Lebenskrimskrams
im Juni 2024
1.6.
Wieder
einmal bestätigt sich, dass ich es komplett aufgeben soll, den
Kindern von irgendwelchen Erfolgen zu erzählen, sie haben selbst das
buntere Leben und sind noch nicht so weit, sich aufrichtig für das
dröge Leben älterer Leute zu interessieren (bin ich selbst
eigentlich schon so weit? Auch nicht).
***
Vor
der Haustür parkt der „Dichtungsprofi“, was schön zur nun
beginnenden Dienstfahrt zum 1. Poesiefestival von Bad
Hall passt.
Weil es anhaltend
schifft, muss das gesamte Programm in den Kursaal gestopft werden,
statt synchron auf drei Open-Air-Bühnen verteilt zu werden. Es ist sehr voll und sehr schön, das Rauschen des Regens wie der Soundtrack für die Dichtung. Nur die Gastro ist auf das übliche Lyrik-Aufkommen eingestellt, es gibt keine Hoffnung auf ein Käsesemmerl, geschweige denn Bier. Ich nehme mir künftig nicht nur zum Wandern ein Jauserl mit. Zum Glück teilt die gute Marianne Jungmaier ihren Snack mit mir. Ich verliebe mich besonders in die jungen Slammerinnen Nnebedum, Wenty und Duygu. Und wieder bin ich froh, nicht mehr zu slammen, sonst hätte ich mich sehr viel mehr bemühen müssen.
2.6.
Einen
Text schreiben voller Binsen, jeder Absatz endet mit „Aber darüber
wagt es niemand, zu berichten!“ Das
schreibe ich auf, und dann kommt im Wasserwald exakt so einer daher,
ein Sonntagsprediger, der ungefragt der Welt mansplaint, voller Wut
in der Stimme. Das unwillige Publikum ist schlau, um so viel Text hat
niemand gebeten, wir stieben in alle Richtungen davon.
***
Wie
völlig absurd alte Autos mittlerweile auf der Autobahn wirken, heute
etwa ein alter Mini, man hält ihn zuerst für bemitleidenswert,
dabei sind nur unsere Schüsseln so unnötig riesig geworden. Ein
kurzer Schreck beim Überholen, das Steuer ist verwaist, nein, halt,
es ist nur ein britischer Mini.
3.6.
Es
gibt das „Eigenbrauer-Syndrom“, wodurch Erkrankte gleichsam in
sich selbst Alkohol entwickeln und schwere Vergiftungen erleiden
können. Die Welt ist groß und voller Gefahr.
***
Die
Jahrhunderte sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren – wir
haben das nächste Hochwasser. Fini ist ganz von der Rolle angesichts
des wilden Meeres, das ihren Strand frisst. Die Wege, die wir gerade
so gern gehen, wird es in wenigen Jahren nicht mehr geben (wenn es
sie denn heute noch gibt). Überhaupt scheint die Natur von der
Rolle, in Schmitzis Garten steht später eine Rehmutter mit ihren
zwei Kitzen.
Es
herrscht ein kleiner Katastrophentourismus auf der Staumauer, das
Brodeln der durch die Schleusen jagenden Fluten hat hohen Schauwert.
4.6.
Nach Tagen zum ersten Mal kein Regen mehr. Die
Donau steigt so schnell, dass man ihr dabei zusehen kann. Dani und
ich stehen im Regenwald und essen Kirschen, es ist eine sehr
beschauliche Apokalypse. Bei Sonnenschein ist das Toben des Wassers
fast absurd. Es müsste nur etwas weniger Schlamm im Wasser
sein, dann läge Wilhering am Atlantik.
5.6.
Ausnahmsweise
hätte man mich doch anrufen können, ab 7 Uhr meinetwegen, um mir
mitzuteilen, dass ich das Projektstipendium bekommen habe! Ich lese
spät das Mail und verliere die Kontrolle über meine Beine, die in
wilder Freude auf den dicken Büroteppich stampfen, sodass der Hund
ganz aufgeregt daherrennt. „Du holst aus deiner Prokrastination das
Optimum heraus!“, sagt Buttinger anerkennend bzw. wahrheitsgemäß.
