Mittwoch, Mai 24, 2023

Ländliche Phänomenologie des Totenbildes

Unlängst hat einer meiner Ersatzväter eine Geschichte erzählt: Seinem Großvater seien innerhalb weniger Jahre der Reihe nach die Ehefrauen verstorben. In seiner Trauer habe er sich eine Fotomontage anfertigen lassen, die ihn zusammen mit den drei Gattinnen selig zeigt. Darunter die Namen mit den drei charakteristischen Ergänzungen. "Die ewig Fromme", "die ewig Tüchtige" sowie "die ewig Fröhliche". Nach der fröhlichen Frau verließ ihn der Mut, noch einmal zu heiraten, er blieb die letzten 18 Lebensjahre allein. 

 Mitteilung an die Erbinnengemeinschaft in der Verlassenschaftssache Meindl Dominika: Bitte auf keinen Fall dieses Porträt für die Parte nehmen, ihr Verrückten!

Die Nachbarn meiner Großeltern baten Anfang der 1950er, sich deren Erstgeborenen für das Totenbild des eigenen Sohnes ausborgen zu dürfen, der in den Strom gegriffen hatte. Er war erst vier, und die Eltern hatten ihn nie fotografiert. 

Die Großeltern eines Freundes zogen eines Werktags das Feiertagsgewand an, kämmten sich sorgfältiger als sonst und fuhren mit dem Postbus nach Schärding, um sich beim Fotografen für die eigenen Parten porträtieren zu lassen. 

Mit dem Bild, das unsere Mutter für ihre Parte vorbereitet hatte, waren wir nicht sehr glücklich, sie sah darauf zu streng aus. Wir hätten viel lieber jenes genommen, in dem sie freudestrahlend den Welpen an sich drückt, den wir soeben ins Haus geholt haben, aber wir wagten nicht, ihr den Wunsch abzuschlagen.

Keine Kommentare: