
***
Träfe
ich einen Mann im Wald, würde ich ihn fragen, wo er hinwill um diese
Zeit so ganz allein und ihn dem Schutz meiner starken Fäuste
anempfehlen, damit er sich weder vor Bären noch vor lüsternen
Frauen ängstigen muss.
***
Neue
Gaben der Donau: sehr kleine Ballerinas, abgestellt wie von einer
verzweifelten Dame, die ins Wasser gegangen ist. Daneben eine sehr
große, luxuriöse Luftmatratze.
***
WIEN,
Literaturhaus, „Freiheit des Wortes“
Daniel Wisser liest einen sehr guten
Text über das furchtbare Wüten eines Gewitters im historischen OÖ,
ein Blitz hat in das Gramastettner Wegmacherhäuschen eingeschlagen.
Eine
winzige, alte Frau nachher: „Und de Linzerin? Kummt de aa mid?“
8.5.
Intensives
Herumräumen, sonst nicht viel. Die anderen scheinen auch alle nicht
zu hackeln.
9.5.
Die
tolldreisten Spatzen werfen jetzt immer die Futterlade zu Boden. Ihr
werdet schon sehen, was ihr davon habt! (Eine neue Variante der
gebissenen Fütterhand)
***
Im
Wasserwald erzählt mir ein Typ, er sei einmal NATO-Soldat gewesen,
deshalb könne er so gut Gleitschirm fliegen – um das Preisgeld bei
einem bayrischen Wettbewerb habe er seinem Hund künstliche
Hüftgelenke gekauft. Ich hätte ihn sonst eher für einen Hackler
gehalten, u.a. Weil er ein halbes Jahr in China vollautomatische
Lagersysteme installiert und sich das falsche Hallstatt angeschaut
hat („das ist super gebaut!“), aber er sei verwandt mit Rosamunde
Pilcher und über 17 Ecken mit Ludwig II. - sein Stammhaus liege
gegenüber Neuschwanstein. Er bewirtet Fini und mich auch recht
großzügig auf der Picknickdecke.
11.5.
BAD ISCHL
Es
ist früher Vormittag, als wir mit 3,5 Flaschen Prosecco in sechs
Birnen aus dem Zug torkeln. Es zeichnet sich früh ab, dass wir die
Kulturhauptstadt höchstens mäandernd konsumieren werden.
Stattdessen: Zauner, Gmundner Fischkeramikkauf, Spielplatz,
Siriuskogel, Eis, Blaumeisensocken und Bier am Esplanade-Würstelstand. I. quatscht im
Kurpark LH-Altspatz Pühringer an, vergisst aber, ein Selfie mit ihm
zu machen.
All
die verwitterten „Sinneswege“ und „Kulturpfade“ dieser Welt
Beim
Heimfahren dann sehr große Aufregung, weil wir mit unserem
Gruppenticket nur in Pemperlzügen fahren dürfen, dafür zwängen
wir uns alle in ein viel zu kleines Abteil und beraten panisch
schnatternd, was wir dem ÖBB-Personal zu unserer Verteidigung
vorbringen – lügen oder weinen? Enttäuschung in
Attnang-Puchheim, weil wir gar nicht kontrolliert werden.
***
Überall
sind in dieser Nacht Nordlichter zu sehen, nur in Wels nicht. Grieve
of missing out
12.5.
Gamsplan & Hohe Nock
Es
braucht viel Erwachsenen-Power, um im Stau nicht auszuflippen. Oder
kann ich das nicht mehr so gut wie früher? Dabei war's ein
tadelloser Tag!
Hoffentlich
habe ich nach diesem Wochenende genug Sitzfleisch für den
Wiedereintritt ins Arbeitsleben.
13.5.
