Phantomereignisse
und -geräusche im Dezember 2023
1.12.
Schneefall
bedeckt gnädig den spätherbstlich abgefrühstückten Zentralraum.
Mehr aus Glück denn Planung habe ich schon Winterreifen an der
Karre.
***
Eine Hochzeit im Strandgut, Besiegelung eines späten Happy Ends. Es
ist eigentlich eine extrem sinnvolle Sache, dass manche unserer
Festlichkeiten jetzt schon am frühen Abend enden. Ich fahre, nur
ganz mild alkoholisiert, durch das dichter werdende Schneetreiben
heim. Fini rennt mit zwei riesigen Dobermännern und einem Labrador
als Herde schwarzer Schatten über das nun ganz weiße Feld. Der
Winter bricht mit solcher Vehemenz ein, dass wir um ein Haar nicht
den „Berg“ zur Bundesstraße hinaufgekommen wären (was wäre die
Alternative gewesen? Mit der Fähre nach Ottensheim und heim über
Linz?!). Dann eine ätzende Stunde hinter Menschen nach Wels, die ihr
Leben noch schlechter im Griff haben als ich. #sommerreifen
#winterunreif
2.12.
Eigentlich
wollte ich mit den Hausfrauen und Müttern von Wels die
Skitourensaison eröffnen, aber über Nacht ist der Berg in die Stadt
gekommen. Der Schneepflug hat sämtliche Autos in der Gasse
eingemauert.
Ich
mache stattdessen eine leicht apokalyptische Wanderung in den Norden,
was ästhetisch und menschlich schön ist, denn die Leute sind
einander in diesem wenig tragischen Ausnahmezustand behilflich. Es
wird ungeschickt Auto gefahren, aber nicht geschimpft. Erstaunlich
viele sind in Sneakern unterwegs.
Bücherstierln
bei Fasthubers. Wenn ich bis zum nächsten Jahr ein Drittel meines eh
nicht sehr hohen Stapels lese, kann ich schon zufrieden sein.
Abends
suche ich mein eigenes Auto, und wie durch ein Wunder steht da
tatsächlich eine Schneeschaufel an der Wand. Ich arbeite im Schweiße
meines Angesichts. Ein Typ kommt daher und verwickelt mich in
Smalltalk. Zum Glück bin ich dank Hundes dafür jetzt offen.
Irgendwann geht er. Bald kommt er zurück, mit einer zweiten
Schaufeln, er hilft mir, und erst da checke ich, dass schon die erste
Schaufel ihm gehört.
3.12.
Ein
Verkehrsreferent sagt in den OÖN, die Ergebnisse des Planquadrats
seien „ernüchternd“ gewesen, einer der Erfassten habe sogar 3 ‰
gehabt.
***
Ein
junger blonder Mann von ziemlichem Ausmaß steht im Zug und lächelt
mir direkt ins Gesicht hinein. In einem kurzen Rückfall in
soziophobe Zeiten schaue ich genervt weg. Beim Aussteigen sehe ich,
dass er einen riesigen Perchtenkopf mit langen Bockshörnern in der
Hand hält, und nicht nur mich freundlich anschaut, sondern alle um
ihn herum. „Lächeln Sie jetzt noch einmal alle an, bevor sie uns
erschrecken?“ frage ich ihn. „Naa“, sagt er entrückt.
(Nachtrag 2024: in „Minihorror“ gibt es eine großartige Passage
über die Fragilität der Perchtenläufer!)
***
Facetten-Lesung
mit Günther Kaip und Magdalena Wieser. Danach „beschwert“ sich
Christian Steinbacher, dass er wegen Fini seinen Wein verschüttet
habe, weil ich sie darauf trainiert habe, bei Nennung des Namens
seines Enkels zu kläffen.
***
Sehr
niedliche Kinder bei der Heimfahrt im Regionalzug: „Deine Mama in meiner Fresse!“ „Du kleiner
Hundesohn! Du kleiner Hundesohn!“ „Ich hab die gleichen Schuhe
wie du.“ „Hast du sie dir gewünscht?“ „Meine Mama hat sie
mir einfach so gekauft, sie hat mich nicht einmal gefragt.“
***
Heidi
List ist krank und schreibt darüber im Falter. „Ich musste mir
eine Autosendung bei lebendigem Leibe ansehen.“
4.12.
Ein
Pensionist in den USA arbeitet ehrenamtlich als „Catnapper“ im
Tierheim, er macht dabei exakt das, was das Wort verspricht, nämlich
Nickerchen mit den armen Katzerln.
***
Wenn
ich mich bei dieser Kälte eilig für Termine außerhalb des Hauses
herrichten muss, fühlt es sich an wie dieses Spiel, wo man hektisch
in Handschuhen, Haube und Schal Schoko schneiden muss. Eine leicht
zermürbende Mischung aus Pseudostress und Spaß.
***
Arno
Geiger trifft einige meiner Nerven – die Hinfälligkeit der Eltern
und das Ausmisten, die Gesellschaftsanalyse anhand dessen, was sie
wegschmeißen, und das öffentliche Leben: „Trotzdem vermag ich
mich nicht an viel zu erinnern, denn das Gesehenwerden ist eine
ernsthafte Angelegenheit, die einen ganz in Anspruch nimmt.“ „Das
glückliche Geheimnis“ ist eines der wenigen Bücher, bei denen es
wurscht ist, wo ich aufgehört habe zu lesen, gerne steige ich bei
bereits Bekanntem wieder ein, weil es ja triftig bleibt (und weil ich
natürlich wie immer schlampig gelesen habe).
5.12.
Im
Traum bin ich in einer meiner Berglandschaften. Jörg
Piringer berichtet von einer Hütte im Ochsenkar, wo er ein
Aufenthaltsstipendium erhalten habe. Ich beneide ihn und bin fertig,
weil ich dieses Kar im Toten Gebirge gar nicht kenne. Da rennt
zweimal eine Herde Büffel hinein. Ich weiß plötzlich, dass ich im
Zorn über Hulk-artige Kräfte verfügen könnte, aber nicht
absichtlich hervorrufen kann. Selbst nicht, als ich zu Fleiß in das
Orban-Ungarn reise.
6.12.
Glöcklkar
Die
Hausfrauen- und Mütterrunde ist wieder aktiv! Möge es mir von nun
an weniger bedrängend vom Nichtbergsteigen träumen. L. rast
elegant durch den Lärchenwald, Fini japst ihm entsetzt fiepend
hinterher durch den hundshohen Schnee. H. und ich taumeln
unbehelligt zwischen den Stämmen zu Tal.
7.12.
Wieder
einmal lange mit Walter S. telefoniert, trotz Zeitmangels –
aber wir kommen einfach immer auf die existenziellen Themen,
Körperbehaarung, sexuelle Überforderung etc. Er habe etwa nur
Einschlägiges bei James Bond gesehen und war dann entsetzt, als mehr
von ihm erwartet wurde, als brummend auf der Dame zu liegen. „Meine
Beine haben gezittert!“ Es ist generell, befinden wir, jedes
lebensrelevante Vorgehen ein Rückfall ins Tierische (GV und
Stuhlgang).
***
„Geflügel“
heißt auf Holländisch „Gevogelte“. Diese Sprache ist nicht
ernst zu nehmen.
***
Am
Parkplatz des Einkaufscenters West trägt ein kleines Mädchen seine
eigene Windel zum Mistkübel, während ich Finis Morgengeschäft im
Begleitgrün eintüte. Die junge Mutter streckt mir die Hand in Mulde
hinab entgegen, „geben Sie's mir, ich muss ja sowieso zum
Mistkübel.“
***
Bei
der LH-Visite in den neuen Büros spiele ich einen jovialen Menschen,
so wie er auch. Unser Raum ist so minimalistisch eingerichtet, dass
er noch als „leer“ bezeichnet werden muss, also bekomme ich Asyl
drüben beim PEN. Beim Foto-Posing frage ich den Stelzer, welche
Power-Gesten man aktuell mit den Händen mache. „Die meistn mochn
so a Merkel-Raute.“ „Ok, i loss' afoch hänga.“ (Das Foto sieht
dann wieder aus, als habe ich eine Sportverdienstnadel bekommen für
meine Verdienste um die Schwerathletik in der Gemeinde Wilhering:)
Opake
Glasfensterbeschriftung im Amtsgebäude:
8.12.
