Mittwoch, Februar 19, 2025

Dad Jokes vom Horrorclown. Neue Dekrete

Ein Text für die Februar-Lesebühne:

Der Fasching bietet Gelegenheit zur Triebabfuhr: Endlich das schwere Joch der Vernunft abwerfen und richtig zum Tier werden! Das System sprengen und sich selbst im Suff das Augenlicht nehmen! Teilzeitnihilismus!

Bin ich die einzige, die derzeit das unangenehm satirische Gefühl hat, dass wir die Eltern sind und die Politiker die ungezogenen Kinder? Die Herrschenden rebellieren gegen uns. Derzeit ist es verflucht schwer, Satiren zu schreiben. Wie soll man die Realität noch überhöhen? Oder besser: unterbieten? Ich meine: Trumps Dekretflut am ersten Tag, in einem Habitus, der zweifeln ließ, ob er überhaupt gut genug schreiben könne, um seine eigene Unterschrift zu schaffen, geschweige denn lesen zu können, was für einen Schmarrn er da unterschreibt. Die Tage seit Trumps Inauguration wirken so, als habe das US-amerikanische Franchise der Original Lindsey Vorte die Scripted Reality in die Weltpolitik geschmuggelt.

Aktuell kämpft Trump für die Wiedereinführung des Plastikstrohhalms. DAS sind weltbewegende Anliegen des leider mächtigsten Mannes der Welt! Putin und Selenski sollen sich die Hand geben und „tschulligung“ nuscheln. Den Gazastreifen will Trump in eine neue Riviera verwandeln, sind ja lauter Top-Strandlagen dort. Was noch? Ein Disneyland Ost in Tschernobyl? Grönland annektieren, mit Heizpilzen erwärmen und mit Maisplantagen überziehen? Wenn er den Panamakanal hat, dann den Donaukanal, den Youtube-Kanal der OLW?!

Meine Analyse: Die Autokraten werden wieder bunter, grauer Büromausstyle à la Scholz-Merkel-Stocker ist out. Regimemäßig geht der Trend zu Fashio-FAschismus, also vintage. Es wird wieder Michael-Jacksonischer, Gaddaffi Duckiger. Als Petra Filzmayer der Despotie weiß ich, warum der Volkskanzlerkelch an uns vorüber gegangen ist: Kickl kickt nicht, er ist keiner, der herbärt, er hat keine main character energy, zu grau, zu viel Nagetier-Vibe, keinen Sex, keine Aura, kein Sigma-Typ. Toxisch, aber nicht männlich. Man setzt mit ihm auf ein zu kleines Pferd.

Zurück zu Trumps Dekreten – ich habe ihm folgende Anliegen mit Schwerpunkt Linz-Land bzw. „Dominika Meindl“ untergejubelt, der Depp hat's blanko unterschrieben!

  • Meine Postings sind fürderhin jubelpersisch zu kommentieren, also „lieb gesagt!“, und nicht „Dachte du bist Feministin, warum lässt du dich vom Hallstätter Bürgermeister würgen“ oder „Du hast sehr tiefe nasolabiale Falten!“

  • Österreich steigt sofort aus der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer aus, sucht euch einen neuen Staat, ihr Standortfetischisten

  • Frau Schmitzberger, ist es ab sofort untersagt, mir immer so neugierig in den Garten zu spernzeln

  • Konjunkturmaßnahme Bauwirtschaft: Errichtung eines Entlastungshallstatts beim Autobahnknotenpunkt Haid

  • Sofortige Einführung einer Qualitätsmedienförderung, sofern diese den Namen „Elon Musk“ nicht erwähnen

  • Ab sofort ist es bei Todesstrafe verboten, dass nahe Angehörige sterben – analog dazu sind sämtliche Biolog*innen dazu angehalten, daran zu forschen, die Lebenserwartung von Hunden zu verfünffachen

  • Kriese darf ab jetzt mit langem i geschrieben werden, und orthographisch ebenfalls dem eigenen Ermessen übergeben werden: Terrasse, Komitee und Karussel. Das ist die Rechtsschreibung, die das Land braucht.

  • Extreme Zölle auf unnötige Importe wie Dubai-Schokolade, K-Pop, Kim-Kardashian-News, Fracking-Öl, demokratiefeindliche Arschpopulisten, Gulaschdiktatoren, Genua-Tiefs, After Eight, Tesla-Trucks, Vogelgrippe

    Es ist ab jetzt generell verboten, oasch zu sein. 

Montag, Februar 03, 2025

Du steckst nicht im Overtourism, du BIST der Overtourism. Bittersüßes Südtirol

Man hatte mich nach Bozen eingeladen, um über Overtourism zu sprechen, und ich wusste, dass ich den Leuten hier nichts Neues erzählen würde, wenn ich von Hallstatt spreche. 

Bei der Anreise überraschte mich meine Aufregung angesichts der Landschaft, die sich ab dem Brenner verstärkte, obwohl man hier wohl auf der Autobahn zwischen Sterzing und Brixen durch den hässlichsten Teil Südtirols muss. Ich erzählte lauter alte Schnurren von den alljährlichen Urlauben im Villnösstal, von den Bergtouren auf das Zuckerhütl und den Sas Rigais. Wir beschlossen, bei der Heimfahrt den reality clash in St. Maddalena zu riskieren, dabei wusste ich, dass man nicht mehr einfach über die Wiese hinüber zur Ranui-Kapelle gehen durfte, weil der Ort zum instagrammable spot auf der bucket list der everywhereists geworden war. 

In Bozen ging ich ins Ötzi-Museum, natürlich, das stand ja auch auf meiner bucket list, denn nur weil ich zu einer Lesung eingeladen war, änderte das nichts an meinem Status als Touristin. Zu meiner Überraschung war fast nichts los, eine Mutter mit Kind schaute durch das kleine Fenster, das Kind meinte, der tote Mann glänze wie Speck. Ich war dann auch überrascht, dass mich der einsame Tote rührte, aber ich war auf eine gute Art dünnhäutig hier. Und die Ähnlichkeit des rekonstruierten Ötzis hört nicht auf, mich wegen seiner Ähnlichkeit zum Vater zu erstaunen.

Später erzählten mir die Veranstalterinnen, dass es absolut ungewöhnlich sei, einfach so ins Museum spazieren zu können, es gebe nur noch zwei, drei tote Wochen in Bozen, an allen anderen sei die Stadt voller Deutscher, Russen und Amerikaner; die Schlangen am Eingang und vor der Mumie elendslang. 

Die Lesung im Literaturhaus war denn eine reine Freude, ich war wieder einmal erleichtert, mir den Roman doch herausgeschunden zu haben, denn es gibt bestimmt kein anderes Umfeld, in dem so liebenswürdige Menschen arbeiten. Mein Hochstapel-Gefühl wird sich wohl noch lange nicht legen, aber das ist keine schlimme Qual und eine andere Geschichte. 

Am nächsten Tag fuhren wir durch das Villnößtal, ich war froh, nicht am Lenkrad zu sitzen, so sehr musste ich schauen. Die Eltern waren schon als ganz junge, mittellose Leute in den 1960ern hergekommen, von Beginn an immer an denselben Ort, und jedes Jahr endeten die Tage "am Ranui" mit der Vorfreude auf die Wiederkehr. Ich selbst war zuletzt vor zehn Jahren hier gewesen, eine letzte Reise mit dem Vater, der lange mit den Altbauern sprach; alle freuten sich. Meine jüngere Schwester war dann vor einem Jahr hier gewesen, von ihr wusste ich vom Drehkreuz und der zu erwartenden Entzauberung. Es war ein schöner Sonntag, der Andrang nicht stark, aber die Entfremdung deutlich. Das ist nichts Ungewöhnliches, keinem Ort glücklicher Kindheitstage bleibt sein Zauber.

Natürlich machten wir Fotos, natürlich achteten wir darauf, keine anderen Touristen draufzuhaben. Die freundliche Köchin hatte uns empfangen, es sei niemand da von den Betreibern des Hotels. Ich war erleichtert zu hören, dass die Altbauern noch lebten. Wir hinterließen Grüße und fuhren nach Hause in den ekelhaften Hochnebel. Wir waren keine Stunde hier gewesen.

Zuhause postete ich einige Fotos, und schrieb "völlig unterschätzt, wie sehr mir Südtirol gefehlt hat", was ja stimmte. Der gute Jörg Zemmler kommentierte recht sarkastisch, ich fühlte mich missverstanden, aber dann sah ich erst das Video, das er von seinem Fenster aus gemacht hatte: SUVs rollen Stoßstange an Stoßstange in Richtung Seiser Alm, jedes nicht-touristische Leben lähmend. Er hatte völlig recht.

