Phantomereignisse im Mai 2022
1.5.
Erstwanderung mit dem Hund. Das wahre Abenteuer ist die Anfahrt mit Buttingers neuem alten Citroën, der alle 100 Meter bedrohlich spotzt und trotzt. Bergauf sind wir zu Fuß schneller. Wir riechen im Bergwald stark nach Benzin. Ansonsten war's sehr schön.
2.5.
Aus dem GSA-Katalog (1981): „Fondpassagiere werden durch Seitenhaltegriffe und Kartentaschen am Vordersitz verwöhnt.“ Wann ist uns diese Fähigkeit abhanden gekommen, schon mit sehr, sehr Wenigem verwöhnt zu werden?
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Tage voll hektischer Ereignislosigkeit. Im Irrglauben, überhaupt nichts weiterzubringen, erledigt sich dies und das.
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Kleine
Unterhaltung des Tages: Der Futterneid des Hundes. Sie fordert
deutlich die Befüllung ihrer Futterschüssel, obwohl sie gerade
gefressen hat, nur weil die fette Stief-Tante (wir sprechen über
einen anderen Hund) zusehen muss.
4.5.
Der Nachbar sagt „Oh, da ist der Herr Pfarrer!“, als ich die Terrasse betrete, und ich nicke salbungsvoll in die Runde, bis ich bemerke, dass hinter mir wirklich ein Pfarrer die Terrasse betreten hat und salbungsvoll in die Runde grüßt.
5.5.
Enge Beziehungen kann man kaum mit ausgeglichenem Saldo führen, man verstrickt sich gegenseitig immer stärker in Schulden. Etwa wenn die Schwester einen 10er spendet oder bei der Frage, was mir Dieter Decker im Austausch für meine Vernissagenhuldigung geben soll (einen Erstgeborenen hat er nicht, kommt mir auch leicht übertrieben vor).
Nach der Ansprache schenkt mir eine stark euphorisierte Frau ein Herz-Jesu-Karterl, sie bedankt sich für den schönen Satz „Ich liebe dich“, dabei habe ich ihn nur wieder einmal für den ollen Büffeteröffnungswitz missbraucht („Meine zwei liebsten Sätze in deutscher Sprache“). Ich liebe dich, das habe sie noch nie gehört (als hätte ich ihn gerade erfunden). Eine heilige Närrin. Decker prahlt leise mit seinem Mut, das Herz Jesu dankend abgelehnt zu haben.
6.5.
Gut bezahlt zu bekommen macht mich nervös. Ich hätte mir im kommunistischen Konsum- und Erwerbssystem leichter getan. (Update Juni: Ich habe mich geirrt, der Auftrag war gar nicht überbezahlt, ich habe das Honorar irrtümlich innerlich verdoppelt).
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Die Kriegs-Texte von der 2011er-Lesebühne sind noch so pfenninggut wie Papas Hausschuhe. Zum Glück haben wir keine fanatischen Fans, die sich gnadenlos alles merken, was wir so daherlesen.
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Immer öfter erschrecke ich, wenn sich Zeitgenossen als gleichaltrig herausstellen (Marc Pircher, der oö. Lungenprimar). Die Frauen schauen aber meistens sehr gut aus, da erneide ich eher.
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Klassische Musik
ist leider ein wenig wie klasische Geschichte – schön, aber es bleibt nichts
hängen.
7.5.
Bester Lacherfolg bei der Verlesung des Nachbarschaftskriegstextes auf des Nachbars Terrasse: Wie die arme Schmitzi mit DDT behandelt wird, wenn sie mit dem Kompost in den Garten will. Nie werde ich das Vergnügungsbedürfnis meiner Nahwelt richtig abschätzen können.
Beim
Heimkommen begrüßt mich ein ansehnlicher Blumenstrauß auf dem
Küchentisch.
8.5.
Artigst bedanke ich mich bei meinen Übernachtungsgästen für die Blumen, sie halten es für eine Metapher, bis sich herausstellt, dass sie unschuldig am Muttertagsgruß sind: Der schon zum Fischen abgereiste Buttinger hat ihn mir im Namen vom Hund geschenkt. Sweet!
Dann putze ich das Bad, weil es eh nur ironisch Muttertag ist.
9.5.
Lost in Gartenarbeit
10.5.
Lesung in Wien, zum Thema „Humor“, schütter besucht. Draußen flirrt der Frühling, im Keller ist es karg, leer und dunkel. Ich lese irgendwas, wahrscheinlich den Hundeohren-Text. Nach mir einer mit einem cheesy Sextext, den er aber so schreiben dürfe, denn er ist ja aus der Sicht der Frau. Anmoderation: „Ich wähle zwar nicht die FPÖ, aber so eine Impffreundin wie Dominika bin ich nicht, denn vorher konnte ich 30 Liegestütz, dann nur noch 10!“
Nach der Lesung sagt er, derzeit lebe er noch am Schneeberg, denke aber darüber nach, ans Meer zu ziehen. „Alpe-Adria, wegen der Luft. Ah! Alpe-Adria, findet ihr nicht?“ Ich frage ihn, ob das ein Familienwappen an seiner Brust sei. „Nein, haha, nur ein Markenlogo!“
„Ah. Haha!“
„Das Familienwappen trage ich am Ring, aber das ist ganz schlecht für den Energiefluss, der liegt zuhause.“
Seine Mutter habe wegen der Impfung Long Covid und Augenschmerzen, sich dann aber tatsächlich angesteckt, wodurch zumindest das Augenweh verschwunden sei.
Wenn
ich mir was von den Männern wünschen darf: Einfach einmal ein
anderes Thema als die Beschlafung und Entleibung von Frauen. Come on
boys, wir schaffen das!
11.5.
Der Hund liegt illegal im Foyer meiner heutigen Wirkungsstätte, sie spreizt die Beine und vermittelt der Reihe nach jedem der vielen Jugendlichen, dass sie genau auf DICH gewartet habe. Ich verkneife mir das Wort „Flitscherl“ sowie die Tatsache, dass sie eh JEDEN liebt.
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Zuhause nennt mich der Mann jetzt das „mittelgroße Wesen“ (und nach Bezahlen der Steuerschuld das mittellose).
13.5.
Die wunderbare Katzendoktorin Schroll spricht diese Woche wieder in „Vom Leben der Natur“ auf Ö1, heute darüber, wie man Kätzchen bekommt. Man muss die Katze leischen lassen. „Drei Tage später kommt die Kätzin dann zurück, todmüde, dreckig und trächtig.“
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Beim Betreten
der Melicharstraße begrüßen wir die versammelten Mitglieder der
KPÖ Linz und den hochverehrten Riess mit einem herzhaften „Geht's
wos hackln!“ Wir sind später angenehm überrascht, dass nicht
einmal hier Putin sehr gut verstanden wird. Heim mit kaputtem
Abblendlicht, scheiß Kapitalismus!
14.5.
Die neue eröffnete Boulderhalle versetzt mich in solch gute Stimmung, dass ich den jungen Männern, die mich höflich fragen, ob sie das Leiberl ausziehen dürfen, cheesy Altfrauenkomplimente mache.
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„Herr Ober!“ zum ersten Mal ganz gesehen. Das ist doch eine hervorragende Lyrik! Es geht um Maikäfer auf erdbebensicherem Gebiet. Nur dass im „Anschluss“ der widerwärtige Wegscheider auf Servus-TV vom Polt schwärmt, versalzt mir die Freude.
15.5.
Tagwache um 2:47. Der Horror². Wie konnte ich dazu bloß Ja sagen?! Wie schafft der gute Sterrer das, mich zu solch gotteslästerlichen Handlungen zu bringen? Andererseits sind wir um 13 Uhr schon wieder in Hinterstoder, waren vorher aber auf dem Großen Tragl. Was man alles in einen Tag packen könnte.
Es wird mit angemessener Sicherheit die letzte Skitour dieser Saison gewesen sein, nämlich eine, bei der wir die Ski länger tragen als sie uns. Ein Liebesdienst am Material, und eine Fron, mit der man sich einen Grausen geht, um es bis zum nächsten Winter auszuhalten.
Trotz Jetlags
trinken wir nächtens mit den Nachbarn. Waltenberger lacht nach wenigen Wochen
Abstand zur Ersterzählung wieder herzlich über das Ereignis, wie
sich die alte Hündin einmal in die Hose scheißen musste (Erzählung wird auf Anfrage nachgereicht). Er sagt, er habe das
schon wieder vergessen, und freue sich schon auf das dritte Mal.
Running Gag des Abends: „If you need more of my seemen, give me a
call!“ (Es geht um Chili, aber wollte das jemand wissen?)
16.5.
Der Automechaniker sen. fragt mich, ob er mich auf den Tausch des Abblendlichtbirnderls einladen dürfe, er habe immer so ein schlechtes Gewissen, dass er nie zur Lesebühne komme.
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Wenn ich nicht von der Skitour gestern so müd gewesen wäre, hätte ich keine Kraft gehabt zum Prokrastinieren im Büro. So aber schreibe ich, statt den Garten zu besamen.
