Mittwoch, Januar 15, 2025

Death Cleaning. Wenn man nicht einmal im eigenen Haus noch Herrin ist (nur noch ein Gespenst)

Unbegrenzt ist meine Vorstellungskraft nur, wenn es um neue Sorgen geht. Derzeit male ich mir lebhaft aus, was passierte, würde ich als Geist in meinem eigenen Haus übrig bleiben. Im Grunde kaum anders als jetzt, nur dass ich der Meinung bin, dass meine Schwestern noch leben und ich auch - aber was weiß man schon Genaueres? Vielleicht stelle ich mich ja lebend wie ein umgekehrtes Opossum. Und schließlich gibt es das Cotard-Syndrom; wer davon befallen ist, leidet unter der quälenden Überzeugung, tot zu sein, aber niemand nimmt einen ernst. Gibt es Geister, gibt es auch die Möglichkeit, dass sie ein umgekehrtes Cotard-Syndrom entwickeln. Sie halten sich für lebendig, sind es auch irgendwie, aber ohne Materie. 

Das führt freilich auf dünnes Eis, aber 1. bleibt die Todesgrenze ein Mysterium und 2. schauen Leute ja auch gerne Filme wie "Kindsköpfe" zwei, sie sind immer noch auf X und mögen After Eight, man kann uns Menschen also mit dem blödesten Unfug behelligen. 

Ich stelle mir also vor, dass meine Familie in Gespensterform wiedervereint durch das Haus strolcht. Die Eltern haben mir vergeben, dass ich ihre Reisebildbände entsorgt habe, wir Schwestern zanken um das beste Zimmer, aber nur aus Respekt vor den Traditionen, wir können ja durch Wände gehen. Privatsphäre muss ganz neu verhandelt werden. 

Die Nachbarn vermissen uns, weil wir nette Leute waren, sie schneiden alle Hecken ab, die auf die Straße hereinwachsen und glauben manchmal, dass sie die Eltern lesend im Wintergarten sehen, aber das ist wohl nur eine Einbildung. Zu Silvester, behauptet einer, sei ein blecherner Farbkübel hoch in die Luft geflogen, mit lautem Knall, er schwört, niemand habe einen Schweizer Kracher drunter gelegt! Niemand von den Lebenden, es war der freundliche Knall-Spuk des Vaters. 

Aber da! Eines Tages stehen neue Leute mit dreckigen Schuhen im Haus, sie sagen "Ui, so viel dunkles Holz!" "Der Zeitstempel ist deutlich zu sehen!" Aber auch "die Bausubstanz ist gut". Die Maklerin sagt, es habe eine recht ordentliche Familie hier gelebt, etliche geisteswissenschaftlich gebildet, aber viel zu früh verstorben. 

Und so weiter. Soll ich darüber einen Familienroman schreiben, in dem wir hilflos versuchen, die Neuen zu vertreiben? Das ließe sich entweder zuspitzen, es kommt zum Endkampf gegen wohlstandsverwahrloste Windkraftkritiker und Volkskanzlerfans. Oder sie sind nett, sie spüren das Unheimliche im Haus, dann rufen sie eine Schamanin, die will aber nur ihr Geld, wir Geister kippen ihr mit vereinten Kräften Katzenpisse ins Genick und so weiter und so weiter. 

Unernst gemeinte Zuschriften bitte an den Verlag!

Donnerstag, Dezember 19, 2024

Aus Kinshasa in 100 Klicks

Es ist mit diesem Blog wie mit dem Verkehrssystem der Demokratischen Republik Kongo, wo der Bus erst abfährt, wenn er voll ist. Sobald das letzte Posting 100 Views hat, kommt das nächste. Ihr habt es in der Hand! 

Die realen Produktionsverhältnisse sehen derweil so aus, dass ich etwa gestern einen Text vom 15.11.2024 gelesen habe, der mir in Grundzügen bekannt vorkam, da ich ihn ja selbst vor vier Wochen geschrieben hatte. Entweder bin ich also ein bissi blöd oder schon sehr müde. (Das Geschriebene war nicht extrem schlecht, das gebe ich mir lobend mit wie eine Lehrerin ihrem doofen Schulkind, das sich im Rahmen seiner Möglichkeit sehr bemüht hat in diesem Herbstsemester). 

Vielleicht mag ja jemand diese kleine Ächz-Mitteilung hundertmal anklicksen, dann überlege ich mir was Schöneres (zweiköpfige Ziegen im Wintersturm, ein Familienepos in den Wirren der Neolithischen Revolution, ein Berliner Befindlichkeitsdrama loster Endzwanziger, eine zeitgemäße Adaption des "Bergkristall" mit besonderer Berücksichtigung des Toten Gebirges oÄ).

Mittwoch, November 06, 2024

Vergrabt euer Anliegen an der Biegung des Flusses

Völlig verrückt, historisch gesehen, wie gern die Menschen in den 1980ern noch telefoniert haben, mit sieben Meter langen Kabeln durch drei Meter lange Kinderzimmer, völlig irre!

Bitte ruft mich nicht an! Schreibt mir lieber ein SMS, wenn's dringend ist, aber lieber wäre mir, wenn ihr es nicht so weit kommen lasst, dass es dringend ist, dann reicht ein Email, aber ich komme grad nicht zum Antworten. Whatsapp bitte nicht unbedingt, das ist mir zu privat – und SMS bitte nicht mehr ab 18:30. Signal geht immer, aber das hab' ich auf lautlos. Ruft mich nicht an, ich melde mich. Per Telepathie, lest meine Antwort am Flug der Saatkrähen ab, die Borkenkäfer nagen mein Feedback unter die Rinde der Fichte, die in der letzten Serpentine vor der Hintersteineralm liegt. 

Mit freundlichen Grüßen

die Generation X

Freitag, September 27, 2024

Ein paar eitle und ein paar innige Sätze zu Bodo Hell

Seit 9. August wird es kaum eine Begegnung unter Literaturnahen gegeben haben, in der nicht sorgenvoll das Gespräch auf Bodo Hell gekommen ist. Wir alle vermissen ihn und bitten insgeheim den Dachstein, ihn uns wieder zurückzugeben. 

Es ist schon so viel über ihn gesagt worden (besonders schön etwa vom Kollegen Stöger im Blog der GAV OÖ). Wir wollen alle noch so viel über ihn sagen. Ich würde mich unendlich freuen, wenn ich dieses Posting löschen kann, weil er auf irgend eine (mittlerweile verrückt unwahrscheinliche) Weise lebendig und gesund seinen Weg zu uns zurückfindet. 

Zum ersten Mal hatte ich ihn in Innsbruck getroffen, bei den Wochenendgesprächen, wir kamen sehr bald auf die gemeinsame Freude über leicht bescheuerte Worte wie "hubschrauberbringbare Jagdhütte". Darum war ich nicht übermäßig besorgt, als er jahrs darauf recht kurzfristig unser Lesebühnengast beim Festival der Regionen war. Bodo bringt immer Geschenke mit, dieses Mal sündteures Sauerteigbrot "aus der Stadt, weil ihr am Land ja keins habt", sagte er mit diesem fantastischen Hell-Kichern. 

Er lachte auch sehr über unsere unseriösen Gebarungen, als René und ich etwa vorgaben, den Buttinger zu schlachten und zu essen - ein kleiner Hund aus dem Publikum sprang ihm in ehrlicher Erregung helfend bei. Bodo verlas eine botanische Phänomenologie der Capsicum-Gattung. 

Im Mai dieses Jahres kam er zu uns nach Wels, dieses Mal hatte er Meisterwurz-Schnaps mitgebracht, und für alle die dritte Auflage von "Begabte Bäume". Julia Jost und er wanden mir irgendwann das Heft der Moderation aus der Hand, ich ließ es glücklich geschehen, sie unterhielten sich über Fleckvieh und Kärntner Gebirgsauffaltungen.
 

Weil das alles hier unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, veröffentliche ich das wertvollste Stück meines künftigen Vorlasses, nur deswegen wird mir das Stifterhaus in 30 Jahren ein paar Hunderter für meine Postkartensammlung zahlen: 



Als Gipfelpunkt der Koketterie zitiere ich mich am Ende auch noch selbst, denn etwas anderes kann ich im Grunde nicht sagen: "Jetzt ist aber Schluss mit dem Tod!"

