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Freitag, November 01, 2024

Anton Bruckner würde mich heiraten, Michael Köhlmeier eher nicht

Lebenskrimskrams im Oktober 2024

1.10. Unter St. Veit

Eine junge Frau schläft trotzig über drei Sitze gestreckt, die andere rotzelt, als wolle sie mich konfrontationstherapeutisch von meiner Misophonie heilen. Im Bus von Hütteldorf ins dörfliche Wien sitzen nur Pensis, dementsprechend laut sind die Haltestellendurchsagen. 

Das ist mein Tag als angestellte ORF-Mitarbeiterin: endlich wirklich Staatskünstlerin! Trawöger begeistert mit einer Glam-Rock-Frisur, Franz sieht genauso aus wie sein Vorname. Die Inhaberin des geliehenen Modegeschäfts stammt aus Obertraun, sie hat einen Labrador.

Mein Text besteht unter anderem aus „Mei Cousin' hod noch Heagschroa gheirat!“ Zum Glück ist ein gewisses Maß an Löwingerei erwünscht. Am schönsten die Miniszene, in der sich Bruckner in der Umkleide leise beschwert: „Jetzt hod ma da Heagott koa frische Untahosn midgem.“ Ich lege meine Rolle sehr an Maria Hofstätter an, was zumindest dialektal nahe liegt. Am Ende bekomme ich einen Heiratsantrag, obwohl ich frisch geschoren und im Frackhemd eher aussehe, als wäre ich ein schwuler Cousin meiner selbst.

Trotz Bombenalarms gelingt die Heimfahrt, es tut mir nur leid, dass niemand kommt und sagt, „ma, in wos firana klassn Gsöschofd sitznd du do!“ Ab Wels fahre ich müde und allein weiter, neben mich setzt sich ein junger, grauer Angestellter, der aus meinen Augenwinkeln heraus zu stricken scheint, dabei fingert er nur bis Marchtrenk an seinen rettungslos verhedderten Kopfhörerkabeln herum.

Buttinger schickt fassungslos die neue Werbekampagne von Wels: "Sogar mit dem Tod kann man in Wels besser als in anderen Städten, weil man  ein Mensch und keine Nummer ist." Muss man hirntot sein, um sowas zu schreiben? 

2.10. Langenlois

Immer glaube ich, zu wenig zum Lesen vorbereitet zu haben, immer stimmt das Gegenteil. Am schönsten ist, dass Mieze und Markus besser als ich selbst die Liebe im Buch erkennen, und es ist die lautere Wahrheit, dass ich über Arschlöcher im Grunde gar nicht schreiben könnte.

Die „Piefke-Saga“ wird noch einmal lustiger, wenn man dabei neben einem Tiroler sitzt. „Nur der Not keinen Schwung lassen. Ex!“

3.10. Langenlois – St. Pölten – Winkeln

Wir reden über Persons of Colour in Österreich (worüber genau, hab ich vergessen, aber wir prangern Alltagsrassismus an). Wenige Minuten später schaut Mieze Medusa aus dem Fenster und sagt versonnen: „Jaja, die Schwarzen, das ist schon ein fröhliches Volk, das liegt in ihrer Natur!“ Ich sehe verdattert vom Eidotter hoch, dann höre ich innerlich nach und stelle fest, dass sie ganz zutreffend über die SPATZEN gesprochen hat, die draußen im Hof ihr Ding machen. Weil ich so dumm schaue, fragt sie nach, dann lachen wir sehr lange. Sie ist erleichtert, dass mich der Satz irritiert und dass ich ihn aus ihrem Mund nicht erwarte.

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Weil Zeit bleibt, mache ich vor dem Umsteigen einen kleinen Gang durch das Innere St. Pölten, das mir exotischeres Neuland als Kathmandu oder Asmara ist. St. Pölten Central ist überraschend lieb, in der zweiten Reihe gibt's sogar überall bildende Kunst im öffentlichen Raum.

4.10.

Welttierschmutztag

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Bei Hunden ist der Wesenstest doch extrem einfach, es reicht eine mündliche Erhebung ihres Aufenthaltsortes, um zu erkennen, ob sie Wert auf fremde Zuneigung legen: „Jo, wo bist denn du?“ 

Sie ist hier

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A. erzählt, dass ihr kleiner Sohn (4) sie jetzt immer fragt, „ist das gut und richtig so?“ Und dass sich unlängst junge Mitarbeiterinnen in der Post darüber amüsiert haben, dass heutzutage noch jemand „Kuverts“ kaufe. 

6.10.

Es gibt eine Produktgruppe namens „Halbzeug“ (was so klingt wie alles, das ich schreibe). 

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In der Nacht geträumt, dass ich als neue VOEST-Generalmanagerin vorgeschlagen werde, was mich zwar wegen der vielen Arbeit besorgt, mehr aber noch, weil ich dafür nichts Ordentliches anzuziehen habe.

7.10. Kühfeld

Einer der eigentlichen Tage dieses Jahres, mit einem Mittagsschlaf, der locker Platz 3 der heurigen Bergruhen belegt. 

Wir kreuzen Wolfsspuren, und nachher sagt eine Frau auf FB, dass sie offenbar unseren Spuren gefolgt sei. Und hoffentlich folgt auch der Geist des Vaters unseren Spuren, ich hege den Wunsch, ihn hier vor drei Jahren freigelassen zu haben, als die Lärchen gelb im Oktoberlicht brannten.

8.10.

Eine ältere Frau möchte mir zusehen, wie der ÖBB-Ticketautomat zu bedienen sei. Ich sage, gern, aber das ist kein normaler Vorgang, ich kaufe nur ein Ticket für den Hund. Sie geht schweigend um mich herum, dann legt sie den Kopf schief und sieht mich mit offener Verwunderung an: „Aber wo ist denn Ihr Hund?!“ Ich lache sehr, zeige auf den Buttinger und das Tier, da lacht sie auch. „Haben Sie geglaubt, ich würde für meinen unsichtbaren Freund zahlen? Das wäre ja vielleicht doof!" Sie sagt nur, sehr wahrheitsgemäß: "Ois gibt's."

9.10.

Österreichs Reaktion auf den internationalen brat summer ist ein nationaler rat autumn, mit einem „Volkskanzler“ der etwas von einem Nagetier hat, aber keines, das man sich freiwillig ins Haus tun will. Und dafür möchte ich mich gleich wieder bei allen Nagetieren entschuldigen.