Leider
nein. Muss aber ohnehin zum Zahnarzt, da ist der Tag schon durch
einen Termin zerrissen und nichts zahlt sich vorher und nachher noch
aus (dabei dauert er 27 Minuten, in denen gar nichts gemacht werden muss). Der Doktor und seine Mitarbeiterin lachen über meine
Karl-Nehammer-Imitation so herzhaft, dass ich den günstigen Rechnungsbetrag auf einen Entertainment-Rabatt zurückführe.
Jetzt
bin ich in ein Alter gekommen, in dem man mich vor dem Röntgen nicht
mehr nach einer möglichen Schwangerschaft fragt.
***
Jetzt
bin ich in ein Alter gekommen, für das ich eh noch ganz gut
beinander bin.
***
Die
Grauammer („Tier des Monats“ im oö. Kulturbericht) ist auch
deswegen fast ausgestorben, weil ich sie bisher ignoriert habe, so
wie Flugzeuge abstürzen, wenn man sie nicht mit Gedankenkraft in der
Luft hält.
14.5.
Die
zweite Auflage ist da! (Damit ich hier nicht immer nur über
Hundescheiße und vertändelte Tage schreibe). Als Bodo Hell anruft,
tusche ich gleich ein wenig damit an. Ihn frage der Verlag bei jeder
Neuauflage, ob er nicht etwas dazuschreiben könne, es müsse nichts
Weltbewegendes sein, nur damit der nächste Bogen vollwerde. Er könne
ohne Weiteres morgen Julia Josts Fragen beantworten und umgekehrt, er
kenne sie zwar noch nicht, aber das mache nichts. Ganz kurz überlege
ich wirklich, ob das nicht ein sehr guter Spaß sei.
***
Am
Strand bei Fall lässt sich der Klimawandel wohl aussitzen, auch wenn
es nachher in allen Ritzen knirscht.
Sich
selbst beobachten wie in einer ORF3-Doku („Die Sommer sind kurz für
DM“, „nur einmal am Tag hat DM genug Kraft zum Schreiben“).
15.5.
Man
soll sich – sofern man sein Leben so weit im Griff hat – im Leben
nur noch mit Leuten wie Bodo und Julia umgeben. Seine love
language
sind edle Mitbringsel, heute bekommen wir Meisterwurz-Ansatz von
seiner Grafenbergalm, und Bodo entschuldigt sich noch bei allen, die
keinen bekommen haben. In einem noch besseren Leben als dem
derzeitigen gehe ich mit den beiden wandern.
Julia
nimmt gern mein
zweites Exemplar von Bodos „Begabte Bäume“, damit sie die 2. und
3. Auflage auf die Mini-Änderungen absuchen kann wie in einem
Doppelsuchbild. Von
den 37 vorbereiteten Anmerkungen und Fragen brauche fast nichts, weil
die beiden Notizen machen, während der jeweils andere liest und
einander dann über spezielle Kuhrassen und anderes ausfragen. Eine
ideale Arbeitssituation. Zu fleiß sprechen wir nicht über die
Queerness im Karawankenzahn (Radisch hatte darauf mindestens fünfmal
hinweisen müssen). Die Hauptfigur will halt einfach kein Mädchen
sein, das ist doch nicht schwer zu verstehen.
Hasi
erzählt von einer neuen Vogel-Erstsichtung. Den Namen habe ich vergessen,
aber der Vogel flicht jedes Jahr ein Nest in die Weiden des
Hàncsag-Sumpfes, das aussieht wie ein wolliges Einkaufsnetz. Die
burgenländischen Bauern hätten es früher entzweigeschnitten und
als Schlapfen verwendet. Ich glaube, er schwindelt mich dauernd an,
und ich weiß das sehr zu schätzen. Wie auch der Bericht, dass die
Schnabelöffnung der Kuckuckskinder jener der bevorzugten Wirtskinder
ähnle (des Weidenrohrsängers?), die das falsche Küken soeben aus
dem Nest geworfen hat. Ganz weg ist Hasi wegen des Timings beim
Ei-Unterjubeln, da die Vogelmütter ihre Brut maximal 30 Sekunden im
Stich lassen, um sich vor Angreifern zu schützen. Mit ihrer
gesperberten Brust täuscht die Kuckucksmutter vor, ein Greifvogel zu
sein, und sie scheißt dann das Ei regelrecht ins fremde Gelege. Es
sei schon schwer, die Annahme eines intelligent
designs
abzutun.
