Phantomereignisse
im September 2021
1.9. Grundlsee
Ich darf nie sterben. Wer kümmert sich denn um mein ganzes Zeug, wenn ich einmal tot bin?
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35 Kilometer gegangen. Das nächste Mal nehme ich das Auto.
Ein Reh bellt im dampfenden Wald, als würde es sich über kleine, dicke Hunde lustig machen. Gämsen poltern in das Bärental hinauf, aber vielleicht mache ich noch Steinböcke draus. Die nützlichste Tiersichtung des Tages ist aber die tote Fliege im abendlichen Beilagensalat, sie ist zwei Marillenschnäpse wert.
2.9.
Die letzten Schritte auf den Gipfel des vorderen Bruderkogels. Bevor ich ihn sehe, höre ich ihn: Die Beschwerdepiffe des Steinadlers wegen Störung seiner Privatsphäre hören sich an wie das Schreien einer sehr großen, sehr angepissten Möwe. Für seine Grämung wie für die Schimpfbeschreibung verdiene ich einen ornithologischen Shitstorm. Der Adler selbst schwankt auch zwischen fight or flight, Aus einer Mischung aus Überraschung und Ehrfurcht warte ich wehr- und reglos auf seine Entscheidung. Sein Flug über das Widderkar wird einer der großen Momente 2021 bleiben. Weitere Tiersichtungen an diesem gleißenden Tag: ein Birkhuhn (tun wir halt so); Kühe auf einer geheimen Weide am Fuß der drei Brüderkogel; ein Reh, das mit einem Bein in den Wald steigt und mein Näherkommen lange und relativ provokant betrachtet.
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Bei der Gleichstellung der Geschlechter plädiere ich dafür, die Merowinger, Habsburger und Wittelsbacher weiter zu diskriminieren.
3.9. Grundlsee
Deutsche Wanderer haben die Dame im Tourismusbüro einmal aufgefordert, etwas gegen die ungestüm balzenden Auerhähne im Henarwald zu tun.
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Bad Gastein
Unser Mikro-Ausflug fühlt sich sofort an wie eine Reise ins Ausland, weil die wenigen Bankomaten im „Zentrum“ nur gegen Gebühr arbeiten, und natürlich, weil lauter wirklich Auswärtige um uns herum sind.
Die hiesigen Wandernadeln kann man auch per App erlangen.
"Na, habt's schon Mittag gegessen, liebe Gasteiner?" Der Heiland i.R. im Kurbad
Am besten gefällt uns die Ecke zwischen dem todteuren Kettenhotel (samt Standort-Shirts) und der Passage des verfallenden Kurpark-Geländes. Dass Beton vergehen kann! Wir drücken uns an der schwächlichen Absperrung vorbei. Das Gebäude soll erst seit 2007 leer stehen (googeln wir später), sieht aber aus wie seit 1986. Ein klassischer Lost Place, wie sie gerade in dystopographischer Mode sind. Überall träufelt Wasser herunter. Biologen hätten am Pionier-Ruderalbewuchs noch mehr Freude als wir. Von oben billige Musik aus billigen Boxen, die verstummt, sobald wir den Fuß auf die Treppe setzen. Ein Angestellter aus den wenigen geöffneten Hotels hat sich auf dem Dach offenbar einen Happy Place gebaut, mit altem Liegestuhl und etlichen slowakischen Bierdosen. Sobald wir wieder hinuntersteigen, geht geisterhaft die Musik wieder an.
Sehr ansprechend auch das bizarrste Naturdenkmal Österreichs, das man nur schwer findet, am ehesten, wenn man aufs Klo muss und den Hinweistafeln in das Erdgeschoß des riesigen APCOA-Parkhauses folgt. Auch hier rieselt und tropft es, mit voller Blase muss man sich jetzt wirklich ranhalten. Erst nach der Erleichterung mag man einen Blick für die hohe, moosige Bergwand haben. An deren Fuß eine bessere Quelle, tiefgrün. Mit leichtem Schrecken erkennt die Nähertretende darin dicht aneinandergeschmiegte Forellen. Sie sind grotesk groß, weil man sie füttern kann, mit 20 Cent für den Automaten ist man dabei – das billigste Vergnügen in Bad Gastein. Es werden wohl doch viele vor uns die „Gletschermühle“ im Hinterhinterhof des Betonklotzes entdeckt haben, steht ja auch ein Erklärschild daneben, vor allem sind die Fische grotesk ihrer gewohnten Dimension entwachsen. Zu keiner Jahreszeit fällt ein Lichtstrahl hier herein.
