Lebenskrimskrams
im Mai 2023
1.5.
Kindheitsflashback:
Am Feiertagvormittag mit der Fähre ins Mühlviertel. Wir rasen auf
dem Hochwasser dahin, was zur immer stärker werdenden Wahrnehmung
der Lebensverraschung passt. Dem Hund das Fährenfahren zeigen wie
einem Kind. Der Fährmann bringt den winzigen Ticketstreifen zurück,
den ich übereifrig für das Tierkind gelöst habe.
Der Onkel geht über Stunden immer wieder in den Garten, um
nachzuschauen, ob der Maibaum drüben in Gramastetten schon steht. So
kann man wohl eine Staustufe im Verrinnen der Zeit einbauen.
Der
Hund wutzelt mit Absicht und Ausdauer eine stummelbeinige
Mini-Ausgabe ihrer selbst die Ottensheimer Dammböschung herunter. An
der ordentlich verbreiterten Mündung des Bleicherbaches sitzen vier
junge Männer mit Dosenbier und spielen Schach, sie grüßen mich
höflichst, als sei ich einmal ihre Volksschuldirektorin gewesen.
Wenn
man selbst keine Kinder hat, ist es vielleicht etwas einfacher, sich
einzureden, dass man eh noch nicht so alt sei, ein wenig so wie man
glaubt, die Umwelt zu retten, wenn man sich noch nie ein eigenes oder
ein neues Auto gekauft hat.
2.5.
Stimmungsabfall
aufgrund von Erwerbsarbeit (ohne Erwerb) + Regen. #banal
***
Wegen
massiver Verplauschung begehe ich den Tatbestand der
Parkzeitüberschreitung. In meiner Hilflosigkeit entfährt mir der
existenziell depperte Klagsruf an die Parkraumbewirtschafterin „I bin
eh do!“ „I hob's scho eigem!“ sagt sie fast so klagend wie ich.
„Fini, fass die Frau!“ sage ich, der Hund schmiegt sich herzlich
an deren Unterschenkel. Ich gebe sinnlose Heullaute von mir, die Frau
sagt „mei“, ich heule, sie sagt "mei!", so geht es weiter, bis sie sagt, es tue
ihr leid, „grad bei wem so Liabn!“ Ich sage irgendwas
Einsichtiges, schließlich verabschiedet sie sich mit „Gsund
bleibn!“
4.5.
Entspannungsmusik
wirkt bei mir paradox.
5.5.
Den Decker
an seiner Arbeitsstelle abgeholt, die er sich hauptsächlich wegen
eines Wortwitzes im Slogan ausgesucht habe, wie er behauptet. Er
arbeitet wirklich mit Schweißgeräten, nun ist es kein Mythos mehr.
Auf
den Straßen von Wien werden wir trotz LL-Kennzeichens kein einziges Mal
angehupt oder geschnitten. Das ist nicht mehr mein Wien. Decker
steigt in Ottakring aus dem Auto und ist sofort entfacht, mit dem
Fotoapparat verwandelt er einen Stapel Sommerreifen und einen Turm
Bettzeug in poetische Frühlingsillustrationen.
GAV-Vollversammlung. In
der Kulturtankstelle geht es um einen „antihegemonial erweiterten
Literaturbegriff“, „Präsenztauglichkeit“, dicke
Gegenwartsromane und die Verrücktheit, unsere Branche auszuüben
(Ilse Kilic, meine Präsidentin <3). „was man nicht sagen kann, muss man sich selber holen“
steht auf einer Karte von Herbert J. Wimmer („wittgenstein im
haushalt“). Piringer über soziale Medien und ihren Stromhunger:
TikTok hat einen norwegischen Rüstungskonzern beim Bieten um eine
Stromzuteilung ausgestochen. Es fällt der gute, leider sehr
treffende Begriff „Rezensionsrezession“. Martin Fritz hört zu,
dabei kritzelt er sehr hübsche Pläne mittelalterlicher Städte auf
seine Unterlagen. Ich kritzle diese Notizen hier; wie erwartet kann ich sie später
kaum noch entziffern (irgendwas mit „Bei Gelegenheit KI mit der
schlechten
Unendlichkeit
von Hegel assoziieren“).
Martin
Wimmer referiert: „Bummeln, träumen, leben, lieben“ – und sein
kulturpolitisches Programm: Jeder Mensch soll in der Lage sein, ein
Buch zu verfassen. In der schiachen Realität wäre man schon froh,
wenn jeder eins lesen könnte. Im schönen Teil der Realität gibt es die GAV.
***
Eine
junge Frau flaniert durch den 7. Bezirk und erkennt sich selbst auf
einem Porträt in einer kleinen Galerie – diese Geschichte glaube
ich mir selbst fast nicht, obwohl ich dabei war; ich hatte es für
übertrieben gehalten, dass Markus Lehner gar nicht mehr weiß,
wessen Gesichter er da aus Filmen und Serien herauslöse. Ich kenne
nicht einmal die Sendung, mit der die Frau bekannt geworden ist
(„Dark“), aber ich würde wohl nicht einmal mein eigenes Gesicht
auf einem Bild wiedererkennen.
Foto: Decker oder Minniberger?
Eine
sehr schöne Vernissage. Die Bescheidenheit der beiden Herren Lehner
und Decker steht in sehr sympathischem Kontrast zum Ego einiger VernissagenbesucherInnen. Eine Frau erzählt mir, sie habe den
Kurzhaarschnitt erfunden, vom Gatten einen Keller für eine Galerie
geschenkt bekommen und dort schon so manchen jungen Literaten bei
Lesungen vor bis zu 20 handverlesenen Gästen groß herausgebracht.
Ein Typ, der nackte Damen mit Bodypainting fotografiert, gibt dem
Decker „wertvolle Tipps“ für den Erfolg am Kunstmarkt.
Andererseits ist auch ein wirklich sehr lieber ehemaliger Palliativsachbuchautor anwesend. Er habe
einige Jahre lang als „Senior Content Manager“ eines
internationalen Konzerns extrem gut verdient, aber doch wieder
gekündigt, weil er sein Hochstapler-Syndrom nicht in den Griff
gekriegt habe. So, wie mir der Decker am nächsten Tag erzählen
wird, dass er täglich mit der Sorge zur Arbeit fahre, ob er das
Aufgetragene eh hinkriege. Wir müssen wirklich bald so etwas wie den
„Empower-Hof“ gründen, in dem wir den unnötig von
Selbstzweifeln blockierten guten Menschen gut zureden (also wir
einander).

Mitteilung in der Wiener Parkraumbewirtschaftungszone
6.5.
Coala
erzählt mir von einer Deutschen, deren Nachbarn über Jahrzehnte
zweimal jährlich den Maschendrahtzaun mit Seife und Bürsten
gewaschen hatten (und einmal im Jahr das Dach). Als sie zu alt für
diesen Unsinn wurden, überkam sie große Unruhe, bis ihnen der Sohn den
Zaun kurzerhand entfernte, da er glaubhaft vermittelte, nicht mehr
unachtsam aus dem Garten auf die Straße zu rennen.
7.5.
Der
Garten explodiert. <3
8.5.
Die
Pool-Wärmepumpe erweist sich als Willhaben-Hüter – aber nicht
wegen der Vernunft der Leute, sondern weil ich den sinnlosen
Stromfresser noch nicht billig genug verramsche für die gierige
Konsumbrut.
9.5.
Top-Tag: Auto gesaugt + 50 Jahre GAV im Stifterhaus halbwegs hingekriegt. Am schönsten vielleicht, dass Anna Weidenholzer sich über meine frisch gemachten Pudelbabyfotos mehr freut als über
ihr Honorar (war auch nicht hoch).
Alle sollt ihr euch freuen, gratis
10.5.
Peinliche,
aber beträchtliche Freude über die elektrische Fensterputz-Ente in
gelber Enterprise-Form: mein Drecksproblem ist gelöst! Jetzt
brauche ich nur noch eine Admin-KI („Wie hoch ist das Honorar?“)
und einen Außentermin-Feminoiden.
***
In
der Kletterhalle spiegelt sich mein ganzes Leben. Kraft der Routine
nudle ich das Meiste ganz ok herunter, aber stellt mich bitte nicht
in einen Überhang.
11.5.
Ein älterer Kollege mailt gesammelte Klagen (Frauenüberhang auf den Bühnen, von den Institutsleiterinnen wurde er nicht ordentlich gegrüßt, er sei auf weniger Fotos zu sehen als andere). Boomer und die Generation Y + Z sind offensichtlich Konkurrenten auf dem Aufmerksamkeitsmarkt.
***
Das
Tosen des Wassers, das über die Schleusenwand donnert. Die Welt
könnte ertrinken, der Hund würde immer noch Stöckchen aus der
Donau holen wollen.
***
Kaktus-Award
im Schloss. Großer Zuspruch für das Matriarchat von den anwesenden
Damen, bei den Herren muss immer noch Vermittlungsarbeit geleistet
werden („Wäre es nicht schön, mehr Freizeit zu haben?“). Ein
Immobiliensachverständiger sagt nach der Preisverleihung, seine Frau sei stur, ich sage, sie
hat einfach recht, er solle seinen Widerstand zu seinen eigenen
Gunsten aufgeben, dann werde alles gut. Unnötig hinzuzufügen, dass
mein Ego sich aus Frack und Junghopfenpilsrausch speist.

Insgesamt
ein prächtiges Ereignis, etwa weil Haderer sen. gleich seine
Kooperationspartner mit einem ordentlichen Anwaltswitz begrüßt:
„Olle Aunwälte san Oarschlecha!“ „Tschuldigen, das ist eine
totale Verallgemeinerung, außerdem ist das eine Beleidigung für die
Oaschlecha.“ Bei der Preisverleihung werde ich zum glühenden
Til-Mette-Fan. Später lege ich dem sehr freundlichen Hauptpreisträger meine rassetheoretischen Überlegungen ("genetisches Medley") dar, während er
versucht, aufgrund der Junghopfenpilse nicht im Stehen zu stolpern.
12.5.
Dani
bringt Süßkram aus dem Ostblock-Markt, der in Öd dem Billa
nachgefolgt ist. Das usbekische Karakum-Stollwerk ist ok,
rechtfertigt seinen Import über die Seidenstraße aber kaum. Das
kalmückische Wafferl überzeugt mehr durch Exotik als durch
Geschmack. Sobald die Menschen aus dem Osten z.B. ein Mignon-Wafferl
zu kosten bekommen, kollabiert die russische Schokoindustrie und sie
können nur noch Gas am Markt positionieren.
***
Lesebühne
im Ottensheimer Bauhof. Das Publikum kommt eher vom Jazz, also viel
zu spät, weil sonst nie was vor Mitternacht anfängt. Deswegen bin
ich von Beginn an nicht mehr nüchtern im engeren Sinn, aber auch das
scheint zum subkulturellen Zugang zu passen. Das Prinzip „Tombola
des Grauens“
wurde von den Einheimischen insofern missverstanden, als recht viel
Brauchbares gespendet wurde (Wachsmalmäuse, Storm-Novellen, Saatgut,
geschnitzte Fische), sodass ich wegen Unterschlagung fast mehr mit
nach Hause genommen habe, als ich hergeschafft hatte. Bester Witz des
Abends: Renés „Polka-Geister“. Noch mehr zum guten Ereignis für Lese-Junkies und Wort-Messies hier im Lesebühnenblog.
13.5.
Heute
war nichts los <3
***
Selbst
wenn Böhmermann & Schulz den Songcontest moderieren, zündet
nichts. Jede Ironie prallt am bunten Rausch der Belanglosigkeit an.
Von nun an wieder ohne mich. Bzw. glaube ich allmählich, dass Böhmermann doch nicht lustig ist.
14.5.
Die
eigene Leistungsfähigkeit tiefer zu stapeln ist der Gruß der in die
Jahre gekommenen Boulderin. Übrigens gehe ich seit 2001 bouldern und
schreibe seit 2004 Blog – reicht das nicht allmählich für den
Status „Pionierin/Urgestein“ oder zumindest eine
Landeskulturmedaille in Weißblech?
***
Finis
empörter Blick, immer wenn ich sie wieder aus der Fressnapfbudel
hervorzerre, weg von den bereitwillig fütternden Händen der
Kassadamen, denen ich dann ein Vermögen für das Insektenhundemüsli
zahle.
***
Margaritenneid.
Bei mir wächst nur, was eh schon immer gewachsen ist (Giersch und Löwenzahn).
Symbolbild "Der Neid ist schiach"
16.5.
Die
vor drei Tagen verstorbene Sibylle Lewitscharoff hat zwischen 12 und
16 immer wieder LSD probiert. Ihr inniglicher Wunsch fürs jetzt
hoffentlich eintretende Paradies war, sich mit Tieren unterhalten
zu können.
17.5.
Mein
Leben wird mir als ziemlich ok vorkommen, wenn ich mich später
wirklich nur noch an das erinnere, was ich fotografiert und
aufgeschrieben habe: Eigenzensur im Sinne einer geglückten
Schlussbilanz. Alle müssen wir hoffen, dass uns die Demenz am Ende
nicht bloß den Schas übrig lässt, wie auf dem Grabbeltisch nach dem
Schlussverkauf im Nicht-so-Supermarkt.
Eine schöne
Erinnerung wäre etwa, dass Ljuba Arnautovic und ich einmal gleichzeitig das Aufenthaltsstipendium in der Villa Bielka am
Grundlsee bekommen haben und erst am Ende der vierzehn Tage eine halbe Stunde
miteinander geplaudert haben (ich für meinen Teil habe meine
Leutscheu dabei ab Minute 1 bereut). Beim Bericht, dass ich wegen guter
Führung dann noch zweimal hindurfte
(wahrscheinlich weil ich die Bibliothek sortiert hatte), rede ich mir
selbst die Augerl nass. So wie ich zehn Jahre nach diesem
Experiment-Literatur-Abend nasse Augerl bekommen möchte, wenn ich an
Arnautovic und Peschka denke. Nur noch Leute einzuladen, bei denen
ich nicht zwischen Werk und Autorin unterscheiden muss, ist eine
meiner besseren Lebensentscheidungen.
Meine
Leutscheu wurde zum einen natürlich durch die Hundehaltung
überwunden, zum anderen aber, weil ich mich heute dem Mitmenschen
zwischendurch so vollständig entziehen darf.
18.5
Putzen
am Feiertag – aber was soll ich tun, die Putzente ist voll der
Bringer (und ich werde verbrieft grad schrullig)
***
Spektakuläres
Scheitern beim Ausmisten, weil ich gleich beim ersten ollen
Tierbildband über den Geranienwagerl-Neufundländer in Verzückung
gerate:
***
In
jedem Berg suche ich auf den ersten Blick einen Gipfel des Toten
Gebirges. Ich muss dringend wieder wandern, mir träumt schon wieder
recht bedrängend.
19.5.
Ausnehmend
ereignisarmer Tag, ausuferndes Rasenmähen. Mein Mitleid ufert jetzt
allmählich auf Pflanzen aus, nur die wirklich expansiven Beikräuter
hasse ich.
20.5.
Hoch im Norden bei einer 80er-Feier. Der Jubilar ist ein dezenter und hervorragender Entertainer. Er begrüßt den Abt als „Emeritus, i sog des,
weil's Lateinisch ist, und weil i's woaß.“ Einer sei nicht
gekommen, weil er „haudi“ sei, was man als „temporär gebrechlich“
übersetzen kann. Etliche der Anwesenden fragen mich, ob ich noch bei
„die Nochrichtn“ oder beim „Laund, bam Kuituabericht“ sei,
denn im Mühlviertel steht die Zeit still.
Katholiken
fällt es leicht, sich mit 80 glücklich auf der Zielgeraden zu
sehen. Der Abt entschuldigt sich, er käme am Nachmittag nicht mit,
„weil ma wer gstoam is.“ Das Geburtstagskind erzählt von seinem Großvater,
dem gleich drei Ehefrauen gestorben sind. Er habe sich eine
Fotomontage anfertigen lassen, die ihn inmitten der drei zeigt,
darüber stand: „Die ewig Fromme, die ewig Tüchtige, die ewig
Fröhliche“. (Siehe dazu das vorige Posting über die Phänomenologie des rustikalen Totenbildes.)
Es
ist sehr, sehr schön im Oberen Mühlviertel, aber die Hügel
verstellen die Sicht auf die Berge.
21.5.
Endlich
wieder zuhause oben im Toten Gebirge. Es
war bis heute keine große Skitourensaison, aber nach dem gemeinsamen Mittagsschläfchen auf der Sigistalhöhe auch
menschlich ein schöner Abschluss.
Die
ungläubigen Blicke der leicht Bekleideten unten in der
frühsommerlichen Baumschlagerreith, als wir das Skizeug in den
Kofferraum schlichten.
23.5.
Fund
in der ZEIT: Totenkopfäffchen mögen Menschen nicht besonders und
lassen sich nie ganz zähmen. Während der Dreharbeiten zu Pippi
Langstrumpf wurden die Darstellerinnen von Herrn Nilsson laufend
gebissen, angepinkelt und angeschissen. Viele Menschen gehen mit
dieser Attitüde in die Arbeit und sollten eigentlich allein im Wald
leben dürfen.
***
Die
SPÖ sollte in drei gleich große Teile zerfallen wie ein mürber
Keks. In der Nacht träumte mir, ich hätte was mit dem Babler, war
aber auch erleichtert, dass der nun wohl sehr viel unterwegs sein
werde, sodass ich einfach gemütlich mit dem Buttinger
zusammenbleiben kann.
***
Gestern
nach monatelangem Herumgefröstel gleich wieder zu heiß – sowie
ich das feststelle, wird mir bewusst, dass ich das in meiner Jugend
als sicheres Symptom für „ab jetzt alt“ festgelegt habe.
***
Wenn
ich ehrlich bin, hätte ich auch ohne Arbeit genug zu tun.
24.5.
Porzellan
kommt vom Italienischen „porcella“, also „kleines
Schweinchenartiges“. Und das englische „ferret“ stammt vom
Lateinischen „fur / furritus“ ab, also der „kleine Dieb“.
Eine Gruppe englischer Frettchen wird „business“ genannt. Zwei Krähen als "conspiracy", eine Gruppe als "murder".
***
Der
neue junge Mann aus der Gen Z am Anfang seiner Berufslaufbahn heißt
„Valentin“ oder „Tassilo“. (Eine Gruppe der jungen Männer
heißt „bubble“).
25.5.
Pfingsten
ist die Oberösterreichische Verballhornung von „die Fingisten“,
vom Lateinischen „fingis“, also „du erfindest“. Heute ist
somit der Gedenktag für Literatur und Staatsanwaltschaft.
26.5.
Es
gibt das Stück „Ein musikalischer Witz“ von Mozart, in dem er sich über
schlechte Komponisten lustig macht. Meinen dummen Ohren fallen nur
die derfäulten Waldhörner auf. Bei Gelegenheit auch die
„Spatzenmesse“ anhören.
***
In
der „Standard“-Berichterstattung über die Weigerung der WKO &
Gastro, vegane Kochlehren zu erlauben, kommt das Wort
„Schnitzelzwang“ vor. Willkommen Österreich.
27.5.
KRUMAU
Der
Grenzstreifen ist schon ziemlich durchgentrifiziert, jetzt müssen
sogar schon die billigen Casinos und Outletcenter renoviert werden.
Die Gartenzwerg-Vietnamesen sind in andere Branchen migriert (High
End Crystal Meth?) oder verkaufen hölzerne Windmühlen in
Gartendeko-Shops. Nur die Roma von Vetrinj hausen nach wie vor in
vernachlässigten „Sozial“-Bauten. In der overtouristischen Altstadt werden Chinesen derzeit von Koreanern
vertreten (erkennbar an den Wimpeln ihrer Reiseführerinnen). Eine
Dame fragt, ob sie Daeny streicheln dürfe, weil sie ihren Hund
zuhause in Kalifornien so vermisse.
Geglückte
Stunden beim Daydrinking mit dem guten Krumlov-Bier in einem
Hipster-Gartenbüdchen. Bene geht Zahnpasta-Shoppen. Dani erzählt,
dass ein automatisches Übersetzungsprogramm unlängst die
Genderkategorie „divers“ mit „Taucher“ übersetzt habe.
Die
Braunbären im Burggraben werden immer noch nicht artgerecht
gehalten, fressen aber immerhin vom veganen Büffet, dazu gibt’s
zum Spielen ein Bierfass (Lokalkolorit).
Wir
stellen eine gemeinsame Abneigung gegen barocke Gartengestaltung und
Poltergruppen fest. Es ist angenehm, dass wir alle schon oft in
Krumau gewesen sind, so können wir auf das Sightseeing völlig
verzichten und uns aufs Trinken und Lästern konzentrieren: Die
Menschen in den Schlauchbooten müssen jetzt Helm und Schwimmweste
tragen, oder sie sitzen statisch auf einem Pensionistenfloß, das
langsamer als die Moldau dahindümpelt, während ihnen von hinten und
vorne von Männern in pseudobäuerlichen Leinenhemden die Landeskunde
gemansplaint wird.
Auf
der Heimfahrt halten wir beim jüdischen Friedhof nahe Rožmberk.
Mittlerweile stehen etliche philanthropische Sponsoren auf dem Schild an der Mauer, aber das Gras steht so hoch wie in den frühen 1990ern. Wir klauben kleine
Kiesel aus den riesigen Maulwurfshügeln zwischen den Gräbern und
legen sie auf die Grabsteine.
Langsame
Heimfahrt über Langzwettl, es wird ein Freiwilliges
Feuersportwehrfest gefeiert, alle haben rote Backen von Bier und
Sonnenbrand. Weiter nach Wels, es wird das Schl8hof-Voixfest gefeiert, alle haben rote Backen von
Bier und Sonnenbrand.
28.5.
Die
Eröffnung der Sommersaison im Sengsengebirge artet ziemlich aus,
aber der Drang ist stärker als die Vernunft. Ich treffe
mindestens sechs falsche Entscheidungen und sieben richtige. Gerade
in der anstrengendsten Stunde des Herumkofferns auf der Koppenalm
dackelt mir der Hund am ergebensten nach. Wieder neue Wege und
verlassene Almen gefunden. Wie es hier vor hundert Jahren
ausgesehen haben mag? Der Nationalpark verwandelt den Bergstock
außerhalb der markierten Wege in einen Lost Place. Auf dem Weg zum
Rohrauer Größtenberg ein Paar, das sich auch verkoffert hat, ich kann nicht
einmal mit meiner Karte auf dem Handy behilflich sein, weil der Mann
(natürlich der Wegfinder) seine Lesebrille nicht mitgenommen hat.
Stunden später Verwünschungen gegen mich selbst, aber ich weiß da
schon, dass ich gleich wieder hinauf will, sobald der Muskelkater
abgeklungen ist.
29.5.
Enttäuschendste
Hunderasse: der Disappointer
***
Schlagzeile
des Tages: „Mutmaßlicher Spionagewal verlässt Norwegen in
Richtung Süden“. Vor vier Jahren war der zahme und neugierige
Belugawal vor der Küste Finnmarks gefunden worden; er trug einen
Gurt mit Kamerahalterung. Drei Jahre trödelte „Hvaldimir“ nahe
Norwegen herum, jetzt schwimmt er davon, aus Einsamkeit oder wegen
der Hormone, glauben Meeresbiologen.
***
Statt
„sick kids“ lese ich „side kicks“. Die Lesebrille wird wohl
auch mir bald zuteil werden.
***
Eigentlich
ein Traum, der es nicht in die Zukunft schaffen muss, aber es war
einer der wenigen, in denen mir der Vater erschienen ist. Es war
seine Aufgabe, mich mit Barbituraten zu euthanasieren, da ein Tumor
schon meine Schädeldecke absorbiert hat. Im Traum ermahne ich mich,
bloß nicht hinzugreifen, wäh. Ob das wirklich sein müsse, die
Sterbehilfe?, frage ich den Vater traurig, er sagt traurig ja, es
gehe sonst sehr schlimm aus, es sei besser, wir brächten das gleich
hinter uns. Daraufhin ordne ich Spar- und Notizbücher, lege
Dokumente heraus und gerate in Unmut, weil es mich gerade überhaupt
nicht sterben freut. Ich lasse meinen Ärger am Vater aus, der sich
in meiner Sterbstunde mit irgend einem zufällig getroffenen
Bekannten vertratscht.
30.5.
Irgendwo
in den USA ist die kaum verweste Leiche einer Nonne exhumiert worden.
Unter der schützenden Schimmelschicht schaut sie tatsächlich ganz
propper aus (das gönne ich auch Tina Turner).
Fassungslos Gläubige pilgern herbei, um ihre Hände auf die
Schimmelschicht zu legen. Es handle sich im Übrigen um die erste
Mumie einer afroamerikanischen Frau.
***
Interview
mit einem 97-jährigen Komponisten in der ZEIT.
„Wie
geht es Ihnen?“
„Es
geht mir irgendwie.“
***
Ein
Herr „Walzer“ (=Walter) entschuldigt sich in einer
Willhaben-Nachricht für seine Rechtschreibung: „händitastatur
dicke finger“
***
Mit
solidarischem Wohlwollen schaue ich der Nachbarin dabei zu, wie sie
mit großer Geschwindigkeit Cola und Wurstsemmi inhaliert, bevor sie
ins Haus geht und für vier Kinder + Gatten etwas Gescheites kocht.
***
Das
jämmerliche Heulen einer Alarmanlage irgendeiner Firma irgendwo.
31.5.
Auf orf.at: Ein
Skriptum aus dem 15. Jahrhundert ist „entdeckt“ worden, in dem
sich ein Stand-Up-Comedian seine drei besten Nummern aufgeschrieben
hat, zum Beispiel die satirische Hasenjagd, bei der die
Killerkarnickel den Jägern die Kehlköpfe herausreißen.