Phantomereignisse
im September 2022
1.9.
Der Plan, für die kommende Apokalypse in der Metro zu preppen, ist nicht ganz aufgegangen. Statt 10 Kilo Dosenpfirsichen kaufe ich eine rosa Frisbee für den Hund und Tombolalose für die nächsten 13 Jahre Grauen.
3.9. Eferding
Für die Klimarettung fühle ich mich zu alt, was ich bei der Buchpräsentation von „Ändert sich nichts, ändert sich alles“ (zu der ich mit dem Auto fahre, wie alle anderen auch) auch öffentlich mitteile. Ich bedanke mich bei den jungen Leuten aber auch dafür, dass sie das übernehmen, denn ich muss noch so viel lesen und wandern, bevor ich sterbe.
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An Wochenenden wie diesen bekomme ich oft ein schlechtes Gewissen, weil ich dem Buttinger meine senile Aktivitätsaversion so aufnötige. Er wird sich bestimmt einmal eine Jüngere suchen – aber nicht für Einschlägiges, das kann man ja gemütlich zuhause erledigen – sondern für Kino und Oldtimer-Citroën-Grillereien in Sattledt. Es würde gut zum Titel dieser Serie passen, würde ich sie um Listen ergänzen, wo ich überall nicht war. Das ist mein unbeabsichtigter Beitrag zur Klimaschonung.
5.9.
Krambambuleske
Verzweiflung in den Augen des Hundes, den ich auf den recht breiten
Grat des Almkogels locken möchte. Vergebens, sie springt vor Freude,
als ich umkehre. Mir kommt der Verdacht, dass der Buttinger das Tier
in diese Richtung domptiert hat.
6.9.
Deutliche innere und äußere Ereignisarmut, zumindest was das Luxussegment der Denkwürdigkeit betrifft. Vielleicht notiere ich derzeit auch nichts, weil mich das Abtippen der Jänner-Phantomereignisse beschäftigt und ich mir in sieben Monaten Arbeit ersparen möchte.
Nachtrag aus der Zukunft: Ich tippe die September-Nichtereignisse Anfang Februar 2023 und bin dankbar & enttäuscht zugleich über meine Faulheit.
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In der Nacht war ich mit dem Buttinger in einer Art Thailand unterwegs. Im Hotel richtet mir Rezeptionist aus, mein Vater habe angerufen, es gebe eine gute Nachricht. „Ah, den rufe ich später an, der macht ja gerade Mittagsschlaf!“, denke ich und der Traum ist aus.
7.9.
Immerhin bin ich schon so gut in der klassischen Musik eingehört, dass ich erkennen kann, ob das so gehört oder ein Kratzer in der CD ist.
Nachtrag: Während des Tippens bleibt Beethovens Dritte hängen, auch gleich gecheckt! Hört sich fast loungig an.
8.9.
Der erste Geburtstag, an dem mir niemand mehr Geld schenkt, dafür lauter gehobene, willkommene Accessoires für die Verbürgerlichung: gute Schuhe, Briefsiegel, eine Vogerl-Türglocke aus Messing, ein „Leseknochen“, regionale Fressalien aus Ottakring und dem Mühlviertel (inkl. der siebten Schürze). Buttinger pimpt mir den Schreibtisch mit einer Bleistiftspitz-Contraption, die das exakte Äquivalent zur Prosciutto-Schneidmaschine darstellt, für die ich einen Freund zum 50er noch herzhaft ausgelacht habe.
Ein großes Jausnen + zwei Stück Malakofftorte, quasi zum Ausgleich dafür, dass mir die Lichterfestgäste damals im Juli nicht ein Batzerl von der Hochzeitstorte gelassen haben.
Wir schnüren durch alte Fotoalben. Uralte Großväter auf einem Taufbild, so alt konnten nur Männer aussehen, die im WK II waren. 1971 war der eine Opa zwei Jahre bzw. drei Jahrzehnte älter als ich es heute geworden bin. Der andere Großvater hat zu diesem Zeitpunkt schon seit 20 Jahren ausgesehen wie 70.
Ein
extrem schönes Geschenk ist die Schilderung eines Betriebsausflug, mit der ich achtsam umgehen möchte.
Der Schilderer hat etliche geschätzte Kollegen, die nach dem Behindertengleichstellungsgesetz eingestellt wurden. Am Hallstätter Gräberfeld hat
man zur Erbauung einen Top-Forscher
organisiert, der sein Bestes gibt, um über sein
komplexes Tun und Wirken Auskunft zu geben. Er bemerkt bald, dass er
einige seiner Zuhörer schon beim dritten Satz verloren hat, weswegen
er sich unterbricht und fortwährend dazu auffordert, Fragen zu
stellen. Da hebt einer die Hand, der Topfforscher (bleibender Tippfehler) sagt erfreut „Ja, bitte!“
„Tschuldige, Frage: Kennst du in Winnetou?“ Die Kollegen wissen darum, dass Karl-May-Verfilmungen das Lebensthema des
Fragenden sind, sie verkneifen sich das Lachen. Der
Superwissenschaftler hat die Frage dann übrigens nicht besonders
exzellent beantwortet, aber so ist das mit der Spezialisierung.
9.9.
Man fragt mich, ob ich den Vorstandsvorsitz einer NGO übernehmen möchte, deren Mitglied ich einmal war. Jetzt warte ich schon auf den Anruf der katholischen Kirche, ob ich nicht Papst (Mamst) werden wolle. Mich nach einem hohen Amt zu fragen, ist immer ein schlechtes Zeichen. Ich bin das Orakeltier der Krise.
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Der Arzt fragt mich, was ich beruflich mache, er scheint sich wirklich zu interessieren. Da merke ich erst während meiner Ausführungen, dass er mich nur davon ablenken will, wie er mit dem Ultraschall immer wieder über die selbe Stelle fährt. Da sei auf der Mammographie eine Verdickung zu sehen, keine Sorge, aber schon wieder kommen usw. Scheiße einerseits, andererseits könnte die Todesangst vielleicht meinen Schaffensdrang anwerfen?
Nachtrag aus der Zukunft: Leider nein, da ich dem Rat des Arztes gefolgt bin, und immer wieder auf die potenzielle Todesgefahr vergesse.
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Auf der Hedonistika im DH5 bietet einer mit Polizeikapperl Frankfurter Würstel an, die man selbst auf einem kleinen elektrischen Stuhl hinrichten kann. Wenigstens dürfen sie paarweise sterben. Man kann aber auch Küken persönlich und individuell in Chicken Nuggets verwandeln oder sich von zweierlei Bar-Robotern abfüllen lassen. Nervenaufreibend der Disziplin-Automat, der mit ätzender Langsamkeit immer nur eine Erdnusshälfte freigibt. Ich empfehle den Menschen, vorher und nachher zum Beichtautomaten zu gehen, gleichsam zum seelischen Desinfizieren in Zeiten wie diesen. Der nicht ironisch gemeinte Massagestuhl ist in Dauerbeschlag, weil zu super – eine Mitarbeiterin liegt darin embryonal gefangen, mit offenem Mund im pflichtvergessenen Wohlfühlkoma, obwohl über ihr ein riesiger Delphin schwebt wie ein steinernes Damoklesschwert. Es wird schon gut sein, dass ich mich nicht in diese Falle gelegt habe, wie hätte ich jemals wieder hinauskönnen? So muss es mit Heroin sein, oder winters mit den japanischen Affen im Natur-Onsen.
10.9.
Schon
am Samstag Vormittag die Gewissheit, dass auch dieses Wochenende zu
kurz gewesen sein wird. Ich muss endlich „A little Life“ loswerden, das
mich nun seit Wochen laufend mikro-traumatisiert. Künftig frage ich
die Mitmenschen genau und konsequent, was sie mir da borgen möchten. Ich bin zu schwach für das Arge.
11.9.
In
der Kletterhalle erzählen eine junge Mutter und ich einander von
unseren Wesen, als wären Hund und Kleinkind eins. „Er schläft
brav durch!“ „Wir schauen, dass sie immer wen zum spielen hat.“
12.9.
Der morgendliche Grand Canyon des Stodertales ist Binge-Drinking für die Augen. Unendlich luxuriöse Einsamkeit auf dem Dolomitensteig, in der Hochsteinscharte, auf dem Weg hinüber zum Hirscheck. Es sind Montage wie dieser, für die es sich auf berufliche Ambition zu verzichten lohnt.
13.9.
Warum fällt es mir immer schwerer, alle Sockenpaare miteinander zu waschen?!
14.9.
Experiment Literatur im Black Horse. Es ist „crazy“ (S. Fasthuber), wie Marija Pavlović den eigenen, aber ihr auf Deutsch fremden Text liest – eine bestrickende Mischung aus Beherrschung und Überraschung.
Kutzenberger
– apropos crazy – will Wels als das „Florenz Österreichs“
vermarkten, natürlich nicht wegen vergleichbarer Schönheit, sondern
wegen des nationalen Größen-Rankings (beide sind die 8.-größte
Stadt des Landes). Dieser heilige Narr!
