Lebenskrimskrams im September 2024
2.9.
Besprechung im Silicon Valley von Linz. Maximal kompliziert zu öffnende
Fenster und eine kreativitätsfördernde die Rutsche im Foyer, aber wenn man zur Tür hinaus in die heiße Sommernacht steigt, riecht es nach Ådl und es fällt einem wieder ein, dass man hier trotz allem im Mühlviertel steht.
3.9. Rauris, Ritterkopf
Galoppierende Verblödung, ich lasse Handy UND Geld im Bus liegen wie ein Kind, das wegen des Ausflugs zu aufgeregt fürs Denken ist. Nahe des Talschlusses gibt’s auch keinen Empfang mehr. Wir stapfen los, es soll nicht auch noch die Tour Schaden nehmen. „Leider“ müssen wir oft stehen bleiben, um Vögel zu spechteln – H.s Hauptzweck der Reise erfüllt sich bald, wir sehen Mönchs- und Bartgeier, zum Drüberstreuen Falken und Schneesperlinge. Der Hund lässt sich von den Murmeltieren foppen.
Der Steig wird immer steiler und immer weniger Steig, es wird immer kälter. Wie schnell man auf langsamen Beinen die Klimazonen wechseln kann, es wundert mich immer noch. Allmählich mache ich mir ein wenig Sorgen über den Zeltplatz, bis jetzt waren nur schiefe Mulden im Angebot. Schließlich wird es so richtig steil, keine Ahnung, ob wir ins richtige Tal geschlüpft sind. Ein kalter Wind bringt Regen aus dem Süden, es ist kalt. Endlich erreichen wir eine Geländekante, und da steht eine Hütte auf ebener Fläche, daneben ein plätschernder Brunnen. H. macht Kaffee, und als wir ihn getrunken haben, reißt es wieder auf. Wir beschließen, Richtung Gipfel zu wandern, damit uns warm wird (so schnell vergisst der Körper die Hitze). Oben am Grat plötzlich Empfang. Der Busfahrer ist an meinem Telefon, er werde meine Sachen beim Gasthaus abgeben, wo wir morgen zusteigen. Mir wär's natürlich lieber gewesen, meine sieben Sachen beinander gehalten zu haben, aber nun sind wir fast euphorisch.
H. erzählt vom Delphin-Experiment auf den Virgin Islands, in dem Margaret Lovatt und das pubertierende Jungtier Peter sich ineinander verlieben. Eigentlich hätte er Englisch lernen sollen, zeigte aber wenig Bemühen (stattdessen musste er oft sexuell befriedigt werden). Es wurde auch die Wirkung von LSD untersucht, auch erfolglos, da Delphine regelmäßig Kugelfische fressen und davon high werden. NASA und Navy stoppten das Experiment, Delphine seien offensichtlich nicht in der Lage, zwischen Aliens und Menschen zu vermitteln. Nach der Trennung von Lovatt und der Umsiedlung in ein umgebautes Bankgebäude in Miami beging Peter Selbstmord, indem er aufhörte, zu atmen. Himmel, diese Kalte-Kriegs-Wissenschaft!
Es ist ziemlich kalt in der Nacht, ich würde dieses Gefühl gerne konservieren, denn unten glüht immer noch alles.
4.9.
Ein Tag, der sich in seiner strahlenden Schönheit gleich von Beginn an für die persönliche Ewigkeit anbietet.
Alles ist von Murmeltieren unterwandert, sie foppen den Hund mit Lust.
Das Geld ist da und gleich wieder weg, weil ich zum Dank für die gute Betreuung meiner dummen Person Kuchen ausgebe.
5.9. Church of Ignorance, DH5
Begeisterung für Linsey McGoey, die durch das Trump-Land gereist ist, ohne Auto, manchmal auf Pferden. Am Ende ihres Vortrags verfällt sie, extrem zum Setting passend, in ein zuversichtliches Predigen. (Nachtrag 21.2.2025: Ich würde sie gerne fragen, wie es ihr jetzt im Trump-Land geht). Während der Prozession von Lydia Haider erkläre ich den McGoeys das pseudokatholische Geschehen, als seien es exotische Schamanenrituale, und während ich das mache, erkenne ich, dass das ja wirklich exotische Schamanenrituale sind, was wir Fronleichnamsprozession etc. nennen.
Es folgt ein recht ekstatischer Abriss von Fuckhead. Allgemeine Euphorie.
6.9.
Bei der Orchesterprobe entscheidet die vife Dirigentin Kefer, das Violinsolo von „Wiener Blut“ lieber singen zu lassen. Sie fragt mich, ob ich auf gut Glück spiele, und ich freue mich, dass sie überhaupt fragt.
Im Frack nach Urfahr radeln und alle Blicke freundlich erwidern, als wäre ich das emotional support animal für Linz.
Beim KI-Gstanzl-Singen im AEC versingt sich keine der sehr, sehr guten Damen, ich mich natürlich schon.
Ungeniert wanze ich mich an Doris Schmidauer heran, und zeige ihr unaufgefordert Hundefotos, weil Fini aussehe wie Juli. Sie lässt es sich wehrlos gefallen, weil sie sehr freundlich ist, den Hund schon irgendwo gesehen hat und vor allem mein Buch schon gelesen hat. Kann ich jetzt in Pension gehen?
Das Glück steigert sich noch beim Konzert des Pataphysischen Orchesters, ich bin ganz fertig vor emsigem Bemühen und Lachen, hätte trotzdem noch sieben Stunden weitermachen können.Später fragt mich einer, ob ich wirklich Geige spielen könne oder nur sehr eifrig vorgetäuscht habe, in dem Pandämonium habe man ja keine einzelnen Instrumente ausnehmen können.
Vielleicht der zarteste Moment dieser menschlich ergiebigen Tage: Ich knie mich zu einer Hündin herab, die mir huldvoll ihren Bauch darbietet. Während ich streichle, streichelt mir Th. in einer Übersprungshandlung die Schulter, um den Kreis zu schließen. Wir beschließen, das Symposium im kommenden Jahr unter das Motto „Tenderness pays off“ zu stellen. Man könnte T-Shirts mit dem Spruch drauf tragen, darunter ein Klingelbeutel.
Es gibt einen zweiten digitalen Beichtstuhl hier, den ich mit dem Satz „Sündige tapfer“ von Augustinus konfrontiere. „Ein Gleichgewicht zwischen Mut und Sünde ist wie ein Mann ohne Augenlicht, der den Weg zum Glauben nicht sieht. Du hast dich in das Dunkel gestürzt! Bewertung: 8/10“, meint die KI.
7.9.
Das
DH5 ist schon einer der besten Orte von Linz. Sehr gute, sehr liebe Menschen. Im Büro steht ein Kanister mit Kunstblut, im Veranstaltungs"saal" hängt das:
Im Hof spielen sich die Herren von „Gruppensex“ die Seele aus den jungen Leibern. Auf den ersten Blick sehen sie ein wenig toxisch aus, aber mit jedem Zentimeter, den man sich nähert, wird es erfreulicher: Sie tragen transparente Bluserl, Tüllröcke und viel Lidschatten. In meiner Begeisterung pfriemle ich einem jungen Zuhörer das Wäschemarkerl zurück unter den Kragen, wir lächeln einander lieb an. Mein Glaube an die Jugend ist gestärkt aus diesen Tagen hervorgegangen, eine richtige Firmung. In einem Anfall von Glück gehe ich heim, herrlich hallt der Punk ins bürgerliche Innenstadtlinz mit mir hinaus in die letzte Tropennacht dieses sehr gut laufenden Jahres.
Mit knapper Not erlebe ich den Anbruch meines Geburtstags bei lebendigem Leib auf der Couch.
8.9.
Das beste Geschenk: der zweite Schlaf nach dem Frühstück. Ein bisschen bin ich immer noch enttäuscht, dass mir niemand mehr Geld schenkt.
Immer wieder freue ich mich, diese Tage geschafft zu haben, bevor der Winter kommt, und das ist gar nicht übertrieben, es fällt das Wort „Schneefallgrenze“ im Wetterbericht.
Es wird gut sein, nichts zu trinken, aber mit Champagner in der Birne fühle ich diese Wahrheit noch nicht.
9.9.
Willkommene Ereignisarmut mit leichter Tendenz zum Einwintern. Am Donaustrand in Wilhering haben wir alle zu viel an, weil es „nur noch“ 25° hat.
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Mieze
hält in „Archive des Schreibens“ mein Buch in den ORF. Beste!
11.9.
Leichte Unruhe in Erwartung des Starkregens. Grade war ich doch noch im Wildensee. Die Gemeinden räumen alle Zuleitungen und Gräben, die Kraftwerke öffnen die Schleusen. Und ich dichte das Baumhausdach, wie früher.
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Es ist eine sehr zugewandte Publikumsmischung nach Wilhering gekommen, sogar drei Männer. Am besten gefallen die Nachbarschaftsindiskretionen, nur G. steht empört auf, als ich sage, dass Nr. 5 zu meiner eigenen Überraschung nicht vorkomme.
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Schon seit Jahren lese ich Köcks „Entgleisungen“. Er kann nicht mehr, ich auch nicht. Bin ich blöd, so halbwegs glücklich durchs Leben zu gehen, oder privilegiert? (Nachtrag: Es ist eine Mischung, und das eigene Glück hat gar nicht so viel mit der politischen Lage zu tun, wie man befürchtet).
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Um Mitternacht setzt der Regen ein, noch fühlt sich das angenehm an.
12.9.
Nach der langen Dürre fühlt wirkt der Regentag wie ein Mini-Lockdown, inklusive Vogelbeobachtung. Fini geht kurz raus, kommt nass herein und legt sich bis weit in den Nachmittag hinein in ihr Nest.
Im Regenteppich grüßen wir Hundehalter*innen einander wie Motorradfahrer.
***
Kurz „Mein Leben mit 300 Kilo“ angeschaut, dieses Mal ging's wegen Einsicht gut aus. Die Algorithmen zeigen mir immer öfter Hunderettungsvideos. Aus welch grausam unendlicher Quelle speist sich das? Gibt es dafür eigene Produktionsfirmen? Gut, angesichts von unglaublichen einer weltweiten Milliarde Hunden ist das Feld der Vernachlässigungsmöglichkeiten weit.
13.9.
Es hat sich wie prophezeit eingeschifft. Der Hund bleibt gleich liegen, obwohl wir acht Stunden durchgepfiffen haben.
Peinlicher Stolz, seit Sonntag nichts getrunken zu haben. Aber dann ist Lesebühne und es fließt wie der Regen.
Die
blöde Schlafmeditation kommt überraschend gut beim Publikum an,
obwohl ich ihm unterbewusst dabei Schuldgefühle einreden möchte.
Die Leute atmen wirklich gerne nach Anleitung ein und wieder aus. („Nun
ist es wirklich an der Zeit, endlich einzuschlafen. Vergessen Sie
ihren zermalmenden Alltag, in dem sie mit roten Augen eine Zumutung
nach der anderen erfahren müssen, wollten Sie nicht etwas Besonderes
aus Ihrem Leben machen, ein bunter Schmetterling werden?“). So war das übrigens insgesamt (s. Blog).
14.9. Wien
Der blödeste und stimmigste Tag zugleich, um das Klimaticket zu kaufen. Es regnet wie eine Milliarde pissender Kühe. Ich fahre nach Wien, um das Matriarchat im Verbrennerland auszurufen.
Am Wiener Bahnhof zeigt sich das Spektrum der Bekleidungsvorlieben in voller Breite: Ich bin wasserdicht in sauteure Funktionskleidung eingeschweißt, andere ziehen gleich gar nichts an, das nass werden kann.
Deutlich erschwerte Arbeitsbedingungen im Mariahilfer Amtshaus, in dem sich alles drängt wie auf einem Grasbüschel im steigenden Bach. Ich predige im Stiegenhaus bzw. zum Chor, die armen Verlagsmenschen sind an ihre Tische gefesselt und können mir nicht aus, also nicken sie ergeben zu „Männerquote“ und „Existenzmaximum“.
Martin Peichl wählt Katrin ohne H und mich zu seinen emotional support animals, weil wir uns stundenlang innig schnatternd nicht vom Fleck rühren. Dann zur Lesung vom Setz, der wunderbar ist, und dem ich nachher meine schreibkraft-Rede über seine Rede in die Hand drücke, die ich vor einem Jahr nicht gehalten hatte, weil ich lieber mit den Zwergeseln Karotten knusperte.
15.9. Gestrandet in Wien.
Wir schaffen es zum Westbahnhof, aber nur um zu erkennen, dass nichts geht, weil es die Weststrecke nicht mehr gibt. Und die Südstrecke. In den Norden geht nichts und in den Osten strömt die Donau. Die Westbahn halst ihren Mitarbeiter*innen extrem unnötige Mühen auf, weil sie bei der Fahrplananzeige nicht den Mut aufbringt, die Realität zu verkünden. Menschen strömen auf den Bahnsteig, es staut sich, es ist alles deppert. Wir kaufen ein 6er-Tragerl Ottakringer und kehren um. Ich vergifte den nervenschwachen Buttinger temporär mit Rum, in den ich ein Stamperl Tee gieße. Coala kommt und sieht uns, das Strandgut auf ihrer Couch, schlafend unter bunten Decken.
Es hat alles die Anmutung eines Lockdowns. Leider schaue ich sehr viel ins Internet und muss dort sehen, dass zuhause erste Skitouren gegangen werden – bizarr, man fährt mit Sommerreifen auf die Höss.
Draußen verhungern die Schwalben, die wegen der Hitzewelle zu spät in den Süden gezogen sind.
Irgendwann heben wir irritiert die Köpfe vom doom scrolling, der Wind hat ein kleines Loch in die Wolken gerissen, bald regnet es wieder. Der Hund zeigt 0 Interesse an Spaziertätigkeiten.
Aus leichter Panik essen wir viel zu viel (hamstern vor dem Winterschlaf).
Eigentlich habe ich keine Eile, nach Hause zu kommen, ich will gar nicht wissen, wie es zuhause im Keller aussieht.
16.9.
Am Morgen meldet sich C., er könne uns nach Linz mitnehmen. Er erzählt, dass unser Fluchtauto beinahe im Keller abgesoffen wäre, wie alle anderen Autos der Hausbewohner, denn in der Tiefgarage stehe das Wasser bis zur Decke. Nur weil sein Bruder zufällig direkt vor der Tür parken hatte können, fahren wir jetzt unbehelligt auf der Autobahn nach Linz. Außer uns sind nur Taxis unterwegs, die in rasender Fahrt die Geschäfte ihres Lebens machen.
Zuhause ist alles in völliger Ordnung, nur saukalt. Emotionaler Jetlag.
Hoffentlich hat diese Katastrophe wenigstens den einen Vorteil, dass niemand mehr jemals das Wort „Klimahysterie“ ernsthaft in den Mund nimmt und vor allem die dazu passenden bescheuerten Parteien NICHT mehr wählt. #verbrennergipfel. Und das schreibe ich trotz unserer „Rettung“ durch den fossilen Individualverkehr. (Nachtrag 2025: Natürlich war's den Trottelmenschen original genau völlig wurscht. Grüne am 29.9.: 8,2%.)
17.9.
Irre. Sonne. Als könnte sie kein Wässerchen trüben. Wieder atlantische Gebarung der Donau. Hektisches Radfahren und Freizeitsportallerlei seitens der Lokalbevölkerung.
Ich bin die Königin Midas des Kletterns: Was ich angreife, verwandelt sich in eine 5c (das Leichte wie das Schwere).
***
Wachsende Wandersehnsucht, es fühlt sich an wie Frühlingsungeduld, und so ist es auch – unten alles grün und warm, oben verrückt viel Schnee. Das Tief „Anett“ hat mich aus der schönsten Saison gerissen.
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Ich bin der Wald, in den ihr ruft.
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Die Jahrgangskolleg*innen machen miteinander alle Entwicklungsstufen durch – die Einjährigen zahnen miteinander, dann laufen sie, bekommen Pickel und Menstruation, Kinder, Gleitsichtbrillen und aktuell mit 45+ allesamt Tennisarme (als fünfte Gliedmaße eigentlich praktisch).
19.9.
Es gibt kleine Aale, die nach dem Gefressenwerden wieder aus Magen, Speiseröhren und Kiemen der Fressfeinde schlüpfen können. Totemtiere der Resilienz.
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Ich bin jetzt ungefähr so alt wie der Jahreskreislauf, so Mitte September. Bissl was geht noch,
aber wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein
aber man darf keine große Hitze mehr erwarten
aber man darf nichts ganz Großes mehr erwarten
aber es wäre auch Zeit, die Ernte einzubringen
20.9. Attnang-Puchheim
Leerstand und viele Wettcafés. Zur Lesung kommen nicht viele, aber nette, darunter zwei ehemalige Gramastettner.
P. erzählt von einer Tante bei den eingesperrten Clarissen, die erst in den 1980ern befreit wurde. Bei den seltenen Besuchen habe er seine Hand durch die doppelten Gitter zu ihr strecken müssen, nur er sei dünn genug dafür gewesen. Sie habe sie dann kaum mehr auslassen wollen, so groß war die Sehnsucht, ein anderes Lebewesen zu berühren. Einmal am Tag bekam sie das Essen vor die Klause gestellt, einmal im Jahr war ihr eine Ganzkörperwaschung erlaubt. Nach ihrer Befreiung sei sie den Rest ihres Lebens wie erlöst gewesen, 90 Jahre alt geworden und habe eine unwirklich schöne Haut gehabt.
