Lebenskrimskrams im Februar 2025
1.2. BOZENDer Mann im Ötzi-Museum meint, ich könne den Hund gern mitnehmen, müsse ihn aber für die Dauer meines Besuchs auf Händen tragen. Ich lehne dankend ab, sie soll ja auch beim Anblick des getrockneten Fleisches keinen Guster bekommen. Die mütterliche Linie Ötzis sei ausgestorben, aber die väterliche lebt ganz augenscheinlich in mir weiter. Ich beschließe, keine große Sache daraus zu machen, sonst darf ich das Museum gar nicht mehr verlassen. Ganz ohne Ironie sieht die lebensgroße Rekonstruktion dem Vater noch ähnlicher als die Bilder, ich bin zu meiner Überraschung ehrlich gerührt.
Erst später gneiße ich, welches Glück ich hatte, bloß mit einem halben Dutzend anderer hier zu sein, es ist die einzige Woche im Jahr, in dem der Overtourism sich hier legt. Darum also auch das Zimmer im Laurin.
Am Nachmittag interviewt mich die sehr sympathische Jutta Wieser für Radio RAI. Sie kommt mit meinem Dialekt sehr gut zurecht, statt „larger than life“ versteht sie sogar fast übereifrig „letschats life“.
Was ich sonst darüber geschrieben habe: "Du steckst nicht im Overtourism, du BIST der Overtourism. Bittersüßes Südtirol"
3.2.
Leichte geistige Erschöpfung nach diesem Wochenende, es ist schon eine Weile her, dass ich praktisch gar nicht zum Lesen gekommen bin.
Dazu viel Admin-Schas und etliche Telefonate, die Emails hätten sein können, dazu viel diffuse Wut auf das Elektorat von ÖVP, FPÖ und Neos.
4.2.
Sengsen. Wandern fühlt sich derzeit an wie eine Kompensation, die ich durchsetzen muss gegen die Welt. Es ist immer noch viel zu warm, weswegen ich mich beinahe mit dem Tageslicht verspekuliert hätte; wie ein kleiner Jetlag. Es ist schon nicht mehr Winter.
5.2.
Metro mit den Schwestis, wir kaufen beinahe 100 Kilo Rechnungshefte, aufblasbare Schwimmkassetten und zehn Liter Diskontkorn.
6.2.
Blitztreffen mit Birgit, sie sagt zum Abschied tatsächlich „g'sund bleiben!“ Noch lachen wir.
7.2. Wien
Ein Mann geht durchs Prückl, um Lesezeichen „gegen misshandelte Kinder“ zu verkaufen. Jana, Otto und ich schütteln den Kopf, er wird böse. „I frog mi, wia es auf d'Wöd kumma sad's!!!“
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GAV-Vorstandsitzung
Vielleicht darf ich das nicht ausplaudern, aber der Herr wird ja großen WErt auf Verbreitung seiner Ansicht legen: Er tritt aus, um ein „Zeichen gegen die Genderverseuchung zu setzen“, er pflege auch privat keinen Umgang mehr mit Menschen, die solch eine die Verständlichkeit der Sprache gefährdende „Neo-Sprich-Idolatrie“ betreiben. Zum Glück finde das nicht nur ich ironisch.
Magdalena bekommt von der Arbeiterkammer eine Urkunde, mit der ihr „im Namen der Volkswirtschaft“ für 20 Jahre Arbeit an derselben Dienststelle gedankt wird.
Wir
trinken dann sehr viel Dosenbier, denn das sind meine Menschen - ich verstecke hier meine Zuneigung wie einen geo cache. <3
8.2.
Beim heurigen Schl8hofball „HitBALLrade“ verkleide ich mich als die Disco-Version von Blanche Debareaux. Wieder sind auch alle anderen extrem schön und betreiben großen Aufwand, und wieder möchte ich alle nach Themen ordnen wie ein Faschings-Border-Collie.
Backstage wird wie immer mit Zunge geküsst
Roman
lädt uns auf ein Stamperl des weltbesten Tequilas ein, wir dürfen
ihn nicht gleich in unsere schon sehr dummen Schädel schütten. Sehr
mitreißend erzählt er, wie George Clooney und Julia Roberts Gatte
miteinander ein Tequila-Gut und irgendwelche fancy Fässer kauften,
aus humanistischer Bewegung. Der Schnaps schmeckt dann zumindest
nicht grauslich, mehr darf man von Tequila nicht erwarten. Sofort
danach gehen wir heim, da ich den äußerst schmalen Limbus zwischen
betrunken und dem Tode geweiht erreicht habe. Nur in diesem Zustand
kann man in diesen Leggins durch die Welser Nacht taumeln.
