Mittwoch, September 29, 2021

Fremddeckungen, Leuchtschleim und Spinnenpfoten. Phantomereignisse im August 2021

1.8.

Die Nachbarn ziehen ein ziemliches Sexbusiness auf, nach rassischen Kriterien. „Snowmass Diamond Mountain ist schon voll im Einsatz und hat ander Beschäftigung so richtig Spaß! Verständlich, er bekommt auch die heißesten 'Eisen' in der europäischen Alpacawelt! ACHTUNG: Es stehen nur mehr 2 Fremddeckungen für 2021 zur Verfügung. […] Jetzt reservieren und in der eigenen Zucht einen Quantensprung in der Feinheit, Dichte und Gleichmäßigkeit vornehmen!“

3.8.

Die ganzen christlichen Accessoires im Haus beginnen wie vergessene Weihnachtsdeko auszusehen.

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Ein selten gewordener Ausflug nach Linz. Alle schauen mich an. Entweder habe ich eine Modeverschiebung verschlafen oder ich bin berühmt. Vielleicht aber auch paranoid. Später, in der Kletterhalle, schaut eine Frau, der ich sehr schwungvoll aus der Toilette entgegenkomme, irritiert an der Tür nach, ob das eh das Damenklo ist. Dabei war ich seit Monaten nicht beim Friseur und trage eine lavendle Hose.

4.8.

Weil er es so doof findet, dass der deutsche Naturbund bei den Störchen gendert, flüchtet der Schriftsteller Politycki ins „Exil“ nach Wien. Ich kaufe dem seine Sorgen für 500 €.

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Bei Gelegenheit etwas über die allgemeine Übermüdung schreiben, die Frauen nur akzeptieren können, wenn es nichts mit einer Versagensmöglichkeit zu tun hat. Dir wird alles zu viel in der rush hour? Muss Long Covid sein. Dein Kind erschöpft dich, obwohl der Mann eh zweimal in der Woche mithilft beim Zubettbringen? Vielleicht ist es das Amalgam in den Plomben! Du willst deine Familie an die Organmafia verkaufen, weil du die einzige bist, die anderer Leute Stundenpläne, Arzttermine, Sockenaufenthaltsorte weiß? Hm, ist vielleicht Eisenmangel, geh' mal zum Energetiker, da ist wo eine Blockade im Chakrahaus, wegen der Mondphase. Die erschöpften Mütter versagen aber nur in einer Sache, dass sie nämlich nichts anzünden vor Wut, und dass sie glauben, sich selbst ändern zu müssen statt das System.

5.8.

Bin heute selbst erschöpft, aber ohne Versagen, nur wegen der Impfung.

6.8.

Die Beute lenkt den Feind mit leuchtendem Schleim ab.“ Die ZEIT

7.8.


Nach der Wanderung aufs Brandleck über das Prentnerkar ziehe ich schnell Leiberl und BH aus, woraufhin ein alter VW-Bulli wendet und auf mich zukommt. Ich schwanke zwischen Abwehr und „Schau, wie mein süßer Body wirkt“, da kommt aus dem Bus schon eine herausgestiegen, die mich erkannt hat und die ich mag.

Dann sehr schnell durch den kleinen Orkan nach Wels, ich bin viel zu spät für den „Großartigen Leseklub“, der seinen Namen zu Recht trägt, schon alleine, weil sich Frau KMT mit fordernder Sexualität auf ihr Keyboard legt. Ich habe eine Kapperlfrisur und miachtle ein wenig, trotzdem siezt mich Barbara Zeman. 

8.8.

Mittlerweile machen mich Lesungen, zu denen die Menschen ordentlich gekleidet zu früh erscheinen, sehr nervös, noch dazu, wenn ich Ernstes lesen muss. Gelesen wird im lavendel getünchten ehemaligen Gmundner Klomuseum. Später wird man mich loben, dass ich die Sachs-Gedichte so „straight“ gelesen habe, dabei konnte ich es einfach nicht besser. Eine Besucherin droht mir, als ich sage, ich sei aus dem Zentralraum: „Ned frech wern!“

9.8.

Zu viel Raum, zu wenig Zeit.

10.8.

Ich habe keinen guten Geschmack, dafür einen guten Appetit.

11.8.

In der Perseidennacht allein auf dem Gipfel des Großen Brieglersbergs. Noch vor Mitternacht gehen mir die Wünsche für all die Sternschnuppen aus. Bald treiben mich immer tiefer fliegende Fledermäuse ins Zelt hinein. Frühmorgens trudelt ein Birkhuhn neben mir herab. 

12.8.

Die Augen trinken diese Schönheit wie kaltes Bier. Das Gipfelbuch auf dem Hebenkas stammt aus dem Jahr 1981, jemand hat neben einen der ersten Namen „+1983 Pyhrner Kampl“ geschrieben. Vorne steht in Kalligraphie: „Du sollst nicht danach streben, dass es dir gut geht, sondern dass durch dich Gutes geschieht.“ 2021 ist immer noch ein Drittel unbeschrieben.