Dann trudelt auch noch die Zusage für die "Facetten" ins Haus. Wie
jedes Jahr muss ich nachsehen, was ich überhaupt eingereicht habe („Die Ameisen“). Sofort verlasse ich das Büro und
schraube die schlechtesten Sesselleisten Mitteleuropas ins Baumhaus.
6.6.
Ich
höre die Schritte einer Ameise auf dem Falter,
die werde ich in Zukunft auch nicht mehr umbringen können.
Überfressen
an den eigenen Walderdbeeren. <3
Im
Garten ist es gar nicht so leicht, an die Klimakatastrophe zu
glauben, auch wenn ich noch nie so früh im Jahr die ersten Himbeeren
gegessen habe.
Ein
Tigerschnegel.
***
Eine
Frau erklärt mir im Stiftspark, „der Wechsel hat mir die ganze
Freude genommen!“ Sie redet sich in Rage, dann hält sie inne und sieht sie sich
um. „So, ich schwitze nicht mehr! Das hat mich jetzt erfrischt, ich
danke Ihnen!“ Für eine Seligsprechung wird’s nicht reichen, aber
besser das als die Heilung brasilianischer Krampfadern.
***
In
der Nacht träume ich davon, wie ich in Gefangenschaft der
Erwerbsarbeit gerate, ausgerechnet in Coalas alter Firma. Es fühlt
sich mindestens so schlimm an wie damals die ersten Tage der
Ferialjobs, eine Karikatur des Meindlschen Arbeitsparadoxons – eine
ennervierende Gratwanderung zwischen unterforderter Langeweile und
der Angst, wegen Unfähigkeit rausgeschmissen zu werden mit Schimpf &
Schande. Niemand zeigt mir, wie es geht und was überhaupt meine
Aufgabe ist. Immerhin kriege ich einen Computer, aber nur mit einem
Firmenprogramm drauf, mit dem ich original genau nichts anfangen
kann, und das ist gar nicht mit den Augen dersehe. Als ich Coala davon erzähle, sagt
sie, „so war's ja wirklich.“
Überhaupt
aktuell noch viel dummes Herumgesorge mit immer weniger Anlass, ich
habe einfach eine seelische Neurose, am besten ignoriere ich mich. Wenigstens habe ich schon gelernt, dass es nicht sehr viel
schlimmer wird, wenn ich echte Sorgen habe.
***
Haben
Männer eigentlich Phantomschmerzen wegen ihrer an uns verschenkten
Rippe? Ich hoffe es.
***
Maturantinnen in der Linzer Bim unterhalten sich in künstlich westdeutschem
Akzent: „Also ich hab Metaphern bekommen.“ „Bei uns war's
hauptsächlich parataktisch und selten hypotaktisch.“
***
Wien
Zwei
amerikanische Touristinnen begrüßen den Kellner extrovertiert mit
„We had two huge Wiener Schnitzel!“
***
Mieze,
Markus, Yasmo und ich gönnen uns gegenseitiges Loben und
Schmeicheln, es ist eine einzige liebevolle Slamily-Aufstellung, die
wir uns nach 1000 Jahren kaum bezahlter Szenearbeit wirklich verdient haben. Köhle:
„Ihr Diskursmäuse!“ Und: „Humor ist ein sozialer Dienst.“
Nach der extrem schönen Lesung dieser drei Schätze dann zu viele Biere, wir reden lang recht poetologisch,
beim Hotelsuchen wanke ich aber leicht.
7.6.
Wien – Grundlsee
Der
Frühstücksraum ist voller schlecht gehender alter Tourist*innen.
***
Auf
dem Lagerhausturm von St. Valentin steht in blassem Türkis
„35 Jahre ÖVP sind genug“.
***
Grundlsee
Rührung
angesichts des ersten Blicks, aber es wird wohl noch inniger bei der
Wiederkehr am 29. Juni! Es braucht die Fülle der drei Wochen für
das volle Glück.
