Bezugnehmend auf das Erscheinungsjahr des „Guten Tons“ - 1951: Da war der Krieg ja schon wieder lange Vergangenheit, eine neue Zeit! Alle Nazis sitzen im Gefängnis und büßen! Alle Deserteure rehabilitiert, alle KZ-Überlebenden zu Ehrenbürgern ernannt, alle Schreibtischtäter täglich hergewatscht, glatt und verkehrt.
Hahaha.
Hier also ein Roman über das gute Benehmen in allen Lebenslagen.
Ostfront im Herbst 1942. Schon lange bevor wir mit dem Gebirgs-Jäger-Regiment 144 die Kleinstadt Millerewo in Weißrussland erreichten, eilte uns jungen Kameraden der Ruf von Generalfeldmarschall Melzer entgegen. Die Veteranen warnten uns, er dulde nicht die kleinste Nachlässigkeit in Betragen und Adjustierung, es ging das Gerücht, er habe einen Ruthenen an Ort und Stelle richten lassen, der es wagte, seinen Schäferhund zu züchtigen.
Tags darauf rückten wir im größten deutschen Nachschublager für die 6. Armee in Stalingrad ein. Unser Postenkommandant ließ uns erst die Baracken beziehen, als wir unsere Stiefel blitzblank vom russischen Dreck der Straßen blankgewichst hatten. Das korrekte Grüßen und Salutieren hatten wir in den Ausbildungswochen zuvor mühevoll lernen müssen, sodass ich mich jetzt freute, mein neu erworbenes Wissen zum Gelingen der Eroberung Stalingrads einbringen zu können.
Angesichts all dessen hätte es mich nicht unvorbereitet treffen sollen, nein: es hätte mir nicht passieren sollen! dass ich an einem überraschend warmen Herbsttage in loser Stimmung mit meinen Landserkameraden aus dem Verpflegungszelt purzelte – und vor uns eine Frau, eine richtige Dame stand, keine schmutzige Kosakin aus den Dörfern, die uns die Latrinen putzten, nein, es musste eine DEUTSCHE Frau sein, der wir uns gegenüberfanden. „Heil Hitler!“ riefen wir fröhlich durcheinander – da schrillte es gellend aus einer Pfeife. Samt Kommandostab stand wie aus dem Nichts der Generalfeldmarschall vor uns.
„SOLDATEN! Was ist das für ein Benehmen! Was für eine unglaubliche Saubande!“ Brüllend hielt er Strafgericht: Strecha hatte die Mütze nicht abgenommen, Viliamsky hatte sich viel zu tief, nachgerade ironisch verbeugt und ich – der Jüngste, offensichtlich! – hatte gar der Dame – die sich als die GATTIN des Generalfeldmarschalls erwies – die Hand entgegengestreckt. „Wie ein jüdischer Gassenjunge!“
Geknickt ertrugen wir die Kannonade unseres Feldmarschalls. Als wir schon fürchteten, dem Standrechte überantwortet zu werden, zügelte er seine Stimme. „Schützen! Das gute Betragen, der gute Ton, das ist der gemeinsame Gleichklang, der das Miteinander zu einer Symphonie werden lässt. Wenn wir darauf nicht achten, sind wir nicht mehr als Tiere, merkt euch das für den Rest eures Lebens!“ Wir beugten unsere Häupter, merkten, dass der Erzürnte nun sanft wurde. „Soldaten, versteht einer von Ihnen etwas von Musik? Kennt er die herrliche Musik eines Bach, eines Mozart?“ Ich schlug die Hacken zusammen, „melde gehorsamst, habe sieben Jahre Ausbildung am Klaviere genossen!“ rief ich, und der Feldmarschall trat an mich heran. Er sah mir mit eisblauen Augen freundlich in die meinen. „Dann haben Sie schon sehr viel von de Kultur erfahren dürfen, die ganz zuvörderst eine Lebenskultur ist.“ Er wandte sich an alle: „Beherzigen Sie meine Unterweisungen, auch wenn Sie in die Schlacht ziehen!“
Als uns in der Kesselschlacht drei Tage später die Granaten um die Ohren pfiffen, als die Schrapnellsplitter der Katjuschas die Krume und die Eingeweide der Gefallenen zerwühlte, dachte ich noch an die erbaulichen Worte. Ganz ruhig wurde ich, nahm das Gewehr an die Wange und spielte im Geiste die Fuge, als ich kraft der Besinnung auf unsere geistigen Schöpfungsakte einen Iwan nach dem anderen zurück in seinen Schützengraben knallte.
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