Dienstag, August 20, 2024

Der Kostenfaktor Mensch ist für uns leider nicht mehr darstellbar

Irgendwann wird die Raika Selbstschussanlagen in ihren Filialen installieren, um den Kostenfaktor „Kundenbetreuung“ positiv zu saldieren bzw. den Kostenfaktor "Personal" besser darstellen zu können. Es wird wohl Unmut geben, aber Anzeigen können nur in den Landeshauptstädten aufgegeben werden, in Polizeiwachstuben mit Parteienverkehr von Dienstag 8 bis 8:15. Der Postbus fährt um 7:59 ab und um 15:38 zurück. Telefonisch kann man 24/7 anzeigen, unter einer kostenpflichtigen 0900-Nummer, die in ein Callcenter in Bangalore führt. 34 Minuten Wartezeit sind fix programmiert, abgespielt wird der WKO-Song über die Vorteile des 12-Stunden-Tages. In Minute 35 sagt das Tonband mit der Stimme von Christiane Hörbiger „Derzeit sind alle Leitungen besetzt, die nächste freie Leitung ist für Sie reserviert.“ Nach weiteren 13 Minuten sagt die KI-Hörbiger „Wollen Sie eine Vignette online bestellen, drücken Sie die 1. Wollen Sie ein Leumundszeugnis für einen Heimkredit beantragen, drücken Sie die 2. Wollen Sie eine Personenstandsänderung im Zuge einer Bankfilialenbetretung melden, warten Sie auf die nächste freie Leitung.“ Die Warteschleife entspricht subjektiv dem Sonnenjahr des Uranus. (84 Erdjahre), denn der Kunde will es so. 


Das Bild ist eigentlich lustiger als der Text drüber: Raiffeisen "Jungfrau" hat Harold "Smile the Pain away" als Testimonial fürs Erben und Sterben verwendet.

 

Donnerstag, August 01, 2024

Glutamat auf der Gimpelinsel, vollgeludelte Trompeten, Gänsecrack und der größte Tag des Jahres

Lebenskrimskrams im Juli 2024

1.7. Bad Aussee - Linz

Am Bahnhof Hallstatt füllen Asiaten den Zug an, in Bad Ischl ist er schon fast wieder leer. Zuerst drücken schwarze Wolken und Wände herein, mit jedem Kilometer wird es freundlicher, aber ich will ja im Dunklen bleiben wie eine Katze in der Schachtel. Während der Fahrt lese ich „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“, das habe ich fast zu gut getroffen.

In Linz fremdle ich ein wenig, niemand erkennt mich, Frechheit! Dabei werde ich jetzt vom ORF gefilmt, hallo! Aber bald schreibt mir K., worin ich denn so forsch ausgeschritten sei, sie habe mich belustigt von der Bim aus beobachtet. Dann spaziert G. vorbei wie ausgemacht.

Ohne allzu großen Genierer sitze ich dann vor der Kamera und blättere im eigenen Buch, dabei sitze ich als ehrenamtliches Austrofred-Fangirl auf dem passenden Strandtuch. Ich tue so, als sei ich touristisch vom Fach (beim Heimgehen gehe ich an der echten Linzer Tourismuszuständigen vorbei). Am Ende kommt es mir ganz ok vor, dass wir uns nicht im Salzkammergut getroffen haben, das ist auf der Metaebene schon ein wenig abgefrühstückt.

***

Großes Wiedersehen am Bad Ausseer Bahnhof, der Hund spürt die Tragweite meines Ausflugs, der Mann lacht.

Der Chinese auf der Gimpelinsel erfüllt alle Erwartungen, weil ich keine hatte. Fast schon wieder ein Kulturgut, das fast schon wieder erhaltenswert ist. So war das in den 1990ern, Kinder, so schmeckt Glutamat, und das Zipfer gibt’s nur in der Flasche!

2.7.

Dem Buttinger wird eine kleine Freude zuteil, als wir beim Spazieren vor dem Gipsbruch gestoppt werden, es müsse gleich gesprengt werden.

Wir machen uns die Waldhimbeeren gegenseitig mit Warnungen vor dem Fuchsbandwurm madig, aber erst, als wir schon minutenlang gierig geweidet haben.

Ein deutsches Seniorenpaar macht mir unter dem Ressen die Freude, mich zu fragen, ob ich von hier sei, und wie die Berge da drüben heißen. „Oh Gott, don't get her started!“ denkt der Buttinger sehr laut, ich lege los! „Jetzt spürst du die Freude, die uns das Mansplaining bereitet“, sagt er dann, nachdem ich die beiden halb bewusstlos informiert habe.

Später frage ich den Wirt vom Mostbauern, ob er von hier auch öfter Steinadler über den Bruderkogeln sehe. „Zum Umischaun hob i koa Zeid!“ 

Die beiden Fährmänner (da teuerste Verkehrsmittel weit und breit hier) sind auffallend gut gelaunt. Der Junge erlaubt uns zur eigenen Freude über seine Großzügigkeit, Fini auch ohne Maulkorb mitzunehmen. Er mag sich gar nicht von uns zu trennen, muss aber doch weg, um in Doppelconfèrance die wichtigsten Zahlen, Daten & Fakten über den Grundlsee ins Mikro zu lallen (ich übertreibe ziemlich).

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Wir sehen der Herrennationalmannschaft beim Ausscheiden zu (also Fußball, nicht WC), kurz kommen Emotionen auf, aber das Alter weiß schon, dass morgen alles wieder wurscht ist.

3.7.

Riesenskandal: Der Kaiser-Franz-Josefsdarsteller von Bad Ischl ist in Wahrheit Luxemburger.

Buttinger lässt sich beim Buttinger das Haar machen und nimmt die „Alpenpost“ mit. Ein Füllhorn an lokaler Information, da steht drin, was der Maurer ausgelassen hat. Angeblich wird es bis Australien verschickt. Ich bin ganz ohne großen Sarkasmus begeistert, weil man nach dem Lesen ALLES weiß. Unschön von mir, wie lustig ich es finde, dass der Verbandsoberschützenmeister ziemlich schielt. 

Dann auf Knödel und Psychologie zum Veit. Der Wirt erläutert, dass es überall Trottel auch gebe. „Einem Jammerer musst du was nehmen, einem Prahler was geben.“ 


4.7.

Endlich die erste Wanderung! Und wieder etwas Neues gefunden. Wieder mit dem Hund auf den Hundskogel. Mein Eintrag im Gipfelbuch vor ziemlich genau zwei Jahren liegt nur sechs beschriebene Seiten zurück.

Am Fuße des Klammkogels erschrickt der Fuß über einer Höllenotter, ich bitte reflexartig um Entschuldigung für die Störung hier auf dem schmalen Steig und bin erleichtert, dass sie und der Hund einander gar nicht wahrgenommen haben. 

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Nach dem Trinken mit X. und F. wissen wir wirklich alles: nie am Samstag zum Ausseer Kirtag, da brunzen die Wiener Nepo-Babys den Musikanten in die Instrumente. Schießen darf man hier am Grundlsee ausschließlich in der Tracht, und man sollte nicht zu gut treffen, um die Eingeborenen nicht zu vergrämen. Bei der Siegerehrung heißt es immer noch "Kommen wir nun zur Königsklasse!" wenn die Herren prämiert werden, auch wenn X. das Gesamtding beinahe gewonnen hätte.

F.s Vater versorgt die lokale Vogelwelt so umsichtig, das die Spatzen adipös geworden sind und die Enten in der Nebensaison mehrspurig zum Büffet watscheln.

5.7.

Ambitioniert um 6:25 Uhr aufgestanden, aber zurück ins Bett. Am Vormittag heftiges Bedauern über die Fehlentscheidung. Bin ich heikel geworden?! (Heute, 17.1., halte ich mich für verzogen und heikel!). In der Mittagshitze dann ein hektischer Kompensationsmarsch, eine Holzwegrecherche.

6.7.

Die Schrift erfüllt, was das Abhängen im Murboden betrifft. 

Winzige Fische springen vor dem Kajak auf wie längliche Wassertropfen mit Eigenantrieb.

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Brave New World“ zum ersten Mal gelesen: Man kann den Klassikern nicht mehr trauen. Jeder Querdenker könnte ohne Mühe eine Bestätigung herauslesen. Mir kommt es nicht mehr besonders zielführend vor, sich die Zivilisation aus dem sündigen Leib zu peitschen und Senf zu trinken, um die unchristlich-sexuellen Gedanken herauszuspeien; eine Sünde, die natürlich von den Frauen in die Welt gesetzt wird. Hebt man sowas auf? Nur so lange, wie „Dallas“ und „Dornenvögel“ noch im Haus sind.