Arm auch das feuchte, tote, gelbe Haus, das abgetrennt vom Leben oberhalb des Wasserfalles steht wie ein kariöser Zahn, der auf sein Ausgerissenwerden wartet.
Abends trinken wir Dosenstieglbier auf dem Balkon, um der bürgerlichen Prachtvergangenheit, die uns am Nachmittag bedrückt und unterhalten hat, etwas Vitales entgegenzusetzen. Erst nach einer Weile wird uns klar, dass hier – recht ungewohnt nach der großen Stille am Grundlsee – kein Verkehr das Hintergrundrauschen verursacht, sondern der Wasserfall. Anders als im Toten Gebirge hat man in den Tauern das Gefühl, im System großer, alter Ströme zu stehen, nicht mehr im touristischen Kehrwasser. Dabei war ja im Salzkammergut in den beiden Seuchensommern alles ausgebucht, während man im Gasteiner Tal aus Gästemangel mit den Zähnen knirscht.
Etwas Neues oder gar Cooles über Bad Gastein zu schreiben hat man eigentlich schon 2014 verpasst, aber trotzdem fotografieren wir die ganze Zeit, überall findet sich etwas Skurriles, während im Salzkammergut alles aus gediegenem Guss ist. Die Pseudo-Exotik speist sich aus einer anderen Quelle als die uncanny Hallstätter Un-Heimlichkeit. Abends lese ich zufällig den Katalog zu „The Big Sleep“, der Ausstellung über Tierpräparate. Erst nach einer halben Stunde gneiße ich, wie gut das passt. Und wie gut es uns hier gefällt – schaut, wie viel ich notiert habe!
4.9. Bad Gastein – Korntauern
Der echte, ganzjährig benutzbare Ort beginnt erst 300 Höhenmeter über dem Kurhotel-Hongkong, samt Billa, sozialem Wohnbau und „Café Gitti“ - wie ein kleines, alpines Altiplano einen Kilometer oberhalb von La Paz.
Der Nationalpark Hohe Tauern kann nicht sehr groß sein, denn ich treffe eine Bekannte, die zuhause nur die Donau und zwei, drei Kilometer Luftlinie von mir trennen. Wir finden es wunderschön hier, nur das viele Geröll erachten wir beide als etwas unordentlich, im Karst ist es viel aufgeräumter.
Waren wir beim Aufstieg noch die einzigen Wanderinnen, geraten wir südseitig, oberhalb der Scharte wieder in ein Zugsystem. Die Leute mögen Kärnten halt, es gibt ein bisschen Gletscher und eine Bahn. Gerne wäre ich auf einen Gipfel gestiegen, im markierten Bereich ist aber keiner zu haben, und ich kenne die geheimen Wege der Tauern nicht. So kehre ich am Nachmittag zurück in das Sackgastein; auch nordseitig sind die Berge elektrifiziert, hoch oben stehen noch Strommasten. Ein Segen für Snobs wie mich, dass das Tote Gebirge für den brutalen Tourismus in den 1970ern nicht interessant genug war.
Ein Tourismusmann erzählt uns beim Abendessen, dass die Appartments nach der Vermietung an Skandinavier am schlimmsten aussähen, und dass es eine Art Darknet für Gratis-Tourismus gäbe, dank dessen Mittellose in Leerständen schlafen und an schlecht kontrollierten Büffets frühstücken können.
5.9. Bad Gastein – Sportgastein – Wels
Erst am dritten Tag im Tal begreife ich, warum ich ständig ludeln muss, mindestens alle halben Stunden: Es liegt an all den Bächen, Flüssen, Quellen. Immer plätschert, gurgelt und wischerlt es irgendwo.