Hallstatt ist klein, man entkommt dem Overtourism schnell wieder (wenn man nicht dort lebt). Wohin man sich in Südtirol zurückziehen soll, erscheint rätselhaft. Als Autorin möchte ich sehr, sehr gerne wiederkommen, als Touristin sollte ich es von jetzt an gut sein lassen.

Mittwoch, Januar 15, 2025

Death Cleaning. Wenn man nicht einmal im eigenen Haus noch Herrin ist (nur noch ein Gespenst)

Unbegrenzt ist meine Vorstellungskraft nur, wenn es um neue Sorgen geht. Derzeit male ich mir lebhaft aus, was passierte, würde ich als Geist in meinem eigenen Haus übrig bleiben. Im Grunde kaum anders als jetzt, nur dass ich der Meinung bin, dass meine Schwestern noch leben und ich auch - aber was weiß man schon Genaueres? Vielleicht stelle ich mich ja lebend wie ein umgekehrtes Opossum. Und schließlich gibt es das Cotard-Syndrom; wer davon befallen ist, leidet unter der quälenden Überzeugung, tot zu sein, aber niemand nimmt einen ernst. Gibt es Geister, gibt es auch die Möglichkeit, dass sie ein umgekehrtes Cotard-Syndrom entwickeln. Sie halten sich für lebendig, sind es auch irgendwie, aber ohne Materie. 

Das führt freilich auf dünnes Eis, aber 1. bleibt die Todesgrenze ein Mysterium und 2. schauen Leute ja auch gerne Filme wie "Kindsköpfe" zwei, sie sind immer noch auf X und mögen After Eight, man kann uns Menschen also mit dem blödesten Unfug behelligen. 

Ich stelle mir also vor, dass meine Familie in Gespensterform wiedervereint durch das Haus strolcht. Die Eltern haben mir vergeben, dass ich ihre Reisebildbände entsorgt habe, wir Schwestern zanken um das beste Zimmer, aber nur aus Respekt vor den Traditionen, wir können ja durch Wände gehen. Privatsphäre muss ganz neu verhandelt werden. 

Die Nachbarn vermissen uns, weil wir nette Leute waren, sie schneiden alle Hecken ab, die auf die Straße hereinwachsen und glauben manchmal, dass sie die Eltern lesend im Wintergarten sehen, aber das ist wohl nur eine Einbildung. Zu Silvester, behauptet einer, sei ein blecherner Farbkübel hoch in die Luft geflogen, mit lautem Knall, er schwört, niemand habe einen Schweizer Kracher drunter gelegt! Niemand von den Lebenden, es war der freundliche Knall-Spuk des Vaters. 

Aber da! Eines Tages stehen neue Leute mit dreckigen Schuhen im Haus, sie sagen "Ui, so viel dunkles Holz!" "Der Zeitstempel ist deutlich zu sehen!" Aber auch "die Bausubstanz ist gut". Die Maklerin sagt, es habe eine recht ordentliche Familie hier gelebt, etliche geisteswissenschaftlich gebildet, aber viel zu früh verstorben. 

Und so weiter. Soll ich darüber einen Familienroman schreiben, in dem wir hilflos versuchen, die Neuen zu vertreiben? Das ließe sich entweder zuspitzen, es kommt zum Endkampf gegen wohlstandsverwahrloste Windkraftkritiker und Volkskanzlerfans. Oder sie sind nett, sie spüren das Unheimliche im Haus, dann rufen sie eine Schamanin, die will aber nur ihr Geld, wir Geister kippen ihr mit vereinten Kräften Katzenpisse ins Genick und so weiter und so weiter. 

Unernst gemeinte Zuschriften bitte an den Verlag!

Donnerstag, Dezember 19, 2024

Aus Kinshasa in 100 Klicks

Es ist mit diesem Blog wie mit dem Verkehrssystem der Demokratischen Republik Kongo, wo der Bus erst abfährt, wenn er voll ist. Sobald das letzte Posting 100 Views hat, kommt das nächste. Ihr habt es in der Hand! 

Die realen Produktionsverhältnisse sehen derweil so aus, dass ich etwa gestern einen Text vom 15.11.2024 gelesen habe, der mir in Grundzügen bekannt vorkam, da ich ihn ja selbst vor vier Wochen geschrieben hatte. Entweder bin ich also ein bissi blöd oder schon sehr müde. (Das Geschriebene war nicht extrem schlecht, das gebe ich mir lobend mit wie eine Lehrerin ihrem doofen Schulkind, das sich im Rahmen seiner Möglichkeit sehr bemüht hat in diesem Herbstsemester). 

Vielleicht mag ja jemand diese kleine Ächz-Mitteilung hundertmal anklicksen, dann überlege ich mir was Schöneres (zweiköpfige Ziegen im Wintersturm, ein Familienepos in den Wirren der Neolithischen Revolution, ein Berliner Befindlichkeitsdrama loster Endzwanziger, eine zeitgemäße Adaption des "Bergkristall" mit besonderer Berücksichtigung des Toten Gebirges oÄ).

Mittwoch, November 06, 2024

Vergrabt euer Anliegen an der Biegung des Flusses

Völlig verrückt, historisch gesehen, wie gern die Menschen in den 1980ern noch telefoniert haben, mit sieben Meter langen Kabeln durch drei Meter lange Kinderzimmer, völlig irre!

Bitte ruft mich nicht an! Schreibt mir lieber ein SMS, wenn's dringend ist, aber lieber wäre mir, wenn ihr es nicht so weit kommen lasst, dass es dringend ist, dann reicht ein Email, aber ich komme grad nicht zum Antworten. Whatsapp bitte nicht unbedingt, das ist mir zu privat – und SMS bitte nicht mehr ab 18:30. Signal geht immer, aber das hab' ich auf lautlos. Ruft mich nicht an, ich melde mich. Per Telepathie, lest meine Antwort am Flug der Saatkrähen ab, die Borkenkäfer nagen mein Feedback unter die Rinde der Fichte, die in der letzten Serpentine vor der Hintersteineralm liegt. 

Mit freundlichen Grüßen

die Generation X

Freitag, September 27, 2024

Ein paar eitle und ein paar innige Sätze zu Bodo Hell

Seit 9. August wird es kaum eine Begegnung unter Literaturnahen gegeben haben, in der nicht sorgenvoll das Gespräch auf Bodo Hell gekommen ist. Wir alle vermissen ihn und bitten insgeheim den Dachstein, ihn uns wieder zurückzugeben. 

Es ist schon so viel über ihn gesagt worden (besonders schön etwa vom Kollegen Stöger im Blog der GAV OÖ). Wir wollen alle noch so viel über ihn sagen. Ich würde mich unendlich freuen, wenn ich dieses Posting löschen kann, weil er auf irgend eine (mittlerweile verrückt unwahrscheinliche) Weise lebendig und gesund seinen Weg zu uns zurückfindet. 

Zum ersten Mal hatte ich ihn in Innsbruck getroffen, bei den Wochenendgesprächen, wir kamen sehr bald auf die gemeinsame Freude über leicht bescheuerte Worte wie "hubschrauberbringbare Jagdhütte". Darum war ich nicht übermäßig besorgt, als er jahrs darauf recht kurzfristig unser Lesebühnengast beim Festival der Regionen war. Bodo bringt immer Geschenke mit, dieses Mal sündteures Sauerteigbrot "aus der Stadt, weil ihr am Land ja keins habt", sagte er mit diesem fantastischen Hell-Kichern. 

Er lachte auch sehr über unsere unseriösen Gebarungen, als René und ich etwa vorgaben, den Buttinger zu schlachten und zu essen - ein kleiner Hund aus dem Publikum sprang ihm in ehrlicher Erregung helfend bei. Bodo verlas eine botanische Phänomenologie der Capsicum-Gattung. 

Im Mai dieses Jahres kam er zu uns nach Wels, dieses Mal hatte er Meisterwurz-Schnaps mitgebracht, und für alle die dritte Auflage von "Begabte Bäume". Julia Jost und er wanden mir irgendwann das Heft der Moderation aus der Hand, ich ließ es glücklich geschehen, sie unterhielten sich über Fleckvieh und Kärntner Gebirgsauffaltungen.
 

Weil das alles hier unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, veröffentliche ich das wertvollste Stück meines künftigen Vorlasses, nur deswegen wird mir das Stifterhaus in 30 Jahren ein paar Hunderter für meine Postkartensammlung zahlen: 



Als Gipfelpunkt der Koketterie zitiere ich mich am Ende auch noch selbst, denn etwas anderes kann ich im Grunde nicht sagen: "Jetzt ist aber Schluss mit dem Tod!"

Sonntag, September 01, 2024

Sommerschlusspanik, Wiedereingliederungsstörungen und abgezählte Babykatzen

Lebenskrimskrams im August 2024
 

1.8.

Eine Nacht im Garten, als führte ich ein instagrammatisches Leben. Als sei ich mein eigener Kolonialherr auf Safari durch den Bezirk Linz-Land. Der Hund und ich legen uns mit Sonnenuntergang hin und schlafen wie bei einer Fahrt mit einem Regionalbummelzug, mit vielen Unterbrechungen. Ein Igel hat uns mit seinem Geraschle lange wach gehalten (am Abend wird der Faule fleißig), irgendwann geht ein absurd leichter Regen nieder, wie Tau, oder wie das Zitat eines Regens. Um halb neun reiße ich mich los von diesem Erlebnis, Fini legt sich quer in meine Inszenierung hinein, als wolle sie das Maximum herausholen.

***

Es ereilt mich die absurdeste Strafe meines Lebens: Ich, „hierzu berufener Organwalter“ der Original Linzer Worte habe die Vertreter des Vereins nicht innerhalb der Frist bekannt gegeben. Das Lustigste ist die angebotene Ersatzfreiheitsstrafe bei Uneinbringlichkeit der vorgeschriebenen 40 €: 2 Tage 13 Stunden 0 Minuten. Die Behörden schätzen den Stundenlohn in der Kunst sehr pessimistisch ein. Und sie gendern nicht, obwohl ALLES in Paragraphen gegossen wird.

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Es ereilt mich das absurdeste Leseerlebnis meines Lebens: Hunderte Menschen im Museumsquartier hören mir zu, es ist aber ganz leise, als säße ich vor meinen üblichen 23 Zuhörerinnen. Nein, noch leiser, denn wenn ein Mann mit zwei Bier in der Birne dabei ist, ist es aus mit der Ruhe. Bald schreibe ich wirklich einen hospitality rider, „Es ist ein Hund vorrätig zu halten“, heute heißt er Lotta. 

5.8. GRUNDLSEE

Peter Waldeck schnürt durch Hamburger Buchhandlungen und schaut, ob sie „Selbe Stadt, anderer Planet“ haben. Zweimal ja! Bester. 

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Wieder auf die Gimpelinsel. Zum ersten Mal schaue ich mir Bad Aussee wirklich an. Die Glocke der Pfarrkirche heißt „Kunigunde“.

6.8.

Ohne Kaffee ins Gebirg. Kann man machen, muss man aber nicht. Vielleicht Steinadlerküken gehört, wahrscheinlich aber nicht. Fini und ich sind von den Kühen auf der Gössler Alm nicht totgetrampelt worden, nicht einmal annähernd.

Im Widderkar wieder die größte Schönheit, ich habe jetzt (7.8.) schon wieder Sehnsucht danach, aber ich sehne mich ja nach dem Widderkar, sobald ich es betrete. Im Finsterkar hingegen hat man nicht mehr viel verloren. Das kommt auf die Liste der Wanderungen, wenn ich wirklich schon überall anders war. (Oder, auch wahrscheinlich: Ich habe nicht gut genug nach dem Weg geschaut). 

Es folgt ein großer Mittagsschlaf auf den Dielen vor der Jagdhütte nördlich des Kesselkars, dann beschreite ich die wenigen fehlenden Meter aus dem Widerkar heraus und über den Rücken hinunter zum Dreibrüdersee. Der Abstieg ist heute mühsam, vielleicht vom nicht gelungenen Weg ins Finsterkar bedingt, vielleicht schon ein wenig zu sehr von der Sehnsucht nach dem Baden getrieben. Und dann, endlich. Es fühlt sich unwirklich an, von der Gössler Alm den Grundlsee zu sehen und jemandem dort unten telefonisch zu sagen, man sei in einer Stunde unten. Nach dieser zähen Zeit verschwindet der Körper zuerst im See, dann in ihm zwei Bier und eine komplette Portion Kasnockn.

7.8.

Der Frühstücksraum ist voller postmenopausaler Wienerinnen mit affektiertem Gebaren und exklusiven Sommerkleidern, eine davon sitzt ostentativ abseits am Nebentisch. Die Wirtin sagt, das sei ein Singkreis, der alljährlich herkomme, aber sie sei der Einladung zum Abschlusskonzert noch nie nachgekommen, weswegen wir spionieren sollen. Die Dame neben uns mache eine Kur, bei der man beim Essen nicht mit anderen sprechen dürfe. L. freut sich, zum inneren Kreis gezählt zu werden, in dem man andere ausrichtet.

***

Ein sehr schöner Border Collie verknallt sich in Fini. Ich frage den etwas dicken, freundlichen Halter, ob er (der Hund, haha) reinrassig sei. „Das ist der Uwe“ sagt er gutmütig.

8.8.

Auf den letzten Metern zum Lahngangsee hinauf sprechen L. und ich sehr angeregt über „Bauer und Bobo“, der letzte Satz ist noch nicht verklungen, als Florian Klenk sich vor uns materialisiert. 

Wir deuten den Wetterbericht und entscheiden uns gern, zweimal nass zu werden, einmal im See, einmal beim Abstieg im Regen.

Dann legen wir uns zufrieden ins Bett und fragen uns, ob wir nicht einfach hungern sollten, um bloß nicht wieder aufstehen zu müssen. Aber L. muss einen Zirbensprizz beim Staudenwirt trinken, sonst hat sie nichts gesehen hier. Bei der Rückkehr bittet sie mich, das Sommerkonzert der Blasmusik in Bräuhof anschauen zu dürfen, nur kurz, sie zahlt mir auch einen Schnaps bei der Marketenderin. Die Musikanten sitzen absurd dicht geschlichtet in der schwimmenden Musikmuschel. Die Witze des Moderators haben das selbe Alter wie die Landschaft (Altsteinzeit).

Danach endlich wieder ins Bett und wieder Olympia schauen. L. ist ganz fertig, wie viele Sportarten, Gewichtsklassen und Reglements es gibt. Sie hat noch nie zuvor Synchronschwimmen gesehen und kann trotz Müdigkeit die Augen nicht davon abwenden.

9.8.

Beim letzten Frühstück richten wir den Zwischenmoderator aus dem Paläolithikum aus. Die Wirtin sagt, das sei noch gar nichts, beim Muttertagskonzert habe der „Luki aus Bad Ischl“ derart frauenfeindliche Witze gemacht, dass er große Teile des Zielpublikums binnen einer halben Stunde vergrämt habe, ohne seine Strategie zu ändern. 

Wir fühlen sehr unterschiedliche Bedürfnisse, mir fällt der Abschied schwer, ich werde heuer wohl nicht mehr herkommen. L. aber, der unter meinen Augen in dieser Woche die Liebe heftig eingeschossen ist wie dem Border Collie Uwe, hält es kaum noch hier. 

10.8.

Minimale Gartentändeleien, es glüht und dorrt alles. Leichte Unruhe in Bezug auf meinen Plan, demnächst auf dem Kraxenberg zu biwakieren. Es ist eine Mischung aus Sommerschlusspanik und Mutsuche vor dem alljährlichen Tag in der Wildnis.

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Die Babykatzen sind abgezählt!“ sagt die Hausherrin lachend, weil sie mir die Gier an den seit Wochen erstmals wieder geschminkten Augen ansieht. Wir sind zu einer 60er-Gartenparty geladen, einer der beiden Jubilare wird sechs Wochen später tot sein. Dieses Leben muss man verstehen lernen oder nicht. 

11.8.

Große Sommerstunden an der Traun – und ein Tag mit zwei Nachmittagsschläfchen.

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Bodo Hell ist abgängig auf seiner Alm, und ich hoffe innigst, dass ihn bald alle schimpfen, weil er sich gar so gut versteckt hat und wir uns alle furchtbare Sorgen um ihn gemacht haben.

12.8.

Wiedereingliederungsstörung. Ich soll Gstanzln dichten und schnell ein Abendprogramm schreiben. Die Neuronen ächzen.

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Facebook als virtuelles Altersheim (Altersteilzeit), in dem uns die Jungen ab und zu besuchen kommen müssen (=stalken), ob wir eh noch selbständig zu schmeißen kommen.

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Verwunderlich, dass es „Rümpeln“ nur negativ gibt, das Entrümpeln ist klar, aber es kann ja nicht aus dem Nichts schöpfen, es gibt ja Prozess des Berümpelns.

13.8.

Die Gartenarbeit fühlt sich immer öfter wie eine Eigen-Ergotherapie an. Heute: Erbsenzählen.

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Der arme Mann im Schlussverkauf, dem die Ärzte den Arm hoch über die Schulter erhoben festgegipst haben – in Wurfhaltung, noch dazu mit einem Ball in der Faust, als suche er seinen dazu passenden Hund.

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Im Kultur Hof heißen heute alle Michael, was mein dummes Leben stark vereinfacht. „Michael, wo is denn da Michael?“ Endlich darf ich mein eigenes Kunstwollen verdodeln, ohne Rücksicht auf die Sprechzeit nehmen zu müssen! (Ich hatte ja im Gegenteil Sorge, genug für diese Stunde zusammen zu kriegen). Sehr schön, dass die Einzige, die sich eine Tombola gewünscht hat, auch alle Lose an sich genommen hat. Alle sind zufrieden. Am besten sind meine männerfeindlichen Witze angekommen, vielleicht sollte ich einmal das Grundlseer Muttertagskonzert moderieren.

D. ist gekommen, um sich persönlich von mir zum Dank für meine erfolgreiche Verkupplung umarmen zu lassen. M. engagiert mich als Traurednerin für ihre Hochzeit. Verrücktes Glück! Fini hingegen verliebt sich unglücklich in einen der Michaels.

Bei Wind gibt das Skelett des Quadrill-Towers ein Heulen von sich, das im Film eine Zombie-Attacke ankündigen würde.

14.8.

Die Donau steht so niedrig, dass man am Hundestrand glaubt, zum anderen Ufer staksen zu können, weit draußen stehen ein paar Männer auf Untiefen. Fast unmöglich, sich den Wasserstand vom Juni in Erinnerung zu rufen.  

Regen. Besser als Netflix.

15.8.

Mein gutes Leben passt gar nicht mehr zu meinen melancholischen Grundstrukturen (ich habe gerade Spotify heruntergeladen und höre Portishead).

Zehre ich mehr von den Momenten, in denen ich neben einer murmelnden Quelle im Widderkar schlafe oder zehrt die Sehnsucht danach stärker? Ich muss etwas anderes horchen! Die trockene Gluthitze zehrt ein wenig am Gemüt, trotzdem verstärkt sich die Sommerschlusspanik. Ich weiß aber schon, dass die nur noch bis ca. 1. September dauert, dann greift das Wissen in die Praxis ein, dass es im Herbst ja noch viel schöner ist.

Die Perseiden habe ich aber versäumt, letztes Jahr lag ich am 16.8. unter dem Nachthimmel zwischen Feuertalberg und Spitzmauer, mir gingen die Wünsche für all die Sternschnuppen aus.

***

Wir fahren ins Almtal und springen ohne großes Geschrei in die Alm, die nicht so warm sein dürfte. Dann suchen wir die Freunde heim. R. hat eine sehr subtile und ausgefuchste Technik des Anwasserns, er gießt immer nur einen Schluck Weißwein nach, am Ende trinken wir ihm auch noch seinen extrem guten und sauteuren französischen Edelenzianschnaps weg. 

16.8.

Stark eingeschränkte Vitalität wegen des gestrigen Alkohols. Träges Herumbandeln im Garten, der aussieht wie ein südkroatischer Campingplatz. 

***

Großes Hadern, ob ich mich der privaten Suche nach Bodo Hell anschließen soll; ich kenne mich dort oben nicht aus und habe das Gefühl, nur mir selbst mit sinnlosem Aktionismus helfen zu wollen – oder nicht? Wahrscheinlich bin ich eine von Tausenden, die ihn so gerne finden wollen. 

17.8.

G. ist jetzt wieder offen für nachbarschaftliche Treffen, weil er erst jetzt mit meinem Buch angefangen hat und kein schlechtes Gewissen mehr haben muss. Er hat ernsthaft geglaubt, ich würde ihn fragen, was er z.B. zu S. 17 sage, dabei habe ich doch selbst keine Ahnung mehr, was da steht. In Wahrheit will er sich den Hochentaster ausleihen, den mir der Buttinger soeben im Voraus zum Geburtstag geschenkt hat.

18.8.

Ein Regenguss, die Landschaft knackt wie ein Eiswürfel im Gin Tonic.

***

Unangenehme Erkenntnis, dass der Platz auf der Grabtafel unter den Namen der Eltern für den meinen frei gehalten wird.

Weiter wachsendes irrationales Trauern über das Schwinden der sommerlichen Optionen – ich kann bald nicht mehr in jedes Gewässer hüpfen und auf jeden Berg; in Wahrheit bin ich etwas enttäuscht, über den Sommer schon wieder kein anderer Mensch geworden zu sein. Vor einem Jahr habe ich exakt das Selbe geschrieben. Im nächsten Sommer möchte ich ein Mensch werden, der sich in Erinnerung rufen kann, dass noch im November Almschläfchen möglich sind.

19.8.

Der pataphysische Kongress rückt näher, den ich letztes Jahr in einer manischen Dreiviertelstunde der Stadt Linz aus den Hüften gefördert habe. Fünf Minuten vor Abgabeschluss hatte ich W. und R. noch schnell gefragt, ob ich das eh auch in ihrem Namen einreichen dürfe. Beim Orchester (C. meint, ich soll Geige spielen, of all instruments) werde ich keine wichtigere Rolle spielen als die eines bemühten Orang-Utans.

20.8.

Nach Monaten wieder ein gelungener Anlauf zur Reduktion meines Erbes. Wie viele Rexgläser glaubte ich besitzen zu müssen?! 56?

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Die stolzen Eingeborenen, die nicht glauben, dass Fremde in ihrer Gegend jemals wirklich ankommen können, besitzen einen Zweitwohnsitz in der Toskana und sind voll im Dorfleben eingebunden.

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K. schreibt gerade am Irrsee seine Weihnachtsgeschichte, wie ein gemeinsamer Freund berichtet, ich meine wohl drei Stunden vor der Apfent-Lesebühne am 12.12.

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Bis 1. Jänner 2023 habe ich jetzt meine Phantomereignisse nach Brauchbarem durchwühlt, ab da ist mein Leben nicht mehr patschert genug.

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Ein Mann stakt mit der Feuerwehrzille den Donaustrand entlang flussaufwärts, er bleibt stehen, weil er mich als Tochter meines Vaters erkannt hat. Wir wechseln ein paar Worte. Ich sehe ihm nach, es wirkt im Gegenlicht kurz, als säße ich am Tonle Sap. 

In Wien kennen sie mich über den Hund, in Wels über den Buttinger, in Wilhering über den Vater, in Linz über die zwei Jahre bei den OÖN 2006. 

21.8.

Ich liebäugle mit dem Gedanken, die gestern von K. ausgeborgte Geige zum ersten Mal am 7.9. unmittelbar vor dem Konzert aus dem Kasten zu nehmen, bin aber nicht mutig genug für dieses Statement, obwohl nach dem ersten Versuch, das Ding unters Kinn zu klemmen, und nach den ersten sieben Tönen klar ist, dass Üben oder Nichtüben keinen Unterschied mehr machen wird. Theoretisch könnte ich noch hochbegabt sein, aber mir ist das zu laut, warum muss das so nahe am Ohr stattfinden?! Sofortige Verspannung.

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Zu meiner Erleichterung erteilt mir die äh... Pekinesin(?) L. bei der Selbstanzeige „Kulturelle Appropriation“ einen Freispruch.

22. und 23.8. KRAXENBERG

Leicht mulmige Schritte aus der Zivilisation heraus, vor allem schwer beladene, ich trage 8,5 Liter in das Wasser(!)tal hinauf. Ich bin im Grunde zu früh auf dem Gipfel, ich hatte optimistisch überlegt, noch bis zum Hochweiß oder der Plankamira hinüber zu kommen, aber irgend etwas hält mich davon ab. Ich habe den einzigen Abend im August gewählt, an dem es kühl ist. Beim Herumschnüren auf dem kilometerlangen Gipfelrücken des Kraxenbergs vier Schneehühner belästigt. Angstlust allein heroben. Heuer ist sie besonders stark, ich denke viel an Bodo. Wirklich sollte ich hier nicht stolpern und bewusstlos in die Latschen fallen. 

In der Nacht eine Hör-Halluzination, ein sehr starkes Vibrieren, im Traum fürchte ich, von Aliens entführt zu werden und denke „Es vibriert, das kann ich nicht träumen!!!!“ Aber Fini rührt sich nicht, ich hingegen kann es nicht.

Völlige Überschätzung meiner Möglichkeiten am folgenden Tag; es ist wieder heiß, der Rucksack fühlt sich kaum leichter an. Bin ich feiger oder unfitter geworden? PMS? Es reicht das Herumstapfen und Mäandern auch so für einen ausgiebigen Muskelkater bei Mensch und Tier. Wie war ich vor fünf Jahren drauf, dass ich diese wilden Touren wagen konnte, durchs Turmtal, ins Finsterrigelkar, über das nördliche Wassertal? Es wird einfach so sein, dass ich meine Ängste vergessen habe wie eine Mutter den Geburtsschmerz. 

 Die vom Schneedruck gefällten Bäume unterhalb der Nickeralm wird wohl niemand mehr herausschneiden. 

24.8. Gramastetten

Fini verhält sich beim Gang durch das Rodltal wie eine alte Hündin, ich habe sie zerwandert. Der Wald ist so braun, als sei es noch März, es hat seit Wochen nicht mehr geregnet. Mich plagt das Besteigen der Jahresstiege auch mehr als D., die noch gefürchtet hatte, es nicht zu schaffen. Fini rennt zu einer unbekannten Frau, die hier gärtnert, sie wirft sich ihr zu Füßen und lässt sich streicheln, dabei sieht sie vorwurfsvoll zu mir herüber. 

Ein Gang zu den Häusern der Ahnen. Unsere verschlossene Urgroßmutter hat das Geheimnis um den Vater ihres Erstgeborenen mit ins Grab genommen. Beim Wagner wird mir erst bewusst, was für eine fein verästelte Heiratspolitik hier betrieben werden musste, um Inzest zu vermeiden. Etwa haben sich pro Generation oft zwei Familien miteinander  praktisch gleichzeitig vermählt, dann wieder lange nicht.

Meine Taufe wäre beinahe ins Wasser gefallen, weil es im Oktober 1978 so einen Sturm gab, dass die Fähre nicht vom Ottensheimer Ufer ablegen konnte. Meine Taufpatin überredete Teddy, es doch zu versuchen, es gehe ja um die Errettung einer Kinderseele vorm Fegefeuer.

25.8.

In Bad Ischl ist es zu einer Verfolgungsjagd gekommen, als ein 69-Jähriger mit fast zwei Promille der Polizei zu entkommen suchte, da sein Auto nicht mehr zugelassen war – ein TÜRKISER TWINGO.

26.8.

Heute wird in „Vom Leben der Natur“ über den unter nordamerikanischen Präiriehunden weit verbreiteten Infantizid berichten. Diese Tiere werden von meiner Sympathieliste gestrichen (so wie unlängst die Matriarchin der Nacktmulle, die ihr Personal so mobbt, dass es unfruchtbar wird).

***

Linz. Alle sind wieder da.

Im Wasserwald ein Mann, der mir vage bekannt vorkommt. Wenn es zum üblichen Hundesmalltalk gekommen wäre, hätte ich ihn gefragt, woher wir einander kennen. Drei Stunden später sitzt er neben mir im Café Meier.

***

E. schenkt mir eine schöne Geschichte: Ein Bekannter fuhr von einer Dienstreise nach Vorarlberg zurück nach Linz und saß in einem sehr kaselnden Zugabteil einem Mann gegenüber, der Michael Köhlmeier sehr ähnlich sah, weil er es war. Der Mann jedoch zweifelte, weil ein Erfolgsautor doch wohl nicht so fäulen könne. Schließlich stieg der Doppelgänger aus, der Geruch jedoch blieb, weswegen den Bekannten der begründete Verdacht überkam, dass er selbst so stinken könnte. So bemerkte er erst, dass ihm seine alemannischen Kollegen „zum Dank“ einen ihrer sehr gereiften Käse ins Gepäck geschmuggelt hatten.

27.8.

Schlagzeile des Tages: „Tochter (13) einer Ärztin bohrte bei OP Loch in Kopf“ 

28.8.

Gut, dass ich nicht in einer Großstadt lebe, niemand interessiert sich mehr für die mittelschlimmen Befindlichkeiten mitteljunger Menschen in Berlin Mitte. (Wobei ich mich auch für meine eigenen Befindlichkeiten nur mittel interessiere). 

Mit dem Körper des Vaters (körperbetonte Gartenarbeit) das Leben der Mutter (immer zuhause) führen – und das ohne jede Verpflichtung zu care work (dem Hund die Zecken aus dem Fell kletzeln reicht nicht) – es darf keine Klage von mir an die Öffentlichkeit dringen – oder nicht die Wahrheit über meine „Probleme“ (vgl. #berlin). 

29.8.

Es gäbe schon recht viel vorzubereiten für den schon sichtbaren Arbeitstsunami (die Termine ziehen sich auffällig weit zurück, um mit voller Wucht anzubranden), also putze ich bei 31° das Haus (peinlich lohnend).

Nackt in die Donau (das liest hier eh niemand).

Apropos „oder nicht“: Die „Chronik der laufenden Ereignisse“ ist eh eine anstrengende Vorbereitungsarbeit. Gut, dass Köck sich um die tolldreisten Aufführungen der Rechtspopulisten und ihrer Biedermänner annimmt. Gut, dass ich das jetzt nicht sein muss (oder doch). Österreich ist das Paradies im weltweiten Vergleich, und die Österreicher sind so deppert – wie geht das?!

30.8.

Weil weiterhin so viel zu tun wäre, erledige ich das Dringendste: im Wildensee baden. Ich wühle mich um den Rauhkogel herum, bald ist mein Kragen voller Lärchennadeln, endlich finde ich einen ahnbaren Steig. Ein Hirsch führt sein Schmalvieh aus dem Kar des Kühweißhorns. Oben, kurz vor dem steinernen Ghag, ein erstes halbes Brunftröhren, als übe er noch. 

I. bestätigt es, als ich ihn später vor der Rinnerhütte treffe; auch die „Nachbalz“ des Kleines Hahnes beginne jetzt. Er freut sich, mich zu sehen, was nicht unbedingt an meiner charmanten Erscheinung liegt, sondern an seinem langen Sommer drüben auf der Brunnwiesalm. Das hier sei der erste Ausflug in die Zivilisation, der sich seit Juni ausgehe, sagt er und sticht glücklich in die Schwarzwälder Kirschtorte, dazu trinkt er Bier. Ob er nicht traurig sei, bald zurück in den öden Zentralraum zu müssen? „Nein!“ Er lädt mich ein, noch zu bleiben, aber ich will – nicht zurück in den Zentralraum, sondern – in den Offensee. 

Die Schwalben sammeln sich zum Abflug.

31.8.

Einmal noch in die Traun. Ein heißer Tag, der Kopf wie in Watte.

Im Black Horse sagt auch B. wieder, wie erleichtert er sei, dass ihm mein Buch gefallen habe. Wir trinken, denn es ist ja ein heißer Abend. Er kennt den Kerl, der die Hallstätter Luft verkauft. Wobei „verkauft“ nicht stimmt, es sei ein Spaß gewesen, der nicht mehr als ein Taschengeld einbringe. (Im Februar wird mir Axel Scheutz sagen, dass er den Kompressor für seine Flaschen im Haus seines Vaters stehen gehabt habe)

Dienstag, August 20, 2024

Der Kostenfaktor Mensch ist für uns leider nicht mehr darstellbar

Irgendwann wird die Raika Selbstschussanlagen in ihren Filialen installieren, um den Kostenfaktor „Kundenbetreuung“ positiv zu saldieren bzw. den Kostenfaktor "Personal" besser darstellen zu können. Es wird wohl Unmut geben, aber Anzeigen können nur in den Landeshauptstädten aufgegeben werden, in Polizeiwachstuben mit Parteienverkehr von Dienstag 8 bis 8:15. Der Postbus fährt um 7:59 ab und um 15:38 zurück. Telefonisch kann man 24/7 anzeigen, unter einer kostenpflichtigen 0900-Nummer, die in ein Callcenter in Bangalore führt. 34 Minuten Wartezeit sind fix programmiert, abgespielt wird der WKO-Song über die Vorteile des 12-Stunden-Tages. In Minute 35 sagt das Tonband mit der Stimme von Christiane Hörbiger „Derzeit sind alle Leitungen besetzt, die nächste freie Leitung ist für Sie reserviert.“ Nach weiteren 13 Minuten sagt die KI-Hörbiger „Wollen Sie eine Vignette online bestellen, drücken Sie die 1. Wollen Sie ein Leumundszeugnis für einen Heimkredit beantragen, drücken Sie die 2. Wollen Sie eine Personenstandsänderung im Zuge einer Bankfilialenbetretung melden, warten Sie auf die nächste freie Leitung.“ Die Warteschleife entspricht subjektiv dem Sonnenjahr des Uranus. (84 Erdjahre), denn der Kunde will es so. 


Das Bild ist eigentlich lustiger als der Text drüber: Raiffeisen "Jungfrau" hat Harold "Smile the Pain away" als Testimonial fürs Erben und Sterben verwendet.

 

Donnerstag, August 01, 2024

Glutamat auf der Gimpelinsel, vollgeludelte Trompeten, Gänsecrack und der größte Tag des Jahres

Lebenskrimskrams im Juli 2024

1.7. Bad Aussee - Linz

Am Bahnhof Hallstatt füllen Asiaten den Zug an, in Bad Ischl ist er schon fast wieder leer. Zuerst drücken schwarze Wolken und Wände herein, mit jedem Kilometer wird es freundlicher, aber ich will ja im Dunklen bleiben wie eine Katze in der Schachtel. Während der Fahrt lese ich „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“, das habe ich fast zu gut getroffen.

In Linz fremdle ich ein wenig, niemand erkennt mich, Frechheit! Dabei werde ich jetzt vom ORF gefilmt, hallo! Aber bald schreibt mir K., worin ich denn so forsch ausgeschritten sei, sie habe mich belustigt von der Bim aus beobachtet. Dann spaziert G. vorbei wie ausgemacht.

Ohne allzu großen Genierer sitze ich dann vor der Kamera und blättere im eigenen Buch, dabei sitze ich als ehrenamtliches Austrofred-Fangirl auf dem passenden Strandtuch. Ich tue so, als sei ich touristisch vom Fach (beim Heimgehen gehe ich an der echten Linzer Tourismuszuständigen vorbei). Am Ende kommt es mir ganz ok vor, dass wir uns nicht im Salzkammergut getroffen haben, das ist auf der Metaebene schon ein wenig abgefrühstückt.

***

Großes Wiedersehen am Bad Ausseer Bahnhof, der Hund spürt die Tragweite meines Ausflugs, der Mann lacht.

Der Chinese auf der Gimpelinsel erfüllt alle Erwartungen, weil ich keine hatte. Fast schon wieder ein Kulturgut, das fast schon wieder erhaltenswert ist. So war das in den 1990ern, Kinder, so schmeckt Glutamat, und das Zipfer gibt’s nur in der Flasche!

2.7.

Dem Buttinger wird eine kleine Freude zuteil, als wir beim Spazieren vor dem Gipsbruch gestoppt werden, es müsse gleich gesprengt werden.

Wir machen uns die Waldhimbeeren gegenseitig mit Warnungen vor dem Fuchsbandwurm madig, aber erst, als wir schon minutenlang gierig geweidet haben.

Ein deutsches Seniorenpaar macht mir unter dem Ressen die Freude, mich zu fragen, ob ich von hier sei, und wie die Berge da drüben heißen. „Oh Gott, don't get her started!“ denkt der Buttinger sehr laut, ich lege los! „Jetzt spürst du die Freude, die uns das Mansplaining bereitet“, sagt er dann, nachdem ich die beiden halb bewusstlos informiert habe.

Später frage ich den Wirt vom Mostbauern, ob er von hier auch öfter Steinadler über den Bruderkogeln sehe. „Zum Umischaun hob i koa Zeid!“ 

Die beiden Fährmänner (da teuerste Verkehrsmittel weit und breit hier) sind auffallend gut gelaunt. Der Junge erlaubt uns zur eigenen Freude über seine Großzügigkeit, Fini auch ohne Maulkorb mitzunehmen. Er mag sich gar nicht von uns zu trennen, muss aber doch weg, um in Doppelconfèrance die wichtigsten Zahlen, Daten & Fakten über den Grundlsee ins Mikro zu lallen (ich übertreibe ziemlich).

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Wir sehen der Herrennationalmannschaft beim Ausscheiden zu (also Fußball, nicht WC), kurz kommen Emotionen auf, aber das Alter weiß schon, dass morgen alles wieder wurscht ist.

3.7.

Riesenskandal: Der Kaiser-Franz-Josefsdarsteller von Bad Ischl ist in Wahrheit Luxemburger.

Buttinger lässt sich beim Buttinger das Haar machen und nimmt die „Alpenpost“ mit. Ein Füllhorn an lokaler Information, da steht drin, was der Maurer ausgelassen hat. Angeblich wird es bis Australien verschickt. Ich bin ganz ohne großen Sarkasmus begeistert, weil man nach dem Lesen ALLES weiß. Unschön von mir, wie lustig ich es finde, dass der Verbandsoberschützenmeister ziemlich schielt. 

Dann auf Knödel und Psychologie zum Veit. Der Wirt erläutert, dass es überall Trottel auch gebe. „Einem Jammerer musst du was nehmen, einem Prahler was geben.“ 


4.7.

Endlich die erste Wanderung! Und wieder etwas Neues gefunden. Wieder mit dem Hund auf den Hundskogel. Mein Eintrag im Gipfelbuch vor ziemlich genau zwei Jahren liegt nur sechs beschriebene Seiten zurück.

Am Fuße des Klammkogels erschrickt der Fuß über einer Höllenotter, ich bitte reflexartig um Entschuldigung für die Störung hier auf dem schmalen Steig und bin erleichtert, dass sie und der Hund einander gar nicht wahrgenommen haben. 

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Nach dem Trinken mit X. und F. wissen wir wirklich alles: nie am Samstag zum Ausseer Kirtag, da brunzen die Wiener Nepo-Babys den Musikanten in die Instrumente. Schießen darf man hier am Grundlsee ausschließlich in der Tracht, und man sollte nicht zu gut treffen, um die Eingeborenen nicht zu vergrämen. Bei der Siegerehrung heißt es immer noch "Kommen wir nun zur Königsklasse!" wenn die Herren prämiert werden, auch wenn X. das Gesamtding beinahe gewonnen hätte.

F.s Vater versorgt die lokale Vogelwelt so umsichtig, das die Spatzen adipös geworden sind und die Enten in der Nebensaison mehrspurig zum Büffet watscheln.

5.7.

Ambitioniert um 6:25 Uhr aufgestanden, aber zurück ins Bett. Am Vormittag heftiges Bedauern über die Fehlentscheidung. Bin ich heikel geworden?! (Heute, 17.1., halte ich mich für verzogen und heikel!). In der Mittagshitze dann ein hektischer Kompensationsmarsch, eine Holzwegrecherche.

6.7.

Die Schrift erfüllt, was das Abhängen im Murboden betrifft. 

Winzige Fische springen vor dem Kajak auf wie längliche Wassertropfen mit Eigenantrieb.

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Brave New World“ zum ersten Mal gelesen: Man kann den Klassikern nicht mehr trauen. Jeder Querdenker könnte ohne Mühe eine Bestätigung herauslesen. Mir kommt es nicht mehr besonders zielführend vor, sich die Zivilisation aus dem sündigen Leib zu peitschen und Senf zu trinken, um die unchristlich-sexuellen Gedanken herauszuspeien; eine Sünde, die natürlich von den Frauen in die Welt gesetzt wird. Hebt man sowas auf? Nur so lange, wie „Dallas“ und „Dornenvögel“ noch im Haus sind.

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Die Murmeltiere haben Junge! <3 Ein großes und die drei Kleinen sitzen beim Fressen in der Futterkiste und graben sich ein. Ein kleines beißt mich ein bisschen in den Finger. 

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Die Kulturhauptstadt wirft ihre Tentakel aus. Der Bürgermeister tut so, als würde er uns erkennen, wir brauchen umgekehrt einen zweiten, weil er keine Tracht trägt. Das Konzert heute müsse man sich als „Soundscape“ vorstellen – uns muss er eh nicht überzeugen, und wir wissen, dass er ein Elektronik-Eklektiker ist.

Ich trippe ein wenig hinten am Toplitzsee, auf einem Bier, einer E-Hackbrett-Performance und den Wolken, die über uns ziehen. Auf dem Weg zum Veit kommen wir an der Station vorbei, wo Geige und Flöte trippen, es ist sehr kunstig. Beim Veit ist alles voll und durstig, was zu erwarten war, seit Monatenr. Als „Verstärkung“ hat man sich den weltschlechtesten Kellner eingefangen. Er kann sich kaum fortbewegen, seine Knie wirken wie aus käsigem Holz geschnitzt, ohne jedes Spiel in den Knien. Deswegen bewegt er sich auch kaum fort und verwickelt die Gäste in Smalltalk. Schließlich stakst er ins Haus – wir sehen jetzt, dass hinten auf seinem T-Shirt „Ich hasse es, sexy zu sein, aber ich bin eben Steirer“ steht - und kommt eine Weile später mit Eis für die Kinder zurück, das ihnen die Eltern nicht kaufen wollten, weil sie eh schon zwei bekommen hätten. Eigentlich sollte der sexy Steirer Gläserschachteln bringen, der einzig tüchtige Kellner kommt schimpfend daher, weil gar nichts klappt, er schimpft mit dem gemütlich an der Sackkarre lehnenden Holzbein. „Wos hod a denn firan Stress!“, murmelt der ihm nach. Langsam wie ein Gletscher setzt er sich in Bewegung. „Des do hätt i ned braucht, i hätt ma dochd, de singan a poa Gstanzln, wos hoid passt, owa so hätt' i aa in Graz bleibn kennan, do gibt’s gnuag, de glaubn, dass des Musik is, wos de do mochn!“ Er kommt an uns vorbei, zum Glück bleibt er nicht stehen. Ein Tropfen hängt von seiner Nase.

7.7.