Nach 30 Stunden steige ich ab, wie immer mit dem Gefühl, hier nur einen Bruchteil der Landschaft gesehen zu haben. Nach 1000 Höhenmetern frage ich mich wie immer, wer das alles heraufgegangen sein soll, und wozu.


13.8.

Setz' „Die Bienen und das Unsichtbare“ ist ein ganz ausgezeichnetes Buch („auf Spinnenpfoten“), obwohl ich trotzdem weder Volapük noch Esperanto lernen möchte.

17.8.

Homer soll eine Gedichtparodie namens „Der Froschmäusekrieg“ geschrieben haben (gefunden bei Kierkegaard, gleich daneben das Wort „Schnurrpfeifereien“).

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Wenn ich wirklich einmal alles lese, was ich mir in den Urlaub mitnehme, komme ich als anderer Mensch zurück.

18.8.

Ich will nicht prahlen, aber ich habe gerade das beste Kompliment des Quartals bekommen: „Fia des, dass'd recht liab bist, bist aa gaunz gescheid.“ Es war aber auch notwendig, denn die junge Friseurin hatte mich eine Stunde vorher gefragt, was denn meine ursprüngliche Haarfarbe einmal gewesen sei. Die Scham angesichts meiner „Frisur“ im Spiegel war übrigens nach einer halben Stunde intensiver Wildwuchsbändigung in papageienhafte Selbstverliebtheit umgeschlagen, ich hatte mich zusammenreißen müssen, nicht eitel zu krähen.

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Am Beispiel der „Wand“: Immer wenn die Rührung den Buttinger zu übermannen droht, lenkt er sich selbst mit extranervigen random Fragen zum Gesehenen ab („Wer ist jetzt der Luchs?“ „Der Hund, der gerade erschlagen wird.“ „Ha?“ „Bitte!!!!!“ „Wem ghert der Hund?“ „Dem Jäger.“ „Welchem Jäger?“ „Den man am Anfang gesehen hat...“ „Da hab ich nicht geschaut.“ aaaargh!!!!). Am Ende haben wir aber beide nicht geweint bei der Einstellung, in der Luchs retrospektiv über die Alm läuft.

19.8.

Armselig ist das Haus, in dem es nicht auch viele überflüssige Dinge gibt.“ Horaz war noch nie bei mir daheim.

20.8.

Ich binge „Binge Living“, es ist durchgehend lustig! „Shit, ich hab total vergessen, dass man arbeiten muss, wenn man einen Job hat.“ Oder: „Nach fünf Stunden habe ich mich ernsthaft gefragt, wozu man ganze Kontinente versklavt, wenn denn erst gebildete, mitteleuropäische Kunststudentinnen Stunden ihres kostbaren Lebens vergeuden müssen.“

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Ein Neuroleptikum für Kinder heißt „Pipamperon“.

"Analgentechnik" - nein, danke!

21.8.

Heute überhole ich beim Wandern so viele Männer, dass ich selbst schon an die Überlegenheit der weiblichen Rasse zu glauben beginne.

22.8.

Ein Falke stürzt so jäh vom Himmel auf seine Beute herab, dass es so wirkt, als sei er kaputtgegangen und 100 Kilo schwer.

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Bei Gelegenheit etwas über die rasante Beschleunigung beim subjektiven Sommerzeitempfinden. Der Juli und der August sind mir durch die Finger geronnen wie Euromünzen auf dem Urfahraner Jahrmarkt. 2042 wird mein innerer Sommer trotz Klimawandelns nur noch drei Tage lang dauern.

23.8. Grundlsee

Ob sich der Grundlsee einen Fisch ausgedacht hat, der meinem Schatten gleicht? Ob die Kinder von Gössl sich ein Spiel ausdenken werden, dass meinen Namen trägt? Ich habe ein Appartment am Fuße des Toten Gebirges. Meine alpinistischen Erwartungen sind mittel, ich bin schon in der Minute der Anreise glücklich, und es wird noch besser, als sie diesmal beim Staudnwirt leise „Easy“ von Faith No More spielen. 


24.8.

Das Wetter ist ein wenig scheiße. Hier die schönsten Eindrücke aus dem Ausseer Kammerhofmuseum (unvollständige Aufzählung ohne Ranking):

  • Steigeisen für Kühe

  • Die Löffelkrokodile vom Fuß der Plankermira

  • Die Eiszeitmodelle von der Gegend – schneesichere Skitouren mit wenigen Höhenmetern

  • Der interaktive Pasch-Lehrgang, bei dem man von einem Einheimischen virtuell extrem ausgeschimpft wird, er spuckt sich vor Empörung über so viel rhythmische Dummheit das Kinn nass.