Ich
schenke den Wirtsleuten meinen Roman, die Chefin freut sich, „aber
es ist so klein gedruckt, da werd ich bis Ende Juni nicht fertig mit
dem Lesen!“
Glück
und Sekt mit den Schwestern auf dem Balkon
8.6.
Grundlsee
Zu
sechst auf die Zimnitz-Alm, zu zweit herunter. Dani ist die
Leistungsträgerin der Gruppe. Dann allgemeines Mittagsschläfchen,
als wären wir ein Rudel Murmeltiere.
Katharina
Schinko lädt uns zur
„Wirtshaus-Show“, bei der Hosea Ratschiller zum Rudelbudern
einlädt, andernfalls werde er sein neues Programm an uns
ausprobieren.
Beim
Zuhören kommt mir die Idee der Stand-Up-Despoty, bei der sich das
Publikum aussuchen darf, welches Land als nächstes erobert wird.
9.6.
Wir frühstücken neben Susi Stach und Karl Fischer, lassen uns aber nicht anmerken, dass wir Fans sind.
10.6. Wels
Seelisch
verkatert. Ich bin es nicht gewohnt, so schnell wieder abzureisen.
11.6. Wilhering
Weiterhin
stimmungsbehindert, immerhin bei emsiger Bürotätigkeit.
12.6.
Für
die 15-Jahr-Feier der Lesebühne suche ich ein Foto, auf dem ich
selbst 15 bin – fast vergeblich, ich habe wohl versucht, 1993 aus
dem Gedächtnis zu löschen. Es gibt nur das von der Ortler-Besteigung, auf dem der
Vater so alt ist wie ich jetzt (und jünger aussieht).
***
Einen
Text für die „schule für dichtung“ hergerichtet, in dem ich die
beiden Ryans Reynold & Gosling bumse (einvernehmlich) und dann
mit 12 Entenküken niederkomme, die das Evangelium nach Minki
verkünden, dazu Kirschenlieder.
***
„Lauter“
von Roiss: top. Der schwankt noch
weiter und besser als ich zwischen Todernst und Ulk.
13.6.
Es
geht voran bei der To-Do-Liste, weil ich die Frist für eine
Preiseinreichung versäumt habe.
***
Emails
an den LH und den BGM, recht jovial, zarwos bin ich Künstlerin, wenn
ich nicht zumindest vortäusche, ein wenig exzentrisch zu sein? Ich kriege sehr freundliche
Absagen für das OLW-Jubiläum und bin erleichtert.
***
Wenn Schrödinger nicht Quantenphysiker, sondern experimenteller Lyriker geworden wäre
An
der Wilia-Haltestelle Rother Krebs steht einer, der aussieht wie der
Architektenfreund, er ist es aber nicht, denn der echte begegnet mir
erst zwei Minuten später oben in der Hofgasse. Er hat sein
vierjähriges Kind schon ganz im grünversifften Sinne indoktriniert,
es sagt „Autos stinken!“ Ich pflichte pädagogisch wertvoll bei,
denn ich habe heute ja den Bus genommen (zum ersten Mal im Jahr). Dem Vater erzähle ich meine gesamte Lebensgebarung als Kompensation fürs
Autofahren. Die Altstadt ist derweil für irgendein Radkriterium
gesperrt, kolibrifarbene Männer rasen übers Kopfsteinpflaster.
Vor
mir schlängeln sich britische Touristen an den Gittern vorbei, alle
sehr tätowiert, die Herren halten ihre Ellbögen von den Rippen weit
ausgefahren, um zu zeigen, wie trainiert sie sind, sie sind betont
bärbeißig gekleidet. In dem Moment, in dem sie aber Fini sehen,
knien sie sich auf den Boden und zerfließen. Leider verstehe ich nichts, da
sie so einen argen Slang sprechen.
Sehr
kleine Satire: Beim Friseur auf den Hund haaren
Zwar
werde ich vor dem Alex von zwei aggro Tölen ins Knie gezwickt,
drinnen erhole ich mich aber flugs wegen der Frage, ob es mir was
ausmache, ein paar meiner Bücher zu signieren, ich sage, dass ich
nie so abgebrüht werden wolle, dass mich das nerve. Ich lasse Geld für Sachbücher da (Kraken, Wildnis, Kongo),
denn Urlaub = Urlaub von der Belletristik.