22.9. Hinterstoder
Es gibt immer noch so viele unbekannte Wege hier. Wobei „Wege“ heute wieder besonders relativ war. Die Spintriegelalm ist wohl außer Poppenalm die einzige, auf der wirklich noch Kühe gehalten werden, den Rest haben die depperten Adeligen aufgekauft und zur Bejagung stillgelegt. Viele der riesigen Trittspuren stammen aber wohl vom Hirschen, den ich im Kar über mir röhren gehört habe. Ein Steinadler kreist über uns, nur ganz kurz aus der Schneise sichtbar.
23.9. Wien – Stadt Haag
In die Bundeshauptstadt, um mit dem guten Jürgen Berlakovich in der schule für dichtung über das Dichten zu reden und ein neues Frackhemd zu kaufen. Mein Leben wäre besser gelungen, hätte ich mich früher zur sfd getraut.
Zuerst geht noch alles glatt auf der alten Weststrecke. Zurück totale Verspekulation.
„I hob eh Zeit fia eich, es Drecksäui!“ Viel zu gut gelaunte junge Damen im Zug. „I woa scho vü auf Reisn!“ „Jo, in Owaöstarreich!“ Sie nennen sich gegenseitig „Bruda“.
Ich steige in St. Pölten in den Zug und steige in Amstetten aus – karma is a bitch, darüber hatte ich noch vor ein paar Jahren gespottet.
Der Versuch, das Klimaticket zu amortisieren, ist derzeit eine Liebesmühe.
Am Bahnhof in Haag steht einer, der Thomas Köck sein könnte, aber er telefoniert so intensiv, dass er nicht herschaut und auch zum Glück nicht bemerkt, dass Fini seinen Hund anfletscht. Weil das Karma eine Hündin ist, springt Fini wenige Minuten später in einen Garten, springt sofort wieder panisch zurück, weil die dort verbellte Katze sofort eine Gegenoffensive startet. Als schlechte Hundemutter muss ich leider lachen.
Köcks Dackelmischkulanz heißt „Herkules“. Anders als unter den Tieren zeigt sich unter uns Menschen gleich Zuneigung – Eva Reisinger mag ich ja schon wohlbegründet länger, Köck und das ent-Team kommen gleich dazu. Eva hat in der Zwischenzeit den Jagdschein geschafft und geht jetzt bewaffnet mit Männern auf die Pirsch, die vielleicht nicht wissen, dass sie ein sehr erfolgreiches Buch mit dem Titel „Männer töten“ geschrieben hat. Sie interessiert sich sehr für die Falkenjagd und erzählt von einem edlen Tier aus Dubai, das bei seinem Gastspiel in Österreich sofort davonflog, weil ihm die Luft so taugte. Gefunden wurde der Falke erst, als er sich auf den Dackel einer Pensionistin stürzte, die nicht nur fix genug war, den Hund zu beschützen, sondern auch den Predator dingfest zu machen und in ihr Auto zu sperren.
Es entspinnt sich eine gute Diskussion, die nur leicht getrübt wird, als ein älterer Mansplainer Köck angeht, sinngemäß: Er kenne sich als Deutscher ja nicht aus, was predige er denn hier herum. Bei der Ankündigung hatte ich wohl erwähnt, dass Köck aus Wolfern stamme (aus der LH-Gemeinde), aber egal, vo de Piefke loss ma se nix vazöhn.
Wegen Klimaticket viel zu früh weg, ich weiß noch nicht, ob sich das durchsetzt (und dann erst extrem lang warten in Linz auf den Anschluss.
24.9.
Hoffentlich verwählt sich das zuletzt nicht sehr zuverlässige Volk am Sonntag nicht, ich möchte nicht wieder demonstrieren gehen, da ich meine kontemplativen Donnerstage nur noch ungern hergebe.
Ob sich die „Rechten“ auch so intensiv ihre ausgerasteten Köpfe zerbrechen, wie sie uns „Linke“ wieder ins gemeinsame Boot holen können? Und wie sie ihre Diksurse und Narrative so gestalten, dass wir sie verstehen und der Riss in der Gesellschaft nicht vertieft wird? #rhetorischefrage
27.9. Bad Wimsbach-Neydharting
„Eintritt nur mit Lichtbildausweis“, klebt an der Schultür, ich brauche einige Sekungen, bis mir einfällt, dass in zwei Tagen hier ja gewählt wird.
