Freitag, September 27, 2024

Ein paar eitle und ein paar innige Sätze zu Bodo Hell

Seit 9. August wird es kaum eine Begegnung unter Literaturnahen gegeben haben, in der nicht sorgenvoll das Gespräch auf Bodo Hell gekommen ist. Wir alle vermissen ihn und bitten insgeheim den Dachstein, ihn uns wieder zurückzugeben. 

Es ist schon so viel über ihn gesagt worden (besonders schön etwa vom Kollegen Stöger im Blog der GAV OÖ). Wir wollen alle noch so viel über ihn sagen. Ich würde mich unendlich freuen, wenn ich dieses Posting löschen kann, weil er auf irgend eine (mittlerweile verrückt unwahrscheinliche) Weise lebendig und gesund seinen Weg zu uns zurückfindet. 

Zum ersten Mal hatte ich ihn in Innsbruck getroffen, bei den Wochenendgesprächen, wir kamen sehr bald auf die gemeinsame Freude über leicht bescheuerte Worte wie "hubschrauberbringbare Jagdhütte". Darum war ich nicht übermäßig besorgt, als er jahrs darauf recht kurzfristig unser Lesebühnengast beim Festival der Regionen war. Bodo bringt immer Geschenke mit, dieses Mal sündteures Sauerteigbrot "aus der Stadt, weil ihr am Land ja keins habt", sagte er mit diesem fantastischen Hell-Kichern. 

Er lachte auch sehr über unsere unseriösen Gebarungen, als René und ich etwa vorgaben, den Buttinger zu schlachten und zu essen - ein kleiner Hund aus dem Publikum sprang ihm in ehrlicher Erregung helfend bei. Bodo verlas eine botanische Phänomenologie der Capsicum-Gattung. 

Im Mai dieses Jahres kam er zu uns nach Wels, dieses Mal hatte er Meisterwurz-Schnaps mitgebracht, und für alle die dritte Auflage von "Begabte Bäume". Julia Jost und er wanden mir irgendwann das Heft der Moderation aus der Hand, ich ließ es glücklich geschehen, sie unterhielten sich über Fleckvieh und Kärntner Gebirgsauffaltungen.
 

Weil das alles hier unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, veröffentliche ich das wertvollste Stück meines künftigen Vorlasses, nur deswegen wird mir das Stifterhaus in 30 Jahren ein paar Hunderter für meine Postkartensammlung zahlen: 



Als Gipfelpunkt der Koketterie zitiere ich mich am Ende auch noch selbst, denn etwas anderes kann ich im Grunde nicht sagen: "Jetzt ist aber Schluss mit dem Tod!"

Sonntag, September 01, 2024

Sommerschlusspanik, Wiedereingliederungsstörungen und abgezählte Babykatzen

Lebenskrimskrams im August 2024
 

1.8.

Eine Nacht im Garten, als führte ich ein instagrammatisches Leben. Als sei ich mein eigener Kolonialherr auf Safari durch den Bezirk Linz-Land. Der Hund und ich legen uns mit Sonnenuntergang hin und schlafen wie bei einer Fahrt mit einem Regionalbummelzug, mit vielen Unterbrechungen. Ein Igel hat uns mit seinem Geraschle lange wach gehalten (am Abend wird der Faule fleißig), irgendwann geht ein absurd leichter Regen nieder, wie Tau, oder wie das Zitat eines Regens. Um halb neun reiße ich mich los von diesem Erlebnis, Fini legt sich quer in meine Inszenierung hinein, als wolle sie das Maximum herausholen.

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Es ereilt mich die absurdeste Strafe meines Lebens: Ich, „hierzu berufener Organwalter“ der Original Linzer Worte habe die Vertreter des Vereins nicht innerhalb der Frist bekannt gegeben. Das Lustigste ist die angebotene Ersatzfreiheitsstrafe bei Uneinbringlichkeit der vorgeschriebenen 40 €: 2 Tage 13 Stunden 0 Minuten. Die Behörden schätzen den Stundenlohn in der Kunst sehr pessimistisch ein. Und sie gendern nicht, obwohl ALLES in Paragraphen gegossen wird.