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Buttinger erzählt beim Frühstück von seinen zwei dümmsten Newsletter-Versendern. Das „byzantinisch-katholische Büro des Patriarchats“ sieht im Papst einen Häretiker, der das Kirchenrecht breche, weil er sich in Kanada bei den Heiden entschuldigt habe. Der andere Typ fordert seine Anerkennung als legitimer Kaiser von Österreich, da die Habsburger nachweislich Betrüger seien – sein eigener Adelsname nimmt eine ganze Bildschirmseite im Email ein.

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Dem unartigen Hund drohen, beim nächsten Mal den Zecken zu behalten und nicht ihn. Das ist aber nur eine gedankliche Intrusion, in Wahrheit kann man sie nicht mehr herschenken. Ein Bekannter im Wasserwald sagt, er verbringe mehr Zeit als notwendig mit seiner Labradorin – woher will er wissen, wie viel notwendig ist? Der Welttag des Hundes fällt wohlbegründet mit dem Welttag der psychischen Gesundheit zusammen.

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Mein Grünkohl ist zum Insektenhotel geworden. Whatever works.

11.10.

Der Zug ist bummvoll, wir stehen dicht an dicht im Gang, aber die Leute neben mir erkennen mich, weil ich dem Vater so ähnlich sehe. 

Abb. 7.: Wean is a Stod und Linz is a Stadl / in Wean essn's Salod und in Linz essns Bradl

Coala und ich haben 16 Stunden, um eine Art Urlaub zu verbringen, und wir machen das Beste draus: Elefantenmanschettenknopfkauf, MaschuMaschu, zwei Staro und dann 30 Rock (mein Valium). #bliss

12.10.

Geduscht und mit frisch geputzten Zähnen im strahlenden Oktobermorgen – wandern wäre logisch, aber die GAV-GV profitiert auch von den Umständen. Hier lässt sich der sehr liebe jopa dazu hinreißen, mein beim ersten Bier ausgegebenes Motto darzustellen: "Literatur muss jede Hand beißen, die sie füttert."

Es ist so weit gekommen, dass ich diese Woche zu keinem einzigen Mittagsschlaf gekommen bin!“, sagt Martin Fritz entgeistert – und ich war mir selbst nicht sicher, ob mein Bericht vom Almschlaf auf der Angeralm nicht doch zu privat sei. Man muss beim Erzählen was riskieren, damit Nähe entstehen kann. Martin ist im Übrigen der Meinung, ich sei jetzt „keine mehr von uns“, wegen des Romans. Ich versuche mich mit dem Hinweis zurück „zu euch“ zu reklamieren, dass der zweite Roman der schwerste sei und da schon wieder überhaupt nichts weitergehe.

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Im Zug nach Hause, milde betrunken, Eugenie Kain gelesen. Wie gut sie war und wie gut sie schrieb. Wie Riess einfach eine moralische Instanz, beide hinterlassen riesige Lücken.

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Vor Freude über meine Heimkehr verpasst mir Fini einen irischen Kuss.

13.10. So

Wahnsinnig wenig los, bis auf einen sehr guten Spaziergang im Föhnsturm. Ausschreiten zu können wird zur wachsenden Freude hier im mittleren Alter. 

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Ransmayr, „Vom Töten“: Er kommt schon manchmal ein wenig ins Pathetische (Inzest, Femizid, drunter tut er's nicht), aber man muss wohl was riskieren, damit ein Epos entstehen kann.

14.10.

Ein junger Turmfalke (ich glaube, eine Fälkin, aber Hasi warnt vor Internetgenderbestimmungen) krallt sich kurz an den Fensterrahmen und schaut tadelnd zu mir herein, die ich gerade meine Zeit auf Facebook vertändle, wo ich mein Erlebnis auch gleich quasi live mitteile. Woraufhin der Schrenk kommentiert, dass die Greifvögel gerade Stress haben, ihre Jungtiere satt zu bekommen, weil die vielen Mäuse vom Frühjahr im Septemberregen ertrunken sind.

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Mit Dani zur Freinbergkapelle. Das Christentum an solchen Kleingedenkstätten ist schon sehr exotisch! Hier wird der Gnadenmutter von Schönstatt gehuldigt, mit Kärtchen, darauf Amphoren, auf denen „Sie haben keinen Wein mehr“ steht. „NICHTS OHNE DICH – NICHTS OHNE UNS“. Mann kann um etwas bitten, darunter ist auszufüllen „Das schenke ich dir“.

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Erleichterung, dass der wie immer extrem freundliche Misik keine Trolle in den Kepler Salon gelockt hat. Vielleicht ein Marienwunder!

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B. schickt mir per Whatsapp eine Nachprüfungsantwort, obwohl die nicht eben für ihren Unterricht spreche, wie sie sagt: „Konstantin Opel und sein Elefant Hanibal überquerten die Alpen.“

Was gibt's hier umsonst? Nichts? Unkraut? Raum für eigene Gedanken? Hat Linz überhaupt was zu verschenken?

15.10.

Eine späte literarische Karriere hätte auch den Vorteil, dass ich mein Zeug zumindest in Teilen als würdigungswerten Vorlass ins Stifterhaus rümpeln könnte.

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Bizarre Ausstattungsmöglichkeiten im Alp & Jagdkatalog von Kettner. Klar, warum nicht mit Glock und Maschinengewehr der Hege und Pflege nachgehen!

16.10.

Beim Verräumen von Gartenliegen und Kugelgrill kann ich es immer noch nicht fassen, dass der eh extrem lange Sommer vorbei ist.

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René schickt den traurigsten Lesungsbericht der Welt, gefunden in irgendeinem Lokalblatt: „Kein einziger Besucher kam“ als Titel, darunter ein von der missachteten Autorin selbst hochgeladenes Lese-Selfie. „Da kein einziger Gast zu ihr kam, möchte sie trotzdem ihr Foto hier einstellen. Dazu sagt sie: 'Dies ist ein Beschäftigungsbuch mit `sich selbst`.“ 

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Eva Reisinger und Barbara Rieger erörtern die Vorteile des Matriarchats, das Publikum nickt bestätigend, es ist sehr schön. Hier ist die Welt schon gerettet, wir müssen die Revolution nur noch aus dem Welser Schlachthof rausbringen. 


T. bringt der Klasse ihrer Tochter gerade bei, wie man am Handy was nachschlagen kann, etwa „Nathan der Weise“. What? Vielleicht ist was dran am Pessimismus angesichts der Jugendverdummung.

17.10.

Gestresste Mittvierziger sollten sich auf Rezept, als Burnoutprophylaxe einmal im Monat freinehmen dürfen, um an einem Wochentagsvormittag mit den Pensionisten einkaufen zu gehen. Man wird lieb angelächelt, verwegene Senioren zwinkern womöglich. Danach fühlt man sich flott und wertgeschätzt. #mentalhealth

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Mein viel zu serviceorientiertes Arbeitsleben wäre um einen Zacken einfacher, wenn per Dekret alle Meiers dieser Welt zu einer einheitlichen Schreibweise ihres Namens gezwungen wären.

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In der Nacht träumte mir, dass der Schwarzenegger sich als mein Vater outet. Er umarmt mich lieb und ich denke, „das glaubt mir wieder keiner!“ Dann wandere ich mit Josef Hader durch Wilhering, bis mich die App udaungs ins Schweizer Hochgebirge führt. Peinlich. 

18.10.

Wenn das Alter sich so gestaltet wie dieser Altweibersommer, freue ich mich schon. Mit dem Knoblauchmesser das Müsliapferl schneiden: ein großer Tag steht mir bevor, wenn das schon der Tiefpunkt gewesen ist.

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Am Nachmittag feiere ich meine Premiere als Trauende (hier bloß kein R reintippen) - beim Eingehen einer Ehe gilt besonders: Wenn alle dran glauben, gelingt's!  Ich meine: Ist das lieb oder ist das lieb!?!?!?

Foto: Kevin Greslehner

Dann schnell nach Hause, von der Garage aus grüße ich im Frack die Nachbarn mit „I bin's, eicha Präsidentin!“ Der gebildete J. erklärt seinem Sohn, das habe einmal einer zu jemandem gesagt, der aus dem Gefängnis ausgebrochen sei.

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Lia Sudermann trägt eine zehn Meter ausstrahlende Sympathie-Aura vor sich her, wir bussen uns gleich, und sie kniet sich zur Begrüßung vor den Hund. Doppelt lustig, dass sie dann Hass-DJ spielt. Stammgast H. retourniert nach der Tombola ein selbstgezeichnetes, antikes Häschenlesezeichen, das aus der nun ihm gehörenden „Katholischen Sittenlehre für den privaten Gebrauch“ gefallen ist. Was für ein schöner Treffer da dem Zufall gelungen ist, hat die Bibliothek seines Großvaters geerbt, der Theologieprofessor war. 

Es ist der überdurchschnittlichen Geschmeidigkeit des Tages zu verdanken, dass wir die Stunde nach Mitternacht so gut vertragen – ein Auto ist unmittelbar vor uns in Brand geraten, ein enervierendes, lang anhaltendes Spektakel.

19.10.

Am Abend „Tchernobyl“ - die Erschießung der Tiere erregt mich mehr als der schlimmste Gruselsplatter, ich kann wirklich nicht hinschauen (obwohl man ja gar nicht sieht, wie die Hundemutter und ihre Welpen abgeknallt werden). Wie habe ich das beim ersten Mal ausgehalten? Da hat der Vater noch gelebt, ich hatte kein PMS und vor allem selbst noch keinen Hund. Man wird immer weicher statt härter.

20.10. Hintersteiner Alm – Eisernes Bergl

Ab jetzt bei der Tourenwahl nur noch süd- und westseitig, aber heute war's noch einmal großartig. Erstaunlich viel Schnee ist seit September wieder geschmolzen. Es ward mir der edelste Mittagsschlaf auf der Angeralm gewährt, obwohl Fini ihre Kruppe in mein Gesicht drängte und wohl etwas furzte (wahrscheinlich daher der tiefe Schlaf). Das „Schlimmste“ ist das fortwährende Schergeln der Tannenhäher, und das übliche Gefühl, dass ich noch viel weiter gehen sollte, bin ich nicht noch vor einem Jahr die ganz große Runde gegangen?! Wenn nur die Tage ab jetzt nicht so rasant kürzer würden! Jedes Jahr um diese Zeit sagt der Vater in mir maioresque cadunt umbrae.

21.10.

Zum Glück hatte ich heute noch keine Lust, um halb 8 aufzustehen, denn in der gegönnten Stunde träumte mir, dass ich mich mit der Mutter über irgend etwas sehr amüsiere. 

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Mindboggling beim Schreiben der Lesebühnen-Zukunfts-Nachlese: Man kann die Veröffentlichung eines bereits veröffentlichten Beitrags nicht in die Zukunft datieren, umgekehrt aber schon. 

22.10.

Ein mit Baumleichen belegter zerrütteter Hügel aus Liasmergeln“ - beim F.-Kain-Lesen gleite ich in die regionale Geologie ab, mit diesem fast lyrischen Ergebnis (es geht um den Felssturz am Sandling).

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Der Tennisarm hat sich zurückgezogen (ich weiß, dass er nur Winterschlaf bis zum Frühling hält), ich darf wieder die Halluzination pflegen, eh ganz tack zu sein, auch wenn die Physiotherapeutin am Ende sagt, das sei wahrscheinlich eh kein langer Abschied, „irngdwos hod's in dem Oita amoi wieda.“

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Das Konzept der Melanzani erschließt sich mir nicht, zumindest was die Zubereitung durch meine Person betrifft.

23.10.

W. ruft an, um mich fröhlich für die große US-Wahlnacht seines Senders als Präsidentin zu engagieren, selbstverständlich gratis. Als ich ihn auf das extreme Euphoriegefälle (was bitte, wenn's der Trump wird?! + alle anderen Gründe) hinweise, glaubt er mir entgegenzukommen, indem er nur den Slot um 00:30 Uhr haben will, den um 02:30 eh nicht. Ich bin an diesem Tag um 7 Uhr erwacht, mir entringen sich nur Neinneinnein-Laute.

24.10.

Ich arbeite in der Geisteswirtschaft.

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Die Raika bietet mir einen Handyvertrag an, die Handyfirma einen Stromvertrag. Ihr macht mich fertig.