Bodo
wird uns alle überleben, und daran ist nichts Falsches. (Ich tippe
das im November und bin sehr, sehr enttäuscht von meiner
Prophezeiungsgabe – immerhin literarisch stimmt's aber).
16.5.
A.
ruft an, um mir etwas über die Vorgeschichte meiner Moderation beim
Literaturfest zu erzählen. Der ging ein Shitstorm voraus, den ich hier in meinem
Provinznest gar nicht mitbekommen habe. Eine Autorin
cancelt ihren Verlag, weil der sich nach dem
7. Oktober nicht mit den Palästinensern habe solidarisieren wollen, nur mit
den Opfern des Massakers. Nach einigem Für und Wider ziehen die Veranstalter die Anfrage zurück (in einem mit
höflichem Bedauern formulierten Schreiben). Die Autorin
antwortet nicht direkt, sondern maximal eskalierend und imho extrem
selbstgerecht auf Insta. Sofort hat sie 5000 Follower mehr und die Veranstalter den Scherben auf, inkl. „Kindsmörder“ und dem
Vorwurf der „Genozidleugnung“.
***
Nie, nie im Leben würde
ich mich über Texte in der Kupfermuck'n lustig machen, aber das ist
doch schön, oder? Das ist gleichzeitig eine dringliche Forderung an euch, immer die Kupfermuck'n zu kaufen.
***
Ein
Mann postet ein Bild im FB, auf dem ein halbes Dutzend kleiner
Mädchen mit tellergroßen Glücksaugen Kirschen isst – es ist
furchtbar unheimlich, sie sehen alle gleich aus, keine Sekunde glaubt
man, dass das Bild echt sei. Ein seelenloser Algorithmus hat das
Kindchenschema überreizt – ein superspooky Pfad mitten ins Uncanny
Valley. Etliche weisen den Mann darauf hin, zugegeben recht herzlos.
Er schreibt, er habe nur einen Moment reinen Glücks teilen wollen.
Der vermeintliche Kirschensaft auf Mündern und Händen der „Kinder“
sieht aus wie das Blut der KI-Kritiker. Wieso ängstigt das die einen
und beglückt's die anderen? Um den Unterschied möchte man doch
Klavierspielen können! Das Uncanny Valley ist auch der Spalt
zwischen den Menschen (nein: Es mäandert, der Spalt ist in Wahrheit
ein verästeltes Canyon-System; KI ist die Erosionskraft).
17.5.
Zaimoglu
pudelt sich in der ZEIT ziemlich zurecht über das zeitgenössische
Theater auf (es stimmt, man denkt bei den im Fernsehen gezeigten
Schnipseln allerweil „ohje, eine Regie-Idee!“), dabei nagelt er
dem Bildungsbürgertum eine These an die Haustür, die in
österreichischen Hirnen sehr lustige Bilder erzeugt: „Man sollte
mit dem Gesicht eines ungepuderten Amateurs spielen.“
***
Gestern
eingeschlafen, während auf ZDF-History eine Doku über Tschernobyl
lief (war Hitler krank? Sonst läuft hier immer die absurdeste Auswalzung
sämtlicher Aspekte der „dunklen Jahre“!), eingesprochen von
Dana Scullys deutscher Synchronstimme. Bin schon gespannt, was mein
schutzlos ausgeliefertes Unterbewusstsein da für mich vorbereitet.
Ich muss mit dem Hirn einer ungepuderten Amateurin träumen.