Die Schafe unterhalb des Niedersachenhauses hören sich an, als seien sie zu dumm, um mehr als „Möh!“ herauszubekommen, obwohl sie es besser könnten. Sie klingen wie eine vielstimmige Horde erstaunter Proleten, die Fremde mit „He! He! He!“ anschreien.
Immer wieder verbieten Schilder „bergpolizeilich“ das Betreten der historischen Stollenanlagen, sodass man große Lust bekommt, endlich eine zu betreten, fände man endlich eine.
75 Höhenmeter oberhalb des Parkplatzes, von dem ich am Morgen gestartet bin, fragt mich in der Nachmittagshitze ein oben ohne Wandernder keuchend, ob es noch weit sei hinauf, und ich weiß nicht, wie ich ihm seine bevorstehende Aufgabe schonend beibringen soll.
7.9.
Linz, Wels, Schönering, Irgendwo dazwischen
Die Sitzungen sind zurück in meinem Leben, ächz.
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Vogel der Woche: die „Allerweltsralle“ (K. Nüchtern)
8.9.
Zum Geburtstag bekomme ich von einer alten Schulfreundin Schnurren geschenkt. So habe etwa im vorhergehenden Jahrtausend ein Handelsreisender mit seinem Tripper eine erstaunliche Anzahl an NachbarInnen in angesteckt. Zweitens habe eine ihrer Schülerin damit geprahlt, dass ihr Vater so gerne Karl Marx lese, zur Entspannung, am liebsten im Urlaub. Vorsichtiges Nachfragen ergab, dass „Karl May“ gemeint war. Die Lehrerin hatte laut aufgelacht, war allerdings verstummt, als sie in eine Klasse voller junger, verwirrter Menschen sah, denen der Proletenvereiniger genauso unbekannt war wie der Indianerschwindler, nämlich völlig. Drittens habe die amtierende Partei in unserer Gemeinde einen Tag lang mit „Ehrfahrung kann man wählen“ plakatiert. Ich bin die Letzte, die darüber lacht, denn ich habe damals 435 Exemplare der „Sau“ persönlich korrigiert (Gewidmet meinen Vorhfahren“, das verzeihe ich den Verantwortlichen in diesem Leben nicht mehr).
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„Mama, sind die Minki und ich verwandt?“
„Nein.“
„Ah, aber sie ist meine Taufpartnerin!“
9.9.
Die oasch Taliban haben ein Amt eingeführt, das sich anhört, als hätten wir es für die Lesebühne erfunden: das Ministerium für „Einladung, Führung, Laster und Tugend“. Da wär's wirklich schon wurscht, wenn man gleich auch noch eins für „Gottgefällige IslamischeGangarten“ einrichtete.
10.9.
Kostbarer Fund im News-Strudel: Ein spanischer Bischof gibt sein Amt auf, weil er sich in eine Autorin satanistisch-erotischer Bücher verliebt hat. Xavier Novell Goma war Spezialist für Teufelsaustreibung und wegen seines Widerstandes gegen Homosexualität bekannt. Jetzt will das Paar in die Landwirtschaft gehen. Nur falls mich wieder jemand fragt, warum ich keine Fiktion schreibe.
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Im Grunde meines Herzens will ich immer nur auf der Couch liegen und lesen, außer „Kreisky“ ist in der Stadt. Weil ich nun ein erwachsener Mensch bin, tue ich nicht lang herum und kaufe mir vor dem Konzert gleich den 25€-Bier-Block. Sieben Stunden später wird davon auch nichts übrig bleiben, denn es sind liebe junge Menschen da, die ich einlade wie eine cheesy Sugar Mummy. Irgendwann ab Mitternacht werde ich vom beschickerten Star-Autor Elias Hirschl erpresst; er droht, eine flapsig formulierte Korrespondenz zu veröffentlichen – mein #metoo-Moment, ich fühle mich geschmeichelt! Gern gebe ich den Zehner her. Der Hirschl freut sich närrisch und läuft davon, um allen meine flapsig formulierte Korrespondenz zu zeigen, z.B. den lieben Kreisky-Herren. Der Mitter Klaus gießt mir, noch bevor wir uns begrüßt haben, ein Backstage-Bier in mein Becherlein, aus dem ich an sich nicht noch mehr trinken sollte, aber das Zipfer hat er aus dem Tocotronic-Kühlschrank gefladert. Alle sagen, dass Dirk von Lotzow aussieht wie der ältere Bruder von Boris Schuld, der plötzlich wirklich dasteht und aussieht wie der jüngere Bruder von Dirk von Lotzow. Wir haben das Gefühl, mit einem Promi zu trinken.