Wild geträumt von einer Show, die null geplant, aber im ORF übertragen wird. Viel zu wenige Mikros, Ideen und Witze, dafür Elfie-Ott- und Miram-Weichselbraun-Lookalikes. Es ist eine Art Moderations-Karaoke als Steigerung des Powerpoint-Dings. Später soll ich die Mutter irgendwo abholen, weiß aber nichts. Ich erreiche den Vater und frage, ob sie nicht ein Handy bekommen sollte. Der beruhigt mich am Telefon, sie warte ab 22 Uhr in Möllendorf. Danke, Weißwein!

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Bei starkem Wind macht der See ein herrliches Brandungsgeräusch. Man hört es, weil der kleine Sturm die Camper in ihre kleinen Höhlen weht.

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Der Zirben-Spritz beim Staudnwirt wird mein neues Drogenproblem.

8.7.

Eingedenk meiner Fehlentscheidung am 5. gehe ich heute zu Fleiß im Nebel los, er lichtet sich auch auf dem Gipfel des Backensteins nicht, trotzdem stapfe ich den Steig Richtung Osten. Irgendwann ahne ich, dass es die Nebelgrenze zu schaffen ist – und wirklich: Euphorie auf dem Häuslkogel. Gleich beißt mich die Sonne ins Genick und eine Ameise in die Stirn. 

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Anrührende ZEIT-Reportage über einen Superzuchtbullen mit absurdem Namen, der der arme Ochse „Wolfi“ zur Erregung dient.

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Beim Kulturmontag kriege ich diesmal etliche Sätze über Urlaub im Urlaub. Der Zug zum Hochdeutschen ist bei mir endgültig abgefahren.


9.7.

Jahrestag am Altausseersee (absurdes Wort btw.), der Buttinger hat eine schöne Wirtschaft gebucht. Aber eigentlich müsste man gleich wieder umdrehen, wenn sich ein Lokal das Bier aussaufen lässt an so einem Tag, noch dazu eins aus der Mateschitz-Erbmasse. Abgesehen davon ist es schön. 

 Beim Heimweg vollenden wir die Runde. Seit Daniel Craig den grantigen Mann in der Schiffsanlegehütte abgeknallt hat, stehen wieder fröhliche Schirme und Biergarnituren im Gras. Angenehm, dass es keine Anzeichen für James-Bond-Tourismus gibt.

Im Munk-Park verliebt sich eine Frau so schock in den Hund, dass sie zu sich selbst leise sagt „einmal noch streicheln, dann muss ich gehen!“ Zwei eingeborene Damen sitzen auf der Bank vor dem Friedhof und loben den „braven Betriebsrat“. 

Eine Gedenktafel erinnert an den Ertrinkungstod einer Viehtreiberin am 17. Oktober 1777, der der Herr „die ewige Ruhe und eine fröhliche Auferstehung“ verleihen möge. Später lesen wir, dass es sich bei den besonders lauten Rufe, die wir am Anfang des Weges gehört hatten, tatsächlich um Hilferufe Jugendlicher gehandelt hatte, die mit einer Plätte havariert waren.

10. Juli

Der Neistoa? Der is lästig zan geh!“ sagt der Wirt, der mich erschöpft daherschlapfen gesehen und nach dem heutigen Wanderziel gefragt hat. Recht hat er. Elf Stunden haben ich mich geplagt, trotzdem bin ich leicht unzufrieden, weil zu feig für neue Wege, die Direttissima am Lahngangsee vorbei. Oder zu klug. Ich lege eine Liste an, mit dem Titel „Projekte, wenn ich schon alles andere gegangen bin“.

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Bauers kommen an, noch ganz gezeichnet von der lästigen und plaghaften Heimat im Norden. Biere und Kasnocken verschwinden restlos in uns.

11.7.

Touristen angesichts des Sees: „Schau amoi, des is eigentlich a gaunz scheena See!“ Erstaunlich, dass man sich in Zeiten fundamentaler Googelbarkeit noch so überraschen lässt.

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Dieser Tage träumte mir, dass ich dem Vater anbieten wollte, dass er doch eigentlich jetzt wieder bei mir einziehen könne.

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In der Nacht brummt ein Falter verzweifelt gegen das Fenster, will sich aber nicht retten lassen. Endlich das Gewitter, das seit 36 Stunden angekündigt wird.

12.7.

Seit ich hier bin, tut sich in den Träumen mehr als am Tag. Das Unterbewusstsein teilt den Eltern heuer viele Rollen zu, was hoffentlich ein gutes Zeichen ist – auch wenn es zuweilen anstrengend ist. Diese Nacht kam die Apokalypse als Feuerwalze daher, ein Vulkan oder Meteoriten, egal. Fakt war, dass der Vater wieder Vater wurde. Wir telefonieren uns angesichts der Bedrohung zusammen, immerhin verlangt er, dass wir zuerst die Mutter retten.

13.7.

Schwere Gesteinsbrocken donnern herab, es riecht nach Schwefel. Wir verstecken uns hinter einem Baum (ich mich zusätzlich hinter dem Buttinger), dann tun wir, als sei nichts gewesen und gehen weiter. Die Herren wollen zum Igel geführt werden, also schleichen wir als die OLW-Partisanen durch den Bergwald Richtung Ischler Alm. Den Stalin im Schildkröten-Unterschlupf hätte ich persönlich im Jahr 2024 weggelassen. 

Stöhnend fallen die Herren auf das Gestühl der Blaa-Alm und bestellen tüchtig. Halbwegs gesättigt gewährt uns René Einblicke in sein Indiana-Jones-Tascherl, das er IMMER mit sich führt. Er trägt unter anderem ein Sauerstoffmessgerät darin herum. 

Es folgt der tiefste Nachmittagsschlaf des Jahres.

***

Allmählich muss ich mit dem Kongo-Buch fertig werden, es ist eine belastende Angelegenheit (das gilt für die gesamte Kolonial-Aufarbeitung).

14.7.

Weil die Herren daydrinken, um den Schmerz des Muskelkaters zu ertragen, bleibe ich nüchtern und komme mir dabei auf die billigste Weise gut vor, weil ich ordentlich bis zum Abendessen warte.

Das EM-Finale plätschert dahin wie das Bier durch die Kehlen. Skurril, wie viel globale Aufregung dabei entsteht.

15.7.

Das Gastkar ist so einsam, dass auch die Tannenhäher auf ihre sonst so beständigen Schergelschreie verzichten. Die Alpenvereins-App wird blind an der Wildnisgrenze, auch Suunto kennt die Namen der Kare hier nicht mehr. Es sind aber fast überall Steinmarkierungen, die Eingeweihten haben also noch ein paar Geheimnisse bewahrt.

Heute finden wir den Weg recht gut, es bleibt genug Zeit für einen kleinen Schlaf, bevor wir auf den Hauptgipfel hinübersteigen. Das Gipfelbuch beginnt 2018, die Seiten lassen sich schnell durchsehen (sehr rührend die Erinnerung an eine innig vermisste Hündin, ich kann das jetzt schon nachvollziehen, verrückt). 

Das Gefühl der Ausgesetztheit ist heute nicht so stark wie sonst. [17. Jänner 2025: Es wird der schönste Tag des Jahres gewesen sein, und damit kann ich nur zufrieden sein.]

16.7.

Beklage nie den frühen Morgengrauen

Der Müh und Arbeit für uns gibt

Es ist so schön zu sorgen

Für Menschen die man liebt“

Unter diesem Spruch frühstücken wir täglich. Überhaupt muss man die ganzen Sticksprüche hier an den Wänden ignorieren, wen wollen sie mahnen, die armen Erholungssuchenden im 21. Jahrhundert?

***

Lektionen der Wildnis“ war ein Alex-Glücksgriff, besonders schön ist es wohl, weil ich noch so erfüllt bin von der Wildnis gestern oben auf dem Plateau. Herrlich auch die Linguistik: Die gemeinsame Proto-Indoeuropäische Wurzel von Bär, urs, Arktos etc. sei sein „Rrrrr!“

17.7.

Die Standesbeamtin nimmt freundlich mein Buch zur Aufbewahrung und fragt dann, von wem sie dem Bürgermeister leicht schöne Grüße ausrichten soll.

***

Die Junior-Chefin erzählt vom Schwitzen der Waldgeister und Krampusse im dicken Kostüm, ich sage, im Frack sei es genauso, das sei der Preis gelebten Brauchtums. Sie nickt wissend, weil sie mich in der Zwischenzeit gegoogelt hat.

Ein erwähnenswerter Mittagsschlaf hilft, die schon aufkommende Abschiedsmelancholie zu mildern.

18.7.

