Samstag, Januar 01, 2022

Heimliche Paarungen. Erwachsensein ist scheiße, aber unterhaltsam.

Phantomereignisse im Dezember 2021

1.12.

Zum 9. Geburtstag schenke ich dem Nachbarn zwei Bücher über Hunde. „Mama, die mag ich in den Sommerferien lesen!“ Gesegnet sind jene mit realistischen Ziele.

2.12.

Eine ähnlich junge Dame erzählt mir, dass es in ihrer Nachbarschaft einen Mann mit nur einem Arm gebe. Ich will von den Kriegs-Invaliden in meiner Jugend erzählen, „früher war das...“, und sie: „modern!?!“

3.12.

Hätte ich keine Skrupel, würde ich mir einen Migrationshintergrund und eine nichtmehrheitliche sexuelle Orientierung andichten, aber nur, um den armen Kulturveranstalter*innen aus der Patsche zu helfen, wenn sie wieder an der Diversität scheitern. (Bei den Kabarettveranstaltern reichte es ja eigentlich schon, Frau zu sein, aber wer sagt's ihnen?) 


5.12.

Meine medizinisch ausgebildete Schwester entfernt mit Eifer alle abgelaufenen Medikamente aus meinem Haus. Mir ist leichter, es sind drei riesige Säcke voll. Buttinger ist entsetzt, weil jetzt nichts mehr daheim ist, das „fährt“. Die psychologisch ausgebildete Schwester kann es nicht fassen, dass wir jetzt unversorgt in die Apokalypse müssen, aber ich bezweifle, dass dann Bluthochdruck und Verspannungen unsere größten Sorgen sind.

Wir brauchen kein Survival-Training, sondern überhaupt erst einmal ein Vival-Training. 


6.12.

Im dorftv soll ich eine Fidel-Castro-für-Arme-Ansprache halten, was ich zuerst wegen mangelnden Sendungsbewusstseins boykottieren möchte (wer soll sich das anhören?!), doch dann quillt es aus mir heraus, aber hallo!, sogar die Schwerkraft kriegt ihr Fett weg, die dumme Sau, und Nazis droht ab 1. Jänner 2022 die Todesstrafe.

7.12.

Trotz großer Sentimentalität gute Fortschritte beim Ausmisten, mein Ordnungstrieb ist einfach sehr stark. Wenn ich weiter so tüchtig das Zeug aus dem Haus kämme, findet sich am Ende in einer prähistorischen Schicht noch das Bernsteinzimmer. Besonders leicht fällt das Entsorgen von Vaterns Managementkurs-Unterlagen. Wie man den Mitarbeiterinnen den Job „enriched“, soll als Kompetenz aus der Welt verschwinden.

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In Wien und Wels wird unabsichtlich synchron die Doku über ochotskische Schopfalken angeschaut, sodass Whats-Apps mit den schönsten Bruchstücken daraus zwischen Coala und mir oszillieren. „Hornlunde“ – „Buckellachse“ – „Der Fluss der klugen Robben“ – „Das geht der Tante doch zu weit!“ – „Sie paaren sich heimlich.“


  Gedenkliteratur vor der 34. Rechtschreibreform (Oberhamberg)

8.12.

So leise, als sollte ich es nicht hören, haucht der Buttinger dem Hund ins Ohr, „du bist genau des richtige Viech für uns!“

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In den heurigen „Facetten“ ist zu lesen, dass M.Rutt lange unter der spärlichen Rubrik „Kunst“ Kleinanzeigen geschaltet habe, etwa gleich unter der Werbung des Farbgroßhändlers Obermüller: „Hört auf, die Museen sind voll!“

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Warum schreiben so viele Leute so viele Gedichte? Die Anthologien sind voll! 

 

9.12.

Auf dem Weg zum Pöstlingberg hinauf erzählt mir eine freundliche Bekannte vom ausgebüchsten Beagle, der in einem Hühnerstall wiedergefunden wurde. Entgegen der Befürchtung des Besitzers hat er den Tieren nichts getan. Man fand sie panisch in eine Ecke gekauert, in der anderen der gefährlich aufgedunsene Hund. Er hatte sich dermaßen am Hühnerfutter überfressen, dass er nicht mehr durch die Luke des Stalls passte. Eine sehr anschauliche Fabel über Gier.