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Die Murmeltiere haben Junge! <3 Ein großes und die drei Kleinen sitzen beim Fressen in der Futterkiste und graben sich ein. Ein kleines beißt mich ein bisschen in den Finger. 

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Die Kulturhauptstadt wirft ihre Tentakel aus. Der Bürgermeister tut so, als würde er uns erkennen, wir brauchen umgekehrt einen zweiten, weil er keine Tracht trägt. Das Konzert heute müsse man sich als „Soundscape“ vorstellen – uns muss er eh nicht überzeugen, und wir wissen, dass er ein Elektronik-Eklektiker ist.

Ich trippe ein wenig hinten am Toplitzsee, auf einem Bier, einer E-Hackbrett-Performance und den Wolken, die über uns ziehen. Auf dem Weg zum Veit kommen wir an der Station vorbei, wo Geige und Flöte trippen, es ist sehr kunstig. Beim Veit ist alles voll und durstig, was zu erwarten war, seit Monatenr. Als „Verstärkung“ hat man sich den weltschlechtesten Kellner eingefangen. Er kann sich kaum fortbewegen, seine Knie wirken wie aus käsigem Holz geschnitzt, ohne jedes Spiel in den Knien. Deswegen bewegt er sich auch kaum fort und verwickelt die Gäste in Smalltalk. Schließlich stakst er ins Haus – wir sehen jetzt, dass hinten auf seinem T-Shirt „Ich hasse es, sexy zu sein, aber ich bin eben Steirer“ steht - und kommt eine Weile später mit Eis für die Kinder zurück, das ihnen die Eltern nicht kaufen wollten, weil sie eh schon zwei bekommen hätten. Eigentlich sollte der sexy Steirer Gläserschachteln bringen, der einzig tüchtige Kellner kommt schimpfend daher, weil gar nichts klappt, er schimpft mit dem gemütlich an der Sackkarre lehnenden Holzbein. „Wos hod a denn firan Stress!“, murmelt der ihm nach. Langsam wie ein Gletscher setzt er sich in Bewegung. „Des do hätt i ned braucht, i hätt ma dochd, de singan a poa Gstanzln, wos hoid passt, owa so hätt' i aa in Graz bleibn kennan, do gibt’s gnuag, de glaubn, dass des Musik is, wos de do mochn!“ Er kommt an uns vorbei, zum Glück bleibt er nicht stehen. Ein Tropfen hängt von seiner Nase.

7.7.

Wild geträumt von einer Show, die null geplant, aber im ORF übertragen wird. Viel zu wenige Mikros, Ideen und Witze, dafür Elfie-Ott- und Miram-Weichselbraun-Lookalikes. Es ist eine Art Moderations-Karaoke als Steigerung des Powerpoint-Dings. Später soll ich die Mutter irgendwo abholen, weiß aber nichts. Ich erreiche den Vater und frage, ob sie nicht ein Handy bekommen sollte. Der beruhigt mich am Telefon, sie warte ab 22 Uhr in Möllendorf. Danke, Weißwein!

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Bei starkem Wind macht der See ein herrliches Brandungsgeräusch. Man hört es, weil der kleine Sturm die Camper in ihre kleinen Höhlen weht.

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Der Zirben-Spritz beim Staudnwirt wird mein neues Drogenproblem.

8.7.

Eingedenk meiner Fehlentscheidung am 5. gehe ich heute zu Fleiß im Nebel los, er lichtet sich auch auf dem Gipfel des Backensteins nicht, trotzdem stapfe ich den Steig Richtung Osten. Irgendwann ahne ich, dass es die Nebelgrenze zu schaffen ist – und wirklich: Euphorie auf dem Häuslkogel. Gleich beißt mich die Sonne ins Genick und eine Ameise in die Stirn. 

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Anrührende ZEIT-Reportage über einen Superzuchtbullen mit absurdem Namen, der der arme Ochse „Wolfi“ zur Erregung dient.

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Beim Kulturmontag kriege ich diesmal etliche Sätze über Urlaub im Urlaub. Der Zug zum Hochdeutschen ist bei mir endgültig abgefahren.


9.7.

Jahrestag am Altausseersee (absurdes Wort btw.), der Buttinger hat eine schöne Wirtschaft gebucht. Aber eigentlich müsste man gleich wieder umdrehen, wenn sich ein Lokal das Bier aussaufen lässt an so einem Tag, noch dazu eins aus der Mateschitz-Erbmasse. Abgesehen davon ist es schön. 

 Beim Heimweg vollenden wir die Runde. Seit Daniel Craig den grantigen Mann in der Schiffsanlegehütte abgeknallt hat, stehen wieder fröhliche Schirme und Biergarnituren im Gras. Angenehm, dass es keine Anzeichen für James-Bond-Tourismus gibt.

Im Munk-Park verliebt sich eine Frau so schock in den Hund, dass sie zu sich selbst leise sagt „einmal noch streicheln, dann muss ich gehen!“ Zwei eingeborene Damen sitzen auf der Bank vor dem Friedhof und loben den „braven Betriebsrat“. 

Eine Gedenktafel erinnert an den Ertrinkungstod einer Viehtreiberin am 17. Oktober 1777, der der Herr „die ewige Ruhe und eine fröhliche Auferstehung“ verleihen möge. Später lesen wir, dass es sich bei den besonders lauten Rufe, die wir am Anfang des Weges gehört hatten, tatsächlich um Hilferufe Jugendlicher gehandelt hatte, die mit einer Plätte havariert waren.

10. Juli

Der Neistoa? Der is lästig zan geh!“ sagt der Wirt, der mich erschöpft daherschlapfen gesehen und nach dem heutigen Wanderziel gefragt hat. Recht hat er. Elf Stunden haben ich mich geplagt, trotzdem bin ich leicht unzufrieden, weil zu feig für neue Wege, die Direttissima am Lahngangsee vorbei. Oder zu klug. Ich lege eine Liste an, mit dem Titel „Projekte, wenn ich schon alles andere gegangen bin“.

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Bauers kommen an, noch ganz gezeichnet von der lästigen und plaghaften Heimat im Norden. Biere und Kasnocken verschwinden restlos in uns.

11.7.

Touristen angesichts des Sees: „Schau amoi, des is eigentlich a gaunz scheena See!“ Erstaunlich, dass man sich in Zeiten fundamentaler Googelbarkeit noch so überraschen lässt.

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Dieser Tage träumte mir, dass ich dem Vater anbieten wollte, dass er doch eigentlich jetzt wieder bei mir einziehen könne.

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In der Nacht brummt ein Falter verzweifelt gegen das Fenster, will sich aber nicht retten lassen. Endlich das Gewitter, das seit 36 Stunden angekündigt wird.

12.7.

Seit ich hier bin, tut sich in den Träumen mehr als am Tag. Das Unterbewusstsein teilt den Eltern heuer viele Rollen zu, was hoffentlich ein gutes Zeichen ist – auch wenn es zuweilen anstrengend ist. Diese Nacht kam die Apokalypse als Feuerwalze daher, ein Vulkan oder Meteoriten, egal. Fakt war, dass der Vater wieder Vater wurde. Wir telefonieren uns angesichts der Bedrohung zusammen, immerhin verlangt er, dass wir zuerst die Mutter retten.

13.7.

Schwere Gesteinsbrocken donnern herab, es riecht nach Schwefel. Wir verstecken uns hinter einem Baum (ich mich zusätzlich hinter dem Buttinger), dann tun wir, als sei nichts gewesen und gehen weiter. Die Herren wollen zum Igel geführt werden, also schleichen wir als die OLW-Partisanen durch den Bergwald Richtung Ischler Alm. Den Stalin im Schildkröten-Unterschlupf hätte ich persönlich im Jahr 2024 weggelassen. 

Stöhnend fallen die Herren auf das Gestühl der Blaa-Alm und bestellen tüchtig. Halbwegs gesättigt gewährt uns René Einblicke in sein Indiana-Jones-Tascherl, das er IMMER mit sich führt. Er trägt unter anderem ein Sauerstoffmessgerät darin herum. 

Es folgt der tiefste Nachmittagsschlaf des Jahres.

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Allmählich muss ich mit dem Kongo-Buch fertig werden, es ist eine belastende Angelegenheit (das gilt für die gesamte Kolonial-Aufarbeitung).

14.7.

Weil die Herren daydrinken, um den Schmerz des Muskelkaters zu ertragen, bleibe ich nüchtern und komme mir dabei auf die billigste Weise gut vor, weil ich ordentlich bis zum Abendessen warte.

Das EM-Finale plätschert dahin wie das Bier durch die Kehlen. Skurril, wie viel globale Aufregung dabei entsteht.