15.9.
Beim
Notar: „Kollisionskurator“ und „Aufsandung“ (das Gegenstück
zum Owesandln?)
19.9.
Warum etwas erfinden, wenn doch nichts los ist?
Das Mitteilenswerteste ist, dass ich beim pataphysischen Orchester mitspielen soll – Querflöte, wie schwer kann das schon sein? Bald ruft wirklich der Vatikan an.
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Aktuell
im CD-Player: Zisterzienser-Choräle, deren sanfter Wohlklang mich
mit fortwährender Dauer überraschend aggressiv macht.
20.9.
Zuerst wollte ich mir das Leben erleichtern und die Einberufung ins Orchester aus so vielen Gründen ablehnen, aber dann sehe ich mich selbst im Frack im Volkstheater, wie ich durch besondere Adrettheit meine Musikblindheit kompensiere. Wann, wenn nicht jetzt? Werden nicht umgekehrt Volleyballerinnen disqualifiziert, wenn sie zu lange Höschen tragen und das notzüchtige Auge des Patriarchats nicht mitnaschen darf? (Ich kann auch ohne Chorgesang wütend werden).
Am
Tag der Aufführung wird es mir aber vor dem Konzert so gehen wie vor
den Sidecar-Rennen, ich werde mich wie im schlechten Traum fragen,
wie ich mich bloß in so eine Situation bringen konnte. Von allen Bereichen
dieser Welt kann ich mir in der Musik am wenigsten durch Charme und
Improvisation den Kopf aus der Schlinge quatschen. Aber vielleicht
bin ich hochbegabt, ich hab ja noch nie in so eine Querflöte
geblasen! Möglicherweise gelingt es mir auch, frischen Wind in dieses
Genre zu bringen. Querflöten statt Querdenken! (Wobei ich beim
Instrument dieselbe Kompetenz aufweise, wie Impfgegner in der
Wissenschaft).
21.9.
Bei Gelegenheit mehr über die Menschen und Medien, die angesichts der für viel zu viele ruinösen Energiepreise Shoppingtipps für die Pullovermode in der Herbstsaison geben: „Fesch im Preppy-Style!“ Abgelichtet wird Dantendorfer-Premium-Strick zum Preis dreier Heizmonate. Aber natürlich vernünftig, denn Wolle stinkt nicht, und man kann auch noch beim Waschen sparen! Auch halten Maßschuhe viel länger.
Starke Gefühle auch gegenüber Industriellenvertretern wie dem KTM-Pierer, der angesichts der nicht ganz so großartigen Gewinnerwartungen im vierten Quartal von einem „Totalversagen der EU“ spricht. Selbst hat er sich aber 1,8 Millionen aus unserem Steuergeld in den Arsch schieben lassen für seine „Moto-Hall“ und fest an die Partei gespendet hat, die vor Putin im Staub knickste.
Schon wieder Wut, wie belebend!
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Ein junger Schachstar soll sich mittels „vibrierender Analkugeln“ (orf.on) von der KI über die nächsten Züge informiert haben. Der Erfolg hat seinen Preis.
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Die Wohnung statt Literaturpreise abstauben. #prokrastination
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Das Google-Streetview-Privatsphärenschändungs-Auto fährt just in dem Moment durch die Gasse, als ich in höchst unvorteilhafter Bekleidung zum Postkasten husche. Scheiß digitaler Daten-Kapitalismus!
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Wie Roiss und Gratt nach einer Stunde sehr ernster Kunst wieder danach lechzen, dass Frohsinn einkehrt, das geht mir ans Herz. Die Arbeit muss nicht immer wehtun!
22.9.
Jetzt ist der Moment gekommen, in dem ich vollständig in das Leben der Eltern geschlüpft bin. Die Nachbarn loben mich alle, wie ich in Hemd und Hosen des Vaters als alleinerziehende Gärtnerin die depperten Cotoneastergeschwüre zu bändigen versuche – ich sage ihnen, dass das aber nur die Spitze meines Arbeitseisbergs sei. Eine nutzt die Gelegenheit, um sich HNO-Tipps von mir zu holen, sie lässt sich von meinen Hinweisen auf weitreichende Inkompetenz nicht abbringen, also erzähle ich ihr irgendwas, weil ich zu asiatisch bin, um unhöflich einfach Nein zu sagen. Hoffentlich zwingt sie mich nicht, kleine chirurgische Eingriffe vorzunehmen (obwohl ich zumindest auch OP-Gewand im Kasten habe).