Wirken
andere sicherer, weil sie sich nichts anmerken lassen oder scheißen
sie sich wirklich weniger?
***
Wie
jeden Freitag ziehe ich abends mit einem komplett vollen Kofferraum
beim Buttinger ein. Den Grund dieses Irrsinns möchte ich bei
Gelegenheit erforschen, aber ich komme nie dazu, da ich wegen einer
unheimlichen Macht in meinen Genen fortwährend mit Glumpertlogistik
von A nach B okkupiert bin.
***
Dank
Melanie Mader kann ich aber in drei, vier Jahren vielleicht meine
Friseursneurose auflösen. Sie schneidet mir die Federn, ohne dass
ich viel über meine Wünsche („an da Seitn kurz und obn an Schopf,
waast as eh, hoid a bissl flott wieda“) radebrechen müsste, und
sie drängt mir nie einen neuen Trend auf.
***
Die
jungen HipHopperinnen sind alle so lieb und so extrem talentiert!
Wenigstens habe ich einen Frack und eine neue Frisur. Alle sind 20
Jahre jünger als ich, weswegen ich mich selbst als Teil des
Diversitätsgedankens von Beatzarilla bezeichne, „oder ist hier
irgend jemand in diesem Raum älter als 40?“ Natürlich nicht, was
frage ich auch. Wäre ich heute in diesem Alter auch ein wenig
geschickter oder wieder so eine ambitionslose Lusche?
Für
den letzten vernünftigen Zug nach Hause verplaudere ich mich leider.
Hektisch hosle ich in irriger Hoffnung aus der Kapu. Ein kleines Auto
setzt sich neben mir in Bewegung, ich denke intensiv daran, dass es
mich jetzt retten könnte, und mein Leben so viel schöner wäre,
wenn es mich zum Bahnhof brächte. Da bleibt es stehen, eine
freundliche Dame fragt mich, ob sie mich irgendwohin mitnehmen könne.
Bis zum Bahnhof sind Charlotte Wagner aus Altenberg schon ganz dings
miteinander. Ich will mir zumindest ihren Namen auf ewig merken, wenn
ich schon kein Hirn für Gesichter habe.
9.12.
Engagiertes
Nichtstun.
***
Das
Vögelfüttern hat jetzt auch Buttinger erreicht, nachdem die Meisen
unsere Koks&Nutten-Kerze zerhackt haben vor lauter Hunger.
10.12.
H.
erzählt bei der Jause auf der Bärenalm (während uns Schnee in die
Krägen rieselt), dass er sich heuer für die weihnachtliche
Mischpochenbespaßung etwas Unterhaltsames ausgedacht habe, da man
einander ja nichts mehr schenke. Also wird er mit seinen Geschwistern
Schoko schneiden. → Mein Grundgefühl ab -1° bzw. 4.12.
Wir
fahren immer eine Minute ab, dann besprechen wir fünf Minuten lang die
Weltlage unter besonderer Berücksichtigung des zeitgenössischen
Kunstschaffens (da höre ich aber mehr zu, als selbst berichten zu
können). Von drüben grüßt der Stoderkamm. Es ist die apere
Jahreszeit seine eigentliche, der Schneerock steht ihm aber schöner. Wir brauchen hinunter genauso lange wie hinauf.
12.12.
Ein
schüchterner Schwärm-Traum, in dem ich mit DD Händchen
halte, als wüsste mein Unterbewusstsein nicht, dass es frei ist.
Sofort werden wir von RF beobachtet, deren Stirnrunzeln
mir klar bedeutet, „ich kann's gar nicht erwarten, dich beim
Buttinger zu verzünden!“ D flirtet daraufhin mit einer
anderen, es kommt heraus, dass ihm mein Outfit zu „sportiv“ ist.
