Dienstag, Juni 07, 2005

Geschichten vom Scheitern

In den letzten Tagen wurden mir zwei Geschichten (wieder) zugetragen, bei denen ich nicht zu entscheiden vermag, welche mir besser gefällt. Sie erzählen beide vom großartigen Scheitern des Menschen in seiner Umwelt und stellen so meines Erachtens eine schöne Parabel auf die Conditio humana dar.
Die erste Begebenheit wurde mir von meiner lieben Nachbarin Antifa-Anita hinterbracht: Vor etlichen Jahren war sie eine wichtige Persönlichkeit in der Innviertler Metropole Natternbach. In ihrem Amte als Filialleiterin eines renommierten Reiseinstituts hatte sie anlässlich der großen Neueröffnungsfeier ihrer Filiale moderierend zu walten. Man hatte eine gigantische Showbühne aufgebaut und den damals wie heute umjubelten Radiostar Walter Witzany (der immer noch zwei „Kalkofes Mattscheibe“-VHS-Kassetten von mir hat) eingeladen. Anita blieb äußerlich ziemlich cool und verneinte locker alle Anfragen, ob sie nervös sei. Dabei blieb ihr selbst verborgen, dass sie kaum mehr atmete. Auf der Showbühne kippte sie dann vor den geladenen Festgästen einfach um.
Sie erzählte mir von ihrem Umfall, um mich vor größeren Versagensängsten in Bezug auf meinen eigenen Auftritt am kommenden Samstag zu bewahren. Es sei damals alles halb so wild gewesen, man habe sie noch ein paar Mal auf den Vorfall angesprochen, aber das sei es dann auch schon gewesen. Und wenn mir dasselbe passieren sollte, werde sie gemeinsam mit ihrem Josef auf die Bühne springen und mich theatralisch betreuen, das komme beim Publikum gut an.

Die zweite Geschichte spielte sich in den frühen 80er Jahren des vorherigen Jahrtausends ab. Ich war damals noch sehr jung, fünf vielleicht. Weder meine Schwester Coala, die mir neulich diese Begebenheit wieder ins Gedächtnis gerufen hat, noch ich erinnern uns an den Anlass für den Unmut unserer Mutter, wohl aber an die Folgen: Während Coala aus Protest gegen deren Tadel in aktionistischer Manier einfach ein paar Schachteln mit Gewand vollstopfte, auf die Wohnzimmerkommode kippte und verkündete, von nun an hier wohnen zu wollen, beschloss ich, überhaupt auszureißen. Ich wusste sogleich, dass ich aufgrund meiner mangelnden Akrobatik wohl nicht mit dem Zirkus (sofern im Hausruckviertel damals überhaupt vorhanden) abhauen können würde, aber ich wollte tagelang in den Wäldern hausen und meiner Mutter bittere Tränen der Reue in die Augen treiben. Ich nahm zwei Plastiksäcke und begann zu packen. Nachdem ich die zwei untersten Schubladen ausgeräumt hatte, musste ich einsehen, dass ich wohl doch nicht all meine Habe mitnehmen konnte. Ich nahm also die beiden Säcke (in denen jetzt nur Socken und Unterhosen waren) und packte als Proviant noch zwei Bananen oben drauf. Dann ging ich!



Kurz vor dem Ausbruchsversuch. Foto: MNK

Meine Mutter erzählt Jahrzehnte später unter Tränen (allerdings nicht der bitteren Reue), sie habe mich langsam mit den riesigen Säcken davongehen sehen und sich dann nach einer halben Stunde gefragt, ob sie sich jetzt Sorgen machen müsse. In der Zwischenzeit war ich ca. 200m weit gekommen. Ich setzte mich erschöpft auf eine Bank und aß meinen ganzen Proviant auf. Dann wurde mir klar, dass das so nichts werden würde. Ich blies die ganze Sache ab! Nach einer halben Stunde und zwei Minuten kehrte ich in die Arme meiner lachenden Mutter zurück. Coarl, i glaub, mehr kaun ma do ned sogn.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich möchte hier noch anmerken,dass ich das Wohnzimmer leider nicht behalten durfte und wieder zusammen mit Minkasia im Kinderzimmer hausen mußte... Skandal, sag ich da nur. Außerdem möchte ich in Frage stellen, ob Minkasia damals wirklich eine ganze halbe Stunde lang unterwegs war.
Coala

Dominika Meindl hat gesagt…

Das Wohnzimmer haben wir aber eigentlich erst im Jahre 1998 so wirklich wieder hergegeben, als wir nämlich mit dem Playmobilspielen endgültig aufhörten und ein Studium in Wien begannen.
Vielleicht hättest du mit Sack und Pack bleiben dürfen, wen du nicht den ganzen Kram einfach abgeladen hättest! Glücklicherweise hast du heutzutage ein geschickteres Händchen für Innenarchitektur, denn zumindest glitzert und funkelt jetzt dein ganzer Kram.

Anonym hat gesagt…

Liebe Minkasia, das sind, glaub ich zwei verschiedene Geschichten (Das ist blöd, wenn man ältere Geschwister hat, von denen auch noch gut 50% mit dem Internet umgehen können, goi)
Also, unsere arme Mutter wolltest du schon in LINZ verlassen und bist Richtung Süden, also genItalien, aus der Haustüre marschiert. Mutter weinet sehr, hat aber gewußt, daß der Moschndrohtzaaun und vor allem die Brombeerstauden hoch genug sind (d.h. zu hoch für dreijährige Stampferbeinchen). Die kurze Zeit, bis du das eingesehen hast, hat sie gut überstanden.
Ja, ich glaub, so war das.

Dominika Meindl hat gesagt…

Also erstens hatte ich als Kind gaaaanz zarte Füßchen, das ist schon mal nicht korrekt! Und dann: Wer sagt mir, dass das denn stimmt? Ich erinnere mich gar nicht daran!
Nächster Punkt: Auf dem Keferfeld sind die Gärten ca. 100 Meter lang - als 3jährige marschiert man da im Sinne des subjektiven Zeitparadoxons etwa einen halben Tag. Ich war also sehr tapfer, wenn ich bis zum Moschndrohtzauuun gekommen bin.