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Es ereilt mich das absurdeste Leseerlebnis meines Lebens: Hunderte Menschen im Museumsquartier hören mir zu, es ist aber ganz leise, als säße ich vor meinen üblichen 23 Zuhörerinnen. Nein, noch leiser, denn wenn ein Mann mit zwei Bier in der Birne dabei ist, ist es aus mit der Ruhe. Bald schreibe ich wirklich einen hospitality rider, „Es ist ein Hund vorrätig zu halten“, heute heißt er Lotta. 

5.8. GRUNDLSEE

Peter Waldeck schnürt durch Hamburger Buchhandlungen und schaut, ob sie „Selbe Stadt, anderer Planet“ haben. Zweimal ja! Bester. 

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Wieder auf die Gimpelinsel. Zum ersten Mal schaue ich mir Bad Aussee wirklich an. Die Glocke der Pfarrkirche heißt „Kunigunde“.

6.8.

Ohne Kaffee ins Gebirg. Kann man machen, muss man aber nicht. Vielleicht Steinadlerküken gehört, wahrscheinlich aber nicht. Fini und ich sind von den Kühen auf der Gössler Alm nicht totgetrampelt worden, nicht einmal annähernd.

Im Widderkar wieder die größte Schönheit, ich habe jetzt (7.8.) schon wieder Sehnsucht danach, aber ich sehne mich ja nach dem Widderkar, sobald ich es betrete. Im Finsterkar hingegen hat man nicht mehr viel verloren. Das kommt auf die Liste der Wanderungen, wenn ich wirklich schon überall anders war. (Oder, auch wahrscheinlich: Ich habe nicht gut genug nach dem Weg geschaut). 

Es folgt ein großer Mittagsschlaf auf den Dielen vor der Jagdhütte nördlich des Kesselkars, dann beschreite ich die wenigen fehlenden Meter aus dem Widerkar heraus und über den Rücken hinunter zum Dreibrüdersee. Der Abstieg ist heute mühsam, vielleicht vom nicht gelungenen Weg ins Finsterkar bedingt, vielleicht schon ein wenig zu sehr von der Sehnsucht nach dem Baden getrieben. Und dann, endlich. Es fühlt sich unwirklich an, von der Gössler Alm den Grundlsee zu sehen und jemandem dort unten telefonisch zu sagen, man sei in einer Stunde unten. Nach dieser zähen Zeit verschwindet der Körper zuerst im See, dann in ihm zwei Bier und eine komplette Portion Kasnockn.

7.8.

Der Frühstücksraum ist voller postmenopausaler Wienerinnen mit affektiertem Gebaren und exklusiven Sommerkleidern, eine davon sitzt ostentativ abseits am Nebentisch. Die Wirtin sagt, das sei ein Singkreis, der alljährlich herkomme, aber sie sei der Einladung zum Abschlusskonzert noch nie nachgekommen, weswegen wir spionieren sollen. Die Dame neben uns mache eine Kur, bei der man beim Essen nicht mit anderen sprechen dürfe. L. freut sich, zum inneren Kreis gezählt zu werden, in dem man andere ausrichtet.

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Ein sehr schöner Border Collie verknallt sich in Fini. Ich frage den etwas dicken, freundlichen Halter, ob er (der Hund, haha) reinrassig sei. „Das ist der Uwe“ sagt er gutmütig.

8.8.

Auf den letzten Metern zum Lahngangsee hinauf sprechen L. und ich sehr angeregt über „Bauer und Bobo“, der letzte Satz ist noch nicht verklungen, als Florian Klenk sich vor uns materialisiert. 