Supernova über dem Pöstlingberg (Symboldbild für den beinah platzenden Beagle)

10.12.

Viele Stunden dauert der Zoom-Sachkundeunterricht zum Thema „Hund“. Ab und zu blitzt Unterhaltung auf. „Wir sind der Rudel für den Hund!“ „Streicheln ist selten eine Belohnung!“ „Welpen pföteln als Beschwichtigungsgeste“. In Konfliktsituationen stehen dem Hund vier F zur Verfügung, neben Fight oder Flight etwa auch „Fiddle“, also Blödsinn. Das ließe sich bestimmt auf mein Leben übertragen.

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Mittendrin schreibt mich ein Ahnenforscher an, der mir vor Monaten empfohlen worden war, und den ich ein wenig vergessen hatte. Er habe nun selbständig mit der Untersuchung begonnen und schon einiges über meine amerikanische Verwandtschaft mütterlicherseits herausgefunden. What the what!? Jetzt wird der Kurs wieder interessanter, weil er mir lauter Verwandtschaftslinien nach Wisconsin schickt. Es wird wohl nicht stimmen, aber ich bin dankbar für Ablenkung in der dritten Tierschutzgesetzerläuterungsstunde (gleichzeitig habe ich Angst, die Prüfung nicht zu schaffen, weil ich nicht aufpasse).

Eine halbe Stunde später stellt sich heraus, dass es eh nicht stimmt, dass also nicht nur der Urgroßvater väterlicherseits nie nach Amerika gekommen ist, sondern auch niemand von dort herüber, um meinen Urgroßvater mütterlicherseits zu zeugen.

Dafür kommt der Ahnenforscher bei der Ratzenböck-Linie bis in die zehnte Generation, Anfang des 17. Jahrhunderts (wo die Männer anfangen, Abraham oder Adam zu heißen). Es gebe bis dahin 2048 direkte Vorfahren, die daran beteiligt waren, dass ich existiere. Mir kommt mein Dasein immer unwahrscheinlicher vor, und das Gewissen drückt mich, dass ich mich in eine genetische Sackgasse gestellt habe.

Andererseits bin ich der feuchte Traum jedes rechtsextremen Autochthonie-Fetischisten – bis auf den aus dem Innviertel hereinmigrierten Urgroßvater gibt es null Diversität. Wahrscheinlich sind meine Vorfahren stracks aus Äthiopien heraufgewandert, ohne sich irgendwo unnötig aufzuhalten; sie hatten schon Heimweh nach dem Mühlviertel, bevor sie sapiens waren.

14.12.

Das versöhnte Lachen ertönt als Echo des Entronnenseins aus der Macht, ads schlechte bewältigt die Furcht, indem es zu den Instanzen überläuft, die zu fürchten sind. Fun ist ein Stahlbad.“ Aus: „Dialektik der Aufklärung“. (Notiz an mich selbst: Mehr Witze über den Tod machen.)

Gibt es eigentlich schon funeral planner? Nicht, dass ich das machen wollte, aber ich erkenne die Marktlücke. Ich könnte höchstens versuchen, den fun back into the funeral zu putten.


15.12.

Wer sich seine Mitmenschen nicht beharrlich immer wieder antut, ist ein Feigling. 

 

16.12.

Jetzt geht es mir wie Erwin Einzinger und seiner lauteren Freude über die eigene literarische Hervorbringung – der Buttinger zitiert meinen Witz „Das Dasein ist das Scharnier zwischen Leben und Tod“, ich freue mich, dass ich das so gut gesagt habe. Vielleicht begeistert mich auch der Zeitgenosse als die „Krone der Erschöpfung“ einmal (existenzielle Krise oder eh nur long covid?).

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Die Bankomatkarte wimmert beim Bezahlen nach dem Metro-Kaufrausch. Erwachsensein ist scheiße, aber irgendwie fühlt sich Geldverschwendung auch gut an.

Symbolbild "Befindlichkeit am Tag nach der OLW-Weihnachtsfeier. Oder: Kunst muss weh tun."

17.12.

Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens“, Gramsci.

Realismus des Handelns: Wurzer Kampl

22.12.

"Wir kommen wegen der Maus Ulla." Dialoge im Tierheim. Das Tier und ich sind übrigens ab jetzt beide geboostert und seuchenfest.


23.12.