Hirschl taucht wieder auf, jetzt kann auch er nichts mehr trinken, aber er sagt, das sei der beste Zeitpunkt, um mich seiner Agentin zu empfehlen. Tags darauf muss ich erkennen, dass er es ernst gemeint hat.
Das Kreisky-Konzert war mir übrigens Stunden zu kurz, aber das wird man sich schon gedacht haben. Es ist übrigens sehr schön, von den Menschen der Lieblingsband persönlich gekannt zu werden, in besonders euphorischen Momenten muss man sich als Fan dann aber auch zusammenreißen, um der Band nicht persönlich peinlich zu werden.
Dabei müssen einen die Dinge, die man von allen am meisten liebt, gar nicht immer zurückkennen, das Ratsherrenbier, der Sonnenschein und das Tote Gebirge wissen gar nicht, dass es mich überhaupt gibt. Der Große Priel wird nie einen Schatten werfen, der meiner Silhouette gleicht, und so muss das auch sein.
12.9.
Eine neue Fieberblase neben der alten. Das Leben ist ein Hit!
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An den verschiedensten Stellen hinterlasse ich jetzt kleine Notizen, damit sie in ein paar Jahren zu Grüßen aus der Vergangenheit werden, ein freundlicher diy-Spuk irgendwann gedachter Sachen.
13.9.
Meine Wanderbegleitung trägt als Wanderbekleidung wechselweise drei gachgelbe Jungschar-Schönering-Leiberl, was ich als Statement gegen den Skinfit-Ausrüstungsfetischismus lobe. Auf dem Gipfel des Sumperecks (übrigens eine magische halbe Stunde) knurrt trotz Brettljause ein Magen, halt!, nein, es ist ein röhrender Hirsch. Die beiden Herren glauben, ich hielte sie zum Besten. Es stimmt, ein röhrender Hirsch klingt wirklich so, als parodierte er einen röhrenden Hirschen.
14.9.
Beim gar nicht coronaadäquaten Umarmen Regina Pintars entdecke ich Franzobel, Ramona Schnekenburger (guter Name!) und Günter Kaindlstorfer im nächtlichen Efeu vor der Alten Welt. Letzterer macht sich u.a. mit der Erzählung bei mir beliebt, dass er bei einem Blind Date nachhaltig mit einer Dame verkuppelt worden sei, die eh schon Kaindlstorfer geheißen habe, also hat wohl gar nichts mehr gegen eine Hochzeit gesprochen.
15.9.
Ein Specht klopft mich morgens aus dem Baumhausschlaf, er wirkt wütend, dass er nicht an die fette Made im Inneren gelangen kann.
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Kein Schöpfungsdrang quält mich. Auch das selbstgemachte Gemüse ist mir zu viel. Den ganzen Tag emsiges, uneigentliches Arbeiten. Badeschluss. Der Herbst will sich anscheinend für sein Zufrühkommen im August entschuldigen. Bei der nächtlichen Mordrunde an den Nacktschnecken verschone ich die eierlegenden Paare und werfe sie intakt in den Kompostkübel. Sentimental.
16.9.
Der Zirkowitsch hat mir so viele lustige Sachen erzählt, aber ich habe sie mir nicht gemerkt – wie eine Verrückte, die lauter Hunderter auf der Straße liegen lässt.