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Die Freuden des Alterns: Der Prinzensteig ist wieder ein Hit! Beim antiken Turm finde ich einen Parasol, und sobald ich einen zweiten für eine vollständige Mahlzeit suche, sehe ich sie überall. Ich trage eine große Handvoll aus dem Kürnbergwald. In der Nacht poste ich Bilder davon auf FB. Jemand schreibt drunter, das seien keine Parasole, und steigt auch nicht davon herunter, als ich feststelle, dass ich jetzt schon tot wäre, wenn es so wäre. Woher nehmen die Menschen ihre Sicherheit? Ich google dann nämlich trotzdem „Vergiftungstod Knollenblätterpilz“.

25.10. Bad Aussee, Wasnerin

Auf dem Pötschenpass werden alle unruhig, Hund und Mensch. Der Nebel hat es spannend gemacht und noch bis Ischl gehalten, hier ist der schönste Spätsommer. Wir treten zwei Tage weit oberhalb unseres Status an, nehmen die Herausforderung aber tapfer an. 

In der Begrüßungskarte heißt es, „unser Haus inspiriert seit Jahrhunderten Persönlichkeiten mit dem Feinsinn für die Energie, die unser geomantischer Kraftplatz abgibt.“ Ich gebe auch Energie ab. Wir liegen wie Frankfurter im Würstlwasser.

26.10.

Köhlmeiers Matinee wird kurzfristig ins Programm genommen, und ich dränge mich ihm mit dem Scherzi auf, dass er quasi meine Vorband sei. Er ist nicht begeistert, was auch daran liegen kann, dass er gleich auf die Bühne muss.

Oder eher nicht: Er kommt zwar tatsächlich am Abend zur Lesung und setzt sich in die erste Reihe, aber mit einem unbegeisterten Antlitz, wie zum Beweis, dass das resting bitch face kein Monopol der Frauen ist. Seine Unterwältigung durch mein Junstwollen ist echt, denn mit überraschender Behändig- und Geschwindigkeit springt er am Ende auf, noch bevor das erste Händepaar sich zum Klatschen trifft. Mein Karrierehighlight! Ich muss nur die Erzählung gleich nach „Der Köhlmeier ist einmal bei einer Lesung von mir gewesen“ abbrechen.

27.10.

Am Fuß der Trisselwand. Ein Tag von größtmöglicher Witterungsschönheit. Aufheulen im Auto bei der Fahrt vom Tressensattel herunter, als wir den Grundlsee sehen. Seit vorgestern beglückt und plagt mich der Blick auf die Weiße Wand, beim Frühstück der hinüber zum Dachstein. Ein starkes Gefühl, dass das eigentliche Leben dort oben stattfinde, nicht hier herunten am Kuchenbüffet (wogegen aber auch nichts zu sagen ist).

Wir heulen bei Vorchdorf noch einmal auf, als uns der Nebel schluckt wie ein Staubsauger.

28.10.

Wie oft kann man den Sonnenuntergang am Donaustrand fotografieren?

29.10. Petergupf

Eine etwas schmerzhafte Umkehr dort, wo's am schönsten zu werden verspricht. Fini gibt ihr Bestes, es ist ihr sichtlich peinlich, dass sie die kurze Klettersteigpassage nicht schafft, aber in den Rucksack gestopft zu werden, liegt ebenso außerhalb ihrer Fähigkeiten. Stattdessen Almruhe und der Versuch, stolz auf das Umkehrenkönnen zu werden. 

30.10.

Heute der Versuch, tapfer im Nebel zu sitzen, als schiene nicht 300 Meter über mir dieselbe Sonne wie gestern. Wie schaffen es die ganz normal arbeitenden Menschen, in ihren Büros nicht auszuflippen? Wie verwöhnt bin ich bitte, dass ich nach so einem Herbst mit der Kürze der schönen Tage hadere?

31.10.

Bei Gelegenheit darüber nachdenken, was ich hier eigentlich festhalten will – bzw. dass ich hier alles festhalten muss. Diese Woche tippe ich die „Erlebnisse“ des Aprils ab und staune, was ich in diesem halben Jahr schon wieder alles vergessen habe. (Das hier tippe ich am 12. März ab, es hat sich nichts geändert). Zum Glück vergesse ich genauso das Doofe, wenn auch viel langsamer. Aber wenn ich mir das Gute nicht aufschreibe, merke ich es mir? 

Nie würde ich wirklich Tagebuch schreiben wollen, weder um die kleinen Alltagsbedrängnisse zu verewigen, noch meine „Bedeutung“ in der Welt. Ego-Kaiser wie Thomas Mann werden mir ein ewiges Rätsel bleiben, auch wenn es extrem amüsant ist, dass sie jeden Schmarrn aufgeschrieben haben. 


Montag, Januar 01, 2024

Existenzielles Schokoschneiden, Schiachperchten und gegenderte Idioten

Phantomereignisse und -geräusche im Dezember 2023

1.12.

Schneefall bedeckt gnädig den spätherbstlich abgefrühstückten Zentralraum. Mehr aus Glück denn Planung habe ich schon Winterreifen an der Karre.

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Eine Hochzeit im Strandgut, Besiegelung eines späten Happy Ends. Es ist eigentlich eine extrem sinnvolle Sache, dass manche unserer Festlichkeiten jetzt schon am frühen Abend enden. Ich fahre, nur ganz mild alkoholisiert, durch das dichter werdende Schneetreiben heim. Fini rennt mit zwei riesigen Dobermännern und einem Labrador als Herde schwarzer Schatten über das nun ganz weiße Feld. Der Winter bricht mit solcher Vehemenz ein, dass wir um ein Haar nicht den „Berg“ zur Bundesstraße hinaufgekommen wären (was wäre die Alternative gewesen? Mit der Fähre nach Ottensheim und heim über Linz?!). Dann eine ätzende Stunde hinter Menschen nach Wels, die ihr Leben noch schlechter im Griff haben als ich. #sommerreifen #winterunreif

2.12.

Eigentlich wollte ich mit den Hausfrauen und Müttern von Wels die Skitourensaison eröffnen, aber über Nacht ist der Berg in die Stadt gekommen. Der Schneepflug hat sämtliche Autos in der Gasse eingemauert.

Ich mache stattdessen eine leicht apokalyptische Wanderung in den Norden, was ästhetisch und menschlich schön ist, denn die Leute sind einander in diesem wenig tragischen Ausnahmezustand behilflich. Es wird ungeschickt Auto gefahren, aber nicht geschimpft. Erstaunlich viele sind in Sneakern unterwegs. 

