Montag, Dezember 14, 2009

IC "Scheiß ÖBB" voraussichtlich 35 Minuten verspätet

Vorweihnachtlicher Privatkonkurs, Lichtinsuffizienz, Schneematsch im Schnürstieferl oder Dämonen in der Therme - der Winter kennt viele Arten, uns zu necken. Hier in der schwindenden Kulturhauptstadt können uns diese klimatischen Missstände aber nicht an. Kurios eigentlich, denn nirgendwo sonst ist der Winter grauslicher und unnötiger als im Zentralraum.
Das Geheimnis unserer kontrafaktischen Fröhlichkeit: der weltschönste Bahnhof von Österreich.

Einst war der Linzer Bahnhof ein schmieriges Transportabfertigungskombinat, in dem man wenig zwischen Zuckerrüben und Geschäftsreisenden unterschied. Menschen mit gesplissenen Haarspitzen und dreckigen Fingernägeln lungerten in unmodischer Kleidung neben den rostigen Gleisen und murmelten adjektivgespickte Sätze.

Heute: Eine Reisewohlfühloase in futuristischer Transparentarchitektur, die uns für einige Stunden die transzendentale Obdachlosigkeit des postmodernen Subjekts vergessen lässt. Die musikalische Tapete kommt nicht mehr vom Band, sondern wird von den Zugbegleitern nach deren Dienstschluss mundgeblasen.

Charmantes Dienstpersonal in gutsitzenden Uniformen achtet darauf, dass die Passagiers-Aspiranten adrett gekleidet sind und gängigen westlichen Schönheitsvorstellungen entsprechen. "Uns ist wichtig, dass die Kinder gesunde Zähne haben", sagt Thomas Philipp, Leiter der Abteilung Aesthetic Human Interior Engineering der ÖBB. Wesentlich für das Gelingen des öffentlichen Raumes sei auch das Commitment der Nutzer. "Schiache Leute sollten lieber erst in Attnang Puchheim zusteigen", präzisiert eine Dame am Info-Schalter im VIP-Lounge-Bereich.



Ein großes Problem haben die ÖBB in Linz erstmals gelöst. Dank ausgefeilter logistischer Systemoptimierungen können Zuckerrüben endlich ohne Verzögerung von Alkoven nach Wien West oder Paris und Venedig transportiert werden:

90 Prozent der Plätze im neuen, superschnellen Railjet sind den Rüben vorbehalten, Passagiere dürfen nur mit einer kostenpflichtigen Reservierung einsteigen.


"Klar kann es durch die dadurch entstandenen Verspätungen für Menschen zu leichten Frustrationserlebnissen kommen", erklärt der hauseigene Mobilitätberater Boris Dures, ehemaliger usbekischer Infrastrukturminister. "Dafür ersuchen wir um Ihr Verständnis."

Sehr gut angenommen wird das Angebot, Namen für einzelne Linien zu kaufen. "Wiener Einkaufstraßen" rangiert auf der Hitliste ganz oben, deutlich vor dem zweitgereihten "Erlebnis Demokratie", deren Ergebnis die ÖBB ja letztendlich sind.

Die Redaktion der Lebensbeichte konnte der Versuchung nicht widerstehen und investierte den Marketing-Etat 2010 jetzt schon in den Erwerb eines Zugnamens. Er ist in der Überschrift dieses Beitrags versteckt.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

herrlich. beim stöbern und zweit– und drittmaligem lesen offenbaren sich mir bislang versteckte botschaften und bilddetails ... herrlich herrlich herrlich köstlich ... ach wie gerne leses ich dies alles!!

glg
kk

Dominika Meindl hat gesagt…

Und wie gerne lese ich Worte wie diese! Mjam!