Sonntag, Januar 02, 2005

Tote Autoren

Die Metaphysische Leere: Der Tod des Autors

Ein Versuch über ELizabeth Baileys Roman „Harfenklang und zarte Küsse“



Süße Melodien im betörenden Echoraum der Erinnerungen
Foto: MNK

Wie schreiben angesichts der radikalen Aufsplitterung des Subjekts der Moderne? Nach Foucault erscheint die Frage nach der Möglichkeit, oder besser nach der Unmöglichkeit der Fortführung der modernen Erzählung unumgänglich. In „Was ist ein Autor?“ schreibt dieser 1969:

Denn der „Kommentar“ und die zugehörigen Fiktionen des „Werkes“ und des „Autors“ als eines Urhebers von Texten, auch die Zurückführung von sekundären auf primäre Texte, überhaupt die Herstellung geistesgeschichtlicher Kausalitäten - dies alles sind Werkzeuge einer unzulässigen Komplexitätsreduktion, sind Verfahren der Eindämmung des spontanen Überquillens von Diskursen, die der nachgeborene Interpret lediglich auf sich selbst zuschneiden, seinem provinziellen Verstehenshorizont gefügig machen will.[1]
Eines erscheint angesichts dieser Diagnose klar: Dem Stahlbad des Poststrukturalismus kann die Poetologie nicht unbeschadet entsteigen.
Dementsprechend zahlreich auch die Versuche, ein neues Schreiben zu etablieren, das der Unbehaustheit postmoderner Subjektivität Rechnung trägt. Diesem Schreiben eignet nun aber keine interpretativ-hermeneutische Zugänglichkeit mehr; vielmehr wird dem freien Flottieren der Textbedeutungen freier Lauf gelassen. Der Autor ist nicht mehr länger jene Instanz, die der Diskursreglementierung dient. So schreibt etwa Derrida eine radikal alternative Autobiographie[2], in der seine Beschneidung zur Metapher für die Verfasstheit der zu dekonstruierenden Subjektivität wird.
In ihrem 2002 erschienenen Roman exerziert Elizabeth Bailey, Research Fellow in Yale für französische Gegenwartsphilosophie, das Vorhaben der Dekonstruktion durch. Was diesen Text aber sowohl für Theorie als auch für die literarische Lektüre so spannend macht, ist die dialektische Gratwanderung Baileys zwischen Welthaltigkeit und theoretischer Abstinenz.

Er sah zu ihr hin. Elaine hatte ihre Hand in den Fluss getauscht und betrachtete selbstvergessen die Muster, die ihre Finger an der Wasseroberfläche verursachten. Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen. Charles verspürte einen fast überwältigenden Drang, sie zu küssen.[3]

Der klassisch-hermeneutischen Verstehenswut wird hier der Riegel frei assoziierender Spontanlyrik vorgeschoben. Der Sinngehalt der zitierten Stelle kann nicht eindeutig festgelegt werden; gerade aber dadurch verweist Bailey an die Subversivität des subjektbefreiten Sprachgeschehens. Was anklingt, ist Charles als die Allegorie des Todes, der durch die Struktur seines Begehrens die metaphysische Leere des Textes zum Klingen bringt.
Bailey hat ihren Foucault gelesen, darüber spinnt sie aber ein Netz feiner Anspielungen an die zurecht als revolutionär eingestuften Werke Artauds oder Ionescos.

Sein Blick war voller Traurigkeit. „Genau das meine ich ja. Was dir jetzt so wichtig erscheint, wird es später vielleicht nicht mehr sein. Du wirst dich erinnern, meine Geliebte, Schritt für Schritt. Und ich kann dich weder davor bewahren noch den Verlust ausgleichen, den du immer stärker empfinden wirst.“[4]

Diese Passage verweist relativ klar auf die großen literarischen Vorbilder, zumal die Idee der Selbstfindung durch Selbstverlust als Motor des „Theaters der Grausamkeit“ Artauds figuriert.
Die Aufdeckung latenter Begehrensstrukturen eröffnet neben psychoanalytischen auch feministische Lektüren. So transportiert Elaines Geschlechtsakt mit Charles als der Allegorie des Todes die Idee der Kontingenz humanistischer Befindlichkeiten. Ihr Aufruf „Fick mich, bis mir das Hirn aus den Ohren herausfließt!“ (S. 189) ist nicht bloße Provokation gegen bourgeoise Strukturen, sondern vielmehr der Hinweis auf die uneinholbare Andersheit des Anderen. Der sie Fickende kann durch den Akt der Penetration keine zwischenmenschliche Nähe mehr verursachen, da längst schon der kalte, metaphysisch leere Himmel alles Geschehen umspannt.

[1] Foucault (1969), Suhrkamp, S. 294
[2] Derrida (1994), Derrida, Jacques (1993). Circumfession. Fifty-nine Periods and Periphrases. In: Geoffrey
Bennington & Jacques Derrida. Jacques Derrida (pp. 3-315; trans. Geoffrey Bennington; franz. Original
1991). Chicago and London: The University of Chicago Press.
[3] Bailey (2002), Cora, S. 100.
[4] Ebd., S. 188.

Keine Kommentare: