Freitag, September 01, 2023

Wespen unterm Dach, Formationen in der Brust und zerriebene Knorpel im Knie der Gesellschaft


Lebenskrimskrams im August 2023

1.8.

Die nächtliche Traum(a)rbeit geht weiter. Ich soll für die OÖN nach Rhodos, für einen Tag, und gleich dort noch den Artikel schreiben. Am nächsten Tag geht es weiter nach Kanada. Immerhin habe ich die Matura geschafft.

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Zurück in der Routine. Die von Tag zu Tag aufgeschobenen Vorhaben bestimmen meine Tage, kleine Dinge wachsen sich so zu virtuellen Verpflichtungen aus.

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Wespen sind unter mein Dach eingegangen, es werden Wochen vergehen, bis ich mir ein Herz nehme und mein Revier verteidige, wie bei den Ameisen im April.

2.8.

Eine ältere Frau warnt mich auf dem Taubenmarkt: „Die stehlen angehängte Hunde vor den Geschäften, passen Sie auf! Die nehmen sie für Tierversuche!“

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Der angehende Umweltwissenschaftler, dessen Jugend ich miterleben durfte, verrät uns seinen life hack gegen die 40-Stunden-Woche: keine Kinder. Ich sage, das sei ja auch gut für den CO²-Abdruck, was er wiederum als das „Dümmste, was er je in dem Zusammenhang gehört“ habe, bezeichnet. Dabei habe ich noch gar nicht von der Frau erzählt, die sich für die Existenz ihrer Kinder damit rechtfertigen zu müssen meint, es könne sich dabei ja um die künftige Umwelttechnik-Elite handeln.

3.8.

Jeden Sommer das Selbe, zum Glück kennt man's schon: Torschlusspanik und Sozialstress. Es herbstelt.

4.8.

Klassenschande“, danke Max Bezirkowitsch!

5.8.

Anreise zur Vermählung der Freunde im Salzburger Schnürlregen, stilgerecht im hörgerätebeigen Citroën. Wir werden den ganzen Nachmittag lang ein wenig nach Benzin stinken, aber sobald der Kutzenberger (stilsicher in Waldfarben gekleidet) das Auto sieht, sagt er den bereits vereinbarten ride mit einem BMW-SUV ab und springt auf die Rückbank.

Bei der Agape kommen wir bei den Peers (nicht Englisch auszusprechen), beide sind unglaublich nett, tragen Tracht und haben doch das Kino Ebensee mitbegründet. Ich bekomme so viel über Hallstatt erzählt, dass ich am liebsten gleich mitnotieren und den Roman noch schnell umschreiben möchte:

  • Ebenseer haben in Hallstatt Hausverbot (warum, habe ich vergessen, es ist aber bei diesen Stämmen auch ein bisschen wurscht).

  • Gössler sind als Kellner in anderen Ortsteilen unbeliebt, weil sie „Zahlen“ wie „Zoin“ aussprechen, was in den Ohren der anderen Stämme wie das Spezialwort für „Hundekot“ klingt.

  • Ein Gössler hat seinen Familiennamen von „Mauskot“ auf „Pichler“ ändern lassen.

  • Die Geschichte vom Chinesen auf dem Privatklo stimmt verbrieft.

  • Kinder von direkt in Hallstatt lebenden Eltern lernen das Radfahren erst sehr spät, weil sie nie genug Platz dafür haben.

  • Ein Austauschschüler aus Neuseeland konnte sein loderndes Heimweh durch einen Besuch in Hallstatt lindern, nicht nur, weil es hier so aussieht wie am Fjord zuhause, sondern wegen der vielen Touristen aus Asien.

  • Chinesen fragen die Leute in Hallstatt immer wieder, wie lange denn ihre Dienstzeiten seien, die Europäer seien ja eh sehr fleißig! Sie glauben, dass das Leben im Ort eine touristische Dienstleistung sei.

  • Eine Oma fährt ihre neugeborene Enkelin durch den Ort, ein Chinese reißt die Decke im Kinderwagen weg, weil er nachsehen möchte, ob sich eine Puppe darunter verberge.

  • Aus Protest gegen das Vogelfangverbot luden die Ebenseer die interessierte Presse zu einer Vogelfänger-PK, bei der dann einfach ein paar Leute saßen, um sich bestaunen zu lassen, denn es gibt in Ebensee relativ viele von ihnen mit diesem Nachnamen.