Eine Frau wartet vor dem Kepler-Salon-Klo, in dem ich mich umziehe. Ich öffne ihr die Tür im Frack, sie sieht mich dementsprechend an. Keine Ahnung, warum ich den großen, schwarzen Kleidersack hebe und „Ich habe nur noch schnell eine Leiche beseitigt“ sage, wirklich keine Ahnung. Die Dame sieht mich dementsprechend an. Auf der Bühne übersehe ich, dass der Mann, den ich auf die Bühne bitten soll, schon drauf sitzt. Das Publikum sieht mich dementsprechend an.
Nachts radle ich im Frack durch den Regen, erhobenen Hauptes, das bin ich der Montur schuldig. Das Volk sieht mir dementsprechend nach.
17.9.
Mit gerunzelter Stirn kommt der junge Altenstrasser aus der Werkstatt und drückt mir eine Stachelschweinborste in die Hand, die er gerade aus meinem Kühler gezogen hat. Er hat Fragen, ich keine Antworten.
18.9.
Die drei Birkhühner, die ich auf dem Weg vom Toten Mann herunter beunruhige, wenden ihren Blick von mir, damit ich sie nicht entdecke. Ich spiele mit.
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Buttinger erzählt, dass er in der zurückliegenden Segelwoche angesichts seiner Freunde, die das von ihm liebevoll gekochte Mahl stets binnen Minuten verschlangen, dreimal täglich meine Mutter zitierte. „Man sieht einem Narren gleich!“
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Kutzenberger behauptet bei der Ansprache zu seinem 50er tatsachenwidrig, Buttinger und ich hätten uns in seinen neuen Roman reklamiert, und nun käme ich tatsächlich vor, aber nicht wie versprochen als ermordete argentinische Touristin, sondern als handlungsfernes Zentrum eines bizarren Kultes. Wie zum Beweis erklärt sich am Ende der sehr schönen Feier seine Tochter zu meiner Vizepräsidentin, SOFORT, sagt sie. Ich willfahre natürlich.
19.9.
Es gibt graue Katzenpfötchen-Federmotten und vierfleckige Storchschnabelzünsler (auf die Liste in Frage kommender Wiedergeburtskörper?).
20.9.
Zoombie = Mensch nach drei Stunden Online-Meeting
21.9.
Bob-Ross, ASMR-Held
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Es sieht so aus, als klappe Hirschls skurrile Agentur-Empfehlung, Anna Jung und ich schreiben einander sehr liebe Mails – aber etwas anderes als Chilisaucen und auf den letzten Drücker hingefetzte Lesebühnentexte kann ich ihr produktmäßig nicht anbieten.
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Seit längerer Zeit muss ich mich sehr dazu anhalten, zeitgenössische Literatur zu lesen, wahrscheinlich weil ich immer vor Neid erglühe, wenn sie gut ist. Am liebsten läse ich nur Völkerwander-Führer, oder wie man einen Turmschädel macht. Gibt es interessantere Informationen als jene, dass das in der Jungsteinzeit weltweit Mode war? In Europa erreichte dieser Trend erst im 5. und 6. Jahrhundert seinen Höhepunkt, wahrscheinlich ein Import der Hunnen.
24.9.
Heute
hat mich das Gefühl der Ausgesetztheit etwas stärker angefasst als
sonst; vor genau einem Jahr bin ich von hier aus weit hinüber zum
Hochweiß gekommen. Heute schaffe ich das nicht, bei jedem Schritt
muss ich einen winzigen Widerstand überwinden, der nichts mit
Schwerkraft und Kondition zu tun hat. Zeitlich wäre sich die
Wiederholung des wilden Marschs ausgegangen, seelisch nicht. Gleichzeitig möchte ich vor Glück aus der Haut fahren, wie immer hier heroben.
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Die schnelle Veränderung des Sonnenstandes fällt mir heuer erstmals wirklich auf, wahrscheinlich weil ich das erste Jahr allein für alles hier verantwortlich war. Vielleicht aber auch, weil ich beginne, das Rasen der Zeit zu sehen. Die perfekte Droge für mich wäre Anti-THC. Etwas, das mir die extra air time verschafft, die man in den 1990ern an Michael Jordans Flügen zum Korb beobachten konnte.
25.9.
Kater + PMS = Befindlichkeit from hell
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Die Weihbischöfe von Köln heißen Ansgar Puff und Dominikus Schwaderlapp. Der Kater lässt nach.
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Ich ziehe euch mit meinen Blicken warm an.
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Eine möglicherweise schmerzhafte Frage in der Ära unserer ganzen Bullshit-Jobs: Welche Früchte deiner Arbeit würdest du bei einer Erntedank-Prozession auf einem Wägelchen durchs Dorf ziehen? Ich: ein paar Zettel und 23 Gläser Chilisauce.
26.9.
Ich darf mit einer Literatur-Akkreditierung durch das Wahlabendgewimmel im u/hof strolchen. Die ÖVP braucht irre viel Platz, weil sie sich nicht ohne Entourage bewegt, junge Jubelperser in türkisen Pololeiberl begleiten enthusiastisch jeden Schritt des neu-alten LH. Das Machtgehabe inspiriert mich, ich schüttle dem Stelzer die Hand „im Namen der Literatur“, nur ist mir das in derselben Sekunde peinlich, während kein Gran Zweifel die anhänglichen Gemüter der Bauernbundjugend trübt. Neid!
Vor der Damentoilette eine Delegation roter Damen, ich mache einen Witz, ob sie der Frau Landesrätin das Klo-Spalier machten, da kommt sie heraus und alle setzen sich mit ihr in Bewegung. Müde drängt sich der grüne Landesrat an mit vorbei und legt mir eine Sekunde die Hand auf die Schulter, das darf der Buttinger nicht lesen.
Die FPÖ hat in der Zwischenzeit die Kantine leergetrunken, ich hamstere die letzten drei Seiterl. Während ich das erste allein in einer Ecke öffne, kommen zwei Neu-Abgeordnete der MFG in meine Richtung, ich wende in Fremdscham den Kopf wie die drei Birkhühner am Toten Mann. Der Trick gelingt, die zwei Impflumpis stellen sich neben mich und beginnen keine Stunde nach ihrem Einzug in den Landtag einen festen Disput, bei dem Pöttler den Jüngeren dafür schilt, dass er bei der aufgelegten ORF-Frage, wie man angesichts so vieler Menschen auf den Intensivstationen so deppert tun könne (sinngemäß), nicht die von der MFG zurechtklabüserten Intensiv-Zahlen genannt habe, sondern die richtigen.
In einer Mischung aus Besorgnis und Amüsement über diese doofen Landsleute schlendere ich in den großen Mediensaal, renne aber gleich wieder hinaus, weil darin plötzlich der Kurz vor mir steht, Grundgütiger, muss das sein! Rüber in den Gang – aus dem Klo kommt Werner Kogler. Ich verlasse das Geschehen und gebe einem jungen Menschen meine Akkreditierung. Er kommt - 50 Kilo leicht, zwei Meter groß, augenscheinlich Mann – locker als „Dominika Meindl“ wieder hinein zur Elite, aber wozu? Die FPÖ hat wirklich alles leergetrunken.
28.9.
„Es woa sicha a Ratte, es woa nämlich a richtig dicke Maus.“ Coala
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„Meine“ Agentin Anna Jung sagt, ein wirklich gutes Lektorat müsste bei meinem Bergroman selbst da rauf ins Tote Gebirge, um nachzuschauen, ob das auch alles stimmt.
29.9.
Trotz fortwährenden Aufräumens stoße ich im Haus immer noch auf Nester der Entropie, heute etwa im medizinischen Bereich. Über vier Zimmer verteilt liegt, wonach sich ein Tropenspital im Kongo sehnt.
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Gestern und heute unabsichtlich Paläo-Diät, weil ich die Tür des Tiefkühlschranks über Nacht offen gelassen habe. Wir hatten wirklich viele Würste auf Vorrat.
30.9.
Die Schlussmeldung im Ö1-Abendjournal: Ein Mitarbeiter des Weißen Hauses sei extra dafür abgestellt gewesen, Trump bei Wutanfällen mit seiner Lieblingsmusik zu besänftigen, etwa „Memories“ aus „Cats“.