9.2.
Wir verbringen den Tag trotzdem, als hätten wir einen Kater, also ächzend und lesend. Dabei kommt mir ein Philosoph mit dem Namen Lagasnerie vor, wie ein auf Schichtnudelauflauf spezialisiertes Restaurant mit Tippfehler. Das hier ist kein Symbolbild:
10.2.Wenn ich so träume, wache ich lieber: Auf einem Landgut werden „Welpenburger“ angeboten, zu meinem Entsetzen predige ich „Wer Tiere ist, muss auch Streicheltiere essen“ und wähle eines der um meine Füße wuselnden schwarzen Pudelbabies aus.
11.2.
Ein Wärmepumpentechniker kommt und werkt herum, ich werde schon durch das Nachdackeln müde, er aber erzählt, dass er nach der Arbeit gerne seinen 15-Hektar-Wald an der böhmischen Grenze bewirtschafte.
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Wenn man den Broligarchen Peter Thiel so richtig amerikanisch ausspricht, klingt er wie „paedophile“.
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Ich
muss dem Pflegschaftsgericht ein Hausgutachten schicken. Der Vater
hat dem Notar tausende Euro für die Mitteilung bezahlt, wann Schönering
das erste Mal urkundlich erwähnt wurde. Ich arbeite eindeutig im
falschen Text-Genre. Zudem
weiß ich jetzt, dass auch Massivbetonhäuser Lebenserwartungen
haben, die jenen eines Menschen ähneln.
12.2.
Zum ersten Mal seit Erscheinen des Romans treffe ich Axel Scheutz. Nach unserer Veranstaltung hält er mir sein Exemplar hin, darin eine Menge verschiedenfarbener Post-Its. „Die gelben sind dort, wo ich vorkomme!“ Mir wird bewusst, dass der fiktional wirklich nicht sehr gut wegkommt, umso legitimer war es, dass er bei der Diskussion zweimal sagte „Kaufen Sie das Buch, Frau Meindl formuliert gut, aber sie lässt kein Klischee aus!“ Wir trinken und schnattern noch lange in der Roten Bar.
Tarek Leitner ist von makelloser Freundlichkeit und Erscheinung, sogar seine Stirnfalten wirken wohlüberlegt. Er sagt, als Zuagroaster sei er natürlich viel stärker verliebt in die Gegend als seine einheimische Gattin, er sei kurz davor, Tracht zu tragen – während die wahre Tracht des Salzkammergütlers ja von Engelbert Strauss sei.
Über
meinen Vorschlag, ein Entlastungs-Hallstatt zwischen Attnang und
Puchheim zu bauen, wird wieder blöd gelacht, noch mehr über meinen
Wunsch, Schönering zu klonen.
13.2.
Fan-Club-Kollegin Maria Z. ruft an, um zu erfahren, wie es gestern war. Dann erzählt sie von einer einstigen Kulturreise mit dem Gatten durch Indien und Nepal. Da das sehr anstrengend war, gönnten sie sich am Ende ein paar Tage auf den Malediven. Dort gebe es keinen Individualtourismus. Ein hoher Prozentsatz der Inseln wird den Fremden geopfert, während sie zum Rest keinen Zutritt haben. Hier herrscht die Scharia, dort wird zum Saukopf-Büffet geladen, man speist besoffen und im Bikini. Es ist ein wenig wie das scheinidyllische Gegenstück zur Cancer Lane am Golf von Mexiko: sacrificed areas.
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Dogfishing auf Tinder
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Alle Texte für die Lesebühne zwischen 10 und 15:30 geschrieben, was soll noch schiefgehen im Februar?
14.2.
15.2.
Erinnernswert:
die erste eigene Kettensäge gekauft, es muss ja nicht alles wehtun
am Erwachsensein (außer, ich schneid' mich damit).
16.2.
So lang so wenig Schnee gab's noch nie. Das nächste einzigartige Phänomen, an das man sich wird gewöhnen müssen. Meine Tourenski habe ich kurz vor Weihnachten zum Service gebracht und nie abgeholt.
