Dienstag, September 23, 2025

Jenseits von Aussee. Pfiat eng God schee, liabe Almen, pfiat di God schee, Redford Bert!

Um ein kathartisches Tränenerlebnis zu ermöglichen, empfiehlt es sich, dazu Mozarts Klarinettenkonzert A-Dur KV 622 abzuspielen, das Adagio

Der Schauplatz <3

Er hatte eine Alm am Fuße des Toten Gebirges. Ein paar hundert Meter vom Dreibrüdersee entfernt. Die Sommer sind kurz hier im Karst. Es war an einem prachtvollen Julitag, da ich vom Bruderkogel abstieg, reich an Beute, denn meine Augen hatten auf dem kaum bestiegenen Gipfel einen Adler gesammelt, der mich wiederum anblickte, bevor er sich über das Widderkar in die Lüfte sinken ließ, als sei es das Meer, das ihn trug. Und auf Meeresboden stand ich, Millionen Jahre alt, in diesem jungen Sommer. (Also der Meeresboden war so alt, ich nur seelisch.)

Ich kam also an der Gössler Alm vorbei, gelöst und gebadet, als ich einen Reflex im Augenwinkel sah. So einen Farbton hatten meine jagenden Augen hier noch nie gesehen, ich hieß den Hund über das hohe Gras fliegen, um das Wild zu stellen. Zu meinem höchsten Erstaunen erklang eine menschliche Stimme, im Grundton wohl tief, aber ich vernahm ein hohes Frohlocken: „Jo Puppi, jo wer bist denn du?!“ Im Näherkommen sah ich ihn zum ersten Mal.

Robert Redford.

Jo, wo bist denn du?“ „I bin do, Robert!“ „Ned du, du Lustige, da Hund, wos isn des fira Rass, des is owa a gaunz a gschickte!“ Niemand würde mir glauben, dass ich hier stand, und dem berühmtesten Schauspieler der Welt erklärte, dass ich den Hund aus dem Heim gerettet hatte, „ma!“, dass sie meine treue Begleiterin sei, „geh liab!“, und wir soeben einen Steinadler erspäht hatten für meine Birding-Liste, „wos d' ned sogst!“ Er hieß mich Platz auf der lärchenen Bank nehmen, dann langte er in den Grander hinter der kleinen, schiefen Hütte und öffnete uns zwei Flaschen Freistädter Ratsherrn. Es lag nicht an meiner einfühlsamen Zurückhaltung, dass ich ihn um kein Selfie bat, sondern daran, dass ich gerade mein Handy im Geröll verloren hatte.

Naja, was soll ich sagen, wie es weiterging. Ich stieg Stunden später im Licht der Sterne ab, mit schlechtem Gewissen, und natürlich hat mich der Buttinger unten in Gössl sehr geschimpft, dass ich so spät daherkräule, wieso ich nicht abgehoben habe, um ein Haar hätte er schon die Bergrettung geholt! Als ich ihm vom Handyverlust berichtete und vom Schmusen mit Robert Redford, der sich hier einen einsamen Almsommer lang vom Leben eines internationalen Superstars erhole, sagte er, ok, Meindl, besorg dir ein neues Handy, und wie schmust der Redford Bertl, ist er so nett, wie er ausschaut? Ja, sagte ich, und er mag Hunde. Da war der Buttinger ein bissl eifersüchtig, aber der Hund und ich, wir schmiegten uns innig an ihn und ich sagte, du bleibst mein Redford von Wels! Mein Herz ist groß genug für euch beide! 

 

So kam es, dass ich auch am nächsten auf die Gössler Alm aufstieg. Es war sehr schön. Am vierten Tag ging ich aber ins Widderkar, denn es ist kein Urlaub, wenn ich nicht im Widderkar war. Tags darauf war der Bertl bedrückt. Er ahnte, dass ich eine wilde, unzähmbare Strawanzerin hier im Toten Gebirge sei. „Schau“, sagte ich zu ihm, „ich habe hier noch lange nicht alles gesehen, und der Urlaub dauert nur noch zehn Tage.“ Ich trocknete seine Tränen mit dem Ärmel meines nicht mehr ganz frischen Merinoleiberls. Am nächsten Tag nahm ich ihn mit auf den Jägersteig ins Widderkar hinüber, wir sahen den Adler wieder. Der Hund sprang fröhlich der Gams nach. Der Eisenhut blühte. Der Wind wuschelte Roberts güldenes und mein ofarbenes Haar. Wir machten Rast in der Wiese, wieder tranken wir Freistädter. Dann sah er mir in die Augen:

Du hast es mir verdorben.“

Was?“

Das Alleinsein.“

Du hast gewusst, dass ich mit dem Buttinger fix zusammen bin.“

Ja“, sagte er.

Da stieß der Adler seinen scharfen Schrei aus, wie um uns vom Abschiedsschmerz abzulenken. Der Hund legte sich zu uns auf die Decke und knibberte an den Pfoten.

Bertl, wieso kannst du eigentlich so gut Deutsch, mit Dialekt sogar?“

Weil mei Muada a Dosige woa. Und mei Voda vo Gramastettn.“

Da gab es mir einen Stich ins zerwanderte Herz. Es brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass er mein Großonkel war. Irgendwann würde ich darüber einen verwickelten Familienroman schreiben (sehr praktisch in Originalbesetzung zu verfilmen), aber heute waren wir melancholisch wegen dieses Inzests. „Naja, egal“, sagte ich, „des hod uns do no nia gschodt.“

Robert sah hinüber zum Bruderkogel, jetzt sprach er im Tonfall Meryl Streeps:

Ich weiß ein Lied vom Toten Gebirge, von den Gämsen und vom Abendrot, das die Felsen erglühen lässt, von den Almen und den Gräsern, die sich im Wind neigen. Weiß das Tote Gebirge auch ein Lied von mir? Zittert die Luft über den Gipfeln jemals in einer Farbe, die ich an mir hatte, spielen die jungen Murmeltiere ein Spiel, in dem mein Name vorkommt, wirft der Vollmond einen Schatten auf die Gössler Alm, der dem meinen gleicht? Hält der Adler vom Bruderkogel nach mir Ausschau?“

Wir strichen einander wieder die Tränen von den Backen.

Im nächsten Sommer führte mich mein erster Weg auf die Gössler Alm. Die Hütte war vom Winter zerwirkt und verschlossen. Der Hund sah mich an und winselte. Mit schwerem Schritt zog ich hinüber ins Widderkar.

Von fern sah ich den Lagerplatz des vorigen Sommers. Darauf lagen (jetzt wird’s schön, aber unwahrscheinlich) im Licht des Sonnenuntergangs eine Löwin und ein Löwe, die eine längere Zeit auf unserem Almboden blieben. Es gehört und ziemte sich, dass die Löwen diesen Ort aufsuchten und ein Denkmal für uns waren.

Ich war guter Dinge und stieg ab, ohne die unwahrscheinlichen Gäste zu stören. Das wird dem Buttinger gut gefallen.

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