Dienstag, November 15, 2005

Altern ohne Würde!


Liebe Generationsgenossen und Innen!

Es ist traurige Gewissheit, dass der alternde Mensch immer öfter zur Zielscheibe beißenden Spotts degradiert wird. In meinem folgenden Gedankengang geht es keineswegs darum, die Aufbau-Generation kollektiv anzuschütten, wie es in diesen unseren jugendwahnsinnigen Zeiten zur traurigen Mode geworden ist - so sprach einst meine Schwester Coala: „Die Alten zu ärgern, ist ein Privileg der Jugend!“. Ich verurteile solche Reden und sage: Ehret die Alten, bevor sie erkalten!

Oft aber wird in den Medien vor der in Zukunft zu erwartenden sprunghaften Vermehrung der Generation 50Plus gewarnt – neben „Der Chines kummt!“ die Hauptsorge unserer Opinion-Leader. Stets wird darauf hingewiesen, dass in 30 Jahren eine Myriade Alter in den Parks herumsitzen und der jungen Generation das Leben schwer machen wird. „Wer soll denen die Pension zahlen? Etwa der Chines?“ fragt sich der Volksmund.

Auch mich erfüllte dieses unkontrollierte Wachstum mit großer Sorge. Dann jedoch traf mich der Blitz der Erkenntnis: Die reden ja von mir!!!!!!! Es ist ja meine Generation, die den Politologen, Demographen und Versicherungsstatistikern so viel Kopfzerbrechen verursacht! Ich werde eine von den schimpfenden Taubenfütterern sein und im Billa „Zweite Kassa bitteeee!“ schreien!

Auch ein Nachteil alter Menschen: Erratische Fernsehkonsumgelüste.
Foto: Coala



Davor können wir unsere Augen nicht verschließen! Ich beschloss, mich näher mit dem Alter und seinen Vertretern auseinanderzusetzen.

Was mir dabei primär auffiel, war die herrliche Frechheit manches Geronten, gepaart mit einer bewundernswerten Weigerung, sich feig mit den Gegebenheiten der Realität abzufinden. Ich dachte bei mir: So will ich auch werden!



Ein leuchtendes Beispiel für den Kampf gegen die Realität war der alte Pfarrer von Traberg, der, so geht die Mär, einst stundenlang aus dem Fenster blickend das Schneetreiben beobachtet habe und schließlich meinte: „Mei, do wean d’Baun owa heit ned Hei mocha kina!“ (Womit er im Grunde ja nicht Unrecht hatte).
Fast jeden Tag habe er ein, zwei Stunden nach dem Mittagessen seine Köchin gefragt: „Wos kriagn ma denn heit zan Mittogessen?“

Die Beziehung der grauen Panther zum Essen ist generell ein spannendes Kapitel. Die Großmutter einer Freundin neigt dazu, dies möglichst rasch zu erledigen, weil: „Wos ma hobn des hobn ma und des kann uns kaana mehr wegnehman!“ „Oma, schling ned so!“ „Wie man isst, so orbeit ma aa, i bin imma scho schnö gwesn beim Essen!“ Einmal wurde sie von ihrer Enkelin gezwungen, Tofu zu essen. „Wos isn des? A so a Kung Fu? Des schmeckt wia aussabochana Owoschfetzn.“ Sprach's und spuckte den Kungfu wieder aus.

Ein pfiffiges Bonmot über ... ah ... dings... wie heißt die Krankheit, wo man alles vergisst? Ah! Dings, Alzheimer! Also das Bonmot: Das Schöne am Alzheimer ist ja, dass man jeden Tag neue Leute kennen lernt. Das ist nicht bloß Zwangshumorismus auf Kosten der Kranken dieser Gesellschaft, sondern in der Tat eine lautere Wahrheit! Vronueles Oma, die ich im September bereits in mein Kunstwollen integriert habe (s. bitte "Verhör"), etwa wachte jeden Tag in einem schönen Hotel mit aufmerksamem Service auf - und jeden Tag aufs neue konnte sie sich freuen, als man ihr sagte, das sei ja ihr eigenes Haus mit eigenen Enkelkindern drin.

Auch das zuweilen intellektuell unterfordernde Fernsehprogramm lässt sich durch einen Schuss Senilität ordentlich aufpeppen. Eine andere Großmutter habe einmal lange einer Ski-Übertragung beigewohnt und schließlich ärgerlich gefragt: "Jo sog amoi, wie oft foahtn der nu do owa!?"

Eine andere meiner vielen Schwestern ist Ärztin und berichtet mir von einer doch schon etwas älteren Patientin, die sie zur Feststellung ihrer Orientiertheit an einem Mittwoch nach dem Wochentag fragte.
„Donnerstag?“
„Naa, Frau Ginterseder (Name von der Redaktion geändert), fost!“
„Montag!“
„Naa, Mittwoch hamma heit!“
„Ah... Jo, üwaroi hamses a wengal aundas.“

Aus der Profil-Reportage über mein freiwilliges soziales Jahr.


Ich wüsste also keine Bevölkerungsgruppe, welche die Absurdität menschlicher Kommunikation in Zeiten der Postmoderne besser verstanden hätte. Am schönsten bewies mir das vielleicht mein Großonkel selig, der „Ged“, als dieser einmal gemeinsam mit meiner Großmutter eine Video-Grußbotschaft für ihre in der Ferne weilende Schwester gestalten sollte. Zuerst herrschte eine lange Stille, die er nur durch gelegentliches Brummeln unterbrach.

„Iwa wos soin ma denn redn?“
„Ned üwas Weda, Ged!“, rief mein Vater eilig hinter der Kamera hervor. Pause.
„Daun redn ma iwas Kraungsei.“
„Na Ged, des aa ned!“ Lange Pause. Dann:
„Nujo. Hiatzt bin i scho gspaunt, wer von uns drei ois erschta stiabt.“

Ich glaube, mehr kann man dazu nicht mehr sagen. Außer vielleicht das noch: Meine liebe Generationsumgebung! Lasst uns reflektierend innehalten und dann alles daran setzen, noch weitaus unwürdiger zu altern!

Und: Uns gehört die Zukunft!

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