15.7.

Das Gastkar ist so einsam, dass auch die Tannenhäher auf ihre sonst so beständigen Schergelschreie verzichten. Die Alpenvereins-App wird blind an der Wildnisgrenze, auch Suunto kennt die Namen der Kare hier nicht mehr. Es sind aber fast überall Steinmarkierungen, die Eingeweihten haben also noch ein paar Geheimnisse bewahrt.

Heute finden wir den Weg recht gut, es bleibt genug Zeit für einen kleinen Schlaf, bevor wir auf den Hauptgipfel hinübersteigen. Das Gipfelbuch beginnt 2018, die Seiten lassen sich schnell durchsehen (sehr rührend die Erinnerung an eine innig vermisste Hündin, ich kann das jetzt schon nachvollziehen, verrückt). 

Das Gefühl der Ausgesetztheit ist heute nicht so stark wie sonst. [17. Jänner 2025: Es wird der schönste Tag des Jahres gewesen sein, und damit kann ich nur zufrieden sein.]

16.7.

Beklage nie den frühen Morgengrauen

Der Müh und Arbeit für uns gibt

Es ist so schön zu sorgen

Für Menschen die man liebt“

Unter diesem Spruch frühstücken wir täglich. Überhaupt muss man die ganzen Sticksprüche hier an den Wänden ignorieren, wen wollen sie mahnen, die armen Erholungssuchenden im 21. Jahrhundert?

***

Lektionen der Wildnis“ war ein Alex-Glücksgriff, besonders schön ist es wohl, weil ich noch so erfüllt bin von der Wildnis gestern oben auf dem Plateau. Herrlich auch die Linguistik: Die gemeinsame Proto-Indoeuropäische Wurzel von Bär, urs, Arktos etc. sei sein „Rrrrr!“

17.7.

Die Standesbeamtin nimmt freundlich mein Buch zur Aufbewahrung und fragt dann, von wem sie dem Bürgermeister leicht schöne Grüße ausrichten soll.

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Die Junior-Chefin erzählt vom Schwitzen der Waldgeister und Krampusse im dicken Kostüm, ich sage, im Frack sei es genauso, das sei der Preis gelebten Brauchtums. Sie nickt wissend, weil sie mich in der Zwischenzeit gegoogelt hat.

Ein erwähnenswerter Mittagsschlaf hilft, die schon aufkommende Abschiedsmelancholie zu mildern.

18.7.

Am Ende der Forststraße, auf dem Weg ins Erlenkar steht ein Auto, an der Windschutzscheibe ein laminiertes Schild: 

Öfter als früher frage ich mich nun, wie lange ich so etwas noch machen kann, der Mut und die Kondition werden nicht besser. Immerhin war ich heute auf dem Siniweler und dem Breitwiesberg, und für die Zukunft weiß ich, wie man es nicht angeht hier herauf. Beim Aufstieg durch den Salzgraben ist völlig klar, dass es bergauf geht, mit dem Rücken zum Abgrund – absteigen könnte ich wohl, aber nur um den Preis leichter Panik.

Leichte Panik dann im Latschengekröse, endlich die rettende Steindaube. Die Zeit im Widerkar ist wieder zu kurz, aber sie wird nie lang genug sein. Der Adler lässt sich heute nicht einmal aus der Ferne anschauen.

19.7.

Dank müder Füße gelingt ein guter Badetag.

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Das Körpergehirn der Kraken und die Philosophie der Leiblichkeit: Kraken ist es bewusst, dass sie gefangen gehalten werden, und sie protestieren. Etwa indem sie mit ungeliebtem Thunfisch das Abflussrohr verstopfen oder mit gezielten Sipho-Güssen auf Menschennacken oder Glühbirnen. Weil die Reparatur der Kurzschlüsse zu teuer wird, entlässt man die listigen Wesen in ihre Freiheit.

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Am Abend versuche ich beim Veit den Dorfbäuerinnen das Matriarchat nahezubringen, „oba des gibt’s do eh scho bei ins in Gessl!“ 

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Im Schein der Leselampen auf dem Balkon noch lange gemeinsam die Welt gerettet.

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Weißweintraum: Nicht bloß der Verkehr wird auf Schiene verlegt, sondern die ganze Welt. Es gibt in den Zügen eine Ebene für die Passagiere, ein Luxusoberdeck und einen hohen Wald (in dem paramilitärische Übungen abgehalten werden und in dem ich ein soeben geerbtes Gewehr verliere). Schließlich gibt es in der mittleren Ebene ein Oberösterreich, samt Nachbildung des grünen Festsaals des Landes OÖ, in dem mir für mein einschlägiges Wirken im Kulturmontag eine Ehrenmedaille überreicht werden soll. Ich bin auch schon fesch adjustiert, mit Pullunder und schmaler Seidenkrawatte, aber dann steige ich leichtfertig aus dm Zug und strande stattdessen im rostigen Ennshafen →

20.7.

Gnädiges Erwachen. Wer ist das, die so etwas in mir immerzu träumt?!

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Ein Landregen bringt die Camper in ihr Elend, Buttingers verschlafener erster Blick am Morgen weidet sich daran.

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Wieso weiß eine Riesensepie, die obendrein farbenblind ist, wie sie sich verfärben muss, um mit der Umgebung zu verschmelzen? Beim Lesen bemerke ich, dass ich vielleicht zum ersten Mal im Leben von selbst auf eine tatsächlich noch offene Forschungsfrage gekommen bin (natürlich als 436564.). Es wird angenommen, dass sie mit der Haut sehen, ohne zentrale Wahrnehmungsstelle.

21.7.

Reinhold Messner wählt ein recht überraschendes Medium für die Klage über den groben Undank seiner Erben – die Apotheken Rundschau (orf.on berichtet).

22.7. Schönering

Wie können drei Wochen einfach so mit einem Fingerschnipp vergehen!? Wenigstens liegt noch ziemlich viel Sommer vor mir (was ich nur weiß, nicht fühle), aber ab jetzt wird alles ein wenig blasser.

Im Garten wuchert alles, nichts davon ist essbar.

23.7.

Wiedereintritt in die Erdatmosphäre, die Schwerkraft des Alltags fasst mich hart an. Es sind zwar nur 66 Emails, aber wie soll ich die jemals beantworten, in mir sind keine Knochen und kein Wille. Wie kann ich den Garten jäten, noch dazu, wo er mich nicht ernähren will? Wenigstens kann ich jetzt wieder überall Chili reintun. Sonst aber keine weiteren Probleme, nur der Keller ist ziemlich nass.

Heroischer Kampf gegen den abendlichen Drang zum Alkohol. Buttinger rettet meine Laune, indem er mir als Vorausgeschenk zum Geburtstag einen Hochentaster schenkt, der aussieht, als könnte ich ihn zur nächsten Leipziger Cosplay-Messe als Accessoir mitnehmen.


24.7.

In fünf Monaten ist Weihnachten.

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Wenig überraschend bin ich doch nicht hochbegabt beim Gstanzlschreiben.

25.7.

Kein Wunder, dass der Garten meine Ernährung nicht sichert, ich bin einfach dumm und habe alles durcheinandergebracht, sodass statt des Kürbis im Dreischwesternbeet eine arme Gurke verdurstet, mit einer jämmerlichen Frucht. Der Kürbis stattdessen... ach, lassen wir das.

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Es sollte mir aus aktuellem Anlass was Kluges zu Kamala Harris einfallen, aber wie immer überkommt mich beim Einfühlen in das politische Leben ein Grauen, weil diese Menschen bei jedem Hundsderschlagen dabei sein wollen und keinen Wert auf ein angemessenes Privatleben haben.

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In der zweiten Nacht ohne Alkohol sind die Träume wieder still geworden.

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Life hacks zum Erhalt der mental health: Verena Schöpfers Abmoderation möglichst oft anhören. Ein Vogelhaus ans Fenster kleben. Strickjackenlöcher patschert flicken. Generell: heimliche Liebes- und Reparaturdienste an Gesellschaft und Eigentum.

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Sandra Bullock, die heute 60 wird, ist von ihrem früheren Gatten mehrfach betrogen worden. Den Männern ist auf dieser Erde nicht zu helfen.

26.7. Aigen im Ennstal

Mit den Dolomitendamen wandern. Neben diesen ordentlichen Frauen wirke ich zwar wieder einmal wie eine verfressene Alkoholikerin, ansonsten aber keine Beschwerden, im Gegenteil. 