Bücherstierln bei Fasthubers. Wenn ich bis zum nächsten Jahr ein Drittel meines eh nicht sehr hohen Stapels lese, kann ich schon zufrieden sein.

Abends suche ich mein eigenes Auto, und wie durch ein Wunder steht da tatsächlich eine Schneeschaufel an der Wand. Ich arbeite im Schweiße meines Angesichts. Ein Typ kommt daher und verwickelt mich in Smalltalk. Zum Glück bin ich dank Hundes dafür jetzt offen. Irgendwann geht er. Bald kommt er zurück, mit einer zweiten Schaufeln, er hilft mir, und erst da checke ich, dass schon die erste Schaufel ihm gehört.

3.12.

Ein Verkehrsreferent sagt in den OÖN, die Ergebnisse des Planquadrats seien „ernüchternd“ gewesen, einer der Erfassten habe sogar 3 gehabt.

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Ein junger blonder Mann von ziemlichem Ausmaß steht im Zug und lächelt mir direkt ins Gesicht hinein. In einem kurzen Rückfall in soziophobe Zeiten schaue ich genervt weg. Beim Aussteigen sehe ich, dass er einen riesigen Perchtenkopf mit langen Bockshörnern in der Hand hält, und nicht nur mich freundlich anschaut, sondern alle um ihn herum. „Lächeln Sie jetzt noch einmal alle an, bevor sie uns erschrecken?“ frage ich ihn. „Naa“, sagt er entrückt. (Nachtrag 2024: in „Minihorror“ gibt es eine großartige Passage über die Fragilität der Perchtenläufer!)

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Facetten-Lesung mit Günther Kaip und Magdalena Wieser. Danach „beschwert“ sich Christian Steinbacher, dass er wegen Fini seinen Wein verschüttet habe, weil ich sie darauf trainiert habe, bei Nennung des Namens seines Enkels zu kläffen. 

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Sehr niedliche Kinder bei der Heimfahrt im Regionalzug: „Deine Mama in meiner Fresse!“ „Du kleiner Hundesohn! Du kleiner Hundesohn!“ „Ich hab die gleichen Schuhe wie du.“ „Hast du sie dir gewünscht?“ „Meine Mama hat sie mir einfach so gekauft, sie hat mich nicht einmal gefragt.“

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Heidi List ist krank und schreibt darüber im Falter. „Ich musste mir eine Autosendung bei lebendigem Leibe ansehen.“

4.12.

Ein Pensionist in den USA arbeitet ehrenamtlich als „Catnapper“ im Tierheim, er macht dabei exakt das, was das Wort verspricht, nämlich Nickerchen mit den armen Katzerln.

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Wenn ich mich bei dieser Kälte eilig für Termine außerhalb des Hauses herrichten muss, fühlt es sich an wie dieses Spiel, wo man hektisch in Handschuhen, Haube und Schal Schoko schneiden muss. Eine leicht zermürbende Mischung aus Pseudostress und Spaß.

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Arno Geiger trifft einige meiner Nerven – die Hinfälligkeit der Eltern und das Ausmisten, die Gesellschaftsanalyse anhand dessen, was sie wegschmeißen, und das öffentliche Leben: „Trotzdem vermag ich mich nicht an viel zu erinnern, denn das Gesehenwerden ist eine ernsthafte Angelegenheit, die einen ganz in Anspruch nimmt.“ „Das glückliche Geheimnis“ ist eines der wenigen Bücher, bei denen es wurscht ist, wo ich aufgehört habe zu lesen, gerne steige ich bei bereits Bekanntem wieder ein, weil es ja triftig bleibt (und weil ich natürlich wie immer schlampig gelesen habe).

5.12.

Im Traum bin ich in einer meiner Berglandschaften. Jörg Piringer berichtet von einer Hütte im Ochsenkar, wo er ein Aufenthaltsstipendium erhalten habe. Ich beneide ihn und bin fertig, weil ich dieses Kar im Toten Gebirge gar nicht kenne. Da rennt zweimal eine Herde Büffel hinein. Ich weiß plötzlich, dass ich im Zorn über Hulk-artige Kräfte verfügen könnte, aber nicht absichtlich hervorrufen kann. Selbst nicht, als ich zu Fleiß in das Orban-Ungarn reise.

6.12. Glöcklkar

Die Hausfrauen- und Mütterrunde ist wieder aktiv! Möge es mir von nun an weniger bedrängend vom Nichtbergsteigen träumen. L. rast elegant durch den Lärchenwald, Fini japst ihm entsetzt fiepend hinterher durch den hundshohen Schnee. H. und ich taumeln unbehelligt zwischen den Stämmen zu Tal.

7.12.

Wieder einmal lange mit Walter S. telefoniert, trotz Zeitmangels – aber wir kommen einfach immer auf die existenziellen Themen, Körperbehaarung, sexuelle Überforderung etc. Er habe etwa nur Einschlägiges bei James Bond gesehen und war dann entsetzt, als mehr von ihm erwartet wurde, als brummend auf der Dame zu liegen. „Meine Beine haben gezittert!“ Es ist generell, befinden wir, jedes lebensrelevante Vorgehen ein Rückfall ins Tierische (GV und Stuhlgang).

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Geflügel“ heißt auf Holländisch „Gevogelte“. Diese Sprache ist nicht ernst zu nehmen.

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Am Parkplatz des Einkaufscenters West trägt ein kleines Mädchen seine eigene Windel zum Mistkübel, während ich Finis Morgengeschäft im Begleitgrün eintüte. Die junge Mutter streckt mir die Hand in Mulde hinab entgegen, „geben Sie's mir, ich muss ja sowieso zum Mistkübel.“

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Bei der LH-Visite in den neuen Büros spiele ich einen jovialen Menschen, so wie er auch. Unser Raum ist so minimalistisch eingerichtet, dass er noch als „leer“ bezeichnet werden muss, also bekomme ich Asyl drüben beim PEN. Beim Foto-Posing frage ich den Stelzer, welche Power-Gesten man aktuell mit den Händen mache. „Die meistn mochn so a Merkel-Raute.“ „Ok, i loss' afoch hänga.“ (Das Foto sieht dann wieder aus, als habe ich eine Sportverdienstnadel bekommen für meine Verdienste um die Schwerathletik in der Gemeinde Wilhering:)

Opake Glasfensterbeschriftung im Amtsgebäude:

8.12.