Wir deuten den Wetterbericht und entscheiden uns gern, zweimal nass zu werden, einmal im See, einmal beim Abstieg im Regen.

Dann legen wir uns zufrieden ins Bett und fragen uns, ob wir nicht einfach hungern sollten, um bloß nicht wieder aufstehen zu müssen. Aber L. muss einen Zirbensprizz beim Staudenwirt trinken, sonst hat sie nichts gesehen hier. Bei der Rückkehr bittet sie mich, das Sommerkonzert der Blasmusik in Bräuhof anschauen zu dürfen, nur kurz, sie zahlt mir auch einen Schnaps bei der Marketenderin. Die Musikanten sitzen absurd dicht geschlichtet in der schwimmenden Musikmuschel. Die Witze des Moderators haben das selbe Alter wie die Landschaft (Altsteinzeit).

Danach endlich wieder ins Bett und wieder Olympia schauen. L. ist ganz fertig, wie viele Sportarten, Gewichtsklassen und Reglements es gibt. Sie hat noch nie zuvor Synchronschwimmen gesehen und kann trotz Müdigkeit die Augen nicht davon abwenden.

9.8.

Beim letzten Frühstück richten wir den Zwischenmoderator aus dem Paläolithikum aus. Die Wirtin sagt, das sei noch gar nichts, beim Muttertagskonzert habe der „Luki aus Bad Ischl“ derart frauenfeindliche Witze gemacht, dass er große Teile des Zielpublikums binnen einer halben Stunde vergrämt habe, ohne seine Strategie zu ändern. 

Wir fühlen sehr unterschiedliche Bedürfnisse, mir fällt der Abschied schwer, ich werde heuer wohl nicht mehr herkommen. L. aber, der unter meinen Augen in dieser Woche die Liebe heftig eingeschossen ist wie dem Border Collie Uwe, hält es kaum noch hier. 

10.8.

Minimale Gartentändeleien, es glüht und dorrt alles. Leichte Unruhe in Bezug auf meinen Plan, demnächst auf dem Kraxenberg zu biwakieren. Es ist eine Mischung aus Sommerschlusspanik und Mutsuche vor dem alljährlichen Tag in der Wildnis.

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Die Babykatzen sind abgezählt!“ sagt die Hausherrin lachend, weil sie mir die Gier an den seit Wochen erstmals wieder geschminkten Augen ansieht. Wir sind zu einer 60er-Gartenparty geladen, einer der beiden Jubilare wird sechs Wochen später tot sein. Dieses Leben muss man verstehen lernen oder nicht. 

11.8.

Große Sommerstunden an der Traun – und ein Tag mit zwei Nachmittagsschläfchen.

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Bodo Hell ist abgängig auf seiner Alm, und ich hoffe innigst, dass ihn bald alle schimpfen, weil er sich gar so gut versteckt hat und wir uns alle furchtbare Sorgen um ihn gemacht haben.

12.8.

Wiedereingliederungsstörung. Ich soll Gstanzln dichten und schnell ein Abendprogramm schreiben. Die Neuronen ächzen.

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Facebook als virtuelles Altersheim (Altersteilzeit), in dem uns die Jungen ab und zu besuchen kommen müssen (=stalken), ob wir eh noch selbständig zu schmeißen kommen.

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Verwunderlich, dass es „Rümpeln“ nur negativ gibt, das Entrümpeln ist klar, aber es kann ja nicht aus dem Nichts schöpfen, es gibt ja Prozess des Berümpelns.

13.8.

Die Gartenarbeit fühlt sich immer öfter wie eine Eigen-Ergotherapie an. Heute: Erbsenzählen.

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Der arme Mann im Schlussverkauf, dem die Ärzte den Arm hoch über die Schulter erhoben festgegipst haben – in Wurfhaltung, noch dazu mit einem Ball in der Faust, als suche er seinen dazu passenden Hund.