  • Herbert Peer war aus tiefster Überzeugung und alpinistischer Regionalregion in seinem Leben noch nie auf dem Traunstein, Rosemarie macht glaubhaft, dass ihr das eine Mal sehr peinlich ist.

  • Wer auch immer nördlich des Traunsees zu tun hat, fährt an schönen Tagen stets vor 15 Uhr los, sonst endet er oder sie im Rückreisestau der Tagestouristen. Zu Lockdownzeiten kam es etwa auf der Zufahrt zur Hochsteinalm zum völligen Kollaps, die Leute ließen ihr Auto einfach mitten auf der Straße stehen, weil ganz OÖ rodeln wollte, same bei den Langbathseen.

Der Tag ist menschlich schön, aber meteorologisch von malerischer Schiachheit. In Kärnten und Slowenien steigen Flüsse und Bäche über ihre Ufer, und auch wir werfen immer wieder besorgte Blicke hinüber, ob der Almsee in seinem Bett bleibe, ob die Hänge halten, ob neue Bäche zu Tale stürzen. Wittmann sagt, dass früher bei so einem Wetter die Alm nicht so dreckig gewesen sei, aber seit die Forstwirtschaft so grob betrieben werde, reiße es den Humus aus den Wäldern; der Bluts- und Geldadel lasse breite Schneisen schlagen, damit sie ihre Hirschen aus dem SUV heraus abknallen können.

Vor dem Anschneiden der Torte (die er wegen ihrer Pracht für eine Attrappe gehalten hatte) schleppt der Buttinger meinen künftigen Verleger an unseren Tisch, zwecks Verlagsvertragsverhandlungen, denn ich habe noch nichts unterschrieben. Potyka sagt, es sei ihm wurscht, was ich unterschreibe, sie machen das Buch auch ohne mich, ich müsse aber noch Einiges ausbessern.

6.8.

Buttinger und der Hund schlafen den tiefen Schlaf der Gerechten, er auf, sie unter der Traberger Pfarrersoff.

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Meg“ - eine Orgie an: Product Placement + Stereotypen des 21. Jahrhunderts + doofe Rollenklischees (toughe Frau, die aber trotzdem die ganze Zeit gerettet werden muss und nur wegen eines frühkindlichen Traumas tough ist) + China & USA-Kollaboration, Benetton-Casting (agieren dürfen aber nur die zwei Leitkulturen) = höchstgradige Unglaubwürdigkeit. Dieses Machwerk ist nicht einmal ironisierbar. Aber für einen verkaterten Sonntag reicht's.

7.8.

Ein Tag, wie um der Klimaerwärmung zu spotten, grad dass das Wort „Schneefallgrenze“ nicht fällt.

9.8.

Die Generation X ist der Knorpel im Knie der Gesellschaft, zerrieben zwischen Boomern und Schneeflöckchen (viele von ihnen ergeben eine Lawine, insofern passt die Metapher).

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Ich kann alles, was ich will! Leider will ich so wenig.

10.8.

Mit den Bergdamen ins Steinerne Meer – es wird grad noch rechtzeitig wieder Sommer. Und wie! Im Riemann-Haus ist es zwar kalt, weil die Fenster schon wegrenoviert worden sind, aber wir haben Durst und werden am nächsten Tag erfahren, dass der Liter Leitungswasser 4 € kostet. Die Halbpension ist so abartig teuer, dass wir befürchten, nicht genug Geld für drei Tage mitgenommen zu haben.

11.8.

Beim Frühstück: „Wer liegt denn in Zimmer 3?“ „Äh, wir.“ „Ihr müsst euer Zeug rausbringen, wir reißen die Fenster raus.“ Wir beginnen etwa überstürzt die Wanderung. Nach ein paar Metern drehen wir uns um und sehen dabei zu, wie eine gigantische Kreissäge das Haus entzwei sägt. 

Es ist wirklich sehr, sehr schön hier. Und wir finden sogar eine Quelle. Irgendwo in der Gegend gibt es einen zweiten Praterstern. 

Am Abend zieht Birgit einen ganz und gar verunstalteten Zeh aus dem Schuh. Drüben in der Ingolstädter Hütte feiert eine Rotte Jäger den Abschuss zweier Gämsen, deren abgeschnittene Köpfe sie stolz auf den Tisch stellen.

12.8.