Im
Jänner frage ich mich jedes Jahr, was das (Klein)Bürgertum und ich so toll an
einem Garten finden. Jetzt beginne ich zu ahnen, dass es eh wieder
recht wird damit.
17.2.
Die Generation X ist eingekeilt zwischen Boomern, die nicht aufhören wollen zu mansplainen, und den Y- und Z-lern, die nicht zuhören können.
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Die
Self-Care-Industrie ist die dümmste Maßnahme gegen den
Pflegenotstand.
18.2.
Satte zehn Stunden geschlafen, der Hund mehr als 12. Daran soll es heute nicht scheitern. Ich war aber auch sehr mit Träumen beschäftigt, in einem war es zum Zusammenbruch des ÖPNV in Wien gekommen. Ich soll auf Urlaub fahren und muss von Wien nach Linz, aber es wird sich nicht ausgehen, da in den U-Bahnen jetzt Güter transportiert werden, die Menschen können ja von selbst gehen. Es geht nur einmal täglich einen Bus diffus nach Westen.
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Heute tippe ich den Lebenskrimskrams vom August 2024, was an einem kalt-sonnigen Februartag ein schönes Timing ist. [Und das wiederum tippe ich an einem frisch-sonnigen Augustvormittag, was auch wieder stimmig ist, weil: ] Bei diesem Rhythmus erfreue ich mich dann am 18.8.2025 an der Erinnerung an polare Kaltluft und ein ganz neues Licht nach dem mühsamen Hochwinter. [Es ist so, als packte man sich selbst seelische Jausenpakete für das nächste Semester.]
19.2.
Ein unbehelligter Tag (bloß nicht die Nachrichten einschalten!), ein selbstauferlegter Lockdown – und die Vögel kehren langsam heim, diese fliegenden Leischn.
Das Urvertrauen in alle halbwegs sane wirkenden Personen wächst, gleichzeitiger Kollaps des Zutrauens zu allen außerhalb des Dunbar-Kreises.
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In „Jagen, Sammeln, sesshaft Werden“ macht Foster einen argen, aber schönen Schwenk am Ende seiner Erforschung von Mensch und Natur in Richtung Übersinnlichkeit. Die sei ja kein Wunder, denn in der Sekunde vor dem Urknall war ALLES auf engstem Raum EINS. Endlich kann auch das Genre des Nature Writing über die spukhafte Fernwirkung der Quantenverschränkung sprechen,ohne auf dem Scheiterhaufen zu landen (oder für doof gehalten zu werden).
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Zuerst schaufle ich stundenlang Sand in den Wärmepumpenschacht, dann backe ich einen „Kuchen“, der sich wie Sand zwischen den Zähnen anfühlt.
20.2.
Nie hätte ich Schauspielerin werden können, zu groß wäre die Scham gewesen, irgend etwas darzustellen, das auch nur einen Schritt in Richtung Sex geht, auch nicht nach der Befreiung durch die Body Positivity. Genauso unmöglich jeder Hauch von Pathos – siehe Pedro Pascal in „Wonderwoman 2“, wie er im Wunsch-Satelliten-Strahl auszuckt vor Erfüllung. Aber immer noch eher sowas als Sex.
21.2.
Gratis in die Kletterhalle, weil „heit woasd eh gaunz schwoch beinaund.“
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Essen gehen eh super, aber wir sitzen so zwischen lärmenden Familien verkeilt, dass Après-Ski-Stimmung aufkommt und der Buttinger mich über die Pizza eher grämlich als romantisch anschaut.
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Am Beispiel des Buches „Altstadtgassen und Adelshöfe“, versehen mit dem Ex-Libris der Mutter erneut die Feststellung, dass das Ausmisten eine Gratwanderung bleibt zwischen „Immer noch so viel Zeug, das mich nicht interessiert!“ und großer Sentimentalität.
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Das
Centerfold des Schöneringer Pfarrblatts zieren die überraschend
vielen diversen Sternsingergruppen. Zum einen erstaunt, wie viele
Ortsteile es gibt („Schönering Inseln“, „Mühlbach Nord + Fall
(2. Tag)“). Zum anderen, dass sich immerhin drei Menschen das
Blackfacing nicht nehmen lassen. Nur Männer, nur Erwachsene. Das ist
schon alleine aus Bequemlichkeitsgründen bizarr (ich spreche aus
alter, leidvoller Erfahrung). Etwas später zeige ich dem Buttinger
das Foto, er muss nur einen schnellen Blick drauf werfen: „Ich
zähle vier!“ Wir schauen gemeinsam. Der vierte entpuppt sich als
der Nachbar, der bloß im Jännerschatten ganz blau angelaufen
ist.