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Im Kultur Hof heißen heute alle Michael, was mein dummes Leben stark vereinfacht. „Michael, wo is denn da Michael?“ Endlich darf ich mein eigenes Kunstwollen verdodeln, ohne Rücksicht auf die Sprechzeit nehmen zu müssen! (Ich hatte ja im Gegenteil Sorge, genug für diese Stunde zusammen zu kriegen). Sehr schön, dass die Einzige, die sich eine Tombola gewünscht hat, auch alle Lose an sich genommen hat. Alle sind zufrieden. Am besten sind meine männerfeindlichen Witze angekommen, vielleicht sollte ich einmal das Grundlseer Muttertagskonzert moderieren.

D. ist gekommen, um sich persönlich von mir zum Dank für meine erfolgreiche Verkupplung umarmen zu lassen. M. engagiert mich als Traurednerin für ihre Hochzeit. Verrücktes Glück! Fini hingegen verliebt sich unglücklich in einen der Michaels.

Bei Wind gibt das Skelett des Quadrill-Towers ein Heulen von sich, das im Film eine Zombie-Attacke ankündigen würde.

14.8.

Die Donau steht so niedrig, dass man am Hundestrand glaubt, zum anderen Ufer staksen zu können, weit draußen stehen ein paar Männer auf Untiefen. Fast unmöglich, sich den Wasserstand vom Juni in Erinnerung zu rufen.  

Regen. Besser als Netflix.

15.8.

Mein gutes Leben passt gar nicht mehr zu meinen melancholischen Grundstrukturen (ich habe gerade Spotify heruntergeladen und höre Portishead).

Zehre ich mehr von den Momenten, in denen ich neben einer murmelnden Quelle im Widderkar schlafe oder zehrt die Sehnsucht danach stärker? Ich muss etwas anderes horchen! Die trockene Gluthitze zehrt ein wenig am Gemüt, trotzdem verstärkt sich die Sommerschlusspanik. Ich weiß aber schon, dass die nur noch bis ca. 1. September dauert, dann greift das Wissen in die Praxis ein, dass es im Herbst ja noch viel schöner ist.

Die Perseiden habe ich aber versäumt, letztes Jahr lag ich am 16.8. unter dem Nachthimmel zwischen Feuertalberg und Spitzmauer, mir gingen die Wünsche für all die Sternschnuppen aus.

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Wir fahren ins Almtal und springen ohne großes Geschrei in die Alm, die nicht so warm sein dürfte. Dann suchen wir die Freunde heim. R. hat eine sehr subtile und ausgefuchste Technik des Anwasserns, er gießt immer nur einen Schluck Weißwein nach, am Ende trinken wir ihm auch noch seinen extrem guten und sauteuren französischen Edelenzianschnaps weg. 

16.8.

Stark eingeschränkte Vitalität wegen des gestrigen Alkohols. Träges Herumbandeln im Garten, der aussieht wie ein südkroatischer Campingplatz. 

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Großes Hadern, ob ich mich der privaten Suche nach Bodo Hell anschließen soll; ich kenne mich dort oben nicht aus und habe das Gefühl, nur mir selbst mit sinnlosem Aktionismus helfen zu wollen – oder nicht? Wahrscheinlich bin ich eine von Tausenden, die ihn so gerne finden wollen. 

17.8.

G. ist jetzt wieder offen für nachbarschaftliche Treffen, weil er erst jetzt mit meinem Buch angefangen hat und kein schlechtes Gewissen mehr haben muss. Er hat ernsthaft geglaubt, ich würde ihn fragen, was er z.B. zu S. 17 sage, dabei habe ich doch selbst keine Ahnung mehr, was da steht. In Wahrheit will er sich den Hochentaster ausleihen, den mir der Buttinger soeben im Voraus zum Geburtstag geschenkt hat.

18.8.

Ein Regenguss, die Landschaft knackt wie ein Eiswürfel im Gin Tonic.