***
Wieso
haben alle so große Angst, von der KI ersetzt zu werden? Die legt
sich ja nicht auf meine Couch und trinkt mir das Bier weg (reale
Gefahren im echten Zusammenleben), sie isst nicht meine Erdnüsse und
schläft nicht mit dem Buttinger. Die KI weiß nicht, wie man einen
Hund korrekt streichelt. Sie kennt meine Geheimwege im Toten Gebirge
nicht, und sie schnüffelt mir nicht den Jasmin weg. Bei allem
anderen kann sie mich gerne ersetzen, bei grundsätzlich jedem
Telefonat, beim Emailschreiben, bei Meetings, Contentherschenken, beim Reifenwechseln und Verwandtenbesuchen, beim Zahnarzt (wobei – nein, das würde
mich kränken, wenn der über die KI-Witze mehr lacht als über meine).
Meinetwegen auch beim Schreiben. Ich wäre mit dem verbleibenden Amt
als Lektorin meiner selbst zufrieden.
***
Max
Goldt im Posthof – wieso füllt der jetzt nicht einmal noch den
mittleren Posthofsaal?! Die Welt verschlechtert sich. Goldt lässt sich nichts anmerken und liest sehr
schön und lieb. Beim Dramolett gegen die Notare gehen D. und ich
viel zu gut mit. Er fordert auf, all seine Hörspiel-CDs zu kaufen,
die gebe es nicht mehr lang, denn „die Jugend hat gar keinen
Schlitz mehr“, wie ihm die Produzenten sagten. Am Signiertisch sage
ich ihm, dass ich „Gattin aus Holzabfällen“ am meisten möge,
freut er sich, „das ist auch mein liebstes.“
***
D.
arbeitet gerade daran, alle Menschen in ganz Linz-Land für tot
erklären zu können. Hoffentlich geht sie verantwortungsvoll mit
dieser Befugnis um! Man stelle sie vor, sie wird aufgrund eines
Schicksalsschlags zur Bösewichtin und tätigt den Sprechakt „Ihr
seid alle tot! Toooot!!!!“
18.5.
Beim wie immer extrem schönen Volxfest im Schl8hof kniet sich eine sehr gut riechende Dame zur nicht sehr gut riechenden Fini nieder und schmust so selig mit ihr, dass der Hundehals am nächsten Tag noch immer ein wenig nach dem Damenparfüm duftet.
Ein Abend, an dem man Wels wieder recht lieb gewinnen muss - auch wenn Freibier und Watschen ein typisch ambivalentes Dienstleistungsangebot sind.
19.5.
Ereignisarmut
ist Behaglichkeitsreichtum. Beim nachgeholten Walpurgisfeuer
verbrennen wir Glumpert aus dem Keller. Ein
extrem anschauliches Wettergeschehen, die Sonne geht dramatisch unter
wie ein gepuderter Profischauspieler.
20.5.
Erdarbeiten
– anstrengend und vielleicht völlig sinnlos, aber die Macht der
Genetik ist stark in mir und fordert Ausübung.
***
Begeistertes
Staunen über die herrliche Vielfalt an collective
nouns
im Englischen. Wo bei uns die Tiere nur in Schwarm, Herde oder Rudel
zusammenleben dürfen, bekommt hier jede Spezies ihren eigenen
Gruppennamen a school of whales, a murder of crows, a business of
ferrets, a flamboyance of flamingos!
***
Ein
ängstlicher Wasserhund namens „Cordula“ traut sich nicht in die
Donau.
21.5.
Bestimmt
habe ich an anderer Stelle schon geschrieben, dass Yogalehrerinnen
jetzt immer öfter in Form von Hundetrainerinnen auftreten und in
ihrer erlöst-mitteilsamen Art den Inhaberinnen von Bürokörpern
bzw. Durchschnittskötern freundlich vermitteln, dass sie alles
falsch machen.
***
In
der Kletterhalle rede ich mir seit Jahren vernünftigerweise ein,
dass ich das alles nur so irgendwie mache, nicht aus verbissenem
Selbstoptimierungsdrang. Dann aber beiße ich in einer 6b+ so, dass
die Unterarme schmerzend zu ersticken glauben, und bei den Hanteln
möchte ich schon bald 10 Kilo pro Arm schaffen.