Umfassender Ärger.
***
Dame an der Kassa beim Fressnapf:
„Darf man den Betriebsrat füttern?“ „Natürlich, er steht ja
auf der Seite der ArbeitnehmerInnen.“
***
Wir
rasten nach der Radioaufnahme im GAV-Büro, ich sage „Fini, nicht
auf die Couch“, woraufhin sie sich pflichtbewusst zwischen
die zwei dort ruhenden Kolleginnen zwängt, da sie ja kein Nicht versteht. „Ich
wusste gar nicht, dass du Hunde-Fan bist“, sagt Erstere, und
Zweitere „bin ich auch nicht“, und ich „Fini mag eh auch keine
Hunde.“
13.12.
Die
Hoferin erzählt, wie ihr Sohn zu seiner älteren Schwester „du
Idiot!“ sagt, gefolgt von einer kleinen Nachdenkpause: „Nein, du
bist eine IdiotIN!“ Wir müssen schon korrekt bleiben, sonst wird
unsere Rede unglaubwürdig.
***
I.M. erzählt im Strandgut die großartige Geschichte von ihrem allerersten Interview für die
HTL-Zeitung mit dem Pornojäger Humer. Ich würde sie gerne hier herschreiben, aber sie gehört nicht mir.
GAV-Apfent, auch sehr schön! Aber das Foto gehört nicht mir:
Foto: Dieter Decker
14.12.
Vor
der OÖN-Redaktion steht ein Herrenquartett in dunkelblauen Partnerlook-Anzügen,
der FPÖ-Kerl stürzt sich auf Fini, beide sind begeistert von
einander. Buttinger weniger, er brummt „Vorsicht, Klassenfeind!“
Aber der Populist sieht das Betriebsratsbrustgeschirr und sagt, er sei
doch auch Betriebsrat gewesen! Es ist alles so komplex geworden.
***
Nach
der Pataphysikbesprechung kommen wir auf das Thema Autostoppen.
WS erzählt, eine Freundin sei einmal naiv mit ins Haus
eines Typen gegangen, der im Keller ein Damenbindenmuseum
eingerichtet hatte. Seine Mutter habe sich zuhause im Mühlviertel
direkt vor die Autos gestellt (Autos stoppen im ganz engen Sinn) und
die Fahrer „gefragt“, ob sie ihren Buam nach Linz brächten.
15.12.
Der
Hautarzt fragt nach dem Hausarzt, auch das Zuhören ist komplex
geworden. Während er mir im Zuge seines Amtes eng auf die Pelle
rückt, verfalle ich in Smalltalk-Übersprungshandlung. Plaudern als
Abwehrversuch.
***
Mit
einer Schachtel voll soeben im Verlag abgeholter Romane stolziere ich
durch das überfüllte Wien, es kostet mich viel Kraft, den
Stadtmäusen nicht völlig ungefragt „DAS IST MEIN EIGENER
ROMAN!!!!!“ in die grauen Mäusegesichter zu schreien.
Der
Buttinger bekommt das Allererste, das zweite trage ich vor mir her in
den Schl8hof, ich muss keinen Eintritt zahlen und an der Bar steht Herr Wenzel, der das zweite Buch geschenkt bekommt. Ich muss dauernd
an mich halten, um nicht ein bisschen durchzudrehen.
Der
Mitter Klaus überprüft mir die Hartkirchner Mosambik (=Moser
Bäck)-Geschichte, meine oft und gern erzählte Version ist noch halbwegs
korrekt (gerne bei nächster Gelegenheit nachfragen, sie ist sehr
gut). Übrigens nur klug und kommunikationsökologisch, dass man sich
mit fortschreitendem Alter immer dieselben Geschichten erzählt,
statt irgendwas Dummes sich auszudenken oder Fades zu berichten.