Wirken andere sicherer, weil sie sich nichts anmerken lassen oder scheißen sie sich wirklich weniger?

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Wie jeden Freitag ziehe ich abends mit einem komplett vollen Kofferraum beim Buttinger ein. Den Grund dieses Irrsinns möchte ich bei Gelegenheit erforschen, aber ich komme nie dazu, da ich wegen einer unheimlichen Macht in meinen Genen fortwährend mit Glumpertlogistik von A nach B okkupiert bin.

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Dank Melanie Mader kann ich aber in drei, vier Jahren vielleicht meine Friseursneurose auflösen. Sie schneidet mir die Federn, ohne dass ich viel über meine Wünsche („an da Seitn kurz und obn an Schopf, waast as eh, hoid a bissl flott wieda“) radebrechen müsste, und sie drängt mir nie einen neuen Trend auf.

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Die jungen HipHopperinnen sind alle so lieb und so extrem talentiert! Wenigstens habe ich einen Frack und eine neue Frisur. Alle sind 20 Jahre jünger als ich, weswegen ich mich selbst als Teil des Diversitätsgedankens von Beatzarilla bezeichne, „oder ist hier irgend jemand in diesem Raum älter als 40?“ Natürlich nicht, was frage ich auch. Wäre ich heute in diesem Alter auch ein wenig geschickter oder wieder so eine ambitionslose Lusche? 

Für den letzten vernünftigen Zug nach Hause verplaudere ich mich leider. Hektisch hosle ich in irriger Hoffnung aus der Kapu. Ein kleines Auto setzt sich neben mir in Bewegung, ich denke intensiv daran, dass es mich jetzt retten könnte, und mein Leben so viel schöner wäre, wenn es mich zum Bahnhof brächte. Da bleibt es stehen, eine freundliche Dame fragt mich, ob sie mich irgendwohin mitnehmen könne. Bis zum Bahnhof sind Charlotte Wagner aus Altenberg schon ganz dings miteinander. Ich will mir zumindest ihren Namen auf ewig merken, wenn ich schon kein Hirn für Gesichter habe.

9.12.

Engagiertes Nichtstun.

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Das Vögelfüttern hat jetzt auch Buttinger erreicht, nachdem die Meisen unsere Koks&Nutten-Kerze zerhackt haben vor lauter Hunger.

10.12.

H. erzählt bei der Jause auf der Bärenalm (während uns Schnee in die Krägen rieselt), dass er sich heuer für die weihnachtliche Mischpochenbespaßung etwas Unterhaltsames ausgedacht habe, da man einander ja nichts mehr schenke. Also wird er mit seinen Geschwistern Schoko schneiden. → Mein Grundgefühl ab -1° bzw. 4.12. 

Wir fahren immer eine Minute ab, dann besprechen wir fünf Minuten lang die Weltlage unter besonderer Berücksichtigung des zeitgenössischen Kunstschaffens (da höre ich aber mehr zu, als selbst berichten zu können). Von drüben grüßt der Stoderkamm. Es ist die apere Jahreszeit seine eigentliche, der Schneerock steht ihm aber schöner. Wir brauchen hinunter genauso lange wie hinauf.

12.12.

Ein schüchterner Schwärm-Traum, in dem ich mit DD Händchen halte, als wüsste mein Unterbewusstsein nicht, dass es frei ist. Sofort werden wir von RF beobachtet, deren Stirnrunzeln mir klar bedeutet, „ich kann's gar nicht erwarten, dich beim Buttinger zu verzünden!“ D flirtet daraufhin mit einer anderen, es kommt heraus, dass ihm mein Outfit zu „sportiv“ ist. Umfassender Ärger.

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Dame an der Kassa beim Fressnapf: „Darf man den Betriebsrat füttern?“ „Natürlich, er steht ja auf der Seite der ArbeitnehmerInnen.“ 

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Wir rasten nach der Radioaufnahme im GAV-Büro, ich sage „Fini, nicht auf die Couch“, woraufhin sie sich pflichtbewusst zwischen die zwei dort ruhenden Kolleginnen zwängt, da sie ja kein Nicht versteht. „Ich wusste gar nicht, dass du Hunde-Fan bist“, sagt Erstere, und Zweitere „bin ich auch nicht“, und ich „Fini mag eh auch keine Hunde.“

13.12.

Die Hoferin erzählt, wie ihr Sohn zu seiner älteren Schwester „du Idiot!“ sagt, gefolgt von einer kleinen Nachdenkpause: „Nein, du bist eine IdiotIN!“ Wir müssen schon korrekt bleiben, sonst wird unsere Rede unglaubwürdig.

***

I.M. erzählt im Strandgut die großartige Geschichte von ihrem allerersten Interview für die HTL-Zeitung mit dem Pornojäger Humer. Ich würde sie gerne hier herschreiben, aber sie gehört nicht mir. 

GAV-Apfent, auch sehr schön! Aber das Foto gehört nicht mir:

Foto: Dieter Decker

14.12.

Vor der OÖN-Redaktion steht ein Herrenquartett in dunkelblauen Partnerlook-Anzügen, der FPÖ-Kerl stürzt sich auf Fini, beide sind begeistert von einander. Buttinger weniger, er brummt „Vorsicht, Klassenfeind!“ Aber der Populist sieht das Betriebsratsbrustgeschirr und sagt, er sei doch auch Betriebsrat gewesen! Es ist alles so komplex geworden.

***

Nach der Pataphysikbesprechung kommen wir auf das Thema Autostoppen. WS erzählt, eine Freundin sei einmal naiv mit ins Haus eines Typen gegangen, der im Keller ein Damenbindenmuseum eingerichtet hatte. Seine Mutter habe sich zuhause im Mühlviertel direkt vor die Autos gestellt (Autos stoppen im ganz engen Sinn) und die Fahrer „gefragt“, ob sie ihren Buam nach Linz brächten.

15.12.

Der Hautarzt fragt nach dem Hausarzt, auch das Zuhören ist komplex geworden. Während er mir im Zuge seines Amtes eng auf die Pelle rückt, verfalle ich in Smalltalk-Übersprungshandlung. Plaudern als Abwehrversuch.

