Die Schriftstellerin Mendl hatte ihre Nahwelt so lange mit dem jämmerlichen Scheitern an einem Roman behelligt, dass die nächsten Angehörigen, zermürbt vom jahrelangen, inaktiven Barmen der Nicht-Autorin, beschlossen, sie zu besachwaltern. Die spätdekadenten Zeiten, in denen die Gesellschaft leistungsscheue Künstler wie Varoamilben durchfütterte, waren nämlich vorbei. [Not-Fun-Fact: Im Vergleich zur Biene ist so eine Milbe so groß wie ein Feldhase an Ihrer Brust!] So saß die Ex-Literatin bald in einer geschützten Werkstatt, einer Außenstelle des Ministeriums für Schrifttumsfragen, und kürzte werktags von 10 bis 16 Uhr Texte.
Denn ein Jahr zuvor hatte Kulturminister Blümel eine Expertenkommission der Firma Deloitte mit der Optimierung der Textkompetenz beauftragt, und die hatte nach einer Evaluierung des deutschsprachigen Literaturschaffens herausgefunden, dass die Leute heutzutage nicht mehr so viel Zeit zum Lesen haben, und dass sich die Autoren unnötig sperrig, volksfern und zeitraubend ausdrücken.
Mendls Portfolio in der Tagesstruktur war großzügig angelegt, sie durfte auch ausländisches Oeuvre digitalisieren. Grade hatte sie ein großes Werk der Weltliteratur für den deutschen Markt und die Jugend fertig adaptiert, sie druckte es aus und hoserlte ins Büro ihres – wir werden es gleich sehen – sehr performanceorientierten Vorgesetzten Marcel Thumfart. Der 24-Jährige BWL-Master winkte sie herbei und bedeutete ihr, vorzulesen: „Nennt mich Ismael...“ Thumfart unterbrach. „Ah, muss das sein, das ist so ein philosemitischer Name, und die Einleitung ist so langatmig, wobei gegen einen langen Atem nichts einzuwenden ist, schaun Sie, ich hab jetzt Triathlon angefangen! Das wär' auch was für Sie, Frau Mendl!“, sprach er, mit Blick auf die Schlägl-Bierwulst über ihrer Hose. „Ah... ok“, sagte sie, „das Buch geht dann so weiter: „Um meiner Melancholie zu entfliehen, beschloss ich, als Matrose auf der Pequod anzuheuern...“ „Ah, Stopp noch einmal, Frau Magister, Melancholie? Na, bitte kürzer. Cutten Sie to the chase!“ Mendl warf die erste Seite weg, dann las sie: „Captain Ahab war sauer, dass ihm der Wal das Bein abgerissen hatte, darum jagte er den Albino rund um die Welt, wir wären beinahe alle ersoffen, aber dann verhedderte sich der grantige Invalide mit der Harpune, der Wal schwamm davon und ich überlebte, um diese Geschichte zu erzählen.“ Thumfart klatschte, „Tschakka! Jetzt haben Sie's! In der Mitte noch ein bisschen was rausnehmen, dann fällt die storyline auch viel schöner, dann ab auf den Instagram-Account damit! Lassen Sie sich von der Bildstelle ein paar geile pics raussuchen, so Hipster-Seemanns-Vibe.“ Mendl nickte und trottete aus dem Büro.
Ihr Telefon brummte, oh! der Lebensgefährte, sie hob schnell ab. „Schatzi, pscht, lass' mich ausreden, Folgendes: Ich helfe dir mit einem Anreiz, deinen Output zu enhancen. Also: Wenn du heute nicht drei Romane eindampfst, häng' ich ein Schloss an den Kühlschrank, haha, tschau, wiegeht'sdir, bis heute Abend, 321Bussi.“ Mendl seufzte. Sie bewunderte ihren Freund, der war immer so flott, aber auch effizient! Und schon stellte sich der erhoffte incentive effect ein – sie juchzte, das war die Idee! Fusionsliteratur! Emsig trippelte sie in ihre Schreibkoje. Kurz darauf hatte sie ein Werk für Premiumleser geschaffen, Distinktionsfreunde, die gerne in Vernissagenkonversationen Duftzeichen setzen. Die zwei ungelesensten Bücher der Welt, jetzt neu, in einem einzigen Tweet zu konsumieren! Und zwar so: „Ulrich wird von einem Auto umgefahren und hat ein bisschen einen Autounfall, weil er unachtsam war – immerhin möchte er 24 Stunden in innerem Monolog verbringen. Dabei stören ihn eine Liebschaft, etliche Besuche im Irish Pub und die Vorbereitung eines Planes für die große Parallelaktion nicht, er findet sogar noch Zeit zum Philosophieren. Am Abend geht er zu seiner Freundin Molly und schläft mit ihr, aber der Leser merkt das nicht gleich, wegen dem Inneren Monolog. Ende!“ Mendl war glücklich! Die vierzehn Semester Germanistik, endlich zahlten sie sich aus! Doch scheiße – viel zu lang, 476 Zeichen, es dürfen aber bloß 280 sein, heul!
Da läutete erneut das Telefon, der Lebensgefährte wieder: „Mendl! Du hast jetzt schon 4269 Zeichen gelebt, möchtest du dich nicht beeilen?!“ Oho, dachte sie, dabei gäbe es noch so viel zu erzählen, den ganzen Karl May etwa („Ein braver deutscher Mann wird Freund mit dem Apachen Winnetou, sie reiten durch den Westen und strafen zügellose Amerikaner“), oder die Essenz Thomas Bernhards („Alles ist lächerlich.“) Aber ihr Schatzi hatte recht, zwei Seiten sind bis in die Haut hinein genug.
ENDE!
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