Auf dem großen und kleinen Hundstod. Das Kärlingerhaus ist die günstigste und schönste Unterkunft dieser Tour, wir sind erleichtert, sie in dieser Richtung gegangen zu sein. Ein höflicher Junggeselle lädt zum Tauschhandel, ich biete erfolgreich zwei Packungen Mannerwafferl gegen ein Glöckchen, auf dem „Ring for sex“ steht. 


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Die Tage zwischen 12. und 23. August sahen ungefähr so aus, es gab offensichtlich keinen Grund zu klagen, also auch keinen, zu schreiben.

23.8.

Im Brennholz, das seit Jahren unter dem Wintergarten lagert, knuspern und knistern die Holzböcke, als säße man in einer Granola-Frühstücks-Hipsterbar. Nie darf ich mit diesen Scheitern den Kachelöfen beheizen, sonst befeuere ich das Artensterben.

24.8.

In vier Monaten ist Weihnachten. Es hat 34 Grad.

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Gute Reformidee: Die Gehälter von ÖVP-Funktionären in bar auszahlen.

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Ineffektive Mikroorganismen.

25.8.

Die „Formation“ aus der rechten Brust ist verschwunden, weil sie nie da war. Seit einem Jahr hypochondriere ich Knoten in die linke, um die es nie gegangen ist. In die Erleichterung mischt sich ein Schuss Wut, weil man das Gewebe bei der ersten Mammographie offensichtlich so fest gequetscht hat, dass es wie ein Knoten wirkte. Ein Jahr unnötiger Hintergrundsorge, danke für nichts. Geht trotzdem zur Mammographie, liebe Damen.

26.8.

Angenehme Erkenntnis, dass die Kinder nicht herbeikommen, um zu sehen, was für coole Leute wir sind, sondern aus Behaglichkeit; und um uns einzureden, dass sie coole Leute sind, etwa so: „Gestern war Release-Party von meinem Hip-Hop-Video, außerdem hab' ich ein Shooting in Mailand und gschichtle grad mit dem Faber, dessen Vater vor der Mafia fliehen musste, und du so?“ Ich so: „Heuer sind mir die Kürbisse gar nichts geworden.“ 

 

27.8.

Traum von einem online und in den Gemeindeämtern ausgeschlagenen Bericht der Bevölkerung über erotische Schnurren, die täglich aktualisiert werden. Ich freue mich verstohlen darauf, das zu lesen, muss aber zuvor noch einen Schreibworkshop absolvieren, der von James Hetfield abgehalten wird. „Which food do you miss?“, lautet die Aufgabe. Ich notiere ein Lob des mütterlichen Schweinsbratens. Nicht wahrheitsgemäß, sondern weil ich mir im Traum einbilde, dass die Amis sowas gern hören wollen.

28.8.

I mog hoid kaane Auslända! Naa, stimmt eh ned. Owa Migranten mog i ned“, sagt die Staffordshire-Halterin. Sie wird sich am Ende der gemeinsam gegangenen paar hundert Meter gefreut haben, mich kennen gelernt zu haben, dabei hat sie mich gar nicht kennen gelernt. Ich muss zivilcouragemäßig endlich aus der Sommerpause kommen. Die Hunde aber raufen glücklich im Schlamm.

29.8.

Barthaare zupfen ist das Ritzen der erwachsenen Frau.

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Coala wirkt auf Hunde harntreibend, etliche ludeln sich vor Freude über sie an.

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Buttinger: „Man derstreichelt diesen Hund nicht!“


30.8.

Im Traum hat mich ein Medium zwecks Berichterstattung zum Begräbnis eines Regionalmagnaten geschickt, eine Mischung aus Mafiaboss, Zuhälter und Mäzen. Die Feier ist familiär und rotlichtig, ich komme mir wie eine Einschleichdiebin vor, und eine leichtbekleidete Nachtclub-Sängerin fragt mich, „sind Sie auch Kind unseres Vaters?“

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Guter Insta-Fund auf „freudintensifies“: „Who is this Rohrschach and why did he paint so many pictures of my father being disappointed by me?“

31.8.

In Ingolstadt hat eine Frau ihre Doppelgängerin ermordet.

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Geplante Obsoleszenz: Keller, Auto-Zahnriehmen, Geschirrspüler. Die Haushaltsgeräte haben wohl eine Gewerkschaft gegen mich gegründet.