Im
Kroko dann abstruse Honorarverhandlungen, zum ersten Mal in meinem Leben werde ich aufgefordert, deutlich mehr zu verlangen! Die Evolution der Honorare
wird mir immer rätselhafter – für Angelegenheiten, die mich
siebenmal mehr Nerven und Zeit kosten, bekomme ich manchmal 250,
manchmal gar nichts, und die Menschen, die mich damit behelligen,
haben nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Martina Mara hingegen möchte, dass ich leicht sexistische Gstanzl gegen die ollen KI-Bros schreibe. Dann erzählt sie mir von lauter selbst erlebten Frechheiten über die Geschichte voller Missverständnisse bei "Frauen und IT/KI", sodass ich richtig entfacht bin.
***
Heimrad-Bäcker-Preisverleihung
im Stifterhaus. Nach wenigen Minuten die Einsicht, ziemlich dumm zu
sein, aber so geht’s mir immer bei etwas experimentellerer
Literatur. Gleichzeitig freue ich mich, dass es so vieles gibt, das klüger und radikaler ist als das, was ich schreibe & verstehe. Ilse Kilic schreibt Schönes, da ist
so viel Zuneigung und Schalk dabei, mit dem fantastischen Ziel, nicht
nur „für sich und ihr Fritzchen das Leben schöner zu machen.“
Ich sage es eigentlich immer, wenn die Rede auf Ilse kommt: Das ist
meine Präsidentin.
Auch Chris Zintzen
nimmt mich sehr für sich ein. Er arbeite aus Provokation so langsam, und wenn er für sieben Seiten
sieben Monate brauche, sei das eben so. Vor 30 Jahren habe er beim
Marianne-Fritz-Lesen gedacht, das müsse er sich merken, und das sei
ein guter Zeitraum, um sich daran zu erinnern. Parasitäre
Tätigkeiten seien alles, was nicht Dichten ist.
Zuhause
schneide ich gegen Mitternacht Nacktschnecken entzwei, eine der
allerparasitärsten Tätigkeiten.
14.
Juni
Umkehrung
des Prokrastinationsvektors: Weil so viel im Garten zu tun ist, sitze
ich brav tippend im Büro.
***
Zwei
Postbusse blockieren die Straße bei Pasching, die Fahrer teilen
irgendeine Delikatesse durch die offenen Fenster, niemand hupt, weil
die Geste so schön ist.
***
Unterach,
Eurocamp: Festival des politischen Liedes
Ein
wenig wie das Gefühl bei der Pfarrreise, nur mit Che-Guevara-Leiberl
– ich bin froh, hier zu sein, fürchte aber ein wenig, wegen zu schwachen Glaubens aufzufliegen. Ein Betrunkener erkennt mich als
Bundespräsidentin. „He, wieso bistn bei da EU-Woi ned autretn?!“
„1. warum EU? Ich bin die Bundespräsidentin. 2. lasse ich mich
doch nicht wählen, zarwos bin ich Bundespräsidentin!?“ Er denkt
nach. „Jo, in da Diktatur kriagt ma eh vü
weida.“
Kurz
nach Mitternacht werfen die Herren Monet und Buttinger die Nerven weg und machen eine Bandprobe. Niemand beschwert sich, da es draußen viel lauter ist. Eine Stunde später liegen wir betrunken im Bett, nur René spielt noch Gitarre, ich heule mit ersterbender Stimme "no alarms und no surprises" im nie endenden Fade-Out.
15.6.
Der
Frack ist das stärkende Exo-Skelett meiner Seele.
Bei
den Anmoderationen dichte ich den sehr schön musizierenden Herren der Blutgruppe" laufend neue Mittelnamen an:
Klaus Maria Josef Jesus Buttinger, René Ignatius Irenäus Monet. Es muss eine
kleine katholische Reaktanz sein. Die
lieben Menschen kriegen ganz nasse Augerl wegen unserer Tombola, sie freuen
sich über die kleine Miliz-Ausstattung und Tischgespräche mit
Castro. Danach
ein wenig Daydrinking im Cateringzelt. Wir treten die Heimfahrt unter innerlichem Protest an.
