Freitag, September 14, 2018

Wirtschaft ist schön, aber kann man davon leben?


Während der Busfahrt zum Kongresshaus lese ich die Nachrichten, meine Filterbubble ist voller Protest gegen den geplanten 12-Stunden-Tag, es soll eine riesige Demo gegen diese Ausbeutung geben, organisiert von der Industriellenvereinigung. Träumt weiter, denke ich, aber sie tun mir leid, die Unternehmensführer leiden am meisten unter dem Zeitgeist. Da sind wir Start-Up-Comediens noch halbwegs fein raus. Ok, wir verdienen scheiße, und wir arbeiten 24 Stunden täglich an unseren Selbstzweifeln. Aber wenigstens sind wir EPUs nicht ganz so dem Gespött der Künstler ausgeliefert. Ich mein', kein Konzernchef darf sich beklagen, hätten sie halt was Gscheites gelernt. Weiß man ja seit Jahrzehnten, dass diese Orchideenfächer nur was für Idealisten sind. Für solche wie mich.

Was haben meine Eltern getobt, wie ich ihnen erklärt hab, ich wolle unbedingt IBWL studieren. Die Mutter hat geschrien, wer soll dann ihr feministisches Hackerspace übernehmen, der Vater hat nur still geweint. Ich sehe mich noch mit dem Fuß aufstampfen, voll jugendlicher Restrenitenz, wer so ein Studium wirklich will, findet später auch einen Job in der Wirtschaft, und wenn das nicht klappt, kann ich immer noch die Mutter um ihre Netzwerke anbetteln. Der Vater hat mit roten Augen gefragt, ob ich nicht untertags was Solides machen könne, experimentelle Gestaltung etwa, und die Wirtschaft als Hobby? Nein, nein, nein! Damit war die Diskussion beendet. Die Eltern haben mich dann beim Studieren schon unterstützt, ich musste mir aber durch Romanschreiben was dazuverdienen.

Ich gehe jetzt mein Programm noch einmal durch, obwohl mir beim Lesen im Bus immer schlecht wird. Von diesem Abend erwarte ich mir viel, die Diskurstanzinnung zahlt nicht besonders, aber man hat mir gesagt, ich könne mich auf dieser Plattform toll präsentieren. Immer lasse ich mich runterhandeln! Die scheiß Künstler glauben, dass wir Wirtschaftler alles aus Liebe machen. Stimmt ja auch, ich will aber trotzdem davon leben!!! Wenigstens wird’s diesmal nicht so wie bei den Naturlyrikerinnen letzte Woche, die haben drauf bestanden, mir das Honorar scheinchenweise in den Hemdkragen zu stopfen. Ich bin ein Mann mit Gefühlen, verdammt! Oft habe ich Angst, mich zu prostituieren, wenn ich das wirtschaftliche Begleitprogramm für die ganzen Kunstbonzen mache. Mir graust schon vor mir selbst.

Ohne Geld kann ich nie ein eigenes Unternehmen gründen! Ich weiß, das ist naiv – wer liest in unserer schnelllebigen Zeit noch Bilanzen? Aber ich finde, der Handel ist ein zutiefst menschlicher Zug! Man darf einfach nicht alles nach seinem Beitrag zum Schönen bewerten, Zahlen sind auch ein Teil der Existenz!

Der Bus hält, ich muss im Regen zum Kongresszentrum laufen. Meine schönen Lackschuhe, mein Slimfitanzug! Ich nehme den Hintereingang, vorne steigen die ersten Choreographinnen aus repräsentablen Volvo-Vintage-Limousinen. Mit meinem Business-Look komme ich mir unter den vielen mächtigen Frauen mit Filzschmuck und postmenopausalen Biobaumwollyogatuniken total schäbig und fehl am Platz vor, aber hey! Ich bin ein Rebell, ich bin anders, ich halte euch bornierten Dekonstruktivistinnen mitteleuropäischer Tanzkunst den Spiegel vor! Ihr seid zu satt geworden!

Herr Morgan Sachs?“ Jemand tippt mir auf die Schulter. Ein älterer Herr, seine Füße stecken in ausgehöhlten Weißbroten, er trägt ein Beo-Zwillingspaar im Nest auf seinem Kopf, gekleidet ist er nur in Alufolie. Der Veranstalter. Ich schlucke meinen Ingrimm hinunter. „Herr Sachs, das Headset ist leider kaputt, wir geben Ihnen eine Handgurke, Sie haben eh eine laute Stimme?“ Ich nicke. „Wir sind schon gespannt auf Ihre Impulse, was genau haben Sie da für ein Programm?“ Ich räuspere mich. „In meiner Powerpointpräsentation...“ Schallendes Gelächter unterbricht mich, „hahaha, der war gut! Bravo!“ und ich setze fort „präsentiere ich die Benefits der trickle down welfare politics in internationalen Handelsströmen“, der Mann im Brot kichert die ganze Zeit, „unter besonderer Berücksichtigung der Effekte auf lokale Märkte. Und im zweiten Teil geht es um Hedgefonds und automatisierten Derivathandel...“ „Ok, ok“, der Veranstalter wiehert wie ein Pferd auf Hanf, „das wird so lustig! Ich seh' schon, warum die Lyriker Sie so empfohlen haben, hilariös!“ Ich versuche, mein Gesicht nicht zu verziehen. Hier soll ein Mensch gedemütigt werden, darum nehme ich meinen ganzen Mut zusammen. „Leider muss ich mein Honorar aufgrund von Entwicklungen auf dem Weltmarkt indexangleichen...“ Der Veranstalter hört abrupt auf zu lachen. „Darüber sprechen wir nach Ihrer Darbietung!“, dann lacht er doch wieder und sagt im Davongehen noch, wie erfrischend er den merkantilen Zugang von uns Wirtschaftlern immer finde.



Da es keinen Backstagebereich gibt, warte ich vor den Toiletten auf meinen Auftritt. Immer wieder kommen Tänzerinnen in fair getradeter Jute an mir vorbei und machen anzügliche Bemerkungen, die meisten haben mindestens gekifft, wenigstens vier Gläser Weißwein intus. Endlich werde ich in den Saal gerufen. Die Bühne ist winzig und schlecht ausgeleuchtet, die Tänzerinnen haben ihre Weinflaschen draufgestellt und johlen, als sie mich sehen. Ich habe den Slot vor der Büffeteröffnung, ich weiß, dass ich jetzt wirklich meine Leistung abrufen muss, sonst wird das nichts. Mit dem klassischen Elan der New Economy springe ich auf die Bühne und verwende meine disruptiven Keywords, um das Unternehmensnarrativ zu etablieren. Die ersten Lacher. Als das Diagramm erscheint, das mich beim Triathlon zeigt, mit der Überschrift „Markenkern Ich-AG dank Performance“, schreit der Saal auf vor Lachen. Scheiße, sie sind alle voll druff. Ich habe noch gar nicht „Business-Opportunity“ gesagt, und „low hanging fruits“, da schreit die erste „Ausziehn, Puppi!“ Es ist immer das Gleiche. Zwei schwule Ausdruckstänzer beginnen, meinen Text synchron in die Sprache des modernen Diskurstanzes zu übersetzen, und als ich „Leistung muss sich wieder lohnen!“ sage, zeigen sie mir ihre enthaarten nackten Hintern, Künstler halt. Aber mittlerweile habe ich ja schon Erfahrung, das Beste kommt noch. Als ich „geht's der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut!“ skandiere, fliegen Bongs und Veltlinerflaschen auf die Bühne, etliche Damen zeigen mir ihre vom professionellen Nackttanz enthemmten Leiber, sie stürmen die Bühne und ich gebe auf.

Der Veranstalter nimmt mir das Mikro ab. „Na, das war doch lustig, oder? Uns von der Diskurstanzinnung ist das Mäzenatentum ein großes Anliegen! Wirtschaft macht das Leben auch schöner! Bitte noch einen großen Applaus für den talentierten Nachwuchsunternehmer Morgan Sachs!“ Er droppt das Mic, sofort wird die Bühne gestürmt, Körper verfallen in wilde Zuckungen. Ich ertappe mich beim Neid auf die Tänzerinnen, sie haben keine Ahnung, wie der Markt funktioniert. Über Geld spricht man nicht, Geld hat man. Der Veranstalter tippt mir auf die Schulter, er drückt mir 150 Euro in die Hand. „Sie haben ja nur zwei Drittel vom Programm gebracht, da muss ich entsprechend abziehen.“ Einer der Beos hackt nach meinen Augen. „Lieb gemacht, sehr lustig!“, sagt der Mann und lässt mich stehen. Schnell gehe ich, damit niemand meine Tränen sieht. Weil kein Bus mehr fährt, muss ich die Hälfte des Honorars fürs Taxi ausgeben.



Endlich Bürgermeister!


Was soll ich sagen? Schaut doch selbst, wie gut meine Verkündigung, fürderhin auch noch Bürgermeisterin der Stadt Wels zu sein, vom Volk angenommen wurde!















Dank an die Bildstellen: Ronald "Minki" Brutter, Coala "Cleopatra" Meindl und Sebastian "Putin" Fasthuber.

Donnerstag, September 13, 2018

Im Satirekombinat der „Original Linzer Worte“


Manche Landsleute haben sich von meiner zeitweiligen Verfügung in Hitler-Kostüme blenden lassen: In Wahrheit bin ich recht links und lege mein Präsidentschaftsamt hochgradig antifaschistisch und antiautoritär an.