Am Ende der Forststraße, auf dem Weg ins Erlenkar steht ein Auto, an der Windschutzscheibe ein laminiertes Schild: 

Öfter als früher frage ich mich nun, wie lange ich so etwas noch machen kann, der Mut und die Kondition werden nicht besser. Immerhin war ich heute auf dem Siniweler und dem Breitwiesberg, und für die Zukunft weiß ich, wie man es nicht angeht hier herauf. Beim Aufstieg durch den Salzgraben ist völlig klar, dass es bergauf geht, mit dem Rücken zum Abgrund – absteigen könnte ich wohl, aber nur um den Preis leichter Panik.

Leichte Panik dann im Latschengekröse, endlich die rettende Steindaube. Die Zeit im Widerkar ist wieder zu kurz, aber sie wird nie lang genug sein. Der Adler lässt sich heute nicht einmal aus der Ferne anschauen.

19.7.

Dank müder Füße gelingt ein guter Badetag.

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Das Körpergehirn der Kraken und die Philosophie der Leiblichkeit: Kraken ist es bewusst, dass sie gefangen gehalten werden, und sie protestieren. Etwa indem sie mit ungeliebtem Thunfisch das Abflussrohr verstopfen oder mit gezielten Sipho-Güssen auf Menschennacken oder Glühbirnen. Weil die Reparatur der Kurzschlüsse zu teuer wird, entlässt man die listigen Wesen in ihre Freiheit.

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Am Abend versuche ich beim Veit den Dorfbäuerinnen das Matriarchat nahezubringen, „oba des gibt’s do eh scho bei ins in Gessl!“ 

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Im Schein der Leselampen auf dem Balkon noch lange gemeinsam die Welt gerettet.

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Weißweintraum: Nicht bloß der Verkehr wird auf Schiene verlegt, sondern die ganze Welt. Es gibt in den Zügen eine Ebene für die Passagiere, ein Luxusoberdeck und einen hohen Wald (in dem paramilitärische Übungen abgehalten werden und in dem ich ein soeben geerbtes Gewehr verliere). Schließlich gibt es in der mittleren Ebene ein Oberösterreich, samt Nachbildung des grünen Festsaals des Landes OÖ, in dem mir für mein einschlägiges Wirken im Kulturmontag eine Ehrenmedaille überreicht werden soll. Ich bin auch schon fesch adjustiert, mit Pullunder und schmaler Seidenkrawatte, aber dann steige ich leichtfertig aus dm Zug und strande stattdessen im rostigen Ennshafen →

20.7.

Gnädiges Erwachen. Wer ist das, die so etwas in mir immerzu träumt?!

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Ein Landregen bringt die Camper in ihr Elend, Buttingers verschlafener erster Blick am Morgen weidet sich daran.

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Wieso weiß eine Riesensepie, die obendrein farbenblind ist, wie sie sich verfärben muss, um mit der Umgebung zu verschmelzen? Beim Lesen bemerke ich, dass ich vielleicht zum ersten Mal im Leben von selbst auf eine tatsächlich noch offene Forschungsfrage gekommen bin (natürlich als 436564.). Es wird angenommen, dass sie mit der Haut sehen, ohne zentrale Wahrnehmungsstelle.

21.7.

Reinhold Messner wählt ein recht überraschendes Medium für die Klage über den groben Undank seiner Erben – die Apotheken Rundschau (orf.on berichtet).

22.7. Schönering

Wie können drei Wochen einfach so mit einem Fingerschnipp vergehen!? Wenigstens liegt noch ziemlich viel Sommer vor mir (was ich nur weiß, nicht fühle), aber ab jetzt wird alles ein wenig blasser.

Im Garten wuchert alles, nichts davon ist essbar.

23.7.

Wiedereintritt in die Erdatmosphäre, die Schwerkraft des Alltags fasst mich hart an. Es sind zwar nur 66 Emails, aber wie soll ich die jemals beantworten, in mir sind keine Knochen und kein Wille. Wie kann ich den Garten jäten, noch dazu, wo er mich nicht ernähren will? Wenigstens kann ich jetzt wieder überall Chili reintun. Sonst aber keine weiteren Probleme, nur der Keller ist ziemlich nass.

Heroischer Kampf gegen den abendlichen Drang zum Alkohol. Buttinger rettet meine Laune, indem er mir als Vorausgeschenk zum Geburtstag einen Hochentaster schenkt, der aussieht, als könnte ich ihn zur nächsten Leipziger Cosplay-Messe als Accessoir mitnehmen.


24.7.

In fünf Monaten ist Weihnachten.

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Wenig überraschend bin ich doch nicht hochbegabt beim Gstanzlschreiben.

25.7.

Kein Wunder, dass der Garten meine Ernährung nicht sichert, ich bin einfach dumm und habe alles durcheinandergebracht, sodass statt des Kürbis im Dreischwesternbeet eine arme Gurke verdurstet, mit einer jämmerlichen Frucht. Der Kürbis stattdessen... ach, lassen wir das.

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Es sollte mir aus aktuellem Anlass was Kluges zu Kamala Harris einfallen, aber wie immer überkommt mich beim Einfühlen in das politische Leben ein Grauen, weil diese Menschen bei jedem Hundsderschlagen dabei sein wollen und keinen Wert auf ein angemessenes Privatleben haben.

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In der zweiten Nacht ohne Alkohol sind die Träume wieder still geworden.

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Life hacks zum Erhalt der mental health: Verena Schöpfers Abmoderation möglichst oft anhören. Ein Vogelhaus ans Fenster kleben. Strickjackenlöcher patschert flicken. Generell: heimliche Liebes- und Reparaturdienste an Gesellschaft und Eigentum.

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Sandra Bullock, die heute 60 wird, ist von ihrem früheren Gatten mehrfach betrogen worden. Den Männern ist auf dieser Erde nicht zu helfen.

26.7. Aigen im Ennstal

Mit den Dolomitendamen wandern. Neben diesen ordentlichen Frauen wirke ich zwar wieder einmal wie eine verfressene Alkoholikerin, ansonsten aber keine Beschwerden, im Gegenteil. 

Simone hat eine harte Kritik am Roman: Ihr denkwürdiges „I stich di o in da Nocht!“ kommt nicht vor (stattdessen Theresias „Die Männer schauen im Schlaf aus wie Welpen, damit wir sie nicht derschlagen.“)

27.7.

Es ist nur anstrengend auf das Gumpeneck, weil wir pausenlos schnattern, es ist einfach die Gegenbewegung zu meinen einsamen Wegen im Karst. Hier südlich der Enns wächst das Gras auch noch auf 2200 Metern, wir jausnen im Schafsdreck. Endlich finden die Augen nach Hause und bleiben am Reichenstein hängen.

Im Freibad führe ich mich dann auf wie ein Halbstarker, Arschbomben vom 3-Meter-Turm, Schwimmrennen, Kraftmeierei. Wir lungern auf den Badetüchern und ich frage mich, wie viel besser meine Jugend gewesen wäre, hätte ich da schon solche Freundinnen gehabt.

Wie kann man im Sommer nicht das Größte im Jahr sehen?

28.7.

Ganz Wien riecht wie ein Axe-Deodorant („nice wie ein Parfüm“), süßlich, nach paarungsbereitem Jüngling.

Es ist das Glück der Männer, dass sie nicht immer so sein müssen, wie sie voreinander glauben, sich aufführen zu müssen. Immer die Beine spreizen, jeden Halbsatz mit „Bro“ beginnen, immer so anstrengend extrovertiert tun, in neon ausgeleuchteten Barbershops abhängen. Ein mühsames Leben. Andererseits die Frauen! Wenn im Gespräch „Linsen“ fällt, muss eine immer sagen „das ist eine wertvolle Proteinquelle!“ So müssen wir uns genderübergreifend voneinander erholen.

29.7.

Notierenswert: den ersten Tofu hingekriegt, der wirklich gut schmeckt. (Coala und ich laden zur Asia-Orgie, samt koreanischen Drogeneiern). In diesem Fall bin ich für eine Machtübernahme der Chinesen. Irre, wie schlecht man auswärts essen kann, siehe den Chinesen auf der Gimpelinsel.

30.7.

Beim Zusammensuchen unterhaltsamen Lebenskrimskramses muss ich feststellen, dass der Unterschied zwischen Normalbetrieb und Alltag selten ins Auge springt.

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Immer öfter vertippe ich mich beim ohnehin schon ungeschickten Handy-Nachrichten-Schreiben, weil das im Streitbereich zwischen linkem und rechtem Auge passiert.


31.7.

Fini verfällt angesichts ihrer „Geburtstagstorte“ (sauteures Nassfutter) in das jämmerlichste Fiepen. Bio-Gans ist ihr Crack. 

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Anton Bruckner ist heuer die Taylor Swift von Oberösterreich.

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Coala träumte es, dass alle wieder im Haus leben. Leider drang von oben viel Wasser ins Haus. Alle wiegen bedauernd ihre Häupter und sagen mitfühlend „Die oame Minki!“, statt mir zu helfen.