***
Maschek
schicken die SPÖ als liebe Narkoleptiker in den Wahlkampf. „I bin
da Schieder, der aufm Büdl.“ „Wöcha von de zwaa?“
22.5.
Beim
FRO-Gespräch preise ich meine Gewaltfantasien an, um unseren
Lesebühnenauftritt beim Festival des politischen Liedes zu bewerben,
„kommt alle zum literarischen Watschentanz!“
***
Was
für ein anstrengendes Leben Esoteriker führen – immer wird hinter
ihrem Rücken gegen sie gearbeitet, von dunklen Mächten furchtbar
ungeborgen.
Ist
es Karma, dass ich dann am Abend im Thalia in der Esoterik-Abteilung
lese, unter Titeln wie „Heilung, Aura, Wohlgeruch“?
23.5.
Aus
der sfd-Ausschreibung zum Thema „groteske“: „zur not tut es
auch die abschrift einer beliebigen nachrichtensendung“
***
"Talk im Stift". Während wir talken, besiedelt eine nicht-autochthone Mönchsart besiedelt das Stift.
Ilia
Staple schlägt vor, zur Abwechslung mal über Astrophysik zu
sprechen.
Fini
weint am Ende der bis dahin von ihr geduldig ertragenen Veranstaltung so
jämmerlich, dass ich glaube, jemand habe ein Baby mitgebracht.
***
Mit
100 Insekten unter einem Netz, 1000 warten draußen darauf, meine
Nähe zu besiedeln.
24.5.
Leichter
Schwindel, als ich zu lange in den hohen Innbach starre. Junischnee
***
A.
ruft an, um mich zu warnen, bei der Eröffnung des Literaturfests
habe es eine Pro-Palästina-Störaktion gegeben. Im Publikum wurden Zetteln verteilt, darauf ein Bild der ausgeladenen Autorin
und der Titel „Vermisst“, wie er sonst unter den Porträts der
entführten israelischen Geiseln steht. Wie geschmacklos kann man
sein, bis man es selbst merkt? Wie kommt man darauf, durch solche empathielose Gesten den Menschen in Gaza irgendwie zu helfen?!
***
Im
Lesebühnentagebuch will Elias Hirschl mein Hirn in Streifen
schneiden, „ich sehe da keine ethischen Komplikationen!“
***
Am
Nachmittag finde ich eine Postkarte von Bodo Hell im Postkasten - mehr dazu später...
25.5.
SALZBURG
Am
Bahnhof dystopisch viele Poltergruppen. Grundsätzlich ist es zu
begrüßen, dass in Wels und Linz nur Horden aus dem Umland
einfallen. Hier legen sie es aggressiver an, weil sie höhere
Ansprüche entwickeln, sie sind forsch angetrunken und tragen viel
Tracht.
Eine
ziemlich overdresste Rennradgruppe muss durch den Stadtpark
schneiden, ihr Guide sagt „Shall I sing a song of the Sound of
Music?“ Einer sehr schnell: „No.“
Eine
Frau steckt in einem riesigen Gorillagesicht, die Augen sind so groß
wie ihre Brüste direkt darunter, man kann nicht wegschauen.
***
A.
erzählt, dass vor einigen Jahren nach einer Diskussion mit Nüchtern und Menasse eine
Frau die Hand gehoben habe, um dann als ersten Redebeitrag zu sagen:
„Ich habe nichts verstanden!“
***
So
schön, der Auftritt von „Ein Gespenst“! „Die U-Bahn ist voll
und ich bin leer!“ „Enteignet mich!“ „Die Jugend ist nicht
faul genug, Leistung darf sich nicht mehr lohnen!“ Hirschl &
Chris versuchen, das sehr zurückhaltende Publikum mit dem Hinweis
zum Tanzen zu bringen (und sei es nur aus Höflichkeit), dass es in
Wels einen Moshpit gegeben habe, „im Sitzen!“ Alle Salzburger
bleiben sitzen bzw. gar liegen. Später fragen mich zwei freundliche
Damen, ob ich wisse, was das sei, eine habe „Mostpit“ verstanden,
weil sie gedanklich in Oberösterreich war. Danach
hebt ein recht enthemmtes Seiterl-Trinken an. Ich will so ein Festival in Linz!!!!!