Simone hat eine harte Kritik am Roman: Ihr denkwürdiges „I stich di o in da Nocht!“ kommt nicht vor (stattdessen Theresias „Die Männer schauen im Schlaf aus wie Welpen, damit wir sie nicht derschlagen.“)

27.7.

Es ist nur anstrengend auf das Gumpeneck, weil wir pausenlos schnattern, es ist einfach die Gegenbewegung zu meinen einsamen Wegen im Karst. Hier südlich der Enns wächst das Gras auch noch auf 2200 Metern, wir jausnen im Schafsdreck. Endlich finden die Augen nach Hause und bleiben am Reichenstein hängen.

Im Freibad führe ich mich dann auf wie ein Halbstarker, Arschbomben vom 3-Meter-Turm, Schwimmrennen, Kraftmeierei. Wir lungern auf den Badetüchern und ich frage mich, wie viel besser meine Jugend gewesen wäre, hätte ich da schon solche Freundinnen gehabt.

Wie kann man im Sommer nicht das Größte im Jahr sehen?

28.7.

Ganz Wien riecht wie ein Axe-Deodorant („nice wie ein Parfüm“), süßlich, nach paarungsbereitem Jüngling.

Es ist das Glück der Männer, dass sie nicht immer so sein müssen, wie sie voreinander glauben, sich aufführen zu müssen. Immer die Beine spreizen, jeden Halbsatz mit „Bro“ beginnen, immer so anstrengend extrovertiert tun, in neon ausgeleuchteten Barbershops abhängen. Ein mühsames Leben. Andererseits die Frauen! Wenn im Gespräch „Linsen“ fällt, muss eine immer sagen „das ist eine wertvolle Proteinquelle!“ So müssen wir uns genderübergreifend voneinander erholen.

29.7.

Notierenswert: den ersten Tofu hingekriegt, der wirklich gut schmeckt. (Coala und ich laden zur Asia-Orgie, samt koreanischen Drogeneiern). In diesem Fall bin ich für eine Machtübernahme der Chinesen. Irre, wie schlecht man auswärts essen kann, siehe den Chinesen auf der Gimpelinsel.

30.7.

Beim Zusammensuchen unterhaltsamen Lebenskrimskramses muss ich feststellen, dass der Unterschied zwischen Normalbetrieb und Alltag selten ins Auge springt.

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Immer öfter vertippe ich mich beim ohnehin schon ungeschickten Handy-Nachrichten-Schreiben, weil das im Streitbereich zwischen linkem und rechtem Auge passiert.


31.7.

Fini verfällt angesichts ihrer „Geburtstagstorte“ (sauteures Nassfutter) in das jämmerlichste Fiepen. Bio-Gans ist ihr Crack. 

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Anton Bruckner ist heuer die Taylor Swift von Oberösterreich.

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Coala träumte es, dass alle wieder im Haus leben. Leider drang von oben viel Wasser ins Haus. Alle wiegen bedauernd ihre Häupter und sagen mitfühlend „Die oame Minki!“, statt mir zu helfen.

Montag, Juli 01, 2024

Stundenwasser, abgeschminkte Nachtigallen und einvernehmlich gebumste Ryans

Lebenskrimskrams im Juni 2024

1.6.

Wieder einmal bestätigt sich, dass ich es komplett aufgeben soll, den Kindern von irgendwelchen Erfolgen zu erzählen, sie haben selbst das buntere Leben und sind noch nicht so weit, sich aufrichtig für das dröge Leben älterer Leute zu interessieren (bin ich selbst eigentlich schon so weit? Auch nicht). 

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Vor der Haustür parkt der „Dichtungsprofi“, was schön zur nun beginnenden Dienstfahrt zum 1. Poesiefestival von Bad Hall passt. Weil es anhaltend schifft, muss das gesamte Programm in den Kursaal gestopft werden, statt synchron auf drei Open-Air-Bühnen verteilt zu werden. Es ist sehr voll und sehr schön, das Rauschen des Regens wie der Soundtrack für die Dichtung. Nur die Gastro ist auf das übliche Lyrik-Aufkommen eingestellt, es gibt keine Hoffnung auf ein Käsesemmerl, geschweige denn Bier. Ich nehme mir künftig nicht nur zum Wandern ein Jauserl mit. Zum Glück teilt die gute Marianne Jungmaier ihren Snack mit mir. Ich verliebe mich besonders in die jungen Slammerinnen Nnebedum, Wenty und Duygu. Und wieder bin ich froh, nicht mehr zu slammen, sonst hätte ich mich sehr viel mehr bemühen müssen.

2.6.

Einen Text schreiben voller Binsen, jeder Absatz endet mit „Aber darüber wagt es niemand, zu berichten!“ Das schreibe ich auf, und dann kommt im Wasserwald exakt so einer daher, ein Sonntagsprediger, der ungefragt der Welt mansplaint, voller Wut in der Stimme. Das unwillige Publikum ist schlau, um so viel Text hat niemand gebeten, wir stieben in alle Richtungen davon.

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Wie völlig absurd alte Autos mittlerweile auf der Autobahn wirken, heute etwa ein alter Mini, man hält ihn zuerst für bemitleidenswert, dabei sind nur unsere Schüsseln so unnötig riesig geworden. Ein kurzer Schreck beim Überholen, das Steuer ist verwaist, nein, halt, es ist nur ein britischer Mini.

3.6.

Es gibt das „Eigenbrauer-Syndrom“, wodurch Erkrankte gleichsam in sich selbst Alkohol entwickeln und schwere Vergiftungen erleiden können. Die Welt ist groß und voller Gefahr.

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Die Jahrhunderte sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren – wir haben das nächste Hochwasser. Fini ist ganz von der Rolle angesichts des wilden Meeres, das ihren Strand frisst. Die Wege, die wir gerade so gern gehen, wird es in wenigen Jahren nicht mehr geben (wenn es sie denn heute noch gibt). Überhaupt scheint die Natur von der Rolle, in Schmitzis Garten steht später eine Rehmutter mit ihren zwei Kitzen. 

Es herrscht ein kleiner Katastrophentourismus auf der Staumauer, das Brodeln der durch die Schleusen jagenden Fluten hat hohen Schauwert.

4.6.

Nach Tagen zum ersten Mal kein Regen mehr. Die Donau steigt so schnell, dass man ihr dabei zusehen kann. Dani und ich stehen im Regenwald und essen Kirschen, es ist eine sehr beschauliche Apokalypse. Bei Sonnenschein ist das Toben des Wassers fast absurd. Es müsste nur etwas weniger Schlamm im Wasser sein, dann läge Wilhering am Atlantik. 

5.6.

Ausnahmsweise hätte man mich doch anrufen können, ab 7 Uhr meinetwegen, um mir mitzuteilen, dass ich das Projektstipendium bekommen habe! Ich lese spät das Mail und verliere die Kontrolle über meine Beine, die in wilder Freude auf den dicken Büroteppich stampfen, sodass der Hund ganz aufgeregt daherrennt. „Du holst aus deiner Prokrastination das Optimum heraus!“, sagt Buttinger anerkennend bzw. wahrheitsgemäß. Dann trudelt auch noch die Zusage für die "Facetten" ins Haus. Wie jedes Jahr muss ich nachsehen, was ich überhaupt eingereicht habe („Die Ameisen“). Sofort verlasse ich das Büro und schraube die schlechtesten Sesselleisten Mitteleuropas ins Baumhaus.

6.6.

Ich höre die Schritte einer Ameise auf dem Falter, die werde ich in Zukunft auch nicht mehr umbringen können.

Überfressen an den eigenen Walderdbeeren. <3

Im Garten ist es gar nicht so leicht, an die Klimakatastrophe zu glauben, auch wenn ich noch nie so früh im Jahr die ersten Himbeeren gegessen habe.

Ein Tigerschnegel.

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Eine Frau erklärt mir im Stiftspark, „der Wechsel hat mir die ganze Freude genommen!“ Sie redet sich in Rage, dann hält sie inne und sieht sie sich um. „So, ich schwitze nicht mehr! Das hat mich jetzt erfrischt, ich danke Ihnen!“ Für eine Seligsprechung wird’s nicht reichen, aber besser das als die Heilung brasilianischer Krampfadern.