Ich denke, "Inkompetenzkompensationsstrategien" ist das Motto dieses Monats.
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Das schönste am Tag sind die Mahlzeiten.
23.9.
Wie es bei der sehr lieben Lesebühne mit der sehr lieben Katrin ohne H war, das wird hier im Lesebühnenblog in Wort (ich) und Bild (Dieter Decker) berichtet.
26.9.
Badeschluss am Gleinkersee. Wenn es schifft, muss man besonders schöne Wege mit besonders lieben Menschen gehen.
27.9.
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Heute zum ersten Mal eine Querflöte an den Lippen, ich bin nicht hochbegabt. Kann es sein, dass man nur drei verschiedene Töne damit herausbringt? Bei Gelegenheit den Trawöger fragen. Nach 30 Sekunden Blasversuchen wird mir schwindlig. Der Hund hat mit dem allerersten Ton den Raum verlassen.
Nachtrag: Nein, sie war nie im Zimmer, zu ihrem eigenen Glück habe ich sie im Garten vergessen. Aber sie rennt bei der nächsten Gelegenheit sofort von dannen.
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Im Wartezimmer der Tierärztin. Ein Mann stellt eine durchlöcherte Schachtel auf die Budel.
„Is des die Mutzi?“
„Jo. I hob kaa Transportbox ghobt.“
Die Arzthelferin tippt. Der Mann macht sich daran, die Schachtel zu öffnen.
„Jetzt waaß i goa ned, ob's nu drin is!“
Leider
lache ich in diesem Moment laut auf. Leider alleine. Leider versuche
ich den peinlich Berührten zu erklären, was mich so erheitert: „Ah,
wegen Schrödingers Katze!“ „...“ „Weil ma waaß ned, ob's
lebt oda ned.“ Regloses Schauen. „Bis ma nochschaut, dann...“
Wortlose Missbilligung. „Tschuidigen.“
28.9.
Der Postmann geht zögerlich auf mich zu. „Sie kriagn am Mittwoch immer a Zeitung. Is des des Kirchenblattl?“ „Nein, der Falter.“ „Ah, genau. Jedenfalls is nix kumma heit.“
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Telefonat mit dem guten Jagersberger, der einen starken Drang hat, unter Scheibenwischer geklemmte Mitteilungen zu lesen (wer nicht?). Erst unlängst habe er seinen schönsten Fund getan, einen sorgfältig herausgetrennten, linierten Zettel mit der Botschaft „Die Farbe Ihres Autos macht mich krank!!!“ Es sein ein unauffälliges dunkelblaues japanisches gewesen.
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Postskriptum nennt meinen alten Job nicht mehr „Opferlamm“, weil sich die VeganerInnen darüber gekränkt haben. Ich lache, aber dann sehe ich, dass es Sevi Agostini ernst meint. Ich bin seit 1998 Vegetarierin und trotzdem total im Out.
Jetzt weiß ich, warum es beim Verlesen der zynischen Spartipps gestern beim Man vs. Machine Slam so kalt im Publikum geworden ist – ich muss mich angehört haben wie Lisa Eckhart! Ich habe mich dann auch gleich unterbrochen und „des is Rollenprosa, Herrgott, ich bin doch selbst empört!“ Das Publikum hat völlig korrekt reagiert, wie kann man sich so zynischen Scheiß tatsächlich länger als fünf Minuten ruhig anhören?!
Tinder als „Pokemon Go für Enttäuschungen“ (Fabian Navarro)
29.9.
„Danke
für den launischen Abend!“, sagt der Vizebürgermeister.
Er beendet damit die erste Lesung meines Lebens (im Bühnenbild des
Pfarrtheaters), nach der es nicht einen Tropfen zu
trinken gibt, nicht einmal Wasser. Ich erbe die Aftershow und nehme
alle mit zu mir. Eh schön!
30.9. Wien
Im Matriarchat muss Mord im PMS automatisch immer nur Totschlag sein.
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Grauwasser
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Im Schauspielhaus beim „tiere wie wir (who is the walrus?)-Festival: Das Parlament der Dinge, der Ausschuss der Tiere, die sich bald von den Fabeltieren, den Haustieren und den Untieren trennen. Sehr schön! In der Pause gluchzen wir Martin Fritz und Raphi Edelbauer an. Trotzdem schwänzen Coala und ich den zweiten Teil, um Leute auszurichten. Peter Iwaniewicz schenkt uns seine zwei Biermarken.