Dienstag, November 24, 2020

Affenbisse, Schlupflider und Spatzenwolken. Neue, schmerzensreich autobiographische Mitteilungen über den Spätherbst eines Lebens.

2. Oktober bis 18. November 2020

Auf Instagram ein Bergfoto, es sticht mich – das Tote Gebirge! Welche Fremde geht denn da auf meinen Pfaden? Dann erst erkannt, dass es mein eigenes Bild für #turmblau ist.

Kletterhalle Wels. „Warst du schon einmal bei uns?“

Schon oft.“

Kennst dich aus?“

Ja, ich war schon hier.“

Die Herrenumkleide sind die fünfte Tür rechts.“ 

"Ich geh aber trotzdem lieber zu den Damen."

"Aha."


Auf dem Weg nach Wien. Alle sind so leise und angenehm, dass das Gefühl sehr stark wird, im falschen Zug zu sitzen.

Eine sehr schöne „Erfolgsgeschichte“ des Ersten Wiener Heimorgelorchesters wird im Literaturhaus zur Kenntnis gebracht: Ihr Hit „Vaduz“ läuft auf Radio Liechtensteiner so lange auf Powerplay, bis sich eine eigene Protestgruppe auf Facebook formiert. Ab heute bin ich Fangirl: „Du bist wie ein Vergleich, denn du hinkst.“ 

 

Präsentation der Freisprechanlage, Linz, Hauptplatz. Eine freundliche Dame stutzt.

Sie sind die Bundespräsidentin?!“

Von Österreich, ja!“

Aber ist das nicht dieser ältere Herr...?“

Vorher, ja. Jetzt bin ich das, weil die Frauen dran sind.“

Aha. Und was ist das da?“

Ein digitaler Beichtstuhl, sehr innovativ! Probieren Sie's aus!“

Oh, das darf ich nicht, ich bin evangelisch.“


Wir schauen den Giraffen im Tierpark lange schweigend beim Blattfraß zu, bis einer von uns seufzt: „Dass es so ein Tier überhaupt gibt!“ Später beißen uns die Makis in die Finger, was uns nicht davon abhält, sie auch in das Gehege des „Gauklers“ daneben zu stecken; der Greifvogel stakst rasch auf uns zu, stoppt aber vor dem Gitter und klagt mehrmals deutlich „Noooo!“ 

 


Ambivalentes Familienerbe: Einfamilienhaus + Schlupflid  

 

Der beste Satz in 11 Jahren Lesebühne kommt von Puneh Ansari, die Entspannungstipps für Manager im Urlaub gibt: Stechschritt am Strand, „und wenn es sein will, ruhig bellen!“

 

Jemand hat sich das Schulterblatt während eines Telefonats mit mir gebrochen. Das stimmt wirklich.

 

Man berichtet mir aus Wien: An einem Montag um 8 in der Früh seien zwei Männer an der Reling des Würschtlingers gestanden und hätten sich synchron ein erstes oder letztes Dosenbier geöffnet, getrunken, und einer habe dann geächzt: „Ma, de Wochn zaht se scho wieda!“


Eine Frau schlägt klagend ihre Hände über dem Kopf mit einer ihres Erachtens misslungenen Frisur zusammen. „Es ist mir nicht gelungen, dem Friseur meine Visionen zu vermitteln!“

 

In der Nacht des 2. November fahre ich trotz ausgefallenen Scheinwerfers mit 145 km/h aus Wien heraus, zurück in die Peripherie, dann steige ich noch für eine Nacht ins Baumhaus, denn ich brauche ein überbordendes Sicherheitsgefühl. Nicht einmal der Nussbaum knarzt in dieser totenstillen Nacht.


Am nächsten Tag Ausflug in den „Süden“ (Phyrn-Priel). Es beginnt zu regnen, wir parken das Auto am Ufer des Elisabethsees, essen Doughnuts und kommen uns generell vor wie zwei Cops in einem billigen amerikanischen Kriminalfilm, die jemanden überwachen, aber dann sprengt tatsächlich ein gewaltiger Wels von unten die Wasseroberfläche, um sich die Kiemen zu putzen.


Die Frau mit der Frisurenunbill, die mich seit 40 Jahren kennt, betrachtet ein Bild von mir: „Dei Gsicht schaut aus wia aus zwoa Höftn zaumbastlt.“ 

 

Beim hektischen Entsorgen der Nussbaumlaubmeere die Erkenntnis, dass man Mitte 40 für alles außer Verantwortung und Karriere entweder zu alt oder zu jung ist (Playmobil bzw. Kreuzfahrt). Darum schreibt die Generation X gerade melancholische Romane, in denen Nirvana gehört wird, oder sie kauft sich weinrote Vintage-Volvos (was ich alles begrüße).


Gibt es eigentlich eine Heteroszene?


Ein Turmfalke spitzt unterm Giebel des Nachbarhauses auf einen der Spatzen, die so zahlreich und emsig im herbstnackten Schneeballbusch herumhüpfen, dass sie wie sein Laub aussehen. Ich merke gerade, dass meine Lockdown-Birding-Manie („Viraler Vogelvogel“) wieder akut wird.


Shocking Mall (XXXLutz)


Das allerletzte Licht gleißt noch eine Minute so mystisch über die Hinteregger Alm, dass die zuvor in sich gekehrten allerletzten Wanderer auf einmal so freundlich miteinander zu plaudern beginnen, als könne sie ab jetzt nichts mehr trennen, dann steigen die Fremden in die Autos und fahren heim nach Liezen, Wels und Marchtrenk. 


 

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