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Unangenehme Erkenntnis, dass der Platz auf der Grabtafel unter den Namen der Eltern für den meinen frei gehalten wird.

Weiter wachsendes irrationales Trauern über das Schwinden der sommerlichen Optionen – ich kann bald nicht mehr in jedes Gewässer hüpfen und auf jeden Berg; in Wahrheit bin ich etwas enttäuscht, über den Sommer schon wieder kein anderer Mensch geworden zu sein. Vor einem Jahr habe ich exakt das Selbe geschrieben. Im nächsten Sommer möchte ich ein Mensch werden, der sich in Erinnerung rufen kann, dass noch im November Almschläfchen möglich sind.

19.8.

Der pataphysische Kongress rückt näher, den ich letztes Jahr in einer manischen Dreiviertelstunde der Stadt Linz aus den Hüften gefördert habe. Fünf Minuten vor Abgabeschluss hatte ich W. und R. noch schnell gefragt, ob ich das eh auch in ihrem Namen einreichen dürfe. Beim Orchester (C. meint, ich soll Geige spielen, of all instruments) werde ich keine wichtigere Rolle spielen als die eines bemühten Orang-Utans.

20.8.

Nach Monaten wieder ein gelungener Anlauf zur Reduktion meines Erbes. Wie viele Rexgläser glaubte ich besitzen zu müssen?! 56?

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Die stolzen Eingeborenen, die nicht glauben, dass Fremde in ihrer Gegend jemals wirklich ankommen können, besitzen einen Zweitwohnsitz in der Toskana und sind voll im Dorfleben eingebunden.

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K. schreibt gerade am Irrsee seine Weihnachtsgeschichte, wie ein gemeinsamer Freund berichtet, ich meine wohl drei Stunden vor der Apfent-Lesebühne am 12.12.

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Bis 1. Jänner 2023 habe ich jetzt meine Phantomereignisse nach Brauchbarem durchwühlt, ab da ist mein Leben nicht mehr patschert genug.

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Ein Mann stakt mit der Feuerwehrzille den Donaustrand entlang flussaufwärts, er bleibt stehen, weil er mich als Tochter meines Vaters erkannt hat. Wir wechseln ein paar Worte. Ich sehe ihm nach, es wirkt im Gegenlicht kurz, als säße ich am Tonle Sap. 

In Wien kennen sie mich über den Hund, in Wels über den Buttinger, in Wilhering über den Vater, in Linz über die zwei Jahre bei den OÖN 2006. 

21.8.

Ich liebäugle mit dem Gedanken, die gestern von K. ausgeborgte Geige zum ersten Mal am 7.9. unmittelbar vor dem Konzert aus dem Kasten zu nehmen, bin aber nicht mutig genug für dieses Statement, obwohl nach dem ersten Versuch, das Ding unters Kinn zu klemmen, und nach den ersten sieben Tönen klar ist, dass Üben oder Nichtüben keinen Unterschied mehr machen wird. Theoretisch könnte ich noch hochbegabt sein, aber mir ist das zu laut, warum muss das so nahe am Ohr stattfinden?! Sofortige Verspannung.

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Zu meiner Erleichterung erteilt mir die äh... Pekinesin(?) L. bei der Selbstanzeige „Kulturelle Appropriation“ einen Freispruch.

22. und 23.8. KRAXENBERG

Leicht mulmige Schritte aus der Zivilisation heraus, vor allem schwer beladene, ich trage 8,5 Liter in das Wasser(!)tal hinauf. Ich bin im Grunde zu früh auf dem Gipfel, ich hatte optimistisch überlegt, noch bis zum Hochweiß oder der Plankamira hinüber zu kommen, aber irgend etwas hält mich davon ab. Ich habe den einzigen Abend im August gewählt, an dem es kühl ist. Beim Herumschnüren auf dem kilometerlangen Gipfelrücken des Kraxenbergs vier Schneehühner belästigt. Angstlust allein heroben. Heuer ist sie besonders stark, ich denke viel an Bodo. Wirklich sollte ich hier nicht stolpern und bewusstlos in die Latschen fallen. 