16.6.
Nun
bewege ich mich schon ganz vorsichtig durch den Alltag und frage mich etwa, ob ich vor
dem Urlaub noch in die Boulderbar gehen soll, damit ich mir ja nicht
mit einer Sportverletzung meine großen drei Wochen verderbe.
Gleichzeitig ungläubiges und wachsendes Glück, dass wir es fast
schon geschafft haben.
***
Henscheid,
„Die Vollidioten“ (eine liebe Gabe von Markus Lehner). Was für
ein eloquenter Unsinn! Ein herrliches Zeitdokument, das mich sehr
entspannt, weil darin nur getrunken, geraucht, prokrastiniert und
gequatscht wird. Sex existiert nur in jämmerlicher Planform. Ein
guter Kontrast zum Roiss, wo ein junger Mann sich alles gönnt und
trotzdem kriselt.
17.6.
Das
Stemmen gestemmt und dabei eine verborgene Begabung freigelegt. Diese
Arme und Hände sind für grobe, dumme Arbeiten geschaffen, es ist
schade, dass ich nur ein paar Fingerspitzen davon zum
Tippseln nutze. Ich arbeite bis zur physischen Erschöpfung, die
Ahnen wären stolz, dass ich heute meiner echten Arbeit nicht nachgegangen bin.
***
Im
Traum knöpft mir Alex Potyka die Unterzeichnung eines Vertrags ab, der
das Verfassen eines Regionalkrimis vorsieht, dazu folgende Kriterien:
Leichen:
1
Stil:
Heiter
Mordart:
Nicht zu arg
Im
Traum mache ich nach außen hin gute Miene zum blöden Spiel, weiß
aber, dass das ein Fiasko wird.
18.6.
Auch
beim Wandern kriege ich jedes Mal weniger hin, als ich mir
vorgenommen habe, es ist aber auch teuflisch schwül. Fini „übersieht“
deswegen zwei Gämsen. Immer, wenn ich mich plage, überkommt
mich die Furcht, dass es das jetzt gewesen sei mit den langen Touren
– heute war ich ja der irren Annahme, dass ich noch weit in
Richtung Gamsplan komme. Es ist wie mit den Sommertagen im
August. Dabei weiß ich doch, dass das Schönste noch kommt.
Vor
einigen Tagen sah ich auf Facebook das Bild eines Schmetterlings, der
aus der verfallenden Mayralmhütte befreit werden musste. Er burrt
auch heute wieder gegen die zerbrochene Fensterscheibe, wehrt sich
aber mit allen Kräften eines Flügeltiers gegen seine Freiheit. Eine
sehr aufdringliche Metapher für verweigerte Aufklärung.
Zuhause
merke ich erst, dass die Deppin, mit der ich in einer Körper-WG
lebe, den Stecker der Tiefkühltruhe gezogen hat, darin ist alles
einigermaßen aufgetaut. Trotzdem brate ich mir die im Dezember
eingefrorenen Bratwürstchen, denn sonst sind Tiere endgültig
umsonst gestorben. Ich teile mit der begeisterten Fini, um das Risiko
zu streuen, dann höre ich den restlichen Abend besorgt in die
Körper-WG hinein, ob nicht doch noch eine Fleischvergiftung
eintritt.
19.6.
Rainald
Götz vertreibe seine Leser*innen immer wieder „aus dem Paradies
des Verstehens“, schreibt Peter Kümmel in der ZEIT, eine schöne
Paraphrase für „Ihr seid zu dumm, um mein Zeug zu checken“.
20.6.
Irgendwelche
Wurzeln haben mein Drainagerohr gesprengt und verstopft – eine
aufdringliche Metapher dafür, dass ich in OÖ wohl schon zu sehr
angewurzelt bin. Das Stemmen hätte ich mir sparen können, wie es
aussieht. Danke für nichts, Rohrmax. Wenigstens hält das
heimwerkende Empowerment noch ein wenig an.
***
Ein
sehr schönes Luxusproblem aktuell: Die Vogerl machen einen
mords Radau.
Es
ist der längste Tag des Jahres und ich kriege fast folgerichtig
alles geregelt. Nicht nur ich – von früh bis spät liegt das
Dröhnen der Ernte- und Mähgeräte in der Luft, es ist seit je her der
Soundtrack meines Sinkflugs in die Sommerferien. Wenn ich vor lauter
Schlusspanik vor der Sommerfrische wirklich alles Wichtige schaffe,
welches sinnlose Projekt reiße ich noch an, um mich in die
augenscheinlich notwendige Erschöpfung zu bringen?
Apropos
Sommersoundtrack: das ferne Donnern des Gewitters, das gerade das
Traunviertel einweicht.
21.6.
Die
kürzeste Nacht der Welt endet frühzeitig, weil die Vogerl es jetzt
wirklich übertreiben. Fini ist ganz unruhig und will raus, aber das
ist ja doof, dort sind die kleinen Dinosaurier noch lauter.
***
Der
Kampf gegen den Efeu ist ausgefochten (für heute), die Liste der
noch zu bändigenden Flora ist lang, aber vielleicht zu schaffen.
[Nachtrag Jänner 2025: NIE]
***
K.
erzählt ganz nebenbei, dass ihr
standeswidriges Verhalten verboten sei, etwa hätte sie keine
Porno-DVDs ausleihen dürfen. Eine Kollegin habe Probleme bekommen,
weil sie – unverheiratet, aber fix zaum – am Bahnsteig ihren
Haberer geküsst hatte. Was sind das für Leute, die sowas
verschergen?!
***
O.HeimArt:
So möchte ich arbeiten. Im Laufe dieser zwei Tage werde ich mir zwei
Kilo am famosen Büffet angefressen haben und immer einen lieben
Rausch heimradeln.
Die
Technik fällt kurz aus. „Dominika, kannst du IRGENDWAS sagen?“ „Ich
kann NUR irgendwas sagen!“
22.6.
Ich
gebe den Kampf für eine Blumenwiese auf. Noch nie habe ich so viel
für etwas gearbeitet, das mir Arbeit sparen sollte.
Große
Freude mit der „Merlin“-App. Am Nachmittag identifiziert sie den
in der Edelkastanie brüllenden Vogel als Nachtigall. Auf der Fähre
höre ich einen „ordinary chiffchaff“. (Hasi wird mir später
raten, mir die Nachtigall abzuschminken, so ein Glück gönnt er mir
nicht, ich solle mit einer Singdrossel zufrieden sein).
Am
anderen Ufer erleide ich wieder die alte Eifersucht auf Ottensheim,
bis mich die Einsicht erleuchtet wie ein kluger Blitz, dass mich ja
nichts außer mir selbst daran hindert, mich als Teil des schönen
Geschehens hier am Nordufer zu fühlen. Und heute werde ich sogar
dafür bezahlt.
Sehr
späte Heimkehr, sehr unruhige Nacht im Baumhaus – es knarzt im
Wind, auf dem Dach springen Krähen herum, etwas klopft an die
Scheibe, wahrscheinlich im Irrglauben, ich sei eine besonders fette
Made hier in der Tuchent.
23.6.
Buttinger
sitzt im orangen Morgenmantel auf der Terrasse, um mein Herabtaumeln
über die selbstgegrabenen Erdstufen nicht zu verpassen.
Psychische
und physische Ermattung ermöglichen eine gute Sonntagsruhe.
Mit
Zustimmung lese ich vom „Pebbling“, der love language der
Pinguine – sie schenken einander kleine Kiesel. Das ist exakt das
Äquivalent zum Verschicken von Corgi-Videos unter uns
Meindl-Sisters.
25.6.
Kreuz, Welser Hütte
Beim
Aufstieg streicheln zwei Frauen den Hund. „Iss a Mandal?“ „Naa,
owa si fiat si so auf.“ „Recht hod's, daun hod's wenigstns a
Lebn.“
Die
Gämsen hier sind auf Krawall
gebürstet. Fini drängt sich schutzsuchend an mich.