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Es gibt in Österreich sechs neue Vogel-Arten: Jungfernkranich, Präriemöwe, Eleonorenfalke, Bergkalanderlerche, Wüstengrasmücke und Polarbirkenzeisig. Die Namen bestätigen das Ausmaß der Klimaerwärmung. Ich werde nicht googeln, ob es diese opulente Vogelnamenspracht wirklich gibt, weil ich will, dass es stimmt.
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Spam wird jetzt immer persönlicher gestaltet, soeben ist ein Mail mit dem Titel „Bilderschändung!“ eingetrudelt, und das interessiert mich leider wirklich. Mit Mühe nicht draufgeklickt.
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Ein sehr
ambivalenter Tag mit vielen Männerproblemen: drei große, sinnlose
Schlichtungsbitten. Aber auch: Ein Mann überweist mir einfach so das doppelte
Lektoratshonorar (Kunstförderung), ein anderer hört sich am Abend
ungewohnt geduldig die Schilderung der gescheiterten Mediationen an.
Fazit: Es sind nie dieselben, die Energie kosten und die Energie
schenken.
17.5.
Unterhaltsamer Termin auf dem Standesamt. Man fragt mich, ob ich geschäftsfähig sei, und der Mann, der mein Partner werden will, brummt nur leise, aber er und die Standesbeamtin lachen laut, als ich sage „geschäftsfähig schon, aber nicht geschäftstüchtig“, und der Partnerschaftskandidat sagt verschwörerisch „Sie ist halt keine Welserin“. Ob wir reiflich überlegt hätten, ob wir uns verpartnern lassen, fragt sie, denn man „kann nicht einfach drüberheiraten!“ Spannend, welche Konstrukte man erfinden muss, um die Ehe als Institution von mühevollem Pomp und überfrachteten gesellschaftlichen Erwartungen zu bewahren. Wir erwägen kurz einen Name-Swap, aber wenn ich „Klaus“ heiße, muss ich so viel erklären, also bleibt's beim Alten.
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Ein hässlicher Traum: Bei einer Konfrontation mit dem Bundeskanzler muss ich zu meinem Verdruss feststellen, dass er sehr gut riecht. Wortlos beschließen wir, das nicht zu ignorieren. Zugleich geniere ich mich fürchterlich! Wenn das rauskommt, ist das mein gesellschaftlicher Tod! Ich hätte so viel mehr zu verlieren als der Nehammer! Es ist aber auch ihm peinlich, von mir attrahiert zu werden. Ich schlage ihm vor, ins Finsterriegelkar zu gehen, weil da ganz bestimmt keine Menschen seien. Er nicht und wir gehen los. Wir kommen aber nicht weit, denn draußen vor der Tür wartet schon der Killer, der auf uns (oder eh nur den Bundeskanzler?) angesetzt ist.
Die Katzendoktorin Schroll weiß sicher auch, dass das Erblühen des Bauernjasmins die Roll-Zeit der Minkis indiziert.
18.5.
„Ist es nicht der schönste Job der Welt, Leute zu unterhalten? Ihnen das Warten auf den Tod zu versüßen?“ Kutzenberger, Kilometer Null
Die Moderation ist mir hervorragend gelungen, wie ich finde! Den Herrn Schriftsteller habe ich vor Freunden und Familie als „Lusche“ bezeichnet und seine LSD-Waage (mit der Aufschrift „Non verifié par l'etat“) als Tombolapreis ausgegeben.
Nicht einmal der Kutzeberger kann schon zugeben, dass er Schriftsteller sei. Wir bekennen einander, dass das nur jene ungehemmt von sich sagen, die uns ihre schrecklichen Manuskripte zum Gutfinden aufdrängen, oder Gäste bei der Lesebühne sein wollen, ohne überhaupt zu wissen, was das ist.
19.5.
Der Hund
springt der Vorstandsvorsitzenden der Sparkasse aufs Sommerkleid.
Ikarus Kaiser sieht zwar schwarz, dass seine Ziegen unseren Besuch auf seiner Brunnwiesalm zu
schätzen wissen, wir mögen es aber versuchen, denn es soll ein Wolf
in der Nähe gesichtet worden sein.
20.5.