In der Nacht eine Hör-Halluzination, ein sehr starkes Vibrieren, im Traum fürchte ich, von Aliens entführt zu werden und denke „Es vibriert, das kann ich nicht träumen!!!!“ Aber Fini rührt sich nicht, ich hingegen kann es nicht.

Völlige Überschätzung meiner Möglichkeiten am folgenden Tag; es ist wieder heiß, der Rucksack fühlt sich kaum leichter an. Bin ich feiger oder unfitter geworden? PMS? Es reicht das Herumstapfen und Mäandern auch so für einen ausgiebigen Muskelkater bei Mensch und Tier. Wie war ich vor fünf Jahren drauf, dass ich diese wilden Touren wagen konnte, durchs Turmtal, ins Finsterrigelkar, über das nördliche Wassertal? Es wird einfach so sein, dass ich meine Ängste vergessen habe wie eine Mutter den Geburtsschmerz. 

 Die vom Schneedruck gefällten Bäume unterhalb der Nickeralm wird wohl niemand mehr herausschneiden. 

24.8. Gramastetten

Fini verhält sich beim Gang durch das Rodltal wie eine alte Hündin, ich habe sie zerwandert. Der Wald ist so braun, als sei es noch März, es hat seit Wochen nicht mehr geregnet. Mich plagt das Besteigen der Jahresstiege auch mehr als D., die noch gefürchtet hatte, es nicht zu schaffen. Fini rennt zu einer unbekannten Frau, die hier gärtnert, sie wirft sich ihr zu Füßen und lässt sich streicheln, dabei sieht sie vorwurfsvoll zu mir herüber. 

Ein Gang zu den Häusern der Ahnen. Unsere verschlossene Urgroßmutter hat das Geheimnis um den Vater ihres Erstgeborenen mit ins Grab genommen. Beim Wagner wird mir erst bewusst, was für eine fein verästelte Heiratspolitik hier betrieben werden musste, um Inzest zu vermeiden. Etwa haben sich pro Generation oft zwei Familien miteinander  praktisch gleichzeitig vermählt, dann wieder lange nicht.

Meine Taufe wäre beinahe ins Wasser gefallen, weil es im Oktober 1978 so einen Sturm gab, dass die Fähre nicht vom Ottensheimer Ufer ablegen konnte. Meine Taufpatin überredete Teddy, es doch zu versuchen, es gehe ja um die Errettung einer Kinderseele vorm Fegefeuer.

25.8.

In Bad Ischl ist es zu einer Verfolgungsjagd gekommen, als ein 69-Jähriger mit fast zwei Promille der Polizei zu entkommen suchte, da sein Auto nicht mehr zugelassen war – ein TÜRKISER TWINGO.

26.8.

Heute wird in „Vom Leben der Natur“ über den unter nordamerikanischen Präiriehunden weit verbreiteten Infantizid berichten. Diese Tiere werden von meiner Sympathieliste gestrichen (so wie unlängst die Matriarchin der Nacktmulle, die ihr Personal so mobbt, dass es unfruchtbar wird).

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Linz. Alle sind wieder da.

Im Wasserwald ein Mann, der mir vage bekannt vorkommt. Wenn es zum üblichen Hundesmalltalk gekommen wäre, hätte ich ihn gefragt, woher wir einander kennen. Drei Stunden später sitzt er neben mir im Café Meier.