  • Die Kollektion der Höhlenbärenpenisknochen

  • Die Völkertafel voller verrückter ethnischer Vorurteile über die zwölf Hauptrassen Europas, samt deren jeweils bevorzugter Laster und Todesartenprognose:


Später gehen wir mit Lutz Maurer, dem Erfinder von „Land der Berge“, etwas trinken, er erzählt uns lustige Schnurren, etwa über den eitlen Klettergecken Thomas Bubendorfer* (er musste einmal vor den Augen seiner Kronenzeitungsentourage aus einem Einkaufswagen herausklettern, die vollständige Geschichte erzähle ich auf persönliche Anfrage).

25.8.

Die beiden schneeweißen Geißen auf der Pühringerhütte ersuchen dringlich um streichelnde Hände. Wenn man innehält, hakt die größere sanft ihre Hörner in den Unterarm und zieht ihn zurück auf ihre Kruppe, und wenn die Pause gar zu lang wird, treten sie so sanft mit ihren Hufen, als wären es Spinnenpfoten.

26.8.

Das Wetter ist ein bisschen scheiße, also eher lesen und Kuchen essen (wenn man den vom Vortag zum halben Preis kauft, hat man gleich die Illusion, eine gute Tat vollbracht zu haben). Lesefrüchte: Meine Branche heißt „Bewusstseinsindustrie“. Und bis weit nach 1960 wurde diskutiert, ob Frauen in Foto- und Röntgenlaboren arbeiten dürfen, da sie während ihrer Tage durch Menotoxine die Bilder beschädigen könnten. Eigentlich ist es fast schade, dass dieser bizarre Irrglaube nicht stimmt, wir könnten das gut in ein Drohszenario einbauen. Lutz Maurer hat mir ein Buch mit Kaiserin Sisis Berggedichten zukommen lassen, ich könnte es kaum besser, aber schlechter schon gar nicht: „Mein Berg, mein Felsgemahl“. Bin keine Historikerin, aber mich dünkt, ihr ist ihre Mischpoche auf den Arsch gegangen:

Doch die größte aller Wonnen,

könnte ich der Dachstein sein

Den Verwandten wär entronnen

Ich samt ihrer ganzen Pein.

Es ist ein sehr informatives Buch, sie reicht etwa in einem sehr langen Poem einem ihrer Bergführer eine Schale Milch, „die macht mir jedesmal Durchgang, Ich mag's auf keinem Falle.“ Und sie möchte ihr Leben den eigenen Haaren vererben, „an meinen Haaren möcht' ich sterben“. Crazy!


29.8.

Das Wetter ist seit drei Tagen manifest scheiße. Wir sehen aus Trotz keine Sekunde Tageslicht, liegen nur beim Essen nicht, fangen um 14:30 mit Chips und eine Stunde später mit Bier im Bett an, das volle Dekadenzprogramm für gelangweilte Proleten. Die frisch gekaufte 50er-Premium-Sonnencrème steht im Bad wie ein Mahnmal dafür, dass man das Leben nicht planen soll.

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Kein Mensch kann zu viel Realität ertragen. Wir brauchen unsere Bücher, unsere Bastelprojekte, unsere Hunde und das Strickzeug, die Filme, Gärten und kleinen Aufgaben.“ Helen Macdonald, „Abendflüge“ (ein sehr großes Buch). Wir brauchen unsere Chips und unser Bier und unser Bettzeug und unsere Hoffnung darauf, dass dieses oasch Wetter vorbeigeht.

31.8.

Es regnet. Wichtig für die Bauern. Unabsichtlich werden wir zu Restauranttestern im Inneren Salzkammergut. Wenn meine Literatur irgendeinen Sinn gehabt haben soll, dann geht nicht in die „Blaue Traube“ in Bad Aussee.

Wohl empfehlenswert ist das Salzbergwerk in Altaussee. Der Guide erklärt, es werde so lange betrieben, wie die Menschen es sich leisten wollten, denn das überall verscherbelte Himalaya-Salz sei chemisch ident, aber konkurrenzlos billig, weil „der Mensch dort nichts wert ist“. Im Shop möchte ich dann, noch ergriffen von diesen Worten, das gute heimische Steinsalz kaufen, aber es ist wirklich ein bissi teuer (Museumsshoppreise eben). Schon will ich zum Bad Ischler „Pink Yeti“ greifen, da sehe ich erst, dass es aus Pakistan kommt. Später im Ausseer Unimarkt liegen billige Halbkilosalzsäcke herum, mit einer Importadresse auf Malta, dem Einfallstor für alle doofen Ideen der globalen Schifffahrtsmafia.


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* Zuhause lese ich in Bubendorfers herrlicher Autobiographie nach, um sicher zu gehen, ob er eh wirklich eitel ist. Ich werde nicht enttäuscht: „Ich zweifle selten; Ursula jedoch, mit einem Mann wie mir, kommen klarerweise öfter Zweifel.“