Eine erfolglose Literatenpiratin ist es leid, kein eigenes Schiff zu befehligen, sie lässt sich die Heuer für ihre Jahre Schufterei auf der MS Roman auszahlen (54,74 €) und springt von Bord. Der Wortfluss trägt sie mit sich fort und spült sie ans andere Ufer. Eine Weile verdingt sie sich dort als Texterin lesbischer Pornos mit Anspruch.
[kurz im Publikum umsehen - „nein, es sind zu ordentliche Leute hier, ich lese jetzt keine Ausschnitte daraus“],
doch das befriedigt sie selbst nicht lang genug.
Sie will mehr. Herrin auf allen sieben Weltliteraturmeeren sein! Der Schrecken des Buchhandels, die Geißel der Krimiautoren, die Faust des Todes im Nacken unwilliger Verleger und erfolgreicher Konkurrenten! Eines Nachts schleicht sie sich nächtens auf die MS Kafka und kapert sie still wie ein Virus. Sie will damit ein Werk schaffen, das beißt und sticht, denn wenn ein Text seine Leser nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen sie dann überhaupt? Ihre Schöpfung soll die Axt sein für das gefrorene Meer in den anderen! Aber das Schiff ist alt und alle anderen ganz jungen Literaten wollen es auch entern. Und jemand muss die Piratin M. verleumdet haben, denn ohne noch in See gestochen zu sein oder etwas fertig geschrieben zu haben, wird die MS Kafka von strengen Kritikern beschlagnahmt. M, die sich im Zimmer des Heizers versteckt hat, gelingt die Flucht. Über knarrende Wanten hangelt sie sich von Takelage zu Takelage, bis sie bei einem Schiff neuerer Bauart landet – der MS Wolf Haas, weil pass' auf, da passiert immer was, aber nicht dass du glaubst, die Literatin wird jetzt glücklich auf der Haas, weil immer die Leser duzen und immer dieser Stil, da wirst du doch zum Säufer. Es ist nicht so, dass sie es nicht aus dem Hafen heraus geschafft hätte, die M war ja eine, die schon auch was geschafft hat, aber dann ist sie auf einmal ganz dings geworden. Das muss ich euch kurz erklären, wie das mit dem dings gemeint war: Weil neue Entdeckung. Die M hat am Horizont eine Insel gesehen, wie Inseln in Piratenbüchern eben aussehen, und da ist sie wieder kurzerhand von Bord gehüpft wie ein Spatz auf die Brösel.
Nach einer fünfzehnminütigen Odysee, so singt uns die Muse die Taten der wanderlustigen Dichterin, gelangte die Heldin an das fremde Gestade, sie singt vor Zorn, bis ein freundlich Wind ihr den Leib getrocknet. Ei, wie der Sonnengott ihr da die Haut gesenget! Und fern das Wasser, welch gewalt'ge Not.
So verfällt die Freibeuterin des Wortes wegen des mangelnden Trinkwassers in einen Schaffensrausch. Immer am Rande des Hitzetodes fließt ihr ein Roman nach dem anderen aus den Fingern, alles schreibt sie exakt auf, was ihrem siedenden Hirn einfällt, es ist der Fluch der Akribik. Der Reihe nach stopft sie die Manuskripte in dickbauchige Flaschenpostflaschen und wirft sie absichtslos in die See. Sie tragen Titel wie „Handbuch der Kriegerin gegen das Neonlicht“, „Die Homöopathin“, „Jakob auf dem Holzweg“ oder „Veronika beschließt zu erben“, dumme Gedanken eines vertrockneten Hirnes. Was die Seeräuberin der Lyrik nicht ahnt: Alle Werke werden vom Mainstream erfasst und direkt in die Hände des Publikums gespült. Die Neonlicht-Streitschrift wird zur Bibel der EU-Glühbirnenverordnungskritiker, und das Buch über das Erben inspiriert hundertausende junge Menschen, darunter den Volkskanzler der Herzen, sich rechtzeitig Eigentum zu erwerben, um vor Altersarmut geschützt zu sein. Die Kaperfahrerin der sieben Weltliteraturmeere schreibt rastlos Sätze wie "Der Mensch will immer, dass alles anders wird, und gleichzeitig will er, dass alles beim alten bleibt", lauter esoterischen Stickpolsterweisheitsscheiß wie „Eines Tages wirst du aufwachen und keine Zeit mehr haben für die Dinge, die du immer wolltest.“ Bald bekommt Paolo Coelho Wind davon, dass da jemand seine Buchhandelsfregatten kapert, er schickt eine Forschungsarmada aus; man studiert die gegenwärtigen Strömungen und kommt auf den richtigen Schluss. Doch als die Strafexpedition die Heiminsel der dem Wahn verfallenen Nachdichterin endlich findet, ist von der keine Spur mehr im Sand zu lesen. „Verdammt, wir sind zu spät!“ sagt der Befehlshaber des Geschwaders, der auf der langen Forschungsreise sehr viel dekonstruktivistische Schriften studiert hat, und erst vorgestern las er Barthes' „Der Tod des Autors“, und gestern bei Foucault, dass der Mensch bald verschwinden werde „wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“. Er lässt die Segel setzen und Kurs halten zurück an bekannte Ufer.
Was niemand weiß: Die Autorin ist noch gar nicht tot! Auch sie hat ihre Poststrukturalisten gelesen und sich unbemerkt der Armada eingeschrieben wie ein postmoderner Hypertext. Sie labt sich als kurzsichtige Passagierin im Schiffsrumpf an den Früchten anderer Hände Arbeit, und als man endlich im Hafen der Zivilisation ankert, schleicht sie unbehelligt von Bord.
Siehe da! Hötaus! Man liegt vor Linz! In der Abwesenheit der Schiff- und Wortbrüchigen hat sich die Stadt am Strom zur „Linzeraturhauptstadt“ ernannt. Cool!, denkt die Piratin, die ihr Gewerbe nicht lassen kann, und auch das Gewebe nicht, das Zutexten ehrlicher Bürger, sodass sie – kaum hat ihr Fuß festen Boden unter sich – flugs den nächstbesten Nachen kapert.
[Jetzt ist die einzige Minute, in der es stimmiger wäre, läsen wir heute auf dem Salonschiff Fräulein Florentine, ich ersuche um geistige Mitreise dorthin!]
Es ist die MS Libido, und die Piratin erobert gleich die Crew und sie kapert Ihre Aufmerksamkeit und sie stiehlt Ihnen Ihr Gold im Austausch gegen billigen Tand und wertloses Wortgeklingel.
Und nach einer Buddel voll Inländer Rum sangen alle gemeinsam:
Wir lagen vor Magdalena und hatten die Voest vor Bord
In den Kessel da faulte das Zipfer
und täglich erklang der Linzer Wort!
Ahoi, Literaten, ahoi! Ahoi!
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