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E. schenkt mir eine schöne Geschichte: Ein Bekannter fuhr von einer Dienstreise nach Vorarlberg zurück nach Linz und saß in einem sehr kaselnden Zugabteil einem Mann gegenüber, der Michael Köhlmeier sehr ähnlich sah, weil er es war. Der Mann jedoch zweifelte, weil ein Erfolgsautor doch wohl nicht so fäulen könne. Schließlich stieg der Doppelgänger aus, der Geruch jedoch blieb, weswegen den Bekannten der begründete Verdacht überkam, dass er selbst so stinken könnte. So bemerkte er erst, dass ihm seine alemannischen Kollegen „zum Dank“ einen ihrer sehr gereiften Käse ins Gepäck geschmuggelt hatten.

27.8.

Schlagzeile des Tages: „Tochter (13) einer Ärztin bohrte bei OP Loch in Kopf“ 

28.8.

Gut, dass ich nicht in einer Großstadt lebe, niemand interessiert sich mehr für die mittelschlimmen Befindlichkeiten mitteljunger Menschen in Berlin Mitte. (Wobei ich mich auch für meine eigenen Befindlichkeiten nur mittel interessiere). 

Mit dem Körper des Vaters (körperbetonte Gartenarbeit) das Leben der Mutter (immer zuhause) führen – und das ohne jede Verpflichtung zu care work (dem Hund die Zecken aus dem Fell kletzeln reicht nicht) – es darf keine Klage von mir an die Öffentlichkeit dringen – oder nicht die Wahrheit über meine „Probleme“ (vgl. #berlin). 

29.8.

Es gäbe schon recht viel vorzubereiten für den schon sichtbaren Arbeitstsunami (die Termine ziehen sich auffällig weit zurück, um mit voller Wucht anzubranden), also putze ich bei 31° das Haus (peinlich lohnend).

Nackt in die Donau (das liest hier eh niemand).

Apropos „oder nicht“: Die „Chronik der laufenden Ereignisse“ ist eh eine anstrengende Vorbereitungsarbeit. Gut, dass Köck sich um die tolldreisten Aufführungen der Rechtspopulisten und ihrer Biedermänner annimmt. Gut, dass ich das jetzt nicht sein muss (oder doch). Österreich ist das Paradies im weltweiten Vergleich, und die Österreicher sind so deppert – wie geht das?!

30.8.

Weil weiterhin so viel zu tun wäre, erledige ich das Dringendste: im Wildensee baden. Ich wühle mich um den Rauhkogel herum, bald ist mein Kragen voller Lärchennadeln, endlich finde ich einen ahnbaren Steig. Ein Hirsch führt sein Schmalvieh aus dem Kar des Kühweißhorns. Oben, kurz vor dem steinernen Ghag, ein erstes halbes Brunftröhren, als übe er noch. 

I. bestätigt es, als ich ihn später vor der Rinnerhütte treffe; auch die „Nachbalz“ des Kleines Hahnes beginne jetzt. Er freut sich, mich zu sehen, was nicht unbedingt an meiner charmanten Erscheinung liegt, sondern an seinem langen Sommer drüben auf der Brunnwiesalm. Das hier sei der erste Ausflug in die Zivilisation, der sich seit Juni ausgehe, sagt er und sticht glücklich in die Schwarzwälder Kirschtorte, dazu trinkt er Bier. Ob er nicht traurig sei, bald zurück in den öden Zentralraum zu müssen? „Nein!“ Er lädt mich ein, noch zu bleiben, aber ich will – nicht zurück in den Zentralraum, sondern – in den Offensee. 

Die Schwalben sammeln sich zum Abflug.

31.8.

Einmal noch in die Traun. Ein heißer Tag, der Kopf wie in Watte.

Im Black Horse sagt auch B. wieder, wie erleichtert er sei, dass ihm mein Buch gefallen habe. Wir trinken, denn es ist ja ein heißer Abend. Er kennt den Kerl, der die Hallstätter Luft verkauft. Wobei „verkauft“ nicht stimmt, es sei ein Spaß gewesen, der nicht mehr als ein Taschengeld einbringe. (Im Februar wird mir Axel Scheutz sagen, dass er den Kompressor für seine Flaschen im Haus seines Vaters stehen gehabt habe)