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In der Nacht träume ich davon, wie ich in Gefangenschaft der Erwerbsarbeit gerate, ausgerechnet in Coalas alter Firma. Es fühlt sich mindestens so schlimm an wie damals die ersten Tage der Ferialjobs, eine Karikatur des Meindlschen Arbeitsparadoxons – eine ennervierende Gratwanderung zwischen unterforderter Langeweile und der Angst, wegen Unfähigkeit rausgeschmissen zu werden mit Schimpf & Schande. Niemand zeigt mir, wie es geht und was überhaupt meine Aufgabe ist. Immerhin kriege ich einen Computer, aber nur mit einem Firmenprogramm drauf, mit dem ich original genau nichts anfangen kann, und das ist gar nicht mit den Augen dersehe. Als ich Coala davon erzähle, sagt sie, „so war's ja wirklich.“

Überhaupt aktuell noch viel dummes Herumgesorge mit immer weniger Anlass, ich habe einfach eine seelische Neurose, am besten ignoriere ich mich. Wenigstens habe ich schon gelernt, dass es nicht sehr viel schlimmer wird, wenn ich echte Sorgen habe.

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Haben Männer eigentlich Phantomschmerzen wegen ihrer an uns verschenkten Rippe? Ich hoffe es.

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Maturantinnen in der Linzer Bim unterhalten sich in künstlich westdeutschem Akzent: „Also ich hab Metaphern bekommen.“ „Bei uns war's hauptsächlich parataktisch und selten hypotaktisch.“

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Wien

Zwei amerikanische Touristinnen begrüßen den Kellner extrovertiert mit „We had two huge Wiener Schnitzel!“

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Mieze, Markus, Yasmo und ich gönnen uns gegenseitiges Loben und Schmeicheln, es ist eine einzige liebevolle Slamily-Aufstellung, die wir uns nach 1000 Jahren kaum bezahlter Szenearbeit wirklich verdient haben. Köhle: „Ihr Diskursmäuse!“ Und: „Humor ist ein sozialer Dienst.“ Nach der extrem schönen Lesung dieser drei Schätze dann zu viele Biere, wir reden lang recht poetologisch, beim Hotelsuchen wanke ich aber leicht.

7.6. Wien – Grundlsee

Der Frühstücksraum ist voller schlecht gehender alter Tourist*innen.

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Auf dem Lagerhausturm von St. Valentin steht in blassem Türkis „35 Jahre ÖVP sind genug“.

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Grundlsee

Rührung angesichts des ersten Blicks, aber es wird wohl noch inniger bei der Wiederkehr am 29. Juni! Es braucht die Fülle der drei Wochen für das volle Glück.

Ich schenke den Wirtsleuten meinen Roman, die Chefin freut sich, „aber es ist so klein gedruckt, da werd ich bis Ende Juni nicht fertig mit dem Lesen!“

Glück und Sekt mit den Schwestern auf dem Balkon

8.6. Grundlsee

Zu sechst auf die Zimnitz-Alm, zu zweit herunter. Dani ist die Leistungsträgerin der Gruppe. Dann allgemeines Mittagsschläfchen, als wären wir ein Rudel Murmeltiere. 

Katharina Schinko lädt uns zur „Wirtshaus-Show“, bei der Hosea Ratschiller zum Rudelbudern einlädt, andernfalls werde er sein neues Programm an uns ausprobieren. 

Beim Zuhören kommt mir die Idee der Stand-Up-Despoty, bei der sich das Publikum aussuchen darf, welches Land als nächstes erobert wird.

9.6.

Wir frühstücken neben Susi Stach und Karl Fischer, lassen uns aber nicht anmerken, dass wir Fans sind.

10.6. Wels

Seelisch verkatert. Ich bin es nicht gewohnt, so schnell wieder abzureisen.

11.6. Wilhering

Weiterhin stimmungsbehindert, immerhin bei emsiger Bürotätigkeit.

12.6.


 

Für die 15-Jahr-Feier der Lesebühne suche ich ein Foto, auf dem ich selbst 15 bin – fast vergeblich, ich habe wohl versucht, 1993 aus dem Gedächtnis zu löschen. Es gibt nur das von der Ortler-Besteigung, auf dem der Vater so alt ist wie ich jetzt (und jünger aussieht).

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Einen Text für die „schule für dichtung“ hergerichtet, in dem ich die beiden Ryans Reynold & Gosling bumse (einvernehmlich) und dann mit 12 Entenküken niederkomme, die das Evangelium nach Minki verkünden, dazu Kirschenlieder.

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Lauter“ von Roiss: top. Der schwankt noch weiter und besser als ich zwischen Todernst und Ulk.

13.6.

Es geht voran bei der To-Do-Liste, weil ich die Frist für eine Preiseinreichung versäumt habe.

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Emails an den LH und den BGM, recht jovial, zarwos bin ich Künstlerin, wenn ich nicht zumindest vortäusche, ein wenig exzentrisch zu sein? Ich kriege sehr freundliche Absagen für das OLW-Jubiläum und bin erleichtert.

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                    Wenn Schrödinger nicht Quantenphysiker, sondern experimenteller Lyriker geworden wäre

An der Wilia-Haltestelle Rother Krebs steht einer, der aussieht wie der Architektenfreund, er ist es aber nicht, denn der echte begegnet mir erst zwei Minuten später oben in der Hofgasse. Er hat sein vierjähriges Kind schon ganz im grünversifften Sinne indoktriniert, es sagt „Autos stinken!“ Ich pflichte pädagogisch wertvoll bei, denn ich habe heute ja den Bus genommen (zum ersten Mal im Jahr). Dem Vater erzähle ich meine gesamte Lebensgebarung als Kompensation fürs Autofahren. Die Altstadt ist derweil für irgendein Radkriterium gesperrt, kolibrifarbene Männer rasen übers Kopfsteinpflaster. 

Vor mir schlängeln sich britische Touristen an den Gittern vorbei, alle sehr tätowiert, die Herren halten ihre Ellbögen von den Rippen weit ausgefahren, um zu zeigen, wie trainiert sie sind, sie sind betont bärbeißig gekleidet. In dem Moment, in dem sie aber Fini sehen, knien sie sich auf den Boden und zerfließen. Leider verstehe ich nichts, da sie so einen argen Slang sprechen.

Sehr kleine Satire: Beim Friseur auf den Hund haaren

Zwar werde ich vor dem Alex von zwei aggro Tölen ins Knie gezwickt, drinnen erhole ich mich aber flugs wegen der Frage, ob es mir was ausmache, ein paar meiner Bücher zu signieren, ich sage, dass ich nie so abgebrüht werden wolle, dass mich das nerve. Ich lasse Geld für Sachbücher da (Kraken, Wildnis, Kongo), denn Urlaub = Urlaub von der Belletristik.

Im Kroko dann abstruse Honorarverhandlungen, zum ersten Mal in meinem Leben werde ich aufgefordert, deutlich mehr zu verlangen! Die Evolution der Honorare wird mir immer rätselhafter – für Angelegenheiten, die mich siebenmal mehr Nerven und Zeit kosten, bekomme ich manchmal 250, manchmal gar nichts, und die Menschen, die mich damit behelligen, haben nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Martina Mara hingegen möchte, dass ich leicht sexistische Gstanzl gegen die ollen KI-Bros schreibe. Dann erzählt sie mir von lauter selbst erlebten Frechheiten über die Geschichte voller Missverständnisse bei "Frauen und IT/KI", sodass ich richtig entfacht bin.

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Heimrad-Bäcker-Preisverleihung im Stifterhaus. Nach wenigen Minuten die Einsicht, ziemlich dumm zu sein, aber so geht’s mir immer bei etwas experimentellerer Literatur. Gleichzeitig freue ich mich, dass es so vieles gibt, das klüger und radikaler ist als das, was ich schreibe & verstehe. Ilse Kilic schreibt Schönes, da ist so viel Zuneigung und Schalk dabei, mit dem fantastischen Ziel, nicht nur „für sich und ihr Fritzchen das Leben schöner zu machen.“ Ich sage es eigentlich immer, wenn die Rede auf Ilse kommt: Das ist meine Präsidentin.

Auch Chris Zintzen nimmt mich sehr für sich ein. Er arbeite aus Provokation so langsam, und wenn er für sieben Seiten sieben Monate brauche, sei das eben so. Vor 30 Jahren habe er beim Marianne-Fritz-Lesen gedacht, das müsse er sich merken, und das sei ein guter Zeitraum, um sich daran zu erinnern. Parasitäre Tätigkeiten seien alles, was nicht Dichten ist.

Zuhause schneide ich gegen Mitternacht Nacktschnecken entzwei, eine der allerparasitärsten Tätigkeiten.

14. Juni

Umkehrung des Prokrastinationsvektors: Weil so viel im Garten zu tun ist, sitze ich brav tippend im Büro.

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Zwei Postbusse blockieren die Straße bei Pasching, die Fahrer teilen irgendeine Delikatesse durch die offenen Fenster, niemand hupt, weil die Geste so schön ist.