Während
des Austrofred&Razelli-Konzerts steht Klaus neben mir und
kommentiert es so begeistert, als habe er seinen Freund nicht schon
tausend Mal auf der Bühne gesehen, als sei das hier für ihn keine
Arbeit. „I glaub', heit darreißt as!“ sagt er nach den ersten
drei Minuten.
Von
mir aus könnte das hier schon Weihnachten gewesen sein.
16.12.
Mit
Coala in der Welser Metro. Wir sind in großer Sorge, dass es hier
keinen Non-Food-Bereich gibt. Gibt's natürlich. Dort erklären wir
einer müden Weinverkostungsdame, dass wir jetzt (11:30 Uhr) noch
keinen Wein trinken können, dabei hat sie gar kein Wort an uns
gerichtet.
***
K.
schreibt: „Ich freue mich auf verantwortungslose Stunden!“ Die
Damen entspannen sich zwischen mildem Alkohol und Staubmäusen
(Putzen zahlt sich in diesen Tagen nicht aus, die Menschen machen eh
nur Mist). Buttinger liegt oben beim Kachelofen und lässt sich
servicieren, er meidet das Reich der in der Küche über Alltag und
Geschlechterverhältnisse schwadronierenden Frauen („Ich habe keine
Hobbys, ich habe drei Kinder“).
17.12.
Tage
voller Menschen, 30mal den Geschirrspüler ein- und 33-mal ausräumen,
anderen Leuten die Wohnzimmer versauen, die Leber knarzt jetzt schon.
Ich habe das an anderer Stelle schon gesagt, aber WEHE, ICH MUSS
EINMAL EINSAM STERBEN!!!!!!!!!
18.12.
Eine
Skitour zwischen Angerkogel und Warscheneck, auf dem Grat zwischen
Schönheit und Qual. Mit jedem Schritt muss ich sieben Kilo Schnee
heben, der an den alten Fellen klebt, bei jedem Schritt die
Sinnfrage. Im Schatten aber Pulver und schließlich ein neuer Gipfel
(was selten geworden ist).
***
Zuhause
repariert ein patenter Mann das Backrohr und erklärt mir, dass
ich nach dem Stromausfall die Uhr hätte einstellen sollen, deswegen
der Gesamtausfall des Geräts. What!?
19.12.
Zum
ersten Mal in der Geschichte des Anthropozäns liegt Winkeln nur ganz
knapp unterhalb der Nebelgrenze, auf Höhe des Alpakageheges zeigt
die Sonne ihre winterliche Barmherzigkeit.
WJ, Halter des schönsten Labradors des Bezirks, sagt, er verstehe nicht ganz, warum man Hunde an die Leine
legen muss, wo doch das gefährlichste Lebewesen der Mann sei.
Kurz
vor Wiedereintritt in die Wolkensuppe, im mystischen Zwischenreich,
bleibt eine redselige Frau stehen, sie sei heute in Linz am
Christkindlmarkt gewesen, so voll die Stadt!, und lauter Kinder,
haben die denn nicht Schule?! „Alle dunkelhaarig, naja. Die leben
alle auf unsere Kosten.“ Was an mir wiegt sie im Vertrauen, dass
ich sie nicht für so deppert halte, wie sie ist?! Offensichtlich
sind auch alle anderen vor mir zu müde gewesen, um sie darauf
hinzuweisen. Ich drehe mich um und gehe in den Dunst hinab.
20.12.
Wojtek
und Kurt Hörbst kommen eine Viertelstunde zu früh, wodurch sich in
der Küche ein authentisches ErdäpfelmitButter-Ess-Arrangement
ergibt. Ich frage den bekannten Architekturfotografen, ob er für
diesen Auftrag hier nicht total überqualifiziert sei? Er sagt: Wir
sind für alles überqualifiziert.
Die
beiden Herren begeistern sich schon an der Tassensammlung (ich habe
ja noch alle davon im Schrank) und am synkretistischen Eck im
Herrgottswinkel, weswegen ich beiden bei der Ablichtung und
Begutachtung des Hauses freie Hand gebe. Insgeheim hoffe ich, dass es
das Verkleidungszimmer in den Standard schafft. Fürs Hauptfoto soll
ich mich im Frack auf den Kachelofen stellen, da ruft die Mutter aus
dem Jenseits, dass das verboten sei.