Wir freuen uns ein wenig wie alte, weiße Leute, dass unsere Lesebühnengästin Cornelia Travnicek Dreadlocks hat. Das ist zwar der geringste von allen guten Gründen, sie einzuladen, aber es sind halt auch recht törichte, aufgeregte Zeiten, in denen wir arbeiten. Wir fühlen uns vor Applaus von der rechten Seite sicher, weil die ja diese Rastakultur als minderrassig empfinden. Weil Linz in allen Belangen Jahre hinterherzockelt, gibt es auch keinen Grund zum Ärgernis. Es ist nicht alles schlecht an gemütlicher Provinzialität!
Mehr und
Belangvolleres zur Lesebühne auf unserem Blog.
21.5.
Um ein Haar hätte ich vorgeschlagen, statt unserer Vornamen jeweils „Puppi“ in die Ringe gravieren zu lassen.
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Anfälle
großer Sinnlosigkeit angesichts der maroden Schwimmbadtechnik. Trost
im Suff.
22.5.
Politische Bildung in der Hundefreilaufzone.
„Warum wolltet ihr ein Weiberl?“
„Wegen dem Matriarchat.“
„Was heißt das?“
„Frauenherrschaft.“
„Ah, ok.“
„Das wird dir gefallen.“
„Hm, hm.“
Was man beim
Äußerln eben so äußert (synonym für "das Schnattern der
Hundebesitzer*innen").
23.5.
Der Bass der
Don-Kosaken erinnert an das Röhren von Elchen.
24.5.
Das größte Irrtumspotenzial liegt nicht im Metaphysischen bzw. Transzendentalen, sondern in der morgendlichen Halluzination, was sich alles an einem Tag ausgeht.
27.5.
Google Translate ist schon viel zu gut, nur noch selten beglückt es mich mit Blödsinn wie „reduziert auf das Bärennotwendige“.
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Heute ist
Kreisky-Konzert und ich gehe nicht hin. Ich geniere mich vor mir
selbst, in mir ringen FOMO und Vergreisung. Am besten google ich
gleich nach betreutem Wohnen, Hauptsache es gibt Bier und die
heute-show.
28.5.
Langeweile <3
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Ein Typ dreht sich auf der Straße nach mir um und lallt mir „Jo, Puppi!“ zu. Entgeisterung.
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Wir sitzen
vor dem Eingang des Schl8hofs und veranstalten einen Anti-Battle
darüber, wer das Daheimsein am meisten liebt. Ich unterliege dem
guten Waltila, weil ich unter „Sicherheitshose“ eine
forstwirtschaftliche Schnittschutzhose verstehe, dabei geht es um eine, die man in
Griffweite hat, wenn der Essensbote o.Ä. an der Tür klingelt. Echte
Introvertierte ziehen sich nicht nur in sich selbst, sondern ins Haus
zurück.
29.5.
Wer zu einer Matinée geht, hat sein Leben im Griff, gleichzeitig klingt das Wort nach dem Schlussstein des Verbürgerlichungsgewölbes, in dem man sich irgendwann einmauert. Es scheint, als trüge ich mir mein Kreisky-Versagen noch nach.
Martin Pollack geht auf uns zu und sagt „ja, Puppilein!“. Begeisterung. Der Hund legt die Ohren demütig an und leckt dem Staatspreisträger für Kulturpublizistik dankbar die Hände, ich küsse seine Backen. Seine Frau sagt, er nenne alles Puppi, das an sein Herz rühre, nur zu den Amseln sage er „Pippi“.
Wie aufs Stichwort kommt der Vogelkundler Hasi (ich nenne ihn ab jetzt besser „Vogi“). Er berichtet von einer Aussendung des Welser Magistrats, in dem der Ausbau der „Krabbenstube“ verkündet wurde.
30.5.
Kurt Kotrschal füllt Abend um Abend und Buch um Buch mit dem „Apex-Räuber“ Wolf, aber er hat offensichtlich keinen eigenen Gemüsegarten, sonst konzentrierte er seine Energie auf das Raubtier Nacktschnecke!!!! Ich schneide sie jetzt mit der Schere entzwei und fühle fast gar nichts mehr dabei.
Der Klenk
beweint das Artensterben im Garten, wegen der bösen Chemie.
Geschenkt! Aber das Hassobjekt Nacktschnecke erwähnt er nur zwecks
Clickbaiting im Titel, im Text selbst verschweigt er jeden guten Tipp
zur Koexistenz mit den Wegelagerschnecken! Bobo.
31.5.
Am zufriedensten darf ich heute damit sein, das Biertrinkangebot des Nachbarn um 11:38 ausgeschlagen zu haben. Er ist frustriert über das unbändigbare Gestrüpp seiner Hecken, ich über das unbändigbare Gestrüpp der Zwischenmenschlichkeit.
***
Mühsamer Mai, sei vorbei!