22.2.
Heute bekommen die Vögel endlich wieder Namen. Auf dem Gipfel des Haglers steigt plötzlich ein Schwarm Dohlen auf, wie um dem Herrn Ornithologierat und mir eine Freude zu machen. Ein eleganter, luftiger Zauber.
Beide haben wir jetzt schon unsere Jahresvorhaben erfüllt: Hasi hat den „Ulysses“ ausgelesen, ich kann jetzt die Frisbee auch mit links schmeißen.
Er
berichtet, dass beim Begräbnis eines gemeinsamen Bekannten eine Dame zu „I am
sailing“ ein Tanzgebet aufgeführt habe, es sei sehr schwer
gewesen, nicht zu lachen. Ich sollte derlei wahrscheinlich jetzt
schon notariell regeln. Aber eher im Sinne, dass ich das auch will,
es sollen die Hinterbliebenen sich über den Auslöser ihrer Tränen
nie sicher sein können.
24.2.
Sitzungen von 16 bis 19 Uhr. Wie halten andere Menschen das nur aus?! Und ich weiß, das ist noch gar nichts! Wieso flippen sie nicht viel öfter aus? Ist das eine Sache des Trainings? Es war ja nicht einmal schlimm, nur ein wenig fad.
25.2.
Was für Leute es gibt! C. lädt uns zu seinem Nachbarn, der die Software für Indoor-Windkanalflüge programmiert und damit zu einem Wohlstand gekommen ist, den er für Outdoor-Fallschirmflüge verwendet, aber auch für das Brauen ausgefallener Biere. Unsere Augen leuchten, eine neue Freundschaft will entstehen.
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Beim
Hundsäußerln sollte ich nachdenklicher wirkende Outfits tragen, ich
kriege erstaunlich viel erstaunlich Banales erklärt. Seit wann wird man Hundeexperte und Hundebesitzer gleichzeitig? Woher überhaupt
dieser Drang zu seltsam übertriebener Professionalisierung im
Privatleben?
26.2.
Beim Lesen der aktuellen Ausschreibung für den LinzIMPuls komme ich peinlich spät drauf, dass ich den ja geschrieben habe (in eigentlich sehr schmeichelhafter Vorwegnahme des Ars-Electronica-Themas „Do/n't Panic“. Entweder bin ich sehr fleißig und/oder dement. [Nachtrag: Ich hab' sogar noch schnellschnell mit Walter Stadler ein Projekt zusammenklabüsert, wieder am Tag der Deadline, aber ohne Erfolg. So geht Transparenz!]
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Sehr langsam, eher erosiv geht’s beim Ausmisten. Ich schneide Tierbilder aus den Bildbänden über Palazzi und mache es mir im Bürgertum unbequem.
Auch ein sehr guter Spaß mit dem Erbgut: passiv-aggressive Rollaugen ins Altertum malen.
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Ungeduld mit der Landschaft. Dafür bei Niederwasser am Donaustrand eine Rostgans gespottet. Hasi beruhigt per Whatsapp-Konsilium, der Vogel sei ein Gefangenschaftsflüchtling, der sich mittlerweile zum Neozoon gemausert habe.
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Nach
fünf Minuten Schaufeln ruft die Nachbarin „Tüchtig!“ über den Zaun,
dabei müsste sie das tun, sobald das Licht im Büro angeht.
27.2.
Eine an sich gute Kunstperformance. Ich checke nur immer noch nicht, warum wir Frauen uns nackig ausziehen müssen, um Freiheit zu beweisen. Fini isst die Requisitenwurst.
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Was
für ein unfassbar großartiger Film „Three Billboards outside
Missouri“ ist!
28.2.
Alles geht immer am Freitag Vormittag.
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Schade, dass ich mit meinem Hass kein Wärmekraftwerk betreiben kann, Trump und Putin würden mich energieautark machen. Schon der Fund einer Perücke im Gestrüpp des Wasserwaldes löst Assoziationen und energische Gewaltfantasien aus:
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Zum Glück gibt's die Sublimation und die Kunst. Wenn du wüsstest, wie schön „Wenn du wüsstest, wie schön es hier ist“ ist.