Beim Kunstwollen bin ich eher auf der anerkennenden als auf der schaffenden Seite. So wie etwa beim Köhle, der sehr schön sagt: „Beschäftigte Hände weinen nicht.“ Beim Bier im extrazimmer treffe ich eine junge Dame, die sich beim Weihnachtshauberl-Basteln für das Schatzi eine Sehnenscheidenentzündung erhäkelt hat.

Das Tier crasht die Studio-17-Show durch ihre Bodysurfing-Attacken auf die Kulisse (In Minute 50), und ich kann nicht behaupten, dass ich mir das nicht auch ein wenig so vorgestellt habe. Beim Edith-Klinger-Witz („Der Herr Kallaballa bringt die Fini wieder weg“), lachen nur noch die Jahrgänge 1980 u.Ä.

 

24.12.

Es gibt angeblich eine Harry-Potter-Edition vom sauteuren Biedermeier-Bräter Le Creuset. Buttinger trägt Hausschlapfen mit dem Aufdruck „Sprint“. Blüten des Spätkapitalismus.

Die armen Angehörigen der Generation X sind ja schon mit einem Autogramm von Achim Mentzel glücklich.

25.12.

Die Jugend schenkt mir ein Berg-Buch von Sepp Forcher, mit der Anmerkung, ich könne es eh gleich wieder umtauschen, aber ich nehme und lese es gern, auch wenn das Ehepaar Forcher mit dem Flugzeug nach Nepal fliegt und dort ganz traurig wird, weil es entlang des Annapurna-Trecks schon „Hot Showers“ gebe, bald sei die unberührte Natur verloren.


28.12.

Sophistik- und Resilienztraining mit Jimmy McGill.


29.12.

Der Buttinger schießt vor mir zur Spar-Kassa, die Dame vor ihm schaut ihn streng an. „Jetzt wollte ich schon was sagen, aber Sie gehören eh zusammen!“ sagt sie milde, und er in vorgetäuschter Beschwerde: „Ich bin ihr Lakai!“ „Ja, weil du halt die längeren Füße hast“, sage ich. Der Buttinger schaut die Dame an. „Und kochen muss ich ihr das auch alles!“ Die schaut mich wertschätzend an und antwortet ihm, „Na, irgendwas wird es schon geben, dass sie gut kann!“


30.12.

Besuch ist wie der Teppich vom Big Lebowski. Eine junge Dame findet, mein Wohnzimmer sei das gemütlichste der Welt, weil es im Harry-Potter-Stil eingerichtet sei, also voller Bücher und Staub. Ihre Mutter hebt indes das Hündli zu sich auf die Couch, das sich dankbar für den Regelbruch stark an sie schmiegt. „Dass mich einmal ein Wesen so mag!“ sagt die Mutter. Die zweite Mutter im Raum hat soeben Omikron ausgestanden, direkt aus London importiert – das ist die neueste Narrheit auf dem Souvenir-Sektor, so wie früher kubanische Rasselinstrumente oder Kafka-Puppen aus Prag.

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Die „Kinder“ kommen, um sich Schneeschuhe auszuborgen. „Braucht ihr Stöcke auch?“ „Nein, wir wollen es einfach mal ausprobieren.“

Dieter Nuhr ist mein neues AWM-Hass-Testimonial, aber ich lasse den geliebten eigenen AWM weiterschauen, weil er mir den ganzen Tag das Schlafzimmer geweißelt hat.


31.12.

„Star des Jahres 2021: Caterina Ambivalente“ schreibt JM Perschy unter mein Jahresabschluss-Posting, und ich möchte sofort die Band dazu gründen, irgendwas in Richtung Diskurs-Grunge.

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Zum ersten Mal in meinem Leben kaufe ich ordentlich genähte Vorhänge und ordentliche Bettwäsche. Es ist sauteuer, aber wer hat behauptet, dass Erwachsensein billig wird?

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Was wird eigentlich aus den Coronaleugnern und Impflumpis, wenn die Pandemie wirklich aus ist? Durch die dummen Demos halten sie den Grund ihrer Erregung am Laufen, so wie ein Hund, der gelernt hat, die Türglocke zu bedienen.

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„Look at all the money going up the air“, sagt die britische Nachbarin beim Silvesterfeuerwerk.

 

Symboldbild "Energielevel Ende 2021"

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