Der Hund schmiegt sich so intensiv an eine Fremde, als wäre sie ihre verschollene Tante. Es ist ein gutes, liebes Publikum gekommen. Eine Lesung wie früher, im guten Sinn, mit Musikumrahmung, die mir in Wahrheit und in Kombination mit dem zu mir auf die Bühne drängenden Hund total die Show stiehlt. Nachher stellen wir uns für Fotos auf, zum Dank für Raika und Sparkasse. <3
28.9. Wels
Beim Verzetteln finde ich in Tex Rubinowitz meinen Meister. Bei seiner Stadtschreiber-Antrittslesung im Hauser entschuldigt er sich für die keuchhustengeschwächte Stimme und seine Fokusproblematik, er lese deswegen ungern. Er ist wirklich der Border Collie des Literaturbetriebs (working line). Dann steht auch noch ein Typ auf und sagt „wos is denn des fira Schaß“, er ist (wie ich später erfahre) der komische Maler, der in der OÖN-Werbung ein T-Shirt mit sich selbst drauf trägt (so wie die Gattin daneben).
Tex ringt um Fassung. Das Publikum kennt die „Temptations“ nicht, „was ist denn das für ein Sauhaufen!“ Er sieht zu mir herüber, „schreiben Sie das jetzt alles mit!?“ Wieder zum Publikum: „Ich möchte Ihnen ganz kurz erklären: Ich nehme keine Drogen!“ Dann berichtet er, dass die Illuminaten die geklärte Butter erfunden haben. Und: „Ein totes Bein kommt ja letzten Endes auch nicht voran.“ Sehr wahr: „Die dreistesten Witze macht die Realität!“ Es ist alles extrem lustig.
Später, nach dem zweiten Bier versuchen wir es mit dem Du, es fällt ihm aber nicht leicht, vielleicht habe ich es mit dem Fangirl-Bericht über die damals selbstgenähte Sockenpapsttiara übertrieben.
Angeblich gibt es eine japanische Raubkopie von Hertogenbosch, für das lauter Fachwerkhäuser aus ganz Mitteleuropa zusammengekauft und als Dorf konstruiert wurden, in dem Miet-Russen Käselaibe durch die Kulisse tragen.
29.9. Wahl- und Zahltag
Vier Schwäne plagen sich trötend über den Welser Himmel, eine Radfahrerin und ich schauen ihnen nach. „Bitte, wann kommt nächste Schwan?“, sagt sie und fährt davon, gar nicht erst auf meinen Applaus für die gute Anekdotensituation wartend.
In Schönering tragen alle Dirndl, aus der Betonröhre der Fußgängerunterführung tritt eine Goldhaubenträgerin. Auch F. trägt Tracht. Wir plauschen ein wenig, bis sie und ihre Töchter mich zur Wahl anhalten, „hoff' ma's, dass wos bringt!“ Sie amüsieren sich, dass ich extra mit dem Auto hergefahren bin, um hier die Grünen zu wählen. Ein haarloser, nicht sehr links anmutender Ausdauersportler hat uns zugehört und sagt im Davonjoggen „Eicha Woat in Gottes Ohr! Ob des gengan Kickl hüft?“ Ich bin vorsichtig optimistisch – zu Unrecht, wie sich bei der ersten Hochrechnung zeigt. An Schönering wär's wenigstens nicht gescheitert.
Es soll als Selbstanerkennung meiner Leistung hier vermerkt sein, dass ich mich am Abend nicht völlig ansaufe. Ein Kater brächte mich ja um die Trosthandlung am
30.9. Tauplitz
Wieder mit dem Benziner drei Stunden durch die Landschaft glühen, um wandernd blau zu machen. Die fünf fremden Menschen, die ich heute sehe, stehen leider unter Fascho-Wähl-Generalverdacht, ich versuche natürlich, mir nichts anmerken zu lassen. Es fühlt sich fast so an wie am Tag nach der eingeschlagenen Autoscheibe und gestohlenen Handtasche vor einem Jahr. Das Grundvertrauen ist perdu.
Ansonsten gelingt die Wanderung, ich erlebe ein Mikro-Abenteuer beim barfüßigen Durchwaten der Grimming, weil das Hochwasser die Brücke weggerissen hat. Schon beim zweiten Schritt tun die Füße so weh, als sei ich die kleine Meerjungfrau beim ersten Landgang.
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