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Unterach, Eurocamp: Festival des politischen Liedes

Ein wenig wie das Gefühl bei der Pfarrreise, nur mit Che-Guevara-Leiberl – ich bin froh, hier zu sein, fürchte aber ein wenig, wegen zu schwachen Glaubens aufzufliegen. Ein Betrunkener erkennt mich als Bundespräsidentin. „He, wieso bistn bei da EU-Woi ned autretn?!“ „1. warum EU? Ich bin die Bundespräsidentin. 2. lasse ich mich doch nicht wählen, zarwos bin ich Bundespräsidentin!?“ Er denkt nach. „Jo, in da Diktatur kriagt ma eh vü weida.“ 

Kurz nach Mitternacht werfen die Herren Monet und Buttinger die Nerven weg und machen eine Bandprobe. Niemand beschwert sich, da es draußen viel lauter ist. Eine Stunde später liegen wir betrunken im Bett, nur René spielt noch Gitarre, ich heule mit ersterbender Stimme "no alarms und no surprises" im nie endenden Fade-Out.

15.6.

Der Frack ist das stärkende Exo-Skelett meiner Seele. 

Bei den Anmoderationen dichte ich den sehr schön musizierenden Herren der Blutgruppe" laufend neue Mittelnamen an: Klaus Maria Josef Jesus Buttinger, René Ignatius Irenäus Monet. Es muss eine kleine katholische Reaktanz sein. Die lieben Menschen kriegen ganz nasse Augerl wegen unserer Tombola, sie freuen sich über die kleine Miliz-Ausstattung und Tischgespräche mit Castro. Danach ein wenig Daydrinking im Cateringzelt. Wir treten die Heimfahrt unter innerlichem Protest an.

16.6.

Nun bewege ich mich schon ganz vorsichtig durch den Alltag und frage mich etwa, ob ich vor dem Urlaub noch in die Boulderbar gehen soll, damit ich mir ja nicht mit einer Sportverletzung meine großen drei Wochen verderbe. Gleichzeitig ungläubiges und wachsendes Glück, dass wir es fast schon geschafft haben.

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Henscheid, „Die Vollidioten“ (eine liebe Gabe von Markus Lehner). Was für ein eloquenter Unsinn! Ein herrliches Zeitdokument, das mich sehr entspannt, weil darin nur getrunken, geraucht, prokrastiniert und gequatscht wird. Sex existiert nur in jämmerlicher Planform. Ein guter Kontrast zum Roiss, wo ein junger Mann sich alles gönnt und trotzdem kriselt.

17.6.

Das Stemmen gestemmt und dabei eine verborgene Begabung freigelegt. Diese Arme und Hände sind für grobe, dumme Arbeiten geschaffen, es ist schade, dass ich nur ein paar Fingerspitzen davon zum Tippseln nutze. Ich arbeite bis zur physischen Erschöpfung, die Ahnen wären stolz, dass ich heute meiner echten Arbeit nicht nachgegangen bin.

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Im Traum knöpft mir Alex Potyka die Unterzeichnung eines Vertrags ab, der das Verfassen eines Regionalkrimis vorsieht, dazu folgende Kriterien:

Leichen: 1

Stil: Heiter

Mordart: Nicht zu arg

Im Traum mache ich nach außen hin gute Miene zum blöden Spiel, weiß aber, dass das ein Fiasko wird.

18.6.

Auch beim Wandern kriege ich jedes Mal weniger hin, als ich mir vorgenommen habe, es ist aber auch teuflisch schwül. Fini „übersieht“ deswegen zwei Gämsen. Immer, wenn ich mich plage, überkommt mich die Furcht, dass es das jetzt gewesen sei mit den langen Touren – heute war ich ja der irren Annahme, dass ich noch weit in Richtung Gamsplan komme. Es ist wie mit den Sommertagen im August. Dabei weiß ich doch, dass das Schönste noch kommt. 

Vor einigen Tagen sah ich auf Facebook das Bild eines Schmetterlings, der aus der verfallenden Mayralmhütte befreit werden musste. Er burrt auch heute wieder gegen die zerbrochene Fensterscheibe, wehrt sich aber mit allen Kräften eines Flügeltiers gegen seine Freiheit. Eine sehr aufdringliche Metapher für verweigerte Aufklärung.

Zuhause merke ich erst, dass die Deppin, mit der ich in einer Körper-WG lebe, den Stecker der Tiefkühltruhe gezogen hat, darin ist alles einigermaßen aufgetaut. Trotzdem brate ich mir die im Dezember eingefrorenen Bratwürstchen, denn sonst sind Tiere endgültig umsonst gestorben. Ich teile mit der begeisterten Fini, um das Risiko zu streuen, dann höre ich den restlichen Abend besorgt in die Körper-WG hinein, ob nicht doch noch eine Fleischvergiftung eintritt.

19.6.

Rainald Götz vertreibe seine Leser*innen immer wieder „aus dem Paradies des Verstehens“, schreibt Peter Kümmel in der ZEIT, eine schöne Paraphrase für „Ihr seid zu dumm, um mein Zeug zu checken“.

20.6.

Irgendwelche Wurzeln haben mein Drainagerohr gesprengt und verstopft – eine aufdringliche Metapher dafür, dass ich in OÖ wohl schon zu sehr angewurzelt bin. Das Stemmen hätte ich mir sparen können, wie es aussieht. Danke für nichts, Rohrmax. Wenigstens hält das heimwerkende Empowerment noch ein wenig an.

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Ein sehr schönes Luxusproblem aktuell: Die Vogerl machen einen mords Radau. 

Es ist der längste Tag des Jahres und ich kriege fast folgerichtig alles geregelt. Nicht nur ich – von früh bis spät liegt das Dröhnen der Ernte- und Mähgeräte in der Luft, es ist seit je her der Soundtrack meines Sinkflugs in die Sommerferien. Wenn ich vor lauter Schlusspanik vor der Sommerfrische wirklich alles Wichtige schaffe, welches sinnlose Projekt reiße ich noch an, um mich in die augenscheinlich notwendige Erschöpfung zu bringen?

Apropos Sommersoundtrack: das ferne Donnern des Gewitters, das gerade das Traunviertel einweicht.

21.6.

Die kürzeste Nacht der Welt endet frühzeitig, weil die Vogerl es jetzt wirklich übertreiben. Fini ist ganz unruhig und will raus, aber das ist ja doof, dort sind die kleinen Dinosaurier noch lauter.

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Der Kampf gegen den Efeu ist ausgefochten (für heute), die Liste der noch zu bändigenden Flora ist lang, aber vielleicht zu schaffen. [Nachtrag Jänner 2025: NIE]

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K. erzählt ganz nebenbei, dass ihr standeswidriges Verhalten verboten sei, etwa hätte sie keine Porno-DVDs ausleihen dürfen. Eine Kollegin habe Probleme bekommen, weil sie – unverheiratet, aber fix zaum – am Bahnsteig ihren Haberer geküsst hatte. Was sind das für Leute, die sowas verschergen?!

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O.HeimArt: So möchte ich arbeiten. Im Laufe dieser zwei Tage werde ich mir zwei Kilo am famosen Büffet angefressen haben und immer einen lieben Rausch heimradeln.

Die Technik fällt kurz aus. „Dominika, kannst du IRGENDWAS sagen?“ „Ich kann NUR irgendwas sagen!“ 

22.6.

Ich gebe den Kampf für eine Blumenwiese auf. Noch nie habe ich so viel für etwas gearbeitet, das mir Arbeit sparen sollte.

Große Freude mit der „Merlin“-App. Am Nachmittag identifiziert sie den in der Edelkastanie brüllenden Vogel als Nachtigall. Auf der Fähre höre ich einen „ordinary chiffchaff“. (Hasi wird mir später raten, mir die Nachtigall abzuschminken, so ein Glück gönnt er mir nicht, ich solle mit einer Singdrossel zufrieden sein).

Am anderen Ufer erleide ich wieder die alte Eifersucht auf Ottensheim, bis mich die Einsicht erleuchtet wie ein kluger Blitz, dass mich ja nichts außer mir selbst daran hindert, mich als Teil des schönen Geschehens hier am Nordufer zu fühlen. Und heute werde ich sogar dafür bezahlt.

Sehr späte Heimkehr, sehr unruhige Nacht im Baumhaus – es knarzt im Wind, auf dem Dach springen Krähen herum, etwas klopft an die Scheibe, wahrscheinlich im Irrglauben, ich sei eine besonders fette Made hier in der Tuchent.