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Mit einer Schachtel voll soeben im Verlag abgeholter Romane stolziere ich durch das überfüllte Wien, es kostet mich viel Kraft, den Stadtmäusen nicht völlig ungefragt „DAS IST MEIN EIGENER ROMAN!!!!!“ in die grauen Mäusegesichter zu schreien.

Der Buttinger bekommt das Allererste, das zweite trage ich vor mir her in den Schl8hof, ich muss keinen Eintritt zahlen und an der Bar steht Herr Wenzel, der das zweite Buch geschenkt bekommt. Ich muss dauernd an mich halten, um nicht ein bisschen durchzudrehen. 

Der Mitter Klaus überprüft mir die Hartkirchner Mosambik (=Moser Bäck)-Geschichte, meine oft und gern erzählte Version ist noch halbwegs korrekt (gerne bei nächster Gelegenheit nachfragen, sie ist sehr gut). Übrigens nur klug und kommunikationsökologisch, dass man sich mit fortschreitendem Alter immer dieselben Geschichten erzählt, statt irgendwas Dummes sich auszudenken oder Fades zu berichten.

Während des Austrofred&Razelli-Konzerts steht Klaus neben mir und kommentiert es so begeistert, als habe er seinen Freund nicht schon tausend Mal auf der Bühne gesehen, als sei das hier für ihn keine Arbeit. „I glaub', heit darreißt as!“ sagt er nach den ersten drei Minuten.

Von mir aus könnte das hier schon Weihnachten gewesen sein.

16.12.

Mit Coala in der Welser Metro. Wir sind in großer Sorge, dass es hier keinen Non-Food-Bereich gibt. Gibt's natürlich. Dort erklären wir einer müden Weinverkostungsdame, dass wir jetzt (11:30 Uhr) noch keinen Wein trinken können, dabei hat sie gar kein Wort an uns gerichtet. 

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K. schreibt: „Ich freue mich auf verantwortungslose Stunden!“ Die Damen entspannen sich zwischen mildem Alkohol und Staubmäusen (Putzen zahlt sich in diesen Tagen nicht aus, die Menschen machen eh nur Mist). Buttinger liegt oben beim Kachelofen und lässt sich servicieren, er meidet das Reich der in der Küche über Alltag und Geschlechterverhältnisse schwadronierenden Frauen („Ich habe keine Hobbys, ich habe drei Kinder“).

17.12.

Tage voller Menschen, 30mal den Geschirrspüler ein- und 33-mal ausräumen, anderen Leuten die Wohnzimmer versauen, die Leber knarzt jetzt schon. Ich habe das an anderer Stelle schon gesagt, aber WEHE, ICH MUSS EINMAL EINSAM STERBEN!!!!!!!!!

18.12.

Eine Skitour zwischen Angerkogel und Warscheneck, auf dem Grat zwischen Schönheit und Qual. Mit jedem Schritt muss ich sieben Kilo Schnee heben, der an den alten Fellen klebt, bei jedem Schritt die Sinnfrage. Im Schatten aber Pulver und schließlich ein neuer Gipfel (was selten geworden ist). 

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Zuhause repariert ein patenter Mann das Backrohr und erklärt mir, dass ich nach dem Stromausfall die Uhr hätte einstellen sollen, deswegen der Gesamtausfall des Geräts. What!?

19.12.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Anthropozäns liegt Winkeln nur ganz knapp unterhalb der Nebelgrenze, auf Höhe des Alpakageheges zeigt die Sonne ihre winterliche Barmherzigkeit. 

WJ, Halter des schönsten Labradors des Bezirks, sagt, er verstehe nicht ganz, warum man Hunde an die Leine legen muss, wo doch das gefährlichste Lebewesen der Mann sei.

Kurz vor Wiedereintritt in die Wolkensuppe, im mystischen Zwischenreich, bleibt eine redselige Frau stehen, sie sei heute in Linz am Christkindlmarkt gewesen, so voll die Stadt!, und lauter Kinder, haben die denn nicht Schule?! „Alle dunkelhaarig, naja. Die leben alle auf unsere Kosten.“ Was an mir wiegt sie im Vertrauen, dass ich sie nicht für so deppert halte, wie sie ist?! Offensichtlich sind auch alle anderen vor mir zu müde gewesen, um sie darauf hinzuweisen. Ich drehe mich um und gehe in den Dunst hinab. 

 

20.12.

Wojtek und Kurt Hörbst kommen eine Viertelstunde zu früh, wodurch sich in der Küche ein authentisches ErdäpfelmitButter-Ess-Arrangement ergibt. Ich frage den bekannten Architekturfotografen, ob er für diesen Auftrag hier nicht total überqualifiziert sei? Er sagt: Wir sind für alles überqualifiziert.

Die beiden Herren begeistern sich schon an der Tassensammlung (ich habe ja noch alle davon im Schrank) und am synkretistischen Eck im Herrgottswinkel, weswegen ich beiden bei der Ablichtung und Begutachtung des Hauses freie Hand gebe. Insgeheim hoffe ich, dass es das Verkleidungszimmer in den Standard schafft. Fürs Hauptfoto soll ich mich im Frack auf den Kachelofen stellen, da ruft die Mutter aus dem Jenseits, dass das verboten sei. 

Es ist ja heikel, den Rückzugsort herzuzeigen, aber erstens sind die beiden extrem angenehme Herren, zweitens räume ich ja am ordentlichsten für mich selbst auf, drittens ist es einfach die lautere Wahrheit, dass das Haus als Begegnungszone gedacht ist. „Das ist ein Geisterhaus“, sage ich, „es spuken die Eltern darin herum, aber es ist nicht gruselig, sondern schön.“ Ich mache Wojtek auf die Stille aufmerksam, man hört nur Kurt gaustern. Einige Tage später wird sich Coala über die Phantomgeräusche des Vaters freuen, als ich Holz hole und den Kachelofen einheize, umgekehrt beschwört sie die Mutter akustisch durch engagiertes Kochen.

Später Fischlehrpfad mit Fini. Die Sonne ist schon lange untergegangen, aber es wird mit jedem Schritt wärmer, heller und prächtiger im Mondschein. 

Abends sitzen wir mit den Berlinern beim Wirten. Es ist entspannend, dass ihr Metropolleben auch nicht soooo viel aufregender ist, sie bleiben ja auch schon gern im eigenen Grätzl. Wir trinken Welser Rosé, „fesch zan Herdringa ba da Jausn.“

21.12.