26.5.
SBG
Bald
auf, trotz leichten Katers, aber er ist unter so schönen Bedingungen
entstanden, dass der Körper damit zurecht kommt.
Die
Tür des Diözesan-Gästehauses geht auf, extremer Weihrauchgeruch
dringt auf die Straße. Hier wird nicht gespart.
Es
ist ungewohnt, in einer Stadt zu sein, die weltweit so geliebt wird.
Es gibt sehr viele Bettler, hoffentlich zahlt es sich für sie aus
hier. Auf der Schlösserbrücke posiert eine Frau im glitzernden
Prachtkleid, sie freut sich, dass auch ich sie gerne fotografieren
möchte. Das wogende Pelzmeer der drei riesigen Leonberger in der
Getreidegasse, es ist verteufelt schwer, nicht hineinzugreifen. N. erzählt später, sie grüße beim Spazierengehen alle mit
Hunden, in der Hoffnung, diese streicheln zu dürfen.
In
der Nähe des Bahnhofs erholen sich die an Wels und Linz gewohnten
Augen, hier ist es ein wenig grindig.
***
Große
Freude, dass ich noch geblieben bin, die Lyrik-Matinee ist
wunderschön, und ich verfalle sofort Barbara Hundegger: „Sich auf
der Flucht so aufführen, dass der Vater sagt, mit euch flüchte ich
nie mehr!“ „Der Sekundenschmerz beim Wort Österreich, und
trotzdem sich manchmal fürchterlich heimisch fühlen in Wien“. In
einem Raum den einzigen anderen finden.
Schindel
über seinen Plan: „Ich fange an, setze fort, und wenn ich fertig
bin, höre ich auf.“ „Wir bebücheln den Vorschlaf.“ „Der
Ärger über Flaubert“ „Bevor ich einschlafe, besänftige ich die
Hoden“ „Die Hunde, die aus meinem Traum wie aus einem Reifen
herausgesprungen sind, beginnen ihr Tagwerk“ „Der Loser, der
Portier des Toten Gebirges“, scheißende Füchse, „das Knistern
des Daseins“, „von oben bis unten Gezwitscher“.
***
Beim
gemeinsamen Essen am Schluss fragt Hirschl, warum eigentlich immer
nur diese „neoliberalen Dudes“ ewig leben wollen, bei denen alles
„Midlife Crisis“ schreit, aber nie solche Leute wie diese coole
Frau, von er er neulich gehört habe, die sich für Death
Positivity
einsetzt. Wie wahr; wir alle müssen uns permanent zusammenreißen,
angesichts des Todes nicht auszuflippen – diese lebensverlängernden
Maßnahmen der Tech-Trottel sind die nervigste Strategie.
Paul
Campbell hat Wiener Friseure interviewt, „auch für Hunde!“,
darunter jenen von Sebastian Kurz. Der sei sehr schlecht (man
sieht's!), aber Richard Lugners bester Freund, weswegen alle seine
Opernball-Gäst*innen verpflichtet seien, sich vor dem Auftritt von
ihm frisieren zu lassen. Paul fragte ihn Sachen wie ob Kurz Wirbel
habe, „kaan aanzign!“ Und wie seine Spitzen aussehen? „Der hod
so scheene Hoa!“ Der Name des Friseurs ist Josef Winkler, er
schrieb lange eine Kolumne in der Publikation der Friseursinnung.
Eines Tages habe er eine Einladung zum literarischen Quartett
bekommen und sich wegen seines Egos nicht darüber gewundert. Erst in
Düsseldorf sei die Verwechslung aufgekommen, der Friseur Winkler war
entsprechend enttäuscht.
27.5.
Unabsichtlich
das Hinterstoderer Karakorum entdeckt, das
„West-Couloir“ des Sneslitz. Wäre ich in meinen wilden Jahren
ganz hinaufgestiegen, ohne Hund? Und wer hat die vorgeschriebene
Gehrichtung für den Dolomitensteig festgelegt? Gegen den Uhrzeiger
komme ich mir vor wie ein Bön auf dem buddhistischen Pilgerweg um
dem Kailasch.
28.5.
Besprechung
der „Church of Ignorance“, Walter Stadler: „I find, es vatrogt
auf jedn Foi zwaa Beichtstühle.“ Angeblich gibt es mindestens fünf
solcher Projekte.
Idee
für ein Festival: „Themenverfehlung“
Die
Einreichung, in der kollektiv Kaugummi gekaut werden soll,
polarisiert massiv, ich erkläre, dass ich daran auf keinen Fall teilnehmen könne, Raphi Edelbauer ist ganz erleichtert, dass sie
mit ihrer sozialen Misophonie nicht allein ist.
29.5.
Die
literarische Audienz im Kultur Hof kündige ich als „poetischer
Parteienverkehr“ an.
30.5.
„Man
hört immer wieder von einmaligen Gelegenheiten: Das ist eine davon.“
Das schreibt das tasmanische Museum, das WuTangs geheime CD abspielt.
Nicht einmal die Einmaligkeit ist noch das, was sie einmal war!
***
Ein
Eisvogel!
***
Zu
Besuch bei Sabine in der WG Aussicht.
M.:
Wie lange bist du schon Vegetarierin?
Ich:
So lange du atmest?
Er:
„Seit 1998?“
Ich:
„Scheiße. Ja.“
***
Wieder
sehr befriedigende Erdarbeiten, aber dafür keinen einzigen
Buchstaben für die Lesebühne geschrieben. Egal, ist eh erst morgen.
31.5.
Das
Internet findet die collective nouns auch so großartig und
appliziert sie auf das nicht-tierische Sozialleben:
A
murder of crows – a midlife crisis of motorcyclists – a
procrastination of Meindls
***
Lebe
jeden Tag, als wärst du das Letzte.
***
10:39
Uhr: Der erste Text ist fertig und viel zu lang. Schreibzeit: 51'
***
Spätestens
ab heute würde ich ohne linkes Auge eine Lesebrille brauchen.
***
11:53
Uhr: Text 2
***
D.
hat mein Buch gekauft, „wieder einmal!“ In der
Bahnhofsbuchhandlung drängt sich ein Typ vor, und gerade als sie
denkt, dass sie heute wieder einmal dekorativ herumstehe, sieht er
meinen Roman und sagt, „des Buach is supa!“ Sie lächelt und sagt
nichts, da er sehr intensiv stinkt.
***
Foto: Brudi Andreas Topf
Lesebühne„Die Kunst ist noch nicht tot genug“: Walter steckt die alte
Heimorgel, die ich schon wegschmeißen wollte, an die Anlage. Sofort
klingt's nach Disko. Am Ende werde ich sie Hirschl schenken, um einen
maßgeblichen Künstler maßgeblich zu fördern. Und ich fühle
wieder diese Befreiung des Sachenherschenkens!
Wie
schön, dass Walter Kohl gekommen ist und sich ausgerechnet in die
erste Reihe setzt, wir beide hassen Mitmachtheater, sodass meine
Performance so richtig unangenehm ist. Ich sehe dabei aus wie ein
Auerhahn bei der Balz (inkl. Balzbalken über dem Auge).
***
Eigentlich
immer: darauf warten, dass etwas aufhört oder sich davor fürchten.