Beim Jausnen muss ich mich schließlich wirklich erheben und die
beiden sich bedrohlich heranstaksenden Leittiere laut rufend und
Steine werfend (natürlich nicht gezielt) zu vertreiben.
Die
Wirtin auf der Welser Hütte bestätigt mein Unbehagen. Angeblich
sind in diesem Gebiet schon zwei Hunde abgängig – es ist sehr
wahrscheinlich, dass sie absichtlich über die gewaltige Nordwand in
den Tod gelockt worden sind. Die Chefgams sei auch schon auf den
Gatten losgegangen, als der nahe der Hütte an der Wasserleitung
arbeitete. Der Stoß ging knapp daneben, dabei verlor sie ein
Krickerl. „Des kaun sa si bei mia wieda ohoin, waun sa si traut!“
Sie
holt mich beim Abstieg später ein, sie nimmt mich mit dem Auto mit
zur Almtaler Hütte. Ich frage sie, ob ich blöd sei oder ob der Bach
da tatsächlich in der Früh noch nicht da gewesen sei. Das sei
„Stundenwasser“, das komme oft an solchen Nachmittagen vor, sagt
sie, die Ursache sei noch nicht ganz geklärt. Irgendwo am Büchsenkar
gebe es einen Stein, der das Schmelzwasser staut und ab einer
gewissen Menge freigibt.
***
Die
Namen der italienischen Nationalmannschaft machen Appetit auf Pizza.
Die österreichischen auf einen Besuch im Baumarkt (Schlager, Prass,
Laimer, Querfeld, Grillitsch).
26.6.
Welser Stadt-Schreib-Jury-Sitzung. Irene
Diwiak erzählt, sie sei vom Thuswaldner einmal mit „als Unterhaltung geeignet“
verrissen worden. Auch meins hat ihm mittel gefallen, es sei zugunsten des
Witzes „sprachlich zuweilen überkandidelt“. Mit der
Unzufriedenheit der alten Bildungsbürger können wir leben.
Sobald
das Kulturbusiness erledigt ist, erzählt Hasi, dass sich Bartgeier
mit rotem Sandschlamm schmücken, sie färben sich damit aus keinem
notwendigen bzw. anderem erkennbaren Grund die Brustfedern. Unter den
Geiern im Nationalpark herrsche eine perfekte Aufteilung, die einen
brechen das Aas auf und essen alles Weiche, die anderen hacken Sehnen
und Knochen frei, die Bartgeier lassen die großen Knochen auf Felsen
brechen und können große Stücke davon einfach schlucken, weil ihre
Magensäure so scharf ist, dass die sich zersetzen. Der perfekte
Mord! Vielleicht schreib ich darüber meinen Alptraum-Regionalkrimi.
***
Abends
dann die nächste Nachtigall, die keine ist – Margit Mössmer liest
ja in Wels, und das ist sehr gut so. Dazu der Roiss, der ein Plädoyer für die gute Sprache
hält, wenn das gegeben sei, läse er auch auch 500 Seiten über
einen Stein. Er selbst würde am liebsten einen Roman über nichts
anderes schreiben als „über ein Mädchen, das stundenlang ein
Pferd bürstet.“ #literarisches asmr (Ich könnte stundenlang über
„Stundenwasser“ nachdenken.)
27.6.
Eine
Casting-Agentur meldet sich per SMS, ob ich am 1.7. Statistin bei
SOKO Linz sein wolle (45 € Gage), und ob ich noch kurze, graue
Haare habe.
***
Grafito
auf der Donauländen-Schiffsschraube: „I'm a lonley and ugly
potato“
***
Der
Blick des LH, als ich im Frack bei 34° im Stifterhaus hinter ihm
Platz nehme. Ich teile ihm mimisch mit, dass man eben
nicht mit vollgekackten Jeans bei Regina Pintars großer
Abschiedsfeier auftanze. Dann sitze ich reglos zwei Stunden in der
textilen Sauna und versuche, mich ins Innere meines Körpers
zurückzuziehen, dabei an Jännerfrost denkend. In meine Schuhe rinnt
Stundenwasser.
Dreimal
wird unabhängig voneinander Stifters sanftes Gesetz zitiert, meines
Erachtens eine unsubtile Anspielung auf Reginas
Körpergröße: „Ein jeder Mensch sei dem anderen ein Kleinod“. Wir
freuen uns alle über ihre Freude, gleich bei Petra Dallingers Einleitung
gibt es nasse Augen. Es
wird ein großer und sehr langer Abend. Niemand mag gehen, alle
warten, ob nicht doch noch die siebte Platte mit Lachsbrötchen
herbeigezaubert wird, und ob die Temperaturen in dieser Tropennacht nicht
doch noch ein wenig sinken wollen.
28.6.
Gerade
den okaysten Text der Welt geschrieben. Große Rastlosigkeit
angesichts der morgen anbrechenden drei Wochen. Ein zäher Endfight
gegen die Emails (eins beantwortet, zwei neue).
Aus
der Stadtwerkstatt wummern grobe Bässe am helllichten Tag,
vielleicht die seltsamste Radioumgebung meiner „Karriere“, aber
der Roiss ist auch schon wieder dabei und Daniela Schopf stellt
schöne Fragen.
So!
Letzte Lesebühne! Zehn herrliche Mußeminuten lang liege ich mit dem Hund nach
dem ganzen Aufbau-Trallawatsch im Eck des DH5-Hofes. Alles nimmt kurz
ohne mich meinen Lauf (eh immer, in Wahrheit), dazu zischen Schwalben
über den kleinen Abendhimmelsausschnitt. Der emsige Stadler und die
Seinen schauen immer wieder wohlwollend zu mir herüber, die Blutgruppe singt schön, Yasmo&Mieze plaudern leise. Dann stehe ich mit
letzter Kraft wieder auf.
Fotos: Dieter Decker <3
Mieze
und Yasmo tragen dann das Geschehen, ich muss nur noch ganz wenig selbst
machen. Sie alleine belohnen uns schon für 15 Jahre Mühe. „In der
Zeit habe ich drei Lesebühnen gegründet und beendet. Du zwei,
Yasmo?“ „Nein, auch drei.“
Bei
meinen Texten lacht das Volk hauptsächlich, wenn ich spontan Worte
wie „udaungs“ und „wiaflat“ einbaue, diesen billigen Trick
muss ich mir merken. Die guten Menschen geben uns dann IPA-Pakete und
liebe Worte mit in den Urlaub. Ein neuer Gast sagt begeistert, er
könne das bei der Tombola gewonnene Ordnungssystem wirklich gut
gebrauchen. Was für Schatzis wir uns hier
herangelockt haben!
29.9.
Es
ist noch einmal ein harter Fight in Schönering, aber um 13:30 ist
das Boot voll (bzw. auf den Dachträger geschraubt) und der
Küchenboden gewischt (ja, dieser Mensch bin ich geworden). In Wels
stopfen wir noch einmal so viel Materie in das tapfer ächzende Auto.
Gemeinsames
Aufschluchzen beim ersten Blick auf den
GRUNDLSEE.
Innerliches
Aufschluchzen, als uns die Chefin schon zur Begrüßung die
Fischpfanne und ein Reibeisen entgegenstreckt. Das
erste Bier im Rostigen Anker verdampft, bevor es unsere Lippen
berührt. Wir müssen sehr an uns halten, das Servierpersonal nicht
mit unserem Glück zu überfordern.
30.6.
Es kann
nichts mehr schiefgehen. In glücklicher Erschöpfung sind wir auf dem Balkon versackt. Die Spatzen budern auf den Dachbalken. Der Spatzenhahn schlängelt
sich plusternd durch den Taubenabwehrslalom, tritt dann hektisch die
geduldig das Spiel ertragende Spatzenhenne und fliegt wieder zurück
zum Start. Nach fünf Wiederholungen ist der Akt vollbracht, die
Spätzin schüttelt sich und putzt ihre Schwinge.