Ein überraschend beglückendes Einkaufserlebnis beim lokalen Fleischhacker: „Ned reserviern, afoch herkumma!“, sagt die Frau fröhlich am Telefon (ich hatte panisch, weil viel zu spät angerufen). Das Geschäft ist bummvoller Leute, eine Zeitkapsel aus den 1980ern. Ich war noch nie hier, bekomme aber einen Stammkundenrabatt – und als ich den Hund erwähne, langt der Fleischhacker in den Topf mit Abschnitten und klatscht mir eine Faust voll Rindfleisch in die Folie.

22.12.

Das Wetter dramatisiert sich, am Gipfelpunkt der Garstigkeit rüttelt der Sturm wie eine Schiachperchte an allem, um zu sehen, was lose ist. Im Mittagsjournal spricht der Einsatzleiter von Pfandl, er heißt Landl.

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Seit ich beim Augenarzt war, sehe ich viel schlechter.

23.12.

Es bleibt überraschend wenig zu tun, ich liege stabil auf der Couch. Raus muss der Buttinger, der nach einer Stunde nass, zerstürmt und leicht fassungslos zurückkehrt; der Hund wäre ihm um ein Haar in der reißenden Traun ersoffen.

Später taumeln Coala und ich aus dem Auto, alle drei Schritte sagt eine von uns „wieso hob i eigentlich nu kaa Bier in da Haund!?“

24.12.

C. hat das stillschweigende Herlegen von Süßigkeiten, die ihr nicht so dolle schmecken, von der Mutter auf mich vererbt. 

Obwohl der Kühlschrank in den Wanten knarrt vor Zeug, machen wir uns Sorgen, zu wenig Bier, Fleisch und Eier eingekauft zu haben, vielleicht verhungern wir trotz Viennetta und Sekt (bzw. sterben an Skorbut).

In der traditionellen Weihnachtsansprache wünsche ich meinen Völkern ein Jahr voll konsensueller Sexualität und Tierbussis. 


Das "Kind" schaut mich an: „Minki, wieso host du eigentlich kaan Mullett?!“ (Ich weiß bis heute, 11.6.2024, keine Antwort). Das andere "Kind" setzt die Brille auf, die Mama in den 70ern getragen hat, dazu trägt er ein Hemd aus den 90ern. „Jetzt schau i aus wie da Jeffrey Dahmer.“

25.12.

Im Fernsehen lauter Blockbuster aus den 1990ern, die kaum gute Frauenrollen, dafür viel männliche Dauerwelle hervorgebracht haben (am schlimmsten in „Robin Hood“). Die einzige Schwarze Person in „Dead Poets' Society“ ist Personal (oder fantasiere ich gerade, gibt’s überhaupt eine?). Die einzige Frau in „Der Name der Rose“ ist stumm, schön und geil. So stellt sich der Regisseur das mittelalterliche Proletariat vor – beim Lausen und Raufen um Abfälle. Trotzdem hoffe ich jedes Mal, dass die Bibliothek dieses Mal nicht abbrennt. „Das Schweigen der Lämmer“ wird mir verweigert, ausgerechnet, dabei darf Jodie Foster hier eine ganze Menge sprechen und muss keine Buserl herzeigen. Eine Vorschau auf den 28. Dezember, da läuft „Braveheart“: Hier ist ganz besonders viel gewelltes Herrenhaar zu sehen. Ganz bestimmt DER Film für romantisch veranlagte FPÖ-Wähler. Gibson ergeht sich wieder einmal in der Nachahmung des Leidens Christi. Man möchte die schottische Armee auf keinen Fall riechen. Sie kämpfen für das Recht, durch den Dreck zu stapfen und Felle von der Wäscheleine zu holen.

26.12.

Binnen einer halben Stunde füllt sich die Begegnungszone Leitenweg 7. Die Band „Flötenwahnsinn“ übertrifft sich heuer selbst, vor allem outfitmäßig, weil ich sie gebeten habe, sich im Verkleidungsraum keine Zügel anzulegen. Mein Großneffe verliebt sich spontan wie ein Entenküken in mich, weil ich zwei Darth-Vader-Kostüme besitze.

27.12.

Wir räumen bei 15° das Baumhaus und machen die Poolplane fest; bizarrer Klimawandel.

28.12.

Beim Notar staunen wir ernut über das gewaltige Myzel des juristischen Regelwerks, das unser Zusammenleben notdürftig regelt, als wären wir ein Volk von Teufeln.

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Neue Felle für alte Ski, teurer als echter Nerz (und doch aus Plastik).


29.12.

Die Sternsinger läuten, schnell werfe ich mir das Stahlkleid über, denn sie dürfen mich gern für die skurrile Alte in der Siedlung halten. Und ich werfe einen 20er in die Box, denn ich will auch die großzügige Alte sein. Eines der Kinder musste übrigens seinen einzigen Satz, den es an diesem Tag schon 57mal aufgesagt hatte, vom Blatt ablesen.

30.12.

Die Annen besuchen mich, wir tunken Cantuccini in Süßwein und stapeln tief, um einander zu erfreuen. AW sagt, sie werde dauernd von der Polizei aus dem Verkehr geholt und gefragt, ob sie getrunken habe, „dabei weiß ich doch schon nüchtern nicht, wo vorn und hinten ist!“

C. bringt wieder ein Sortiment an prachtvollem Glumpert und erzählt nebenbei eine Schnurre aus dem Showbiz: Als Lordi in der Tabakfabrik gastierten, bekam er eine Anfrage, ob er sie dorthin chauffieren könne, weil er in der Gegend den einzigen Sprinter im Fuhrpark habe, der hoch genug für den aufwändigen Kopfputz der Truppe ist.

31.12.

Auf dem Leitersteig Richtung Windischgarsten. Smalltalk mit einem freundlichen Paar, während Fini deren hilflos verliebten Dobermannmischling anknurrt. Der Mann ist von Weißkirchen, sie einheimisch, ich erzähle vom Mann in Wels. „Üwaroi find' si wos!“ stellt sie fest, der Mann seufzt. „Asso, i hob gmaant, wir redn üwa Freizeitaktivitätn.“ 

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Eine abschließende Mini-Orgie mit russischen Eiern, norwegischem Lachs und englischen Menschen, die bei „Auld Laung Syne“ auf BBC ein bisschen weinen. So kann 2023 enden.