Es
ist ja heikel, den Rückzugsort herzuzeigen, aber erstens
sind die beiden extrem angenehme Herren, zweitens räume ich ja am ordentlichsten für mich selbst auf, drittens ist es
einfach die lautere Wahrheit, dass das Haus als Begegnungszone
gedacht ist. „Das ist ein Geisterhaus“, sage ich, „es spuken
die Eltern darin herum, aber es ist nicht gruselig, sondern schön.“
Ich mache Wojtek auf die Stille aufmerksam, man hört nur Kurt
gaustern. Einige Tage später wird sich Coala über die
Phantomgeräusche des Vaters freuen, als ich Holz hole und den
Kachelofen einheize, umgekehrt beschwört sie die Mutter akustisch
durch engagiertes Kochen.
Später
Fischlehrpfad mit Fini. Die Sonne ist schon lange untergegangen, aber
es wird mit jedem Schritt wärmer, heller und prächtiger im
Mondschein.
Abends
sitzen wir mit den Berlinern beim Wirten. Es ist entspannend,
dass ihr Metropolleben auch nicht soooo viel aufregender ist, sie
bleiben ja auch schon gern im eigenen Grätzl. Wir trinken Welser
Rosé, „fesch zan Herdringa ba da Jausn.“
21.12.
Ein
überraschend beglückendes Einkaufserlebnis beim lokalen Fleischhacker: „Ned
reserviern, afoch herkumma!“, sagt die Frau fröhlich am Telefon
(ich hatte panisch, weil viel zu spät angerufen). Das Geschäft ist
bummvoller Leute, eine Zeitkapsel aus den 1980ern. Ich war noch nie hier, bekomme aber
einen Stammkundenrabatt – und als ich den Hund erwähne, langt der
Fleischhacker in den Topf mit Abschnitten und klatscht mir eine Faust
voll Rindfleisch in die Folie.
22.12.
Das
Wetter dramatisiert sich, am Gipfelpunkt der Garstigkeit rüttelt der
Sturm wie eine Schiachperchte an allem, um zu sehen, was lose ist. Im
Mittagsjournal spricht der Einsatzleiter von Pfandl, er heißt Landl.
***
Seit
ich beim Augenarzt war, sehe ich viel schlechter.
23.12.
Es
bleibt überraschend wenig zu tun, ich liege stabil auf der Couch.
Raus muss der Buttinger, der nach einer Stunde nass, zerstürmt und
leicht fassungslos zurückkehrt; der Hund wäre ihm um ein Haar in
der reißenden Traun ersoffen.
Später
taumeln Coala und ich aus dem Auto, alle drei Schritte sagt eine von
uns „wieso hob i eigentlich nu kaa Bier in da Haund!?“
24.12.
C.
hat das stillschweigende Herlegen von Süßigkeiten, die ihr nicht so
dolle schmecken, von der Mutter auf mich vererbt.
Obwohl
der Kühlschrank in den Wanten knarrt vor Zeug, machen wir uns
Sorgen, zu wenig Bier, Fleisch und Eier eingekauft zu haben,
vielleicht verhungern wir trotz Viennetta und Sekt (bzw. sterben an
Skorbut).
In
der traditionellen Weihnachtsansprache wünsche ich meinen Völkern
ein Jahr voll konsensueller Sexualität und Tierbussis.
Das "Kind" schaut mich an: „Minki, wieso
host du eigentlich kaan Mullett?!“ (Ich weiß bis heute, 11.6.2024,
keine Antwort). Das andere "Kind" setzt die Brille auf, die Mama in den 70ern
getragen hat, dazu trägt er ein Hemd aus den 90ern. „Jetzt schau i
aus wie da Jeffrey Dahmer.“
25.12.
Im
Fernsehen lauter Blockbuster aus den 1990ern, die kaum gute
Frauenrollen, dafür viel männliche Dauerwelle hervorgebracht haben
(am schlimmsten in „Robin Hood“). Die einzige Schwarze Person in „Dead
Poets' Society“ ist Personal (oder fantasiere ich gerade, gibt’s
überhaupt eine?). Die einzige Frau in „Der Name der Rose“ ist
stumm, schön und geil. So stellt sich der Regisseur das
mittelalterliche Proletariat vor – beim Lausen und Raufen um
Abfälle. Trotzdem hoffe ich jedes Mal, dass die Bibliothek dieses
Mal nicht abbrennt. „Das Schweigen der Lämmer“ wird mir
verweigert, ausgerechnet, dabei darf Jodie Foster hier eine ganze
Menge sprechen und muss keine Buserl herzeigen. Eine Vorschau auf den
28. Dezember, da läuft „Braveheart“: Hier ist ganz besonders
viel gewelltes Herrenhaar zu sehen. Ganz bestimmt DER Film für
romantisch veranlagte FPÖ-Wähler. Gibson ergeht sich wieder einmal
in der Nachahmung des Leidens Christi. Man möchte die schottische
Armee auf keinen Fall riechen. Sie kämpfen für das Recht, durch den
Dreck zu stapfen und Felle von der Wäscheleine zu holen.
26.12.
Binnen
einer halben Stunde füllt sich die Begegnungszone Leitenweg 7. Die
Band „Flötenwahnsinn“ übertrifft sich heuer selbst, vor allem
outfitmäßig, weil ich sie gebeten habe, sich im Verkleidungsraum
keine Zügel anzulegen. Mein Großneffe
verliebt sich spontan wie ein Entenküken in mich, weil ich zwei
Darth-Vader-Kostüme besitze.
27.12.
Wir
räumen bei 15° das Baumhaus und machen die Poolplane fest; bizarrer
Klimawandel.
28.12.
Beim Notar staunen wir ernut über das gewaltige
Myzel des juristischen Regelwerks, das unser Zusammenleben notdürftig regelt, als wären wir ein Volk von Teufeln.
***
Neue
Felle für alte Ski, teurer als echter Nerz (und doch aus Plastik).
29.12.
Die
Sternsinger läuten, schnell werfe ich mir das Stahlkleid über,
denn sie dürfen mich gern für die skurrile Alte in der Siedlung
halten. Und ich werfe einen 20er in die Box, denn ich will auch die
großzügige Alte sein. Eines der Kinder musste übrigens seinen
einzigen Satz, den es an diesem Tag schon 57mal aufgesagt hatte, vom
Blatt ablesen.
30.12.
Die
Annen besuchen mich, wir tunken Cantuccini in Süßwein und stapeln
tief, um einander zu erfreuen. AW sagt, sie werde dauernd
von der Polizei aus dem Verkehr geholt und gefragt, ob sie getrunken
habe, „dabei weiß ich doch schon nüchtern nicht, wo vorn und
hinten ist!“
C.
bringt wieder ein Sortiment an prachtvollem Glumpert und erzählt
nebenbei eine Schnurre aus dem Showbiz: Als Lordi in der Tabakfabrik
gastierten, bekam er eine Anfrage, ob er sie dorthin chauffieren
könne, weil er in der Gegend den einzigen Sprinter im Fuhrpark habe,
der hoch genug für den aufwändigen Kopfputz der Truppe ist.
31.12.
Auf
dem Leitersteig Richtung Windischgarsten. Smalltalk mit einem
freundlichen Paar, während Fini deren hilflos verliebten
Dobermannmischling anknurrt. Der Mann ist von Weißkirchen, sie
einheimisch, ich erzähle vom Mann in Wels. „Üwaroi find' si wos!“
stellt sie fest, der Mann seufzt. „Asso, i hob gmaant, wir redn üwa
Freizeitaktivitätn.“
***
Eine
abschließende Mini-Orgie mit russischen Eiern, norwegischem Lachs und
englischen Menschen, die bei „Auld Laung Syne“ auf BBC ein bisschen weinen. So kann 2023 enden.