Man hatte mich nach Bozen eingeladen, um über Overtourism zu sprechen, und ich wusste, dass ich den Leuten hier nichts Neues erzählen würde, wenn ich von Hallstatt spreche.
Bei der Anreise überraschte mich meine Aufregung angesichts der Landschaft, die sich ab dem Brenner verstärkte, obwohl man hier wohl auf der Autobahn zwischen Sterzing und Brixen durch den hässlichsten Teil Südtirols muss. Ich erzählte lauter alte Schnurren von den alljährlichen Urlauben im Villnösstal, von den Bergtouren auf das Zuckerhütl und den Sas Rigais. Wir beschlossen, bei der Heimfahrt den reality clash in St. Maddalena zu riskieren, dabei wusste ich, dass man nicht mehr einfach über die Wiese hinüber zur Ranui-Kapelle gehen durfte, weil der Ort zum instagrammable spot auf der bucket list der everywhereists geworden war.
In Bozen ging ich ins Ötzi-Museum, natürlich, das stand ja auch auf meiner bucket list, denn nur weil ich zu einer Lesung eingeladen war, änderte das nichts an meinem Status als Touristin. Zu meiner Überraschung war fast nichts los, eine Mutter mit Kind schaute durch das kleine Fenster, das Kind meinte, der tote Mann glänze wie Speck. Ich war dann auch überrascht, dass mich der einsame Tote rührte, aber ich war auf eine gute Art dünnhäutig hier. Und die Ähnlichkeit des rekonstruierten Ötzis hört nicht auf, mich wegen seiner Ähnlichkeit zum Vater zu erstaunen.
Später erzählten mir die Veranstalterinnen, dass es absolut ungewöhnlich sei, einfach so ins Museum spazieren zu können, es gebe nur noch zwei, drei tote Wochen in Bozen, an allen anderen sei die Stadt voller Deutscher, Russen und Amerikaner; die Schlangen am Eingang und vor der Mumie elendslang.
Die Lesung im Literaturhaus war denn eine reine Freude, ich war wieder einmal erleichtert, mir den Roman doch herausgeschunden zu haben, denn es gibt bestimmt kein anderes Umfeld, in dem so liebenswürdige Menschen arbeiten. Mein Hochstapel-Gefühl wird sich wohl noch lange nicht legen, aber das ist keine schlimme Qual und eine andere Geschichte.
Am nächsten Tag fuhren wir durch das Villnößtal, ich war froh, nicht am Lenkrad zu sitzen, so sehr musste ich schauen. Die Eltern waren schon als ganz junge, mittellose Leute in den 1960ern hergekommen, von Beginn an immer an denselben Ort, und jedes Jahr endeten die Tage "am Ranui" mit der Vorfreude auf die Wiederkehr. Ich selbst war zuletzt vor zehn Jahren hier gewesen, eine letzte Reise mit dem Vater, der lange mit den Altbauern sprach; alle freuten sich. Meine jüngere Schwester war dann vor einem Jahr hier gewesen, von ihr wusste ich vom Drehkreuz und der zu erwartenden Entzauberung. Es war ein schöner Sonntag, der Andrang nicht stark, aber die Entfremdung deutlich. Das ist nichts Ungewöhnliches, keinem Ort glücklicher Kindheitstage bleibt sein Zauber.
Natürlich machten wir Fotos, natürlich achteten wir darauf, keine anderen Touristen draufzuhaben. Die freundliche Köchin hatte uns empfangen, es sei niemand da von den Betreibern des Hotels. Ich war erleichtert zu hören, dass die Altbauern noch lebten. Wir hinterließen Grüße und fuhren nach Hause in den ekelhaften Hochnebel. Wir waren keine Stunde hier gewesen.
Zuhause postete ich einige Fotos, und schrieb "völlig unterschätzt, wie sehr mir Südtirol gefehlt hat", was ja stimmte. Der gute Jörg Zemmler kommentierte recht sarkastisch, ich fühlte mich missverstanden, aber dann sah ich erst das Video, das er von seinem Fenster aus gemacht hatte: SUVs rollen Stoßstange an Stoßstange in Richtung Seiser Alm, jedes nicht-touristische Leben lähmend. Er hatte völlig recht.
Hallstatt ist klein, man entkommt dem Overtourism schnell wieder (wenn man nicht dort lebt). Wohin man sich in Südtirol zurückziehen soll, erscheint rätselhaft. Als Autorin möchte ich sehr, sehr gerne wiederkommen, als Touristin sollte ich es von jetzt an gut sein lassen.
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