23.6.

Buttinger sitzt im orangen Morgenmantel auf der Terrasse, um mein Herabtaumeln über die selbstgegrabenen Erdstufen nicht zu verpassen.

Psychische und physische Ermattung ermöglichen eine gute Sonntagsruhe.

Mit Zustimmung lese ich vom „Pebbling“, der love language der Pinguine – sie schenken einander kleine Kiesel. Das ist exakt das Äquivalent zum Verschicken von Corgi-Videos unter uns Meindl-Sisters.

25.6. Kreuz, Welser Hütte

Beim Aufstieg streicheln zwei Frauen den Hund. „Iss a Mandal?“ „Naa, owa si fiat si so auf.“ „Recht hod's, daun hod's wenigstns a Lebn.“ 

Die Gämsen hier sind auf Krawall gebürstet. Fini drängt sich schutzsuchend an mich. Beim Jausnen muss ich mich schließlich wirklich erheben und die beiden sich bedrohlich heranstaksenden Leittiere laut rufend und Steine werfend (natürlich nicht gezielt) zu vertreiben.

Die Wirtin auf der Welser Hütte bestätigt mein Unbehagen. Angeblich sind in diesem Gebiet schon zwei Hunde abgängig – es ist sehr wahrscheinlich, dass sie absichtlich über die gewaltige Nordwand in den Tod gelockt worden sind. Die Chefgams sei auch schon auf den Gatten losgegangen, als der nahe der Hütte an der Wasserleitung arbeitete. Der Stoß ging knapp daneben, dabei verlor sie ein Krickerl. „Des kaun sa si bei mia wieda ohoin, waun sa si traut!“

Sie holt mich beim Abstieg später ein, sie nimmt mich mit dem Auto mit zur Almtaler Hütte. Ich frage sie, ob ich blöd sei oder ob der Bach da tatsächlich in der Früh noch nicht da gewesen sei. Das sei „Stundenwasser“, das komme oft an solchen Nachmittagen vor, sagt sie, die Ursache sei noch nicht ganz geklärt. Irgendwo am Büchsenkar gebe es einen Stein, der das Schmelzwasser staut und ab einer gewissen Menge freigibt. 

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Die Namen der italienischen Nationalmannschaft machen Appetit auf Pizza. Die österreichischen auf einen Besuch im Baumarkt (Schlager, Prass, Laimer, Querfeld, Grillitsch).

26.6.

Welser Stadt-Schreib-Jury-Sitzung. Irene Diwiak erzählt, sie sei vom Thuswaldner einmal mit „als Unterhaltung geeignet“ verrissen worden. Auch meins hat ihm mittel gefallen, es sei zugunsten des Witzes „sprachlich zuweilen überkandidelt“. Mit der Unzufriedenheit der alten Bildungsbürger können wir leben.

Sobald das Kulturbusiness erledigt ist, erzählt Hasi, dass sich Bartgeier mit rotem Sandschlamm schmücken, sie färben sich damit aus keinem notwendigen bzw. anderem erkennbaren Grund die Brustfedern. Unter den Geiern im Nationalpark herrsche eine perfekte Aufteilung, die einen brechen das Aas auf und essen alles Weiche, die anderen hacken Sehnen und Knochen frei, die Bartgeier lassen die großen Knochen auf Felsen brechen und können große Stücke davon einfach schlucken, weil ihre Magensäure so scharf ist, dass die sich zersetzen. Der perfekte Mord! Vielleicht schreib ich darüber meinen Alptraum-Regionalkrimi.

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Abends dann die nächste Nachtigall, die keine ist – Margit Mössmer liest ja in Wels, und das ist sehr gut so. Dazu der Roiss, der ein Plädoyer für die gute Sprache hält, wenn das gegeben sei, läse er auch auch 500 Seiten über einen Stein. Er selbst würde am liebsten einen Roman über nichts anderes schreiben als „über ein Mädchen, das stundenlang ein Pferd bürstet.“ #literarisches asmr (Ich könnte stundenlang über „Stundenwasser“ nachdenken.)

27.6.

Eine Casting-Agentur meldet sich per SMS, ob ich am 1.7. Statistin bei SOKO Linz sein wolle (45 € Gage), und ob ich noch kurze, graue Haare habe.

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Grafito auf der Donauländen-Schiffsschraube: „I'm a lonley and ugly potato“

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Der Blick des LH, als ich im Frack bei 34° im Stifterhaus hinter ihm Platz nehme. Ich teile ihm mimisch mit, dass man eben nicht mit vollgekackten Jeans bei Regina Pintars großer Abschiedsfeier auftanze. Dann sitze ich reglos zwei Stunden in der textilen Sauna und versuche, mich ins Innere meines Körpers zurückzuziehen, dabei an Jännerfrost denkend. In meine Schuhe rinnt Stundenwasser. 

Dreimal wird unabhängig voneinander Stifters sanftes Gesetz zitiert, meines Erachtens eine unsubtile Anspielung auf Reginas Körpergröße: „Ein jeder Mensch sei dem anderen ein Kleinod“. Wir freuen uns alle über ihre Freude, gleich bei Petra Dallingers Einleitung gibt es nasse Augen. Es wird ein großer und sehr langer Abend. Niemand mag gehen, alle warten, ob nicht doch noch die siebte Platte mit Lachsbrötchen herbeigezaubert wird, und ob die Temperaturen in dieser Tropennacht nicht doch noch ein wenig sinken wollen.

28.6.

Gerade den okaysten Text der Welt geschrieben. Große Rastlosigkeit angesichts der morgen anbrechenden drei Wochen. Ein zäher Endfight gegen die Emails (eins beantwortet, zwei neue).

Aus der Stadtwerkstatt wummern grobe Bässe am helllichten Tag, vielleicht die seltsamste Radioumgebung meiner „Karriere“, aber der Roiss ist auch schon wieder dabei und Daniela Schopf stellt schöne Fragen.

So! Letzte Lesebühne! Zehn herrliche Mußeminuten lang liege ich mit dem Hund nach dem ganzen Aufbau-Trallawatsch im Eck des DH5-Hofes. Alles nimmt kurz ohne mich meinen Lauf (eh immer, in Wahrheit), dazu zischen Schwalben über den kleinen Abendhimmelsausschnitt. Der emsige Stadler und die Seinen schauen immer wieder wohlwollend zu mir herüber, die Blutgruppe singt schön, Yasmo&Mieze plaudern leise. Dann stehe ich mit letzter Kraft wieder auf. 

 Fotos: Dieter Decker <3

Mieze und Yasmo tragen dann das Geschehen, ich muss nur noch ganz wenig selbst machen. Sie alleine belohnen uns schon für 15 Jahre Mühe. „In der Zeit habe ich drei Lesebühnen gegründet und beendet. Du zwei, Yasmo?“ „Nein, auch drei.“ 

Bei meinen Texten lacht das Volk hauptsächlich, wenn ich spontan Worte wie „udaungs“ und „wiaflat“ einbaue, diesen billigen Trick muss ich mir merken. Die guten Menschen geben uns dann IPA-Pakete und liebe Worte mit in den Urlaub. Ein neuer Gast sagt begeistert, er könne das bei der Tombola gewonnene Ordnungssystem wirklich gut gebrauchen. Was für Schatzis wir uns hier herangelockt haben!

29.9.

Es ist noch einmal ein harter Fight in Schönering, aber um 13:30 ist das Boot voll (bzw. auf den Dachträger geschraubt) und der Küchenboden gewischt (ja, dieser Mensch bin ich geworden). In Wels stopfen wir noch einmal so viel Materie in das tapfer ächzende Auto.

Gemeinsames Aufschluchzen beim ersten Blick auf den

GRUNDLSEE.

Innerliches Aufschluchzen, als uns die Chefin schon zur Begrüßung die Fischpfanne und ein Reibeisen entgegenstreckt. Das erste Bier im Rostigen Anker verdampft, bevor es unsere Lippen berührt. Wir müssen sehr an uns halten, das Servierpersonal nicht mit unserem Glück zu überfordern.

30.6.

Es kann nichts mehr schiefgehen. In glücklicher Erschöpfung sind wir auf dem Balkon versackt. Die Spatzen budern auf den Dachbalken. Der Spatzenhahn schlängelt sich plusternd durch den Taubenabwehrslalom, tritt dann hektisch die geduldig das Spiel ertragende Spatzenhenne und fliegt wieder zurück zum Start. Nach fünf Wiederholungen ist der Akt vollbracht, die Spätzin schüttelt sich und putzt ihre Schwinge.