Die Befreiung meiner Brüder Monet und Buttinger aus der kapitalistischen Verwertungslogik war mir eine Herzens- und Nierenangelenheit. Deswegen habe ich auch den volkseigenen Satirebetrieb „Original Linzer Worte“ gegründet. Motor meines revolutionsorientierten Wirtschaftens ist der Kampf gegen neoliberale Vernutzungssysteme und ausbeuterische Rationalisierungsstrategien.

Die Arbeit in meinem Kombinat beruht auf Selbstverpflichtung, Selbstführung und Einsicht in die Vorteile der literarisch-kollektivierten Zentralwirtschaft. Unsere Produktion ist auch wegen des Verzichts auf Urheberrecht und Privateigentum jener des kapitalistischen Auslandes (vgl. Coehlo, Rowling, Brown) weltanschaulich überlegen.

Wir sind vorerst nur zu dritt, und einer muss eben die Nomenklatur bilden. Da die Genossen Buttinger und Monet erstens einen geringeren Bildungsabschluss haben sowie im Sinne der antiphallozentristischen Emanzipationsdoktrin nicht über einer Frau arbeiten sollen, blieb mir nichts anderes übrig, als auch hier die Funktion des Zentralkommittees zu übernehmen. Ich darf dazu den Komsomolzen Mandlbauer („Prawda OÖ“) zitieren: „Die Führung darf nicht übersehen, dass das Volk geführt werden will.“ In diesem Sinne habe ich, das ZK, meine Angst vor Autorität überwinden müssen. Obwohl mir das mehr weh tut als euch.

So kaufte ich also eine Immobilie in der Innenstadt, damit die Produktionsmittel in unseren Händen bleiben. Von außen mag das Büro eher wie ein alter Baucontainer aussehen, der einfach in einer NachtundNebelaktion in den Landhauspark gestellt wurde, aber das ist wieder nur eine Verblendung des imperialen Blicks. Uns bzw. den Schreibgenossen ist es der Arbeiterhimmel. Da sitzen Monet und Buttinger nun täglich elf Stunden und dichten. Abends übernehmen sie verkleidet Lesungen.

Ich gab ihnen folgende Planaufgabe: Täglich zehn Manuskriptseiten Text, einen Roman pro Quartal, nach Möglichkeit einen Bestseller im Semester. Vorgeschriebenes jährliches Wachstum acht Prozent. Im Fünfjahresplan ist mindestens ein Literaturnobelpreis vorgesehen. Bei Verfehlen des Plansolls folgen Selbstkritik und Kritik durch das Feuilleton. Dazu die Beschlagnahmung von Kraftfahrzeugen, Nylonstrümpfen und Südfrüchten.

Nun! Was für ein schöner Start, als Monet nicht nur unter dem Synonym Robert Menasse und Michael Köhlmeier veröffentlichte wie eine Stalinorgel, sondern 2004 mit „Die Klavierspielerin“ gleich den Nobel-Plan erfüllte. Genial auch seine Taktik, die Rolle als Jelinek scheu und zurückgezogen anzulegen, so fiel seine eher unglaubwürdige Verkleidung als Frau nicht weiter auf.

Selbstverständlich war der Buttinger schnell neidig, er durfte sich zwar über internationale ökonomische Erfolge seiner fingierten Schriftstellerinnen (Donna Leon, Paulo Coelho, Rosamunde Pilcher) freuen, die im Plansoll geforderte avantgardistisch-künstlerische nationale Anerkennung blieb aber aus.

Intensiv arbeitete er am Gegenschlag. Bis Buttinger schließlich im Oktober 2007 in einer einzigen Schicht „Gut gegen Nordwind“ zutage förderte. So ernannte ich den eifrigen Mehrleister zum Stachanow des Monats und versprach, zur Belohnung seine Heimatstadt Wels nach ihm umzubenennen. Als kurz darauf schon alles umgeschrieben, alle Amtsschreiben angepasst waren, musste ich zu meinem beträchtlichen Missfallen erkennen, dass es das Städtchen „Klaus“ bereits gibt. Ich seah mich gezwungen, das alte Klaus durch Sprengung der Staumauer fluten zu lassen. Die Motivation meiner Mitarbeiter ist mir nun einmal unendlich wichtig.

Monet aber schimpft und grummelt seither, er nennt Buttinger oft einen „Normbrecher“ und Schleimer, er leiste des Abends sexuelle Hilfsdienste für das ZK. So trug ich unlängst dem aufmüpfigen Monet die Leistung der Königsübung, pardon: Arbeiterführerübung auf: Verfasse dem ZK einen dermaßen tollen Text für die Europawahlkampflesebühne, dass es die Volksmassen beim Zuhören aus dem Drillich wirft.

[René von der Seite anschauen:] Ich bin mir nicht sicher, ob dir der Auftrag gelungen ist.