Lebenskrimskrams
im Mai 2023
1.5.
Kindheitsflashback: Am Feiertagvormittag mit der Fähre ins Mühlviertel. Wir rasen auf dem Hochwasser dahin, was zur immer stärker werdenden Wahrnehmung der Lebensverraschung passt. Dem Hund das Fährenfahren zeigen wie einem Kind. Der Fährmann bringt den winzigen Ticketstreifen zurück, den ich übereifrig für das Tierkind gelöst habe.
Der Onkel geht über Stunden immer wieder in den Garten, um nachzuschauen, ob der Maibaum drüben in Gramastetten schon steht. So kann man wohl eine Staustufe im Verrinnen der Zeit einbauen.
Der Hund wutzelt mit Absicht und Ausdauer eine stummelbeinige Mini-Ausgabe ihrer selbst die Ottensheimer Dammböschung herunter. An der ordentlich verbreiterten Mündung des Bleicherbaches sitzen vier junge Männer mit Dosenbier und spielen Schach, sie grüßen mich höflichst, als sei ich einmal ihre Volksschuldirektorin gewesen.
Wenn man selbst keine Kinder hat, ist es vielleicht etwas einfacher, sich einzureden, dass man eh noch nicht so alt sei, ein wenig so wie man glaubt, die Umwelt zu retten, wenn man sich noch nie ein eigenes oder ein neues Auto gekauft hat.
2.5.
Stimmungsabfall aufgrund von Erwerbsarbeit (ohne Erwerb) + Regen. #banal
***
Wegen massiver Verplauschung begehe ich den Tatbestand der Parkzeitüberschreitung. In meiner Hilflosigkeit entfährt mir der existenziell depperte Klagsruf an die Parkraumbewirtschafterin „I bin eh do!“ „I hob's scho eigem!“ sagt sie fast so klagend wie ich. „Fini, fass die Frau!“ sage ich, der Hund schmiegt sich herzlich an deren Unterschenkel. Ich gebe sinnlose Heullaute von mir, die Frau sagt „mei“, ich heule, sie sagt "mei!", so geht es weiter, bis sie sagt, es tue ihr leid, „grad bei wem so Liabn!“ Ich sage irgendwas Einsichtiges, schließlich verabschiedet sie sich mit „Gsund bleibn!“
4.5.
Entspannungsmusik
wirkt bei mir paradox.
5.5.
Den Decker an seiner Arbeitsstelle abgeholt, die er sich hauptsächlich wegen eines Wortwitzes im Slogan ausgesucht habe, wie er behauptet. Er arbeitet wirklich mit Schweißgeräten, nun ist es kein Mythos mehr.
Auf den Straßen von Wien werden wir trotz LL-Kennzeichens kein einziges Mal angehupt oder geschnitten. Das ist nicht mehr mein Wien. Decker steigt in Ottakring aus dem Auto und ist sofort entfacht, mit dem Fotoapparat verwandelt er einen Stapel Sommerreifen und einen Turm Bettzeug in poetische Frühlingsillustrationen.
GAV-Vollversammlung. In der Kulturtankstelle geht es um einen „antihegemonial erweiterten Literaturbegriff“, „Präsenztauglichkeit“, dicke Gegenwartsromane und die Verrücktheit, unsere Branche auszuüben (Ilse Kilic, meine Präsidentin <3). „was man nicht sagen kann, muss man sich selber holen“ steht auf einer Karte von Herbert J. Wimmer („wittgenstein im haushalt“). Piringer über soziale Medien und ihren Stromhunger: TikTok hat einen norwegischen Rüstungskonzern beim Bieten um eine Stromzuteilung ausgestochen. Es fällt der gute, leider sehr treffende Begriff „Rezensionsrezession“. Martin Fritz hört zu, dabei kritzelt er sehr hübsche Pläne mittelalterlicher Städte auf seine Unterlagen. Ich kritzle diese Notizen hier; wie erwartet kann ich sie später kaum noch entziffern (irgendwas mit „Bei Gelegenheit KI mit der schlechten Unendlichkeit von Hegel assoziieren“).
Martin Wimmer referiert: „Bummeln, träumen, leben, lieben“ – und sein kulturpolitisches Programm: Jeder Mensch soll in der Lage sein, ein Buch zu verfassen. In der schiachen Realität wäre man schon froh, wenn jeder eins lesen könnte. Im schönen Teil der Realität gibt es die GAV.
***
Eine junge Frau flaniert durch den 7. Bezirk und erkennt sich selbst auf einem Porträt in einer kleinen Galerie – diese Geschichte glaube ich mir selbst fast nicht, obwohl ich dabei war; ich hatte es für übertrieben gehalten, dass Markus Lehner gar nicht mehr weiß, wessen Gesichter er da aus Filmen und Serien herauslöse. Ich kenne nicht einmal die Sendung, mit der die Frau bekannt geworden ist („Dark“), aber ich würde wohl nicht einmal mein eigenes Gesicht auf einem Bild wiedererkennen.
Eine sehr schöne Vernissage. Die Bescheidenheit der beiden Herren Lehner und Decker steht in sehr sympathischem Kontrast zum Ego einiger VernissagenbesucherInnen. Eine Frau erzählt mir, sie habe den Kurzhaarschnitt erfunden, vom Gatten einen Keller für eine Galerie geschenkt bekommen und dort schon so manchen jungen Literaten bei Lesungen vor bis zu 20 handverlesenen Gästen groß herausgebracht. Ein Typ, der nackte Damen mit Bodypainting fotografiert, gibt dem Decker „wertvolle Tipps“ für den Erfolg am Kunstmarkt. Andererseits ist auch ein wirklich sehr lieber ehemaliger Palliativsachbuchautor anwesend. Er habe einige Jahre lang als „Senior Content Manager“ eines internationalen Konzerns extrem gut verdient, aber doch wieder gekündigt, weil er sein Hochstapler-Syndrom nicht in den Griff gekriegt habe. So, wie mir der Decker am nächsten Tag erzählen wird, dass er täglich mit der Sorge zur Arbeit fahre, ob er das Aufgetragene eh hinkriege. Wir müssen wirklich bald so etwas wie den „Empower-Hof“ gründen, in dem wir den unnötig von Selbstzweifeln blockierten guten Menschen gut zureden (also wir einander).
6.5.
Coala erzählt mir von einer Deutschen, deren Nachbarn über Jahrzehnte zweimal jährlich den Maschendrahtzaun mit Seife und Bürsten gewaschen hatten (und einmal im Jahr das Dach). Als sie zu alt für diesen Unsinn wurden, überkam sie große Unruhe, bis ihnen der Sohn den Zaun kurzerhand entfernte, da er glaubhaft vermittelte, nicht mehr unachtsam aus dem Garten auf die Straße zu rennen.
7.5.
Der Garten explodiert. <3
8.5.
Die Pool-Wärmepumpe erweist sich als Willhaben-Hüter – aber nicht wegen der Vernunft der Leute, sondern weil ich den sinnlosen Stromfresser noch nicht billig genug verramsche für die gierige Konsumbrut.
9.5.
Top-Tag: Auto gesaugt + 50 Jahre GAV im Stifterhaus halbwegs hingekriegt. Am schönsten vielleicht, dass Anna Weidenholzer sich über meine frisch gemachten Pudelbabyfotos mehr freut als über ihr Honorar (war auch nicht hoch).
Alle sollt ihr euch freuen, gratis
10.5.
Peinliche, aber beträchtliche Freude über die elektrische Fensterputz-Ente in gelber Enterprise-Form: mein Drecksproblem ist gelöst! Jetzt brauche ich nur noch eine Admin-KI („Wie hoch ist das Honorar?“) und einen Außentermin-Feminoiden.
***
In
der Kletterhalle spiegelt sich mein ganzes Leben. Kraft der Routine
nudle ich das Meiste ganz ok herunter, aber stellt mich bitte nicht
in einen Überhang.
11.5.
Ein älterer Kollege mailt gesammelte Klagen (Frauenüberhang auf den Bühnen, von den Institutsleiterinnen wurde er nicht ordentlich gegrüßt, er sei auf weniger Fotos zu sehen als andere). Boomer und die Generation Y + Z sind offensichtlich Konkurrenten auf dem Aufmerksamkeitsmarkt.
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Das Tosen des Wassers, das über die Schleusenwand donnert. Die Welt könnte ertrinken, der Hund würde immer noch Stöckchen aus der Donau holen wollen.
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Kaktus-Award im Schloss. Großer Zuspruch für das Matriarchat von den anwesenden Damen, bei den Herren muss immer noch Vermittlungsarbeit geleistet werden („Wäre es nicht schön, mehr Freizeit zu haben?“). Ein Immobiliensachverständiger sagt nach der Preisverleihung, seine Frau sei stur, ich sage, sie hat einfach recht, er solle seinen Widerstand zu seinen eigenen Gunsten aufgeben, dann werde alles gut. Unnötig hinzuzufügen, dass mein Ego sich aus Frack und Junghopfenpilsrausch speist.
Insgesamt
ein prächtiges Ereignis, etwa weil Haderer sen. gleich seine
Kooperationspartner mit einem ordentlichen Anwaltswitz begrüßt:
„Olle Aunwälte san Oarschlecha!“ „Tschuldigen, das ist eine
totale Verallgemeinerung, außerdem ist das eine Beleidigung für die
Oaschlecha.“ Bei der Preisverleihung werde ich zum glühenden
Til-Mette-Fan. Später lege ich dem sehr freundlichen Hauptpreisträger meine rassetheoretischen Überlegungen ("genetisches Medley") dar, während er
versucht, aufgrund der Junghopfenpilse nicht im Stehen zu stolpern.
12.5.
Dani bringt Süßkram aus dem Ostblock-Markt, der in Öd dem Billa nachgefolgt ist. Das usbekische Karakum-Stollwerk ist ok, rechtfertigt seinen Import über die Seidenstraße aber kaum. Das kalmückische Wafferl überzeugt mehr durch Exotik als durch Geschmack. Sobald die Menschen aus dem Osten z.B. ein Mignon-Wafferl zu kosten bekommen, kollabiert die russische Schokoindustrie und sie können nur noch Gas am Markt positionieren.
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Lesebühne
im Ottensheimer Bauhof. Das Publikum kommt eher vom Jazz, also viel
zu spät, weil sonst nie was vor Mitternacht anfängt. Deswegen bin
ich von Beginn an nicht mehr nüchtern im engeren Sinn, aber auch das
scheint zum subkulturellen Zugang zu passen. Das Prinzip „Tombola
des Grauens“
wurde von den Einheimischen insofern missverstanden, als recht viel
Brauchbares gespendet wurde (Wachsmalmäuse, Storm-Novellen, Saatgut,
geschnitzte Fische), sodass ich wegen Unterschlagung fast mehr mit
nach Hause genommen habe, als ich hergeschafft hatte. Bester Witz des
Abends: Renés „Polka-Geister“. Noch mehr zum guten Ereignis für Lese-Junkies und Wort-Messies hier im Lesebühnenblog.
13.5.
Heute war nichts los <3
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Selbst wenn Böhmermann & Schulz den Songcontest moderieren, zündet nichts. Jede Ironie prallt am bunten Rausch der Belanglosigkeit an. Von nun an wieder ohne mich. Bzw. glaube ich allmählich, dass Böhmermann doch nicht lustig ist.
14.5.
Die eigene Leistungsfähigkeit tiefer zu stapeln ist der Gruß der in die Jahre gekommenen Boulderin. Übrigens gehe ich seit 2001 bouldern und schreibe seit 2004 Blog – reicht das nicht allmählich für den Status „Pionierin/Urgestein“ oder zumindest eine Landeskulturmedaille in Weißblech?
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Finis empörter Blick, immer wenn ich sie wieder aus der Fressnapfbudel hervorzerre, weg von den bereitwillig fütternden Händen der Kassadamen, denen ich dann ein Vermögen für das Insektenhundemüsli zahle.
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Margaritenneid. Bei mir wächst nur, was eh schon immer gewachsen ist (Giersch und Löwenzahn).
Symbolbild "Der Neid ist schiach"
16.5.
Die
vor drei Tagen verstorbene Sibylle Lewitscharoff hat zwischen 12 und
16 immer wieder LSD probiert. Ihr inniglicher Wunsch fürs jetzt
hoffentlich eintretende Paradies war, sich mit Tieren unterhalten
zu können.
17.5.
Mein Leben wird mir als ziemlich ok vorkommen, wenn ich mich später wirklich nur noch an das erinnere, was ich fotografiert und aufgeschrieben habe: Eigenzensur im Sinne einer geglückten Schlussbilanz. Alle müssen wir hoffen, dass uns die Demenz am Ende nicht bloß den Schas übrig lässt, wie auf dem Grabbeltisch nach dem Schlussverkauf im Nicht-so-Supermarkt.
Eine schöne Erinnerung wäre etwa, dass Ljuba Arnautovic und ich einmal gleichzeitig das Aufenthaltsstipendium in der Villa Bielka am Grundlsee bekommen haben und erst am Ende der vierzehn Tage eine halbe Stunde miteinander geplaudert haben (ich für meinen Teil habe meine Leutscheu dabei ab Minute 1 bereut). Beim Bericht, dass ich wegen guter Führung dann noch zweimal hindurfte (wahrscheinlich weil ich die Bibliothek sortiert hatte), rede ich mir selbst die Augerl nass. So wie ich zehn Jahre nach diesem Experiment-Literatur-Abend nasse Augerl bekommen möchte, wenn ich an Arnautovic und Peschka denke. Nur noch Leute einzuladen, bei denen ich nicht zwischen Werk und Autorin unterscheiden muss, ist eine meiner besseren Lebensentscheidungen.
Meine
Leutscheu wurde zum einen natürlich durch die Hundehaltung
überwunden, zum anderen aber, weil ich mich heute dem Mitmenschen
zwischendurch so vollständig entziehen darf.
18.5
Putzen am Feiertag – aber was soll ich tun, die Putzente ist voll der Bringer (und ich werde verbrieft grad schrullig)
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Spektakuläres Scheitern beim Ausmisten, weil ich gleich beim ersten ollen Tierbildband über den Geranienwagerl-Neufundländer in Verzückung gerate:
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In
jedem Berg suche ich auf den ersten Blick einen Gipfel des Toten
Gebirges. Ich muss dringend wieder wandern, mir träumt schon wieder
recht bedrängend.
19.5.
Ausnehmend ereignisarmer Tag, ausuferndes Rasenmähen. Mein Mitleid ufert jetzt allmählich auf Pflanzen aus, nur die wirklich expansiven Beikräuter hasse ich.
20.5.
Hoch im Norden bei einer 80er-Feier. Der Jubilar ist ein dezenter und hervorragender Entertainer. Er begrüßt den Abt als „Emeritus, i sog des, weil's Lateinisch ist, und weil i's woaß.“ Einer sei nicht gekommen, weil er „haudi“ sei, was man als „temporär gebrechlich“ übersetzen kann. Etliche der Anwesenden fragen mich, ob ich noch bei „die Nochrichtn“ oder beim „Laund, bam Kuituabericht“ sei, denn im Mühlviertel steht die Zeit still.
Katholiken fällt es leicht, sich mit 80 glücklich auf der Zielgeraden zu sehen. Der Abt entschuldigt sich, er käme am Nachmittag nicht mit, „weil ma wer gstoam is.“ Das Geburtstagskind erzählt von seinem Großvater, dem gleich drei Ehefrauen gestorben sind. Er habe sich eine Fotomontage anfertigen lassen, die ihn inmitten der drei zeigt, darüber stand: „Die ewig Fromme, die ewig Tüchtige, die ewig Fröhliche“. (Siehe dazu das vorige Posting über die Phänomenologie des rustikalen Totenbildes.)
Es
ist sehr, sehr schön im Oberen Mühlviertel, aber die Hügel
verstellen die Sicht auf die Berge.
21.5.
Endlich wieder zuhause oben im Toten Gebirge. Es war bis heute keine große Skitourensaison, aber nach dem gemeinsamen Mittagsschläfchen auf der Sigistalhöhe auch menschlich ein schöner Abschluss.
Die
ungläubigen Blicke der leicht Bekleideten unten in der
frühsommerlichen Baumschlagerreith, als wir das Skizeug in den
Kofferraum schlichten.
23.5.
Fund in der ZEIT: Totenkopfäffchen mögen Menschen nicht besonders und lassen sich nie ganz zähmen. Während der Dreharbeiten zu Pippi Langstrumpf wurden die Darstellerinnen von Herrn Nilsson laufend gebissen, angepinkelt und angeschissen. Viele Menschen gehen mit dieser Attitüde in die Arbeit und sollten eigentlich allein im Wald leben dürfen.
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Die SPÖ sollte in drei gleich große Teile zerfallen wie ein mürber Keks. In der Nacht träumte mir, ich hätte was mit dem Babler, war aber auch erleichtert, dass der nun wohl sehr viel unterwegs sein werde, sodass ich einfach gemütlich mit dem Buttinger zusammenbleiben kann.
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Gestern nach monatelangem Herumgefröstel gleich wieder zu heiß – sowie ich das feststelle, wird mir bewusst, dass ich das in meiner Jugend als sicheres Symptom für „ab jetzt alt“ festgelegt habe.
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Wenn
ich ehrlich bin, hätte ich auch ohne Arbeit genug zu tun.
24.5.
Porzellan kommt vom Italienischen „porcella“, also „kleines Schweinchenartiges“. Und das englische „ferret“ stammt vom Lateinischen „fur / furritus“ ab, also der „kleine Dieb“. Eine Gruppe englischer Frettchen wird „business“ genannt. Zwei Krähen als "conspiracy", eine Gruppe als "murder".
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Der
neue junge Mann aus der Gen Z am Anfang seiner Berufslaufbahn heißt
„Valentin“ oder „Tassilo“. (Eine Gruppe der jungen Männer
heißt „bubble“).
25.5.
Pfingsten
ist die Oberösterreichische Verballhornung von „die Fingisten“,
vom Lateinischen „fingis“, also „du erfindest“. Heute ist
somit der Gedenktag für Literatur und Staatsanwaltschaft.
26.5.
Es gibt das Stück „Ein musikalischer Witz“ von Mozart, in dem er sich über schlechte Komponisten lustig macht. Meinen dummen Ohren fallen nur die derfäulten Waldhörner auf. Bei Gelegenheit auch die „Spatzenmesse“ anhören.
***
In
der „Standard“-Berichterstattung über die Weigerung der WKO &
Gastro, vegane Kochlehren zu erlauben, kommt das Wort
„Schnitzelzwang“ vor. Willkommen Österreich.
27.5. KRUMAU
Der Grenzstreifen ist schon ziemlich durchgentrifiziert, jetzt müssen sogar schon die billigen Casinos und Outletcenter renoviert werden. Die Gartenzwerg-Vietnamesen sind in andere Branchen migriert (High End Crystal Meth?) oder verkaufen hölzerne Windmühlen in Gartendeko-Shops. Nur die Roma von Vetrinj hausen nach wie vor in vernachlässigten „Sozial“-Bauten. In der overtouristischen Altstadt werden Chinesen derzeit von Koreanern vertreten (erkennbar an den Wimpeln ihrer Reiseführerinnen). Eine Dame fragt, ob sie Daeny streicheln dürfe, weil sie ihren Hund zuhause in Kalifornien so vermisse.
Geglückte Stunden beim Daydrinking mit dem guten Krumlov-Bier in einem Hipster-Gartenbüdchen. Bene geht Zahnpasta-Shoppen. Dani erzählt, dass ein automatisches Übersetzungsprogramm unlängst die Genderkategorie „divers“ mit „Taucher“ übersetzt habe.
Die Braunbären im Burggraben werden immer noch nicht artgerecht gehalten, fressen aber immerhin vom veganen Büffet, dazu gibt’s zum Spielen ein Bierfass (Lokalkolorit).
Wir stellen eine gemeinsame Abneigung gegen barocke Gartengestaltung und Poltergruppen fest. Es ist angenehm, dass wir alle schon oft in Krumau gewesen sind, so können wir auf das Sightseeing völlig verzichten und uns aufs Trinken und Lästern konzentrieren: Die Menschen in den Schlauchbooten müssen jetzt Helm und Schwimmweste tragen, oder sie sitzen statisch auf einem Pensionistenfloß, das langsamer als die Moldau dahindümpelt, während ihnen von hinten und vorne von Männern in pseudobäuerlichen Leinenhemden die Landeskunde gemansplaint wird.
Auf der Heimfahrt halten wir beim jüdischen Friedhof nahe Rožmberk. Mittlerweile stehen etliche philanthropische Sponsoren auf dem Schild an der Mauer, aber das Gras steht so hoch wie in den frühen 1990ern. Wir klauben kleine Kiesel aus den riesigen Maulwurfshügeln zwischen den Gräbern und legen sie auf die Grabsteine.
Langsame Heimfahrt über Langzwettl, es wird ein Freiwilliges Feuersportwehrfest gefeiert, alle haben rote Backen von Bier und Sonnenbrand. Weiter nach Wels, es wird das Schl8hof-Voixfest gefeiert, alle haben rote Backen von Bier und Sonnenbrand.
28.5.
Die Eröffnung der Sommersaison im Sengsengebirge artet ziemlich aus, aber der Drang ist stärker als die Vernunft. Ich treffe mindestens sechs falsche Entscheidungen und sieben richtige. Gerade in der anstrengendsten Stunde des Herumkofferns auf der Koppenalm dackelt mir der Hund am ergebensten nach. Wieder neue Wege und verlassene Almen gefunden. Wie es hier vor hundert Jahren ausgesehen haben mag? Der Nationalpark verwandelt den Bergstock außerhalb der markierten Wege in einen Lost Place. Auf dem Weg zum Rohrauer Größtenberg ein Paar, das sich auch verkoffert hat, ich kann nicht einmal mit meiner Karte auf dem Handy behilflich sein, weil der Mann (natürlich der Wegfinder) seine Lesebrille nicht mitgenommen hat. Stunden später Verwünschungen gegen mich selbst, aber ich weiß da schon, dass ich gleich wieder hinauf will, sobald der Muskelkater abgeklungen ist.
29.5.
Enttäuschendste Hunderasse: der Disappointer
***
Schlagzeile des Tages: „Mutmaßlicher Spionagewal verlässt Norwegen in Richtung Süden“. Vor vier Jahren war der zahme und neugierige Belugawal vor der Küste Finnmarks gefunden worden; er trug einen Gurt mit Kamerahalterung. Drei Jahre trödelte „Hvaldimir“ nahe Norwegen herum, jetzt schwimmt er davon, aus Einsamkeit oder wegen der Hormone, glauben Meeresbiologen.
***
Statt „sick kids“ lese ich „side kicks“. Die Lesebrille wird wohl auch mir bald zuteil werden.
***
Eigentlich
ein Traum, der es nicht in die Zukunft schaffen muss, aber es war
einer der wenigen, in denen mir der Vater erschienen ist. Es war
seine Aufgabe, mich mit Barbituraten zu euthanasieren, da ein Tumor
schon meine Schädeldecke absorbiert hat. Im Traum ermahne ich mich,
bloß nicht hinzugreifen, wäh. Ob das wirklich sein müsse, die
Sterbehilfe?, frage ich den Vater traurig, er sagt traurig ja, es
gehe sonst sehr schlimm aus, es sei besser, wir brächten das gleich
hinter uns. Daraufhin ordne ich Spar- und Notizbücher, lege
Dokumente heraus und gerate in Unmut, weil es mich gerade überhaupt
nicht sterben freut. Ich lasse meinen Ärger am Vater aus, der sich
in meiner Sterbstunde mit irgend einem zufällig getroffenen
Bekannten vertratscht.
30.5.
Irgendwo in den USA ist die kaum verweste Leiche einer Nonne exhumiert worden. Unter der schützenden Schimmelschicht schaut sie tatsächlich ganz propper aus (das gönne ich auch Tina Turner). Fassungslos Gläubige pilgern herbei, um ihre Hände auf die Schimmelschicht zu legen. Es handle sich im Übrigen um die erste Mumie einer afroamerikanischen Frau.
***
Interview mit einem 97-jährigen Komponisten in der ZEIT.
„Wie geht es Ihnen?“
„Es geht mir irgendwie.“
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Ein Herr „Walzer“ (=Walter) entschuldigt sich in einer Willhaben-Nachricht für seine Rechtschreibung: „händitastatur dicke finger“
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Mit solidarischem Wohlwollen schaue ich der Nachbarin dabei zu, wie sie mit großer Geschwindigkeit Cola und Wurstsemmi inhaliert, bevor sie ins Haus geht und für vier Kinder + Gatten etwas Gescheites kocht.
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Das jämmerliche Heulen einer Alarmanlage irgendeiner Firma irgendwo.
31.5.
Auf orf.at: Ein Skriptum aus dem 15. Jahrhundert ist „entdeckt“ worden, in dem sich ein Stand-Up-Comedian seine drei besten Nummern aufgeschrieben hat, zum Beispiel die satirische Hasenjagd, bei der die Killerkarnickel den